Erfurter Programm

Erfurter Programm
Deckblatt des Erfurter Programms
Der Kaisersaal in Erfurt, Ort des Parteitages (Foto von 2006)

Der Erfurter Parteitag wurde vom 14. bis 20. Oktober 1891 von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) im Erfurter Kaisersaal abgehalten. Das hier verabschiedete Programm wird Erfurter Programm genannt.

Inhaltsverzeichnis

Bedeutung

Der Erfurter Parteitag unter Leitung von August Bebel gehört zu den wichtigsten Programmparteitagen der SPD. Nach Ende der Verfolgungen durch das Bismarcksche Sozialistengesetz (1878-1890) suchte die aufstrebende Arbeiterpartei nach einer neuen Strategie und Taktik im Zeitalter dynamischer Industrialisierung und gesellschaftlicher Veränderungen in Deutschland.

Debatte

Der Ablauf der Programmdebatte im Vorfeld des Erfurter Parteitages deutete darauf hin, dass eine intensive Auseinandersetzung mit den Theorien Karl Marx' nicht stattfand[1]. So versuchten alle Entwürfe Grundzüge der marxistischen Ideologie mit sozialdemokratischer, am Pragmatismus orientierter, Realpolitik zu verbinden. Insgesamt gab es vier Programmentwürfe, einen offiziellen des Vorstandes sowie drei Alternativentwürfe, die vor Beginn des Parteitages eingereicht wurden. Zur Abwägung und Analyse dieser Alternativentwürfe wurde seitens des Parteivorstandes eine Programmkommission unter Führung Wilhelm Liebknechts eingerichtet. Besonderes Interesse fanden hier die Entwürfe von Karl Kautsky und Eduard Bernstein, die in grundlegenden Zielen nicht von dem des Vorstandes abwichen. Diese beiden Papiere, ein eher theoretisches von Kautsky und ein eher praktisches von Bernstein, fanden innerhalb der 21-köpfigen Programmkommission großen Anklang, wurden zusammengeführt und schließlich mit wenigen Änderungen einstimmig angenommen. Dieser neue Programmentwurf besaß aufgrund der Stellung der deutschen Arbeiterbewegung internationalen Vorbildcharakter und enthielt in der Tradition des Gothaer Programms einen theoretischen und einen praktischen Teil. Darüber hinaus wurde der neue Name SPD im Erfurter Programm festgeschrieben. Auf dem Erfurter Parteitag selbst wurde das Programm ohne Diskussion seitens der 250 Delegierten angenommen.[2]

Inhalt

Das als Erfurter Programm bekannt gewordene Parteiprogramm findet nach den reformistischen Ansätzen des Gothaer Programms (1875) in Teilen wieder zur marxistischen Theorie und Lehre zurück und kehrt von den Lasalle'schen Inhalten des Gothaer Programms vollständig ab. So erklärte Karl Kautsky selbst, er habe für den theoretischen Part[3] Teile von Marx' Kapital zusammengefasst. Die von ihm erwähnten Teile beziehen sich höchstwahrscheinlich auf den Abschnitt Geschichtliche Tendenzen der kapitalistischen Akkumulation.[4] Im krassen Gegensatz zu Marx enthielt das Programm jedoch keine expliziten Forderungen nach einer proletarischen Revolution[5] und dokumentiert somit die oben erwähnte zwiespältige Auseinandersetzung mit den Inhalten des Kommunistischen Manifests.

Der praktische, aktionspolitische Teil des Programms enthält im Kontrast zum theoretischen Teil zahlreiche demokratische und sozialpolitische Ziele (Wahlrecht, Achtstundentag, Arbeiterschutz). Damit beginnt der lange Zwiespalt in der Partei zwischen sozialistischer Theorie und realpolitischer Praxis, der erst mit dem Godesberger Programm 1959 endgültig überwunden wird.

Einzelnachweise

  1. Axel Kuhn: Die deutsche Arbeiterbewegung (2004)
  2. Axel Kuhn: Die deutsche Arbeiterbewegung (2004), 99
  3. http://www.marxists.org/deutsch/archiv/kautsky/1892/erfurter/index.htm
  4. Axel Kuhn: Die deutsche Arbeiterbewegung (2004), 99
  5. Erfurter Programm auf http://www.marx.org/deutsch/geschichte/deutsch/spd/1891/erfurt.htm

Literatur

  • Steffen Raßloff und Ulrich Seidel: Der Erfurter Kaisersaal. Erfurt (Sutton Verlag) 2008. ISBN 978-3-86680-303-9.
  • Axel Kuhn: Die deutsche Arbeiterbewegung (2004). Reclam. ISBN 3-15-017042-7

Weblinks

Siehe auch


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Erfurter Programm — Erfurter Programm, die im Oktober 1891 auf dem Kongreß zu Erfurt vorgenommene Revision des 1875er Gothaer Programms der deutschen Sozialdemokratie. Vgl. Kautsky, Das E. P., in seinem grundsätzlichen Teil erläutert (4. Aufl., Stuttg. 1902).… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Erfurter Programm — Ẹrfurter Progrạmm,   Grundsatzprogramm der SPD, 1891 auf dem Erfurter Parteitag beschlossen, löste das Gothaer Programm ab; 1921 durch das »Görlitzer Programm« ersetzt. Es war richtungweisend für viele sozialdemokratischen Parteien Europas.  … …   Universal-Lexikon

  • Erfurter Parteitag — Deckblatt des Erfurter Programms …   Deutsch Wikipedia

  • Erfurter Dom — Bekannte Ansicht des Erfurter Domes (links) und der Severikirche (rechts). Der Erfurter Dom (früher auch Marienkirche oder Propsteikirche Beatae Mariae Virginis genannt) ist der wichtigste und älteste Kirchenbau in Erfurt. Er diente nur kurze… …   Deutsch Wikipedia

  • Erfurter Hauptfriedhof — Der Hauptfriedhof Erfurt ist eine parkartige Begräbnisstätte in Erfurt und der größte Friedhof des Landes Thüringen. Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Gräber und Ehrenmale 3 Veranstaltungen 4 Referenzen 5 Webl …   Deutsch Wikipedia

  • Godesberger Programm — Das Godesberger Programm war von 1959 bis 1989 das Parteiprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Ein außerordentlicher SPD Parteitag in der Stadthalle von Bad Godesberg, heute ein Stadtbezirk Bonns, verabschiedete es mit… …   Deutsch Wikipedia

  • Görlitzer Programm — Das Görlitzer Programm war das auf dem Görlitzer Parteitag von 1921 angenommene Programm der SPD. Es löste das Erfurter Programm von 1891 ab und wurde seinerseits bereits 1925 vom Heidelberger Programm ersetzt. Inhaltsverzeichnis 1 Parteitag und… …   Deutsch Wikipedia

  • Heidelberger Programm — Das Heidelberger Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) galt von 1925 bis 1959. Es löste das Görlitzer Programm von 1921 ab. Nachfolger war das Godesberger Programm von November 1959. Bereits 1946 wurde das Heidelberger… …   Deutsch Wikipedia

  • Berliner Programm — Das so genannte Berliner Programm, eigentlich Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, war das Parteiprogramm der SPD von 1989 bis 2007. Es wurde am 20. Dezember 1989 auf dem Programm Parteitag der SPD in Berlin… …   Deutsch Wikipedia

  • Eisenacher Programm — Das Eisenacher Programm war das auf dem Parteitag von Eisenach am 8. August 1869 beschlossene Gründungsprogramm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Es enthielt dabei sowohl marxistische Ansätze, wies aber auch ähnliche Forderungen und Ziele… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”