Erasmus Schöfer

Erasmus Schöfer

Erasmus Schöfer (* 4. Juni 1931 in Altlandsberg bei Berlin) ist ein deutscher Schriftsteller.

Erasmus Schöfer, Schriftsteller, im Literaturhaus Köln (15. Juni 2008)

Inhaltsverzeichnis

Leben

Erasmus Schöfer wurde als Sohn einer Lehrerin geboren. Von 1949 bis 1953 besuchte er in Berlin ein Realgymnasium, an dem er sein Abitur machte. Danach studierte er an den Universitäten in Berlin, Köln, Bonn und Freiburg im Breisgau Germanistik, Sprachwissenschaft und Philosophie, unterbrochen von einer dreijährigen Tätigkeit als Fabrikarbeiter in Berlin und Köln. 1960 promovierte er an der Universität Bonn zum Doktor der Philosophie. Nach einem kurzen Zwischenspiel im wissenschaftlichen Bereich ist er seit 1962 als freier Schriftsteller tätig.

1965 zog Schöfer nach München, wo er sich gegen die Notstandsgesetze und später in der Ostermarschbewegung engagierte. 1969 war er Mitbegründer des "Werkkreises Literatur der Arbeitswelt", dessen Sprecher er bis 1973 war und für den er zahlreiche Veröffentlichungen betreute. Nachdem er einige Jahre auf den griechischen Inseln Patmos und Ithaka gelebt hatte, wohnt er seit 1970 in Köln, wo er der DKP angehörte.[1] Das Werk des linken Aktivisten Schöfer besteht neben Prosabänden auch aus zahlreichen Hörspielen.

Erasmus Schöfer ist seit 1970 Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller (zeitweise als Mitglied des Bundesvorstandes) und seit 1980 des PEN-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland. Im Mai 2009 gründete er gemeinsam mit anderen ehemaligen Bezirks-, Landes- und Bundesvorstandsmitgliedern des Schriftstellerverbandes die "Aktion unabhängiger Rhein-Ruhr-AutorInnen" (AURA 09 e. V.) unter Vorsitz von Eva Weissweiler. Er erhielt 1964 den Kurt-Magnus-Preis der ARD, 1974, 1977 und 2001 ein Arbeitsstipendium des Landes Nordrhein-Westfalen sowie 1981 und 1992 ein Stipendium des Deutschen Literaturfonds. 2008 wurde ihm der Gustav Regler-Preis der Stadt Merzig und des Saarländischen Rundfunks verliehen.

Werk

Erasmus Schöfer ist ein engagierter Schriftsteller, der gesellschaftliches praktisches Engagement mit politisch-kritischer Literatur verbindet, einer littérature engagée, die Partei ergreift für die Arbeiter, für sozial Deklassierte, gegen Naturzerstörung und Atomkraftwerke, für eine Demokratisierung der deutschen Gesellschaft – eine Literatur, die ihre Formen aus den Stoffen und Zielen entwickelt und neue Wege im Hörspiel, in der Erzählkunst und auch in Filmen geht.

Obwohl promoviert, ist Erasmus Schöfer kein Akademikerschriftsteller, weder von der Herkunft, noch von dem eigenen Werdegang, noch von den Themen seiner Literatur her. Er hat mehrere Jahre in Berliner und Kölner Fabriken gearbeitet. Verständlich, daß er Mitbegründer des „Werkkreises Literatur der Arbeitswelt“ wurde, deren Geschichte er mitgeprägt hat. Vier Bücher der Reihe hat er herausgegeben, z. T. mit anderen: Ein Baukran stürzt um, 1970; Realistisch schreiben, 1972; Der rote Großvater erzählt, 1974; Die Kinder des roten Großvaters erzählen, 1976; Streikberichte, 1974; Betriebsräte berichten, 1977.

Seine Hörspiele der 70er Jahre – Kollegin Zander greift ein, 1972; Machen wir heute, was morgen erst schön wird, 1974; Swedenborg oder die Formen der Wahrheit, 1980, stellen Probleme von Betrieben aus der Sicht von Arbeitern dar, ebenso seine Filme: Bittere Pillen, 1975; Verfolgung 1977. Auch mit Bühnenstücken wie Vielleicht bin ich schon morgen eine Leiche, 1971; Die Bürger von Weiler, 1982, hat er politische Kämpfe der und in der Arbeiterschaft thematisiert. Daß Schöfer Mitinitiator des Industrietheaters „Der Wahre Anton“ wurde, für das er auch Stücke schrieb und aufführte, war konsequent.

Schöfers Literatur bewegt sich in der Tradition der sozialen Reportage und des sozialkritischen Theaters, Hörspiels und Films, aber in szenischen Erzählformen. Ihre Stärke liegt in der direkten Rede seiner Figuren, denen er durch die gesprochene Sprache Glaubwürdigkeit verleiht, bei den Leserinnen und Lesern Interesse erweckt und Spannung erzeugt. Erzählt wird in einer allen verständlichen Sprache, die den Eindruck von Alltagsrede vermittelt, aber kein Alltagsjargon ist, sondern eine künstlerische Leistung darstellt.

Dieser Stil wurde in den Erzählungen und Romanen seit den 1980er-Jahren weiterentwickelt. Schöfers Blick weitet sich, sein Engagement, etwa im Bundesvorstand des Deutschen Schriftstellerverbandes (VS) oder als Mitglied des Deutschen P.E.N.-Zentrums, wird überregionaler. Mit der Darstellung der politischen Situation Griechenlands nach der Ära des Faschismus in Tod in Athen von 1986 wird auch die erzählte Welt komplexer. Die politischen Ereignisse sind von privaten Beziehungsgeschichten aus erzählt und thematisieren das Verhältnis von privat und öffentlich in bürgerlichen und proletarischen Lebensgeschichten. Dieser Stil bestimmt auch das große Hauptwerk Schöfers, den Romanzyklus Die Kinder des Sisyfos.

Sisyfos-Tetralogie

Der auf vier Bände angelegte Romanzyklus Die Kinder des Sisyfos über die deutsche und europäische Geschichte zwischen 1968 und 1989 vergegenwärtigt und bewahrt die Erinnerung an eine Linke, die zwar erhebliche Veränderungen in Gang setzte, ihr Ziel, ein humane sozialistische Gesellschaftsordnung, jedoch verfehlte.

Mit diesem Werk ist Schöfer der erste Autor, der in einem umfassenden Erzählwerk neuere Geschichte in einer Fülle von historischen Details am Faden von persönlich-privaten Beziehungsgeschichten verdichtet. Aus der Perspektive des Studenten und späteren Geschichtslehrers Viktor Bliss, seiner Freundin Lena und des Betriebsrats Manfred Anklam wird der Beginn der Studentenrevolte mit deren Folgen aus der Perspektive von aktiv Beteiligten erzählt, mit einem Erzählstil, der alles daran setzt, Nähe zu erzeugen, bis hin zu Experimenten wie Paralleldruck gleichzeitig denkender Figuren. Die Fülle der Fakten und die Genauigkeit der Schilderung von Ereignissen machen das Werk zu einem herausragenden historischen Gegenwartsroman. Die Romane charakterisieren auch detailgenaue Darstellungen von Industriearbeit, im zweiten Band die Glasherstellung, im vierten die Stahlproduktion. Mit der Sisyfos-Tetralogie werden erstmals zweieinhalb Jahrzehnte neuester Geschichte in breiter Romanform erzählt.

Der erste Band: Ein Frühling irrer Hoffnung, 2001, erzählt auf 500 Seiten bundesrepublikanische Geschichte Ende der 60er Jahre aus der Perspektive der demokratischen linken Bewegung.

Der zweite Band Zwielicht, 2004, breitet auf 600 Seiten die Kämpfe der 70er Jahre aus. Schöfer verstärkt die Mittel der Montage von Protokollen, Tagebucheinträgen, Referaten und weiteren Dokumenten, um eine erzählerische Authentizität der wirklichen Geschichte aus der Perspektive linker Demokraten zu erzeugen. Die Mittelpunktsfigur Armin Kolenda wechselt vom Bergarbeiter zum Sozialhelfer, von da zum politischen Aktivisten bis hin zum Journalisten. Die Ereignisse sind nicht fiktiv, sondern historisch: der Kampf um den Erhalt der Glashütte Süßmuth, um das Kaiserstühler Atomkraftwerk Wyhl, gegen die Stilllegung des Mannesmann-Stahlwerks Reisholz. Daß das alles nicht angelesen ist, sondern erfahren, zeigt Schöfers Beteiligung am Kampf gegen das Atomkraftwerk Wyhl, worüber er schon in einem Werkkreis-Band geschrieben hatte. Auch der Düsseldorfer Werkkreis, in dem Kolenda agiert, ist historisch: Schöfer selbst gab mit dieser Werkstatt einen Werkkreis-Band heraus: Die Kinder des roten Großvaters erzählen. In diesem Kampf gibt es parallel zur politischen Entwicklung auch in den privaten Beziehungen Niederlagen.

Der dritte Band, Sonnenflucht, 2005 erschienen, ist den Reaktionen auf die Niederlagen in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre gewidmet. Im dritten Band wird es für die Protagonisten, an sich psychisch stabile Charaktere, eng. Bliss ist die sinnlose Ermordung einer jungen Kommunistin der Höhepunkt seiner Depression. Die Beschädigung seines inneren Selbst führt zur Beschädigung des Körpers: Schon eingangs liegt der Held, bewegungsunfähig, mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus, mit der Außenwelt nur verbunden durch die Tonbandbriefe der Griechin Katina, der engsten Freundin der ermordeten Sotiria, die Bliss gerade erst kennengelernt hat. Die emotionale Anteilnahme ergibt sich auch aus der historischen Realistik. Die Ermordung von Sotiria Vasilakopoulous am 28. Juli 1980 in Athen ist historisch wie die Geschehnisse in den beiden ersten Bänden. Schöfer öffnet mit seinem dritten Sisyfos-Roman die deutsche Perspektive zur europäischen. Die bewegte Geschichte Griechenlands seit 1945 und die Rolle der Linken tritt ins Blickfeld, vermittelt über die aktuellen Betriebskämpfe der Arbeiterschaft. Der Roman gerät zu einer Hommage für den griechischen Dichter und Kommunisten Jannis Ritsos, von dem Schöfer ein Werk selbst ins Deutsche übersetzt hat. In die Trauerfeier für Sotiria mischt sich die Trauer über die Machtlosigkeit der europäischen Linken. Das Faszinierende an diesem Roman ist die Verschränkung von individueller, privater und politischer Geschichte. Mitreißend Schöfers Stil, das Innenleben seiner Figuren in Handlungen und Alltagsgesprächen zu zeigen ohne weitschweifige Gefühlsausbrüche, aber mit einer Sprachkraft, sinnliche aktuelle Wahrnehmungen und Reflexionen über die eigene Lebens- und die gesellschaftliche Geschichte zu verdichten.

Der vierte Teil des Sisyfos-Tetralogie, Winterdämmerung, 2008, ein Roman mit 619 Seiten, führt die Figuren durch die 80er-Jahre bis zum Fall der Mauer. Kapitel über die Kämpfe um die Startbahn West des Frankfurter Flughafens und des Krupp-Stahlwerks Reinhausen thematisieren historische Ereignisse. Den erfundenen Figuren treten historische wie Robert Jungk und Peter Härtling gegenüber. Einen Höhepunkt bildet das fiktive Gespräch zwischen Bliss und dem Gießener Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter.

Der historische politische Zeitroman Lion Feuchtwangers findet mit Schöfer seinen Neuanfang und seine Fortsetzung. Bestechend sind die abwägenden Urteile, die Kritik nicht nur an den Konservativen, sondern auch an linken Sekten, an der RAF und an der DKP. Bestechend ist der Stil, der trotz aller scheinbaren Schmucklosigkeit als eine hohe Kunst des dialogischen Erzählens zu werten ist.

Werke

  • Die Sprache Heideggers, Pfullingen 1962
  • Die Wahrheit ist die Veränderung, Berlin 1968
  • Vielleicht bin ich schon morgen eine Leiche, Frankfurt am Main 1970
  • Bittere Pillen. Verfolgung. Die Hütte gehört uns, Fischerhude 1978
  • Die Bürger von Weiler, Frankfurt am Main 1978
  • Erzählungen von Kämpfen, Zärtlichkeit und Hoffnung, Frankfurt am Main 1979
  • Der Sturm, Köln 1981
  • Erasmus Schöfer, München 1982
  • Tod in Athen, Dortmund 1986
  • Flieg Vogel stirb, Köln 1987
  • Ist die DKP noch zu retten?, Hamburg 1989 (zusammen mit Paula Keller)
  • Ein Frühling irrer Hoffnung, Köln 2001
  • Zwielicht, Berlin 2004
  • Sonnenflucht, Köln 2005
  • Winterdämmerung, Berlin 2008

Herausgeberschaft

  • Ein Baukran stürzt um, München 1970 (zusammen mit Karl D. Bredthauer und Heinrich Pachl)
  • Betriebsräte berichten, Köln [u.a.] 1977 (zusammen mit Heinrich Droege und Rudi Kaske)
  • Die Kinder des roten Großvaters erzählen, Frankfurt am Main 1976
  • Der rote Großvater erzählt, Frankfurt am Main 1974

Literatur

  • Rüdiger Scholz: Intellektuellenrevolte und Betriebskämpfe in der Bundesrepublik Deutschland 1968 bis 1989. Erasmus Schöfers „Sisyfos“-Romane. In: Peter Weiss Jahrbuch. Band 14. Hrsg. von Michael Hofmann, Martin Rector und Jochen Vogt. Röhrig, St. Ingbert 2005. S. 157–182.
  • Rüdiger Scholz: Griechenland heilt nicht mehr. Erasmus Schöfers dritter Sisyfos-Roman Sonnenflucht zwischen Realistik und Symbolik. In: Peter Weiss Jahrbuch. Band 15. Hrsg. von Arnd Beise, Michael Hofmann, Martin Rector und Jochen Vogt. Röhrig, St. Ingbert 2006. S. 153–170.
  • Rüdiger Scholz: Gesellschaftskämpfe in der Bundesrepublik Deutschland der 1980er Jahre. Erasmus Schöfers vierter „Sisyfos“-Band Winterdämmerung. In: Peter Weiss Jahrbuch. Band 18. Hrsg. von Arnd Beise und Michael Hofmann. Röhrig, St. Ingbert 2009. S. 35–61.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. das Findbuch zum Vorlass im Fritz-Hüser-Institut, Einleitung.

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