Ein deutsches Requiem

Ein deutsches Requiem
Johannes Brahms um 1866

Ein deutsches Requiem, op. 45, ist der Titel eines Werkes für Sopran- und Bariton-Solo, Chor und Orchester des deutschen Komponisten Johannes Brahms. Die Originalbesetzung ist 2 Flöten, Piccoloflöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott ad libitum, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba - Pauken - Harfe (2 Harfen) - Streicher, Orgel ad libitum, Solo-Sopran, Solo-Bariton und vierstimmiger Chor.

Inhaltsverzeichnis

Gattung und Textauswahl

Johannes Brahms hat sein Werk „Ein deutsches Requiem“ genannt. Unter einem Requiem versteht man gemeinhin die Liturgie der Totenmesse der katholischen Kirche bzw. kirchenmusikalische Kompositionen zum Totengedenken. Brahms orientierte sich bei der Auswahl seiner Texte aber nicht am traditionellen Kanon des Requiems als Totenmesse, sondern wählte aus Texten des Alten und Neuen Testamentes in der Fassung der Lutherbibel vor allem solche aus, in denen der Trost der Hinterbliebenen im Mittelpunkt stand. Brahms demonstrierte dabei enorme Kenntnis der Bibel und gestaltete das Deutsche Requiem nicht als Trauermusik, sondern zum Trost derer, „die da Leid tragen“, also vor allem als eine Musik für die Lebenden. Der kirchenmusikalischen Gattung des Requiems wird Brahms Stück deshalb nicht gerecht. Von der Anlage – vor allem der Besetzung – her, kann man es eher als Oratorium bezeichnen, wobei die dramatische Komponente fehlt. Von der Textabfolge knüpft es am ehesten an die evangelische Motette früherer Zeiten an. Einer genauen Einordnung in eine musikalische Gattung verschließt sich das Werk, ähnlich wie Händels Messiah, mit dem es auch die Textauswahl zur Auferstehung der Toten gemeinsam hat.

Entstehungsgeschichte

1858 vertonte Johannes Brahms die ersten geistlichen Texte („Ave Maria“ op. 12 und „Begräbnisgesang” op. 13). 1861 begann er dann mit der Zusammenstellung der Texte zu dem Requiem; zunächst entstanden die Texte der Sätze I-IV, diese notierte Brahms auf der Rückseite des vierten Liedes seiner Magelonen-Romanzen op. 33. Ebenso 1861 komponierte er die ersten beiden Sätze. Nach dem Tod der Mutter 1865 scheint er die Arbeit an dem Werk wieder aufgenommen zu haben, im Frühjahr 1865 entstand der IV. Satz, diesen sandte Brahms als Klavierauszug an Clara Schumann. Satz III ist wohl während eines längeren Aufenthaltes bei dem Freund und Fotografen Julius Allgeyer in Karlsruhe entstanden, die Sätze VI und VII wohl im Sommer des Jahres 1866 in Lichtenthal (bei Baden-Baden) und/oder in Winterthur. Der heutige Satz V wurde erst im Mai 1868 komponiert und nach den ersten Aufführungen in das Werk eingefügt.

Die ersten drei Sätze – mehr wollte man dem Publikum „nicht zumuten“ – wurden Anfang Dezember 1867 durch den Wiener Singverein in einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien uraufgeführt, mit eklatantem Misserfolg. Weitaus mehr Anklang fand die erstmalige Aufführung des damals noch sechssätzigen Werkes in seiner Gesamtheit am Karfreitag, dem 10. April 1868 im Bremer Dom. In dieser Aufführung wurden nach dem ersten Satz des Requiem fünf andere Stücke eingefügt (Violin Solo von Joseph Joachim, „Erbarme dich“ aus Bachs Matthäus-Passion und aus Händels Messias „Seht, das ist Gottes Lamm“, „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ und „Halleluja“).

Der bei diesem Konzert noch fehlende fünfte Satz wurde auf Anregung des Bremer Domkapellmeisters Carl Martin Reinthaler eingefügt, und das vollständige Werk, wie wir es heute kennen, erlebte am 18. Februar 1869 seine Uraufführung im Leipziger Gewandhaus.

Aufnahme des Werkes in der Musikkritik

„Zu erzählen gibt es hier wenig, aber sagen muß ich Dir noch, daß ich ganz und gar erfüllt bin von Deinem Requiem, es ist ein ganz gewaltiges Stück, ergreift den ganzen Menschen in einer Weise wie wenig anderes. Der tiefe Ernst, vereint mit allem Zauber der Poesie, wirkt wunderbar, erschütternd und besänftigend. Ich kann's, wie Du ja weißt, nie so recht in Worte fassen, aber ich empfinde den ganzen reichen Schatz dieses Werkes bis ins Innerste, und die Begeisterung, die aus jedem Stücke spricht, rührt mich tief, daher ich mich auch nicht enthalten kann es auszusprechen. ... Ach könnte ich es hören, was gäb ich wohl darum.", schrieb Clara Schumann in einem Brief an Johannes Brahms nachdem diese die Noten des 6. und 7. Satzes von ihm erhalten hatte.[1]

„Seit Bachs h-Moll-Messe und Beethovens Missa solemnis ist nichts geschrieben worden, was auf diesem Gebiete sich neben Brahms’ deutsches Requiem zu stellen vermag“, so hymnisch urteilte der schwer zu begeisternde Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick. Das Requiem sollte der Durchbruch für den gerade 33jährigen Komponisten und eines seiner populärsten Werke werden.

Struktur

Durch die Einfügung von Satz 5 ergibt sich eine symmetrische Struktur um den Satz 4, der die „lieblichen Wohnungen des Herrn“ beschreibt. Satz 1 und 7 beginnen mit „Selig sind“, wobei Satz 1 den Seligpreisungen der Bergpredigt entnommen ist, Satz 7 der Offenbarung des Johannes. Auch musikalisch sind diese beiden überwiegend verhaltenen Sätze aufeinander bezogen, besonders am Ende. Die Sätze 2 und 6 sind dramatisch konzipiert, Satz 2 betont die Vergänglichkeit („Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“), Satz 6 die Auferstehung („Siehe, ich sage euch ein Geheimnis“). Die Sätze 3 und 5 werden von einer Solostimme begonnen. In Satz 3 bittet der Bariton („Herr, lehre doch mich“), der Chor wiederholt mehrfach verallgemeinernd den Text. In Satz 5 dagegen singen die Sopranistin und der Chor unterschiedlichen Text, „Ihr habt nun Traurigkeit“ gegenüber „Ich will euch trösten“. Im ganzen Werk singen die Solisten, anders als zum Beispiel in barocken Oratorien, keine Arien, sondern sind Teil der Gesamtarchitektur. Fast alle Sätze mit Ausnahme von 4 und 7 beruhen auf einer Folge mehrerer Bibelworte, die jeweils sinnvoll von Leid und Trauer zum Trost führen.

Nr Informationen Aufnahme[2]
1 Chor: Selig sind, die da Leid tragen
Tonart Taktart Bezeichnung
F 4/4-Takt Ziemlich langsam und mit Ausdruck (Takt 1-158)
2 Chor: Denn alles Fleisch, es ist wie Gras
Tonart Taktart Bezeichnung
b 3/4 Langsam, marschmäßig sempre legato mezza voce (Takt 1-43)
sempre legato (Takt 43-74)
Ges Etwas bewegter dolce espr. (Takt 74-126)
b Tempo I (exakte Wdh 1-74)
B Un poco sostenuto (Takt 198-205)
4/4-Takt Allegro non troppo (Takt 206-302)
tranquillo (Takt 303-337)
3 Bariton und Chor: Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss.
Tonart Taktart Bezeichnung
F alla breve Andante moderato (Takt 1-104)
F 3/2 (Takt 105-163)
D (Takt 164-172)
alla breve (Takt 173-208)
4 Chor: Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth
Tonart Taktart Bezeichnung
Es 3/4 Mäßig bewegt (Takt 1-179)
5 Sopran: Ihr habt nun Traurigkeit
Chor: Ich will euch trösten
Tonart Taktart Bezeichnung
G 4/4-Takt Langsam (Takt 1- 82)
6 Chor: Denn wir haben hie keine bleibende Statt
Bariton: Siehe, ich sage euch ein Geheimnis
Tonart Taktart Bezeichnung
c 4/4-Takt Andante (Takt 1-31)
fis (Takt 32-71) [ab Takt 68 accelerando]
c (Takt 72-81)
3/4 Vivace (Takt 82-207)
C alla breve Allegro (Takt 208-349)
7 Chor: Selig sind die Toten
Tonart Taktart Bezeichnung
F 4/4-Takt Feierlich (Takt 1-47)
A (Takt 48-101)
F (Takt 102-166)

Bearbeitungen

Das deutsche Requiem ist in seiner Originalfassung für kleinere Ensembles nicht aufführbar, da das Orchester hierfür deutlich zu groß ist. Es hat sich bei Aufführungen von Laien-Chören eingebürgert, das Orchester zusammenzukürzen, also einzelne Instrumente (bevorzugt im Blech) wegzulassen. Daneben sind aber auch eigene Fassungen entstanden, die dem Werk gerechter werden.

Brahms selbst hat eine Fassung für Klavier zu vier Händen erarbeitet[3], die bei der ersten Aufführung des Werks in London benutzt wurde und daher manchmal als „Londoner Fassung“ bezeichnet wird. Des Weiteren ist der üblicherweise eingesetzte Klavierauszug vom Komponisten selbst.

Cipriani Potter gab 1869 in London die erste Transkription für zwei Klaviere heraus.[4]

Theodor Kirchner schrieb eine Fassung für Klavier solo.

Robert Schaab schuf eine Konzertfassung für Orgel der Sätze IV (Wie lieblich sind deine Wohnungen) und VI (Denn wir haben hie keine bleibende Statt).

Heinrich Poos schrieb eine Bearbeitung für Chor, zwei Klaviere und Pauken.

2010 hat Ingo Schulz die Arbeit übernommen, das Werk in eine Fassung für Kammerorchester und Chor zu übertragen. Diese Fassung ist von den gesetzten Noten sehr nah am Originalwerk, hat jedoch ein deutlich verkleinertes Instrumentarium. Schulz selbst hat diese Fassung am 19. und 20. November 2010 in der Emmauskirche in Berlin Kreuzberg mit seinem Chor (Ölbergchor) uraufgeführt. Die Reaktion des Publikums war hierbei sehr positiv. Die Fassung ist besetzt mit: Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn, Trompete, Posaune, Pauken, Harfe, Orgel und Streicher. Schulz hatte die Streicher in der Uraufführung nur doppelt besetzt, also 2 erste und 2 zweite Violinen, zwei Bratschen, 2 Celli und einen Kontrabass, der Chor war mit ca. 75 Sängerinnen und Sängern besetzt. Das Aufführungsmaterial dieser Version steht gratis als pdf-Datei zur Verfügung.[5]

Ein ähnliches Ansinnen wie Ingo Schulz hatte Joachim Linckelmann, der ebenfalls 2010 eine Fassung für Kammerorchester im Carus-Verlag veröffentlichte.[6]

Einzelnachweise

  1. zitiert nach: Frank Reinisch: Nachwort In: Johannes Brahms Ein deutsches Requiem (Klavierauszug) Breitkopf & Härtel, Wiesbaden (Edition Breitkopf 6071), S. 96.
  2. Die Aufnahme wurde 2001 von The Holden Consort Orchestra and Choir eingespielt.
  3. Nicolas Radulescu über die Klavierfassung von Brahms’ Requiem
  4. [1]
  5. Noten der Bearbeitung von Ingo Schulz
  6. Katalogeintrag bei Carus

Literatur

  • Norbert Bolin: Johannes Brahms, Ein deutsches Requiem. Schriftenreihe der Internationalen Bachakademie Stuttgart, Bd. 13. Bärenreiter, Kassel/Stuttgart 2004.
  • Johannes Brahms: Ein deutsches Requiem, Programmheft der Uraufführung der Fassung für Kammerorchester und Chor von Ingo Schulz, "Loses Blatt", Berlin 2010.

Weblinks

 Commons: Ein deutsches Requiem – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien
 Wikisource: Ein deutsches Requiem – Quellen und Volltexte

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