Europäischer Konvent

Europäischer Konvent

Als Europäischer Konvent (von lateinisch conventus „Zusammenkunft“) werden der „Grundrechtekonvent“ (1999/2000), der „Verfassungskonvent“ (2002/2003) und der geplante Konvent für eine Reform der EWWU bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Der erste Konvent

Der erste europäische Konvent, der „Grundrechtekonvent“ unter Leitung von Roman Herzog, erarbeitete zwischen Dezember 1999 und Oktober 2000 die Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Verfassungskonvent

Der Europäische Konvent („Verfassungskonvent“) erarbeitete zwischen dem 28. Februar 2002 und dem 20. Juli 2003 den maßgeblichen Entwurf für den Vertrag über eine Verfassung für Europa.

Der Konvent setzte sich aus Regierungs- und Parlamentsvertretern der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, der zehn Beitrittsländer und -kandidaten (Rumänien, Bulgarien, Türkei) sowie Vertretern des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission zusammen.

Vorgeschichte

Nach dem Scheitern der Konferenz des Europäischen Rates 2000 in Nizza haben die Staats- und Regierungschefs der EU im Dezember 2001 mit der Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union einen „Konvent über die Zukunft Europas“ zur Erarbeitung einer Verfassung aus Vertretern der Regierungen, der Europäischen Kommission sowie des Europaparlaments und der nationalen Parlamente einberufen.

Die Erklärung betont in diesem Zusammenhang die historische Bedeutung einer europäischen Einigung und der Friedensmission Europas. Die Geschichte der EU sei eine Erfolgsgeschichte, nun müsse neben der wirtschaftlichen auch die politische Union ausgebaut werden. Als Arbeitsziel wird neben einer Vereinfachung bestehenden EU-Rechts Demokratisierung, Entbürokratisierung, Bürgernähe und die Klärung von Zuständigkeiten innerhalb der EU genannt.

Vorgehensweise des Konventes

Der Konvent als Institution selbst war eine große Veränderung im Vergleich zu der Ausarbeitung der bisherigen Verträge. Die "Konvents-Methode" war zuvor bei Erarbeitung der europäischen Grundrechtecharta erfolgreich.

In der Vergangenheit waren europäische Vertragsänderungen immer zwischen den Regierungen, meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit, ausgehandelt worden, um dann im Nachhinein von den Nationalparlamenten ratifiziert zu werden.

Zusammensetzung

Die "Verfassungsväter und -mütter" im Konvent kamen aus verschiedenen Organen. Neben Regierungsvertretern waren auch Parlamentarier aus dem Europäischen Parlament und den Parlamenten der Mitgliedstaaten an der Ausarbeitung direkt beteiligt.

Mitglieder des Konvents waren 16 Europa-Abgeordnete, je Mitgliedsstaat sowohl 2 nationale Abgeordnete als auch ein Regierungsvertreter (also insgesamt 30 bzw. 15 Vertreter), zwei Vertreter der EU-Kommission und der Konventspräsident mit seinen zwei Stellvertretern; Auch die 10 osteuropäischen Beitrittskandidaten (EU-Erweiterung) sowie die Türkei, Rumänien und Bulgarien entsandten jeweils zwei Vertreter ihrer nationalen Parlamente und einen Regierungsvertreter, und nahmen als Beobachter ohne Stimmrecht teil. Die Mitglieder hatten jeweils einen faktisch gleichberechtigten Stellvertreter.

Als deutsche Vertreter im Europäischen Konvent waren Elmar Brok (CDU), Klaus Hänsch (SPD) und Sylvia-Yvonne Kaufmann (PDS) als Vertreter des Europäischen Parlamentes, Jürgen Meyer (SPD) als Vertreter des Bundestages, Erwin Teufel (CDU) als Vertreter des Bundesrates und Joschka Fischer (B90/Die Grüne) – vor November 2002 Peter Glotz (SPD) – als Regierungsvertreter.

Struktur

Präsident des Europäischen Konvents war der frühere Präsident Frankreichs Valéry Giscard d'Estaing. Er stellte zusammen mit seinen Vizepräsidenten Giuliano Amato und Jean-Luc Dehaene, und neun weiteren Mitgliedern, darunter auch der Deutsche Klaus Hänsch als Vertreter des Europaparlaments das Präsidium des Konvents.

Veröffentlichungen

Die Mitglieder des Konventes bemühten sich während der Arbeitszeit des Konventes um Transparenz und demokratische Arbeitsweisen, um den hohen Ansprüchen, die an den Konvent gestellt waren, gerecht zu werden.

Deshalb sind alle Konventsdokumente sowie der Entwurf des Verfassungsvertrages auf der Webseite des Konvents [1] einzusehen.

Chronologie

Gemäß dem ursprünglichen Zeitplan sollte der Verfassungsvertrag von der am 4. Oktober 2003 begonnenen Regierungskonferenz angenommen und zeitgleich mit dem Beitritt der zehn neuen Mitgliedstaaten am 1. Mai 2004 unterzeichnet werden. Nach dem Scheitern des Europäischen Rates in Brüssel am 12./13. Dezember 2003 wurde dieser ursprüngliche Zeitplan nicht eingehalten. Die Verfassung wurde am 29. Oktober 2004 unterzeichnet.

Der Artikel über die Europäische Verfassung beschreibt die weitere Entwicklung.

Der undemokratische Konvent?

Stimmen am Rande des Konvents

Am Rande und nach Abschluss des Konventes wurde von mehreren Konventsmitgliedern kritisiert und in der Öffentlichkeit diskutiert, die Arbeitsmethoden des Konventes seien insgesamt zu intransparent und wenig demokratisch gewesen.

So schreibt das britische Konventsmitglied David Heathcoat-Amory: "Die wirklichen Diskussionen [innerhalb des Konventes] fanden im Präsidium, oder zwischen der Präsidentschaft, dem Sekretariat und in Privatgesprächen mit einzelnen Mitgliedsstaaten statt. Selbst die Arbeitsgruppen [...] wurden regelmäßig übergangen oder ihre Schlussfolgerungen ignoriert." (aus der Homepage von D. Heathcoat-Amory [2]) Heathcoat-Amory ist britischer Euro-Skeptiker und gehörte einer vom dänischen Europaabgeordneten Jens-Peter Bonde geführten Minderheitsgruppe im Konvent an.

Der luxemburgische Premier Juncker monierte ähnlich: "Der Konvent ist angekündigt worden als die große Demokratie-Show. Ich habe noch keine dunklere Dunkelkammer gesehen als den Konvent." (aus: der Spiegel 16. Juni 2003[3]) Dazu muss man wissen, dass Jean-Claude Juncker mit seinem Vorgänger im Amt und ehem. Kommissionspräsidenten Jacques Santer einen "persönlichen Vertreter" im Konvent hatte, der ihn offenbar schlecht über die in seinem Namen geführten Gespräche und Absprachen informiert hat.

Die Geschäftsordnung des Konvents

Aufschluss über die Berechtigung dieser Kritik bietet hier ein genauerer Blick in die Geschäftsordnung des Konventes. Im Konventsdokument CONV 9/02 ist die gültige Geschäftsordnung des Konventes zu finden. Es sind hier die Änderungen gegenüber dem Erstentwurf des Präsidiums (CONV 3/02) hervorgehoben.

Es ist richtig, dass die ursprünglichen Vorstellungen des Konventes eine recht straffe Kontrolle von oben vorgesehen haben. Im Entwurf von CONV 3/02 hatte nur der Präsident des Konvents, d.h. Giscard d´Estaing, alleine das Recht, die Termine des Konventes festzulegen, und damit wie oft dieser einberufen wird, die Tagesordnung festzusetzen (Art. 2), Arbeitsgruppen einzuberufen (Art. 15) und die Geschäftsordnung zu ändern (Art. 16). Zudem sah der Erstentwurf des Präsidiums weniger Rechte für Beobachter und Teilnehmer mit Beobachterstatus vor, stellvertretende Mitglieder besaßen nicht das Recht auf die Teilnahme an Sitzungen.

Im Dokument CONV 9/02 sind diese Strukturen deutlich aufgeweicht. Hieß im Erstentwurf Art. 1 noch lapidar: Der Konvent wird von seinem Vorsitzenden einberufen., so änderte sich diese Formulierung in: Der Konvent wird von seinem Vorsitzenden mit Zustimmung des Praesidiums oder auf schriftlichen Antrag einer signifikanten Zahl von Mitgliedern des Konvents einberufen. Diese Formulierung lässt immer noch Interpretationsfreiraum zu, zeugt aber von einer gewissen Machtverschiebung hin zu der Mehrzahl der Parlamentarier im Konvent.

Fazit

Die Vorwürfe sind im Nachhinein schwer zu klären. Dennoch lassen sich die Vorwürfe, wie sie etwa der erklärte Europagegner Heathcoat-Amory (s.o.) gemacht haben, in ihrer Schärfe teilweise entkräften.

Europäischer Konvent nach dem Vertrag von Lissabon

Nach Art. 48 können der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union gemäß eines ordentlichen und eines vereinfachten Änderungsverfahrens geändert werden. Das ordentliche Verfahren sieht die Einberufung eines Europäischen Konvents durch den Präsidenten des Europäischen Rates vor.

Europäischer Konvent für eine Reform der EWWU

Voraussichtlich im Frühjahr 2012 soll ein Konvent die Reform der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) in Angriff nehmen. Dies wurde am Rande des Europäischen Rates am 23. Oktober 2011 bekannt. Im Zentrum der Reform soll die Ausgestaltung einer Fiskal-Union stehen, die es gestattet, in die Steuer- und Budgetgestaltung von Euro-Mitgliedsländern direkt einzugreifen, wenn sie finanzielle Hilfe der Partner erhalten.[1] Eine solche Fiskal-Union würde eine Reihe von Einzelmaßnahmen bündeln und institutionell verankern, etwa den Euro-Plus-Pakt, das Europäische Semester oder die Regelungen des sogenannten „Six-Pack“.

In Deutschland begann spätestens im Oktober 2011 die politische Diskussion über die Notwendigkeit einer erneuten Reform der EU-Verträge, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Regierungserklärung dafür geworben hatte.[2] Dabei wurden auch das Instrument des Europäischen Konvents ins Spiel gebracht. Bündnis 90/Die Grünen fordern eine öffentliche Debatte über die Vertragsänderungen. Ein Europäischer Konvent soll das ordentliche Vertragsänderungsverfahren gemeinsam mit Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft vorbereiten.[3]

Im November 2011 sprach sich auch der deutsche Außenminister Guido Westerwelle für einen Konvent aus und plädierte dafür, alle EU-Mitgliedstaaten einzubeziehen, nicht ausschließlich die 17 Euro-Länder.[4] Ebenfalls im November 2011 forderten Stimmen aus der Zivilgesellschaft einen Europäischen Konvent zur Durchsetzung einer politischen Union und wirksamer Konsequenzen für die Verletzung der vertraglich vereinbarten finanziellen und ökonomischen Gemeinschaftsstandards. Darüber hinaus müssten Regeln gefunden werden, wie EU-Mitgliedstaaten bei dauerhafter Verletzung demokratischer Mindeststandards bei Presse- und Meinungsfreiheit, unabhängiger Justiz und korruptionsfreier Verwaltung aus der EU ausgeschlossen werden können.[5]

Literatur

Verfassungskonvent

  • Heinz Kleger (Hrsg.): Der Konvent als Labor. Texte und Dokumente zum europäischen Verfassungsprozess. LIT, Münster : 2004, ISBN 3-8258-7576-8
  • Carolin Rüger: Aus der Traum? Der lange Weg zur EU-Verfassung. Tectum Verlag, Marburg 2006, ISBN 3-8288-8966-2
  • Daniel Göler: Die neue europäische Verfassungsdebatte. Entwicklungsstand und Optionen für den Konvent. Europa Union Verlag, Bonn 2002, ISBN 3-7713-0613-2
  • Daniel Göler: Deliberation – Ein Zukunftsmodell europäischer Entscheidungsfindung? Analyse der Beratungen des Verfassungskonvents 2002-2003. Nomos Verlag, Baden-Baden 2006, ISBN 3-8329-1939-2
  • Peter Becker / Olaf Leiße: Die Zukunft Europas. Der Konvent zur Zukunft der Europäischen Union. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14100-7 (Umfassende Gesamtdarstellung zum Europäischen Konvent, seiner Geschichte, seiner Ziele und seiner Ergebnisse)
  • Hubert Klinger: Der Konvent. Ein neues Institut des europäischen Verfassungsrechts. Verlag C.H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-55214-4

Weblinks

Verfassungskonvent

Einzelnachweise

  1. Der Standard: Gipfel dürfte große EU-Reform auf den Weg bringen
  2. REGIERUNGonline: Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Europäischen Rat und zum Eurogipfel am 26. Oktober 2011 in Brüssel vor dem Deutschen Bundestag am 26. Oktober 2011 in Berlin
  3. EurActiv.de: EU-Vertrag: Grüne fordern Europäischen Konvent
  4. Deutscher Bundestag: Westerwelle plädiert für EU-Vertragsänderungen mittels EU-Konvent
  5. Europäische Bewegung: Spöri in EurActiv: Warum der Europäische Konvent eine Chance ist

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