Döneken

Döneken

Die Anekdote (von griechisch ἀνέκδοτον, anékdoton - „nicht herausgegeben“) ist eine literarische Gattung, die eine bemerkenswerte oder charakteristische Begebenheit, meist im Leben einer Person, zur Grundlage hat.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Entwicklung

Der Begriff stammt von dem spätantiken Historiker Prokopios von Caesarea (Προκόπιος), der im 6. Jahrhundert ein kritisches Geschichtswerk mit Indiskretionen über den oströmischen Kaiser Justinian I. verfasste, das allerdings erst nach dessen Tod unter dem Titel Ἀνέκδοτα (Anekdota, oft übersetzt als „Unveröffentlichte Memoiren“ oder „Geheime Geschichte“) erschien.

Mit seinen Geschichten wurde Prokopios zu einem der ersten Klatschkolumnisten, denn keine seiner Geschichten konnte er persönlich bezeugen; er kannte sie alle nur vom Hörensagen. Seither gilt die Anekdote als eine zunächst mündlich verbreitete Erzählung aus dem Leben einer bekannten Persönlichkeit. Ein wesentliches Merkmal der Anekdote ist es, dass sie versucht, durch eine scheinbar zufällige Äußerung oder Handlung die Eigenart einer Person zu verdeutlichen. Anekdoten wurden auch schon früher von Historikern genutzt, um Persönlichkeiten, die zu der Zeit als Legenden galten, zu charakterisieren. Bekannt dafür ist der Historiker Plutarch, von dem mittlerweile die Geschichtswissenschaft überzeugt ist, dass er sich die meisten seiner Anekdoten selbst ausdachte.[1]

Ursprünglich wurden Anekdoten mündlich überliefert, später galt sie als eine literarische Form, die der Fabel, dem Schwank und der Schnurre verwandt war. Neue Impulse erhielt sie im 18. Jahrhundert durch die Aufklärung, die das Individuum in den Mittelpunkt stellte und darauf zielte, Persönlichkeitsmerkmale in knapper Pointierung herauszustellen. In diesem Sinne ist auch Friedrich Nietzsches bekannter Aphorismus zu verstehen.

Aus drei Anekdoten ist es möglich, das Bild eines Menschen zu geben. [2]

Gegenstand

Die Anekdote ist eine prägnante Wiedergabe einer wahren oder erfundenen Begebenheit, die den Charakter eines Menschen oder einen Zustand erhellt. Anekdoten berichten Tatsachen, die jedoch nicht verbürgt sind. Deshalb kommt es auch vor, dass die gleiche Anekdote von verschieden Personen erzählt wird oder wesentliche Details völlig anders dargestellt werden. Doris Kunschmann schreibt in der Einleitung zu ihrem „Großen Anekdotenlexikon“:

Nicht immer ist die Authentizität der Prominenten-Aussprüche belegbar, und zuweilen geistert der gleiche Witz seit Jahrhunderten unter verschiedenen Urhebernamen durchs Treppenhaus der Weltgeschichte. [3]

Der Architekt, Kunsthistoriker und Grafiker David Macaulay wiederum vergleicht die Anekdote mit der Karikatur, als er sagte:

Die besten Porträts sind vielleicht die, in denen sich eine leichte Beimischung von der Karikatur findet, und es lässt sich fragen, ob nicht die besten Geschichtswerke die sind, in denen ein wenig von der Übertreibung der dichterischen Erzählung einsichtsvoll angewendet ist. Das bedeutet einen kleinen Verlust an Genauigkeit, aber einen großen Gewinn an Wirkung. Die schwächeren Linien sind vernachlässigt, aber die großen und charakteristischen Züge werden dem Geist für immer eingeprägt. [4]

Bedingung und Verwendung

Voraussetzungen

Anekdoten bedürfen einer knappen Form mit einer Pointe, um richtig zu wirken. Sie sind mit der Kurzgeschichte und dem Schwank verwandt. Mark Twain äußerte sich folgendermaßen zu den Bedingungen einer Anekdote:

Für eine Anekdote braucht man drei Dinge: eine Pointe, einen Erzähler und Menschlichkeit. [5]

Goethe sagte zum gleichen Thema:

Eine Sammlung von Anekdoten und Maximen ist für den Weltmann der größte Schatz, wer die ersten an schicklichen Orten ins Gespräch einstreuen, der letzten im treffenden Falle sich zu erinnern weiß. [6]

Manchmal (oft) sind die Urheber von Anekdoten - ähnlich wie die von Witzen - unbekannt. Zu den namhaften Vertretern der Anekdote als Kunstform gehören Johann Peter Hebel und Heinrich von Kleist.

Der Anekdotensammler Gottfried Heindl hält Folgendes für das Wichtigste:

Es gibt keine wahren und unwahren, es gibt nur gute und schlechte Anekdoten. [7]

Damit drückt er aus, dass eine Anekdote nicht im buchstäblichen Sinne authentisch sein muss. Sie muss aber eine bestimmte Situation oder den Wesenszug einer Person charakteristisch wiedergeben. Dann ist sie auch gut. Anekdoten verhelfen zwar zu einer scharfen Momentaufnahme, aber eben nur in einer bestimmten Perspektive. Die Hauptgefahren der Anekdote sind deshalb:

  1. Personalisierung
  2. Heroisierung
  3. Denunziation von Menschen oder Umständen

Ersatz für Fakten

Anekdoten werden oft irreführend als Belege für statistische Zusammenhänge verwendet, etwa in der Außenseitermedizin als Belege für Wirksamkeit von Behandlungsmethoden. Da jedoch Anekdoten von ihrer Natur her handverlesene Geschichten sind, die nur weitererzählt werden, wenn sie von interessanten Sachverhalten berichten, und weil erfolgreiche Behandlungen interessanter sind als erfolglose, führt die Verwendung von Anekdoten notwendig zu einem verzerrten Bild der Realität und stellt eine wissenschaftlich unzulässige Datenselektion dar.

Beispiele

Diogenes und Alexander

Seit dem Altertum wird die angebliche Begegnung zwischen Alexander dem Großen und dem Kyniker Diogenes erzählt. Alexander war gerade zum obersten Feldherrn gewählt worden und nahm von allen Seiten Gratulationen entgegen, rechnete aber auch mit dem Erscheinen des Diogenes. Als dieser nicht kommen wollte, beschloss Alexander, ihn in Begleitung einiger Offiziere aufzusuchen. Diogenes lag gerade in der Sonne, als Alexander mit seinem Gefolge erschien und fragte, ob er etwas für ihn tun könne. Der bedürfnislose Diogenes habe ihm jedoch nur geantwortet:

Geh mir ein wenig aus der Sonne.
(altgriechisch: Μικρὸν ἀπὸ τοῦ ἡλίου μετάστηθι. - Mikron apo tou hēliou metastēthi.)

Alexander antwortete darauf zu seinen Leuten:

Wäre ich nicht Alexander, wollte ich Diogenes sein.
(altgriechisch: Εἰ μὴ Ἀλέξανδρος ἤμην, Διογένης ἂν ἤμην. - Ei mē Alexandros ēmēn, Diogenēs an ēmēn.)

In einer modernen Version soll Diogenes bestürzt gesagt haben:

„Was, das war Alexander! Wenn ich das gewusst hätte...“

Was ist nun vom Wahrheitsgehalt dieser oft erzählten und von Plutarch überlieferten Anekdote zu halten? Auf der Website der Universität Göttingen heißt es:

Es ist unwahrscheinlich, dass König und Philosoph einander je begegnet sind. Die Anekdote charakterisiert jedoch treffend den Unterschied zwischen dem König im vollen Bewusstsein seiner Macht und dem Philosophen, der dafür nur leise Verachtung übrig hatte. [8]

Ihre Beliebtheit verdankt diese Anekdote wohl der Faszinationskraft des Philosophenlebens.

Wanderanekdoten

Die Anekdote von dem verliehenen Buch, das mit Flecken zurückkommt, wird mehreren Personen zugeschrieben:

Lesezeichen

Der österreichische Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal verfügte daher über einen Schatz bibliophiler Raritäten, die er ungern verlieh. Einmal bekam er das Buch mit zahlreichen Fettflecken zurück. Hofmannsthal war darüber so verärgert, dass er eine Speckschwarte mit folgendem Kommentar zurückschickte:

Ich erlaube mir, Ihnen das Lesezeichen, das Sie in meinem Buch vergessen haben, zurückzuschicken. [9]

Die gleiche Anekdote erzählt man vom österreichischen Schriftsteller und Kritiker Alfred Polgar, der dem Entleiher eine Ölsardine zurücksandte mit der Bemerkung:

Ich bestätige den Empfang des Buches und erlaube mir, Ihnen Ihr wertes Lesezeichen zurückzusenden. [10]

Bei dieser Anekdote kann man nur sicher sein, dass es nicht Hofmannsthal war, der bei Polgar ein Buch entlieh oder umgekehrt.

Beispiele aus der Literatur

Literatur

  • Walther Birkenmayer / Gottfried Heindl: „Der liebe Gott ist Internist oder Der Arzt in der Anekdote“. Wien: Paul Neff Verlag, 1978. ISBN 3-7014-0146-2
  • Gerhard Fink: Spötter, Götter und Verrückte. Anekdoten und andere kurze Geschichten aus der alten Welt. Zürich / München: Artemis Verlag, 1987. ISBN 3-7608-0720-8
  • Ulrich H. Frey: Lexikon der treffenden Anekdoten. Ott Verlag thun, 1983. ISBN 3-7225-6169-8
  • Heinz Grothe: Anekdote. (= Sammlung Metzler; Abt. E, Poetik; M 101). 2. Auflage. Metzler, Stuttgart 1984, ISBN 3-476-12101-1
  • Jürgen Hein (Hg.): Deutsche Anekdoten. Reclam, Stuttgart 1999, ISBN 3-15-009825-4 (Anthologie)
  • Gottfried und Marianne Heindl: „Himmlische Rosen ins irdische Leben oder Die Frau in der Anekdote'“. Wien: Paul Neff-Verlag, 1981. ISBN 3-7014-0176-4
  • Sonja Hilzinger: Anekdotisches Erzählen im Zeitalter der Aufklärung. Zum Struktur- und Funktionswandel der Gattung Anekdote in Historiographie, Publizistik und Literatur des 18. Jahrhunderts. M und P, Stuttgart 1997, ISBN 3-476-45187-9
  • Heribert Hoffmeister: „Anekdotenschatz. Von der Antike bis auf unsere Tage“. Berlin: Verlag Praktisches Wissen F. W. Peters, 1974
  • Peter Kauder: Hegel beim Billard. Die besten Anekdoten über große Denker. München: C. H. Beck Verlag, 2000. ISBN 3-406-45926-9,
  • Peter Köhler (Hg.): Das Anekdoten-Buch. Stuttgart: Reclam Verlag, 2001. ISBN 3-15-018096-1
  • Peter Köhler: Geh mir aus der Sonne! Anekdoten über Philosophen und andere Denker. Ditzingen: Reclam, 2003. ISBN 3-15-010531-5
  • Michael Korth: Lexikon der verrückten Dichter und Denker. Berühmte Dichterfürsten und Geistesriesen, wie sie keiner kennt. Frankfurt am Main: Eichborn Verlag, 2003. ISBN 3-8218-3957-0
  • Eva-Bettina Krems: „Der Fleck auf der Venus. 500 Künstleranekdoten von Apelles bis Picasso“. München: Beck, 2003. ISBN 3-406-49468-4
  • Doris Kunschmann (Hg.): Das große Anekdoten-Lexikon. Die witzige Würze für Rede, Vortrag und Konversation. Niedernhausen/Ts.: W. Möller Verlag, 1996. ISBN 3-8159-0100-6
  • Franz Marischka: Immer nur lächeln. Geschichten und Anekdoten von Theater und Film. Wien - München: Amalthea Verlag, 2001. ISBN 3-8500-2442-3
  • Georg Niebling: Das Große Buch der Anekdote. Ernstes und Heiters. Esslingen am Neckar: Bechtle Verlag, 1979. ISBN 3-7628-0455-9
  • Matthias Nöllke: „Anekdoten, Geschichten, Metaphern für Führungskräfte“. Freiburg / Berlin / München: Haufe Mediengruppe, 2002. ISBN 3-448-05216-7
  • Wolfgang W. Parth: „Geschichten vom Herrn Goethe“. München: Kindler Verlag GmbH, 1981. ISBN 3-463-00831-9
  • Hermann Schüling: Katalog einer Sammlung von Anekdotenbüchern. (= Spezialsammlungen der Universitätsbibliothek Giessen; 1). Universitätsbibliothek Gießen, Gießen 1982 (Digitalisat)
  • Friedrich Torberg: Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten. München: Dtv, 1977. ISBN 3-423-01266-8
  • Peter Ustinov: „Sir Peters kleines Welttheater. Staatsmänner, Stars und andere Kollegen“. Kiepenheuer & Witsch, 2004. ISBN 3-462-03434-0
  • Volker Weber: Anekdote. Die andere Geschichte. Erscheinungsformen der Anekdote in der deutschen Literatur, Geschichtsschreibung und Philosophie. Stauffenberg, Tübingen 1993, ISBN 3-923721-29-3

Einzelnachweise

  1. Anekdotensammlung aller Art
  2. Humor ist der Schwimmgürtel
  3. Doris Kunschmann: „Das große Anekdotenlexikon
  4. Connection - Genie und Alltag der Berühmten & Verrückten
  5. Nöllke: „Anekdoten, Geschichten und Metaphern
  6. Nöllke: „Anekdoten, Geschichten und Metaphern
  7. Niemetz: „Anekdoten und Karikaturen für den Geschichtsunterricht
  8. Virtuelles AntikenMuseum Goettingen - Das Bild Alexanders in antiker Literatur und Kunst
  9. Kunschmann: „Das große Anekdotenlexikon
  10. Kunschmann: „Das große Anekdotenlexikon

Siehe auch

Aphorismus, Apophthegma, Sentenz, Wortspiel, Witz

Weblinks


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