Erlaubnistatbestandsirrtum

Erlaubnistatbestandsirrtum

Der Erlaubnistatbestandsirrtum ist ein terminus technicus des deutschen Strafrechts.

Der Täter hält irrig Umstände für gegeben, die, sollten sie tatsächlich vorliegen, die tatbestandlichen Voraussetzungen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes (z. B. Notwehr, § 32 StGB) erfüllen und dadurch sein Handeln rechtfertigen würden.

Beispiel: Der Hausherr hält den nachts in seinem Haus herumschleichenden Liebhaber der Tochter für einen Einbrecher und will sein Eigentum schützen, indem er diesen niederschlägt.

Da der Täter sich in Wahrheit über einen (tatsächlichen) Tatumstand und nicht über den Tatbestand als solchen irrt, findet sich in der Literatur entsprechend der Formulierung in § 16 StGB zunehmend auch die zutreffendere Bezeichnung Erlaubnistatumstandsirrtum.

Inhaltsverzeichnis

Abgrenzung

Der Erlaubnistatumstandsirrtum ist zu unterscheiden vom sog. Erlaubnisirrtum als Unterfall des Verbotsirrtums, dessen Rechtsfolge § 17 StGB regelt. Dies kann entweder eine Strafmilderung sein oder aber – bei Unvermeidbarkeit des Irrtums – der Strafausschluss.

Entscheidender Unterschied ist, dass der Täter sich beim Erlaubnistatumstandsirrtum über tatsächliche Umstände irrt, während dem Erlaubnisirrtum eine Fehlvorstellung über rechtliche Wertungen zugrunde liegt. Der Erlaubnisirrtum kann dabei als sog. Erlaubnisexistenzirrtum oder als sog. Erlaubnisgrenzirrtum erscheinen. Beim erstgenannten nimmt der Täter irrig die Existenz eines tatsächlich nicht bestehenden Rechtfertigungsgrundes/Erlaubnissatzes an.

Beispiel: Der Hausherr glaubt, dem ohne seine Erlaubnis von der Tochter eingelassenen Liebhabern dürfe man eine Abreibung verpassen.

Beim Erlaubnisgrenzirrtum dehnt der Täter irrig die Grenzen eines tatsächlich existierenden Rechtfertigungsgrundes/Erlaubnissatzes aus.

Beispiel: Der Hausherr tötet den eingedrungenen Dieb in der irrigen Vorstellung, es sei ohne weiteres legal, Einbrecher zu töten.

Eine weitere mögliche Konstellation ist der "Doppelirrtum". Bei diesem nimmt der Täter, ähnlich des Erlaubnistatbestandsirrtums, irrig einen Rechtfertigungsgrund an. Der Unterschied zum Erlaubnistatbestandsirrtum ist hierbei, dass der irrig vorgestellte Rechtfertigungsgrund den Täter auch bei tatsächlichem Vorliegen nicht rechtfertigen würde.

Beispiel : "Der Hausherr sitzt mit seinem Schwiegersohn im Garten, als die Tochter des Hausherrn auftaucht. Daraufhin hebt der Schwiegersohn die Hand um sie zu begrüßen. Der Hausherr nimmt fälschlicherweise an, der Schwiegersohn wolle ihn schlagen, zieht daher reflexartig sein Taschenmesser und ersticht den Schwiegersohn."

Der Hausherr nimmt zum einen fälschlicherweise an, er befände sich in einer Notwehrlage und ersticht daher den Schwiegersohn. Dieses Handeln wäre jedoch selbst bei vorliegender Notwehrlage nicht geboten, wodurch eine Rechtfertigung entfiele.

Hier ist dementsprechend nach den Regeln des Verbotsirrtums zu verfahren.

Voraussetzungen

Das Hauptaugenmerk der strafrechtlichen Literatur gilt seit jeher den umstrittenen Rechtsfolgen des Erlaubnistatbestandsirrtums. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass zunächst seine Voraussetzungen vorliegen müssen: Der Täter muss sich solche Umstände vorstellen, die – lägen sie tatsächlich vor – einen anerkannten Rechtfertigungsgrund vollständig (!) ausfüllen würden. Es reicht daher nicht aus, wenn der Täter sich lediglich ein rechtfertigendes Merkmal vorstellt. Vielmehr müssen (zumindest in seiner Vorstellung) die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes vollständig gegeben sein.

Rechtsfolgen

Es ist in der Rechtswissenschaft von jeher umstritten, wie ein Erlaubnistatbestandsirrtum rechtlich zu bewerten ist, mithin, ob er wie ein Verbotsirrtum zu behandeln ist, der bei seiner Unvermeidbarkeit die Schuld ausschließt, oder ob der Erlaubnistatbestandsirrtum nicht u.U. aber sogar dazu führt, dass das Verhalten gerechtfertigt ist oder bereits den entsprechenden Tatbestand schon nicht erfüllt.

In der Praxis ist das Problem des Erlaubnistatbestandsirrtums nicht sehr relevant. Denn außer den Vertretern der „strengen Schuldtheorie“ kommt niemand dazu, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Erlaubnistatbestandsirrtumes Strafbarkeit wegen einer vorsätzlichen Deliktsbegehung anzunehmen. Im Gegensatz zur eher geringen praktischen Bedeutung des Erlaubnistatbestandsirrtumes steht aber die Bedeutsamkeit des Streits um die Einordnung des Erlaubnistatbestandsirrtums für die theoretische Vorstellung, die man davon hat, wie (strafrechtlich relevantes) Unrecht beschaffen ist. Daraus erklärt sich die literarische Aufmerksamkeit, die dem Erlaubnistatbestandsirrtum zuteil geworden ist und immer noch wird.

Es haben sich dazu im Wesentlichen fünf Theorien herausgebildet, die sich dieses Problems annehmen.

Vorsatztheorie

Nach der Vorsatztheorie ist das Unrechtsbewusstsein, als sog. dolus malus, ein Bestandteil des Vorsatzes. Fehlt es wie beim Erlaubnistatbestandsirrtum daran, handelt der Täter nicht vorsätzlich. Er kann nicht wegen eines vorsätzlich begangenen Delikts bestraft werden (§ 16 Abs. 1 Satz 1 StGB). Es bleibt aber u.U. die Möglichkeit, ihn wegen fahrlässiger Begehung zu bestrafen (§ 16 Abs. 1 Satz 2 StGB). Im Beispielsfall würde der Hausherr eventuell eine fahrlässige Körperverletzung, aber keine vorsätzliche Körperverletzung an dem Liebhaber begehen.

Dieser Lösungsansatz wird im Strafrecht nur noch vereinzelt vertreten, da er mit dem StGB seit der Einführung des § 17 Satz 2 StGB nicht mehr vereinbar ist. Der Gesetzgeber hat zwar zum Problem des Erlaubnistatbestandsirrtums nicht Stellung genommen und die Lösung Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen. Allerdings wollte er die Vorsatztheorie durch die Regelung des § 17 Satz 2 StGB gerade ausschließen. Insbesondere bei einem aus „Rechtsblindheit“ vermeidbaren Verbotsirrtum sollte eine Bestrafung wegen vorsätzlicher Tat möglich sein.

Das alles gilt aber nur im Strafrecht (und Ordnungswidrigkeitenrecht). Soweit im Zivilrecht vorsätzliches Verhalten Tatbestandsmerkmal einer Norm ist, gilt hier die Vorsatztheorie. D.h. dass beispielsweise unberechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag nur dann vorliegt, wenn der Täter sich bewusst war, gegen die Rechtsordnung zu verstoßen. Lediglich im Bereich der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach § 826 BGB wird die zivilrechtliche Vorsatztheorie nach h.M. wiederum durchbrochen: hier muss sich der Täter der Sittenwidrigkeit seines Handelns nicht bewusst sein. Er muss lediglich die tatsächlichen, das Sittenwidrigkeitsurteil prägenden Umstände kennen.[1]

Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen

Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen betrachtet das Fehlen von Rechtfertigungsgründen als Teil des Tatbestandes. Liegen Rechtfertigungsgründe vor, so ist der Tatbestand nicht erfüllt. Da sich der Vorsatz auf alle Merkmale des objektiven Tatbestands beziehen muss, muss demzufolge der Täter auch Vorsatz bezüglich des Nichtvorliegens irgendeines Rechtfertigungsgrundes haben. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes tatsächlich gegeben sind. Somit führt der Erlaubnistatbestandsirrtum zur direkten Anwendung des § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB, da der Täter ohne Vorsatz handelt. Eine Bestrafung wegen fahrlässiger Begehung ist dennoch wegen § 16 Abs. 1 Satz 2 StGB möglich.

Gegen diese Theorie spricht, dass die Aufspaltung des Unrechts in "Tatbestand" und "Rechtswidrigkeit" im StGB auch vom Gesetzgeber so angelegt ist, z.B. § 228 StGB, wonach der Tatbestand einer Körperverletzung erfüllt bleibt, selbst wenn die (rechtfertigenden) Voraussetzungen einer Einwilligung vorliegen; vgl. auch § 32 Abs. 1 StGB, wonach eine Tat (i.S.v. Tatbestandsverwirklichung) durch die gebotene Notwehr gerechtfertigt wird.

Strenge Schuldtheorie

Nach der strengen Schuldtheorie ist das Unrechtsbewusstsein ein selbständiges Schuldelement. Ein Irrtum über die Rechtswidrigkeit des eigenen Handelns kann sich daher nur auf den Schuldvorwurf auswirken und berührt den Vorsatz nicht. War der Irrtum unvermeidbar, entfällt der Schuldvorwurf gemäß § 17 Satz 1 StGB. War er vermeidbar, kommt eine Strafmilderung nach § 17 Satz 2 StGB in Betracht. Im Beispielsfall käme es nach dieser Auffassung also darauf an, ob der Hausherr seine Verwechslung von Liebhaber der Tochter und Dieb hätte vermeiden können.

Eingeschränkte Schuldtheorie

Die eingeschränkte Schuldtheorie unterteilt sich in die beiden folgenden Varianten.

Lehre vom Ausschluss des Vorsatzunrechts

Die Lehre vom Ausschluss des Vorsatzunrechts schließt bei einem Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes nicht den (Tatbestands-)Vorsatz, sondern das Vorsatzunrecht aus. Da das Gesetz hierzu keine eindeutige Regelung trifft, wird § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB analog angewendet, so dass sich von der Rechtsfolge her (keine Bestrafung wegen vorsätzlichen Handelns) diese Theorie von den ersten beiden nicht unterscheidet. Die analoge Anwendung ist zulässig, da sie sich zugunsten des Täters auswirkt.

Rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie

Die rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie lässt den Vorsatzschuldvorwurf entfallen. Der Täter weiß bei der Begehung der Tat, dass er einen Unrechtstatbestand erfüllt. Er handelt insofern vorsätzlich. Er lehnt sich aber nicht gegen die Werte der Rechtsordnung auf und verhält sich an sich rechtstreu, da er an das Bestehen von Umständen glaubt, die sein Tun rechtfertigen würden. Dies führt dazu, dass er schuldlos vorsätzlich handelt, was analog zu § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB zum Entfallen der Vorsatzschuld führt, im Ergebnis entfällt also nicht der Vorsatz, sondern die Schuld. Dies führt zur Möglichkeit der Bestrafung von Teilnehmern, da eine vorsätzliche rechtswidrige Vortat des Irrenden gegeben ist.

Streitstand und Auswirkungen

Nicht mehr vertreten wird die Vorsatztheorie, die das Unrechtsbewusstsein dem Vorsatz zuordnet, da § 17 StGB explizit das Unrechtsbewusstsein der Schuld zuordnet. Kaum vertreten wird die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, die sowohl Tatbestand und Rechtswidrigkeit der strafbaren Handlung verbindet, obwohl eine Trennung nach dem Wortlaut von § 32 StGB vorausgesetzt wird. Die strenge Schuldtheorie ordnet die irrige Vorstellung über eine mutmaßliche Rechtfertigungslage einem Irrtum über die Rechtslage zu. Dies entspricht nicht dem Charakter des Irrtums, der einen Irrtum über den Sachverhalt darstellt. Hinsichtlich des fehlenden Vorsatzunrechts ist die Lehre vom Ausschluss des Vorsatzunrechts nicht nur inkonsequent, indem sie zunächst den Vorsatz bejaht aber nachträglich verneint, sondern reißt auch eine Strafbarkeitslücke bei Teilnehmern der vom Erlaubnistatbestandsirrtum betroffenen Tat auf. Diese Lücke ist nur durch die Dogmatik der rechtsfolgenverweisenden, eingeschränkten Schuldtheorie zu vermeiden.

Die Rechtsprechung

Der Bundesgerichtshof (BGH) wendet für die vorliegende Fallkonstellation in ständiger Rechtsprechung[2] § 16 Abs. 1 Satz 1 StGB entsprechend an. War der Irrtum vermeidbar und sieht das Gesetz eine Strafbarkeit bei fahrlässigem Handeln vor, führt dies zu einer Strafbarkeit (nur) wegen fahrlässiger Tatbegehung. Da alle Instanzgerichte dem BGH in dieser Frage gefolgt sind, haben die oben beschriebenen Lehrmeinungen rein akademischen Charakter, aber keine praktische Relevanz.

Andere strafrechtlich relevante Irrtümer

Einzelnachweise

  1. BGHZ 8, 83, 87 f.
  2. seit BGHSt 3, 105.
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