Evakuierung

Evakuierung
Piktogramm für einen Sammelpunkt nach einer Evakuierung

Evakuierung oder Evakuation (lateinisch evacuare ‚ausleeren‘) ist die „Räumung eines Gebietes von Menschen“. Manchmal wird synonym von 'Evakuierungsaktion' gesprochen.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Als Evakuierung wird das Räumen von Gebieten bezeichnet. Meist findet sich der Begriff im Zusammenhang mit Gefahrenstellen wie Katastrophengebieten, zum Beispiel Überschwemmungen, Bränden oder Bombenalarmen. Die Zeit einer Evakuierung wird als Evakuierungsdauer bezeichnet. Die Begriffe Räumung und Evakuierung werden dabei zwar häufig synonym gebraucht, dennoch bezeichnet "Evakuierung" richtiger einen geplanten ("Evakuierungsplan") Vorgang, während der Begriff "Räumung" in der Fachwelt eher für das ungeplante Räumen von Gebieten Verwendung findet.

Das Wort evakuieren wird hauptsächlich für Gebiete, Räume, Siedlungen etc. angewandt.

Die Verwendung für Personen und Tiere ist ebenfalls üblich (Duden – Deutsches Universalwörterbuch).

  1. Eine Stadt evakuieren.
  2. Die Bewohner [aus einem Gebiet, Haus] evakuieren.

Bis ins frühe 20. Jahrhundert war mit dem Begriff die Räumung eines Platzes durch Truppen und im engeren Sinne als Fachbegriff das Verlegen von Verwundeten aus den Feldlazaretten in reguläre Krankenanstalten gemeint.

Seit dem Zweiten Weltkrieg wird die in großem Umfang praktizierte Fortschaffung von Mensch und Material aus von Bombardierungen oder Kampfhandlungen bedrohten Städten und Gegenden in sichere Gebiete als Evakuierung bezeichnet.

Eine weitere Bedeutung wurde dem Begriff im Zweiten Weltkrieg von den Nationalsozialisten beigefügt. Evakuieren diente, wie die synonym verwendeten Begriffe Sonderbehandlung, Endlösung und Umsiedlung, als Tarnbezeichnung für Deportation und Tötung von Menschen (siehe Evakuierungsmarsch, Fabrikation).

Evakuierungspläne

In von Katastrophen besonders gefährdeten Gegenden (z. B. in dem vom Vulkan Vesuv bedrohten Neapel) gibt es Evakuierungspläne, die eine rechtzeitige und zuverlässige Evakuierung ermöglichen und Panik vermeiden sollen. Sie sind oft Teile von Alarmplänen oder Katastrophenschutzplänen. Für Erdbeben und Vulkanausbrüche gibt es bisher noch keine zuverlässigen Frühwarnsysteme. Simulationen, Fluchtpläne und Evakuierungsübungen (Probealarme) sind Methoden, eine mögliche Evakuierung vorzubereiten.

Evakuierungspläne behandeln den Ablauf; sie sind auch Teil des vorbeugenden, organisatorischen (nichtbaulichen, operationalen) Brandschutzes.

Ablauf von Evakuierungen

Schematisch kann der Ablauf einer Evakuierung in folgende Phasen eingeteilt werden:

  1. Entdeckung der Gefahr
    Meldung der Gefahr an ...
    Verständigung der Sicherheitsorganisationen - Feuerwehr - Rettung
  2. Entscheidung über Evakuierung durch ...
  3. Auslösung des Alarms durch ... von wo?
  4. Reaktion der Personen auf den Alarm
  5. Bewegung der Personen zu Fuß zu einem Sammelpunkt
  6. Weitertransport der Personen mit Fahrzeugen an einen sicheren Ort.

Vereinfacht lassen sich auch

  • Laufzeit (movement time) - bis zum Erreichen des Sammelpunktes bzw. eines sicheren Ortes - und
  • Alarmierungs- und Reaktionszeit (pre movement time)

unterscheiden.

Evakuierung von Gebieten

Die Evakuierung von Gebieten kann auf der Grundlage von Katastrophen (natürliche oder durch Menschen ausgelöste) notwendig werden. Die wichtigsten Naturereignisse, die die Evakuierung ganzer Gebiete notwendig machen können, sind:

  • Vulkanausbrüche
  • Überschwemmungen
  • Tsunamis
  • Erdbeben
  • Wirbelstürme

Zu den durch Menschen verursachten Ereignissen, die eine Evakuierung notwendig machen können, gehören u.a.:

  • Krieg
  • Industrieunfälle
  • Verkehrsunfälle (insbesondere für Land-, See- und Luftfahrzeuge)
  • Brände
  • Bombendrohungen/ Bombenräumungen
  • terroristische Anschläge
  • Nukleare Verseuchungen

Die Evakuierung ganzer Gebiete ist eine Maßnahme des Katastrophenschutzes.

Geschichte

Im Zweiten Weltkrieg wurden mit der Kinderlandverschickung Mütter und Kinder aus den vom Bombenkrieg bedrohten Städten des Deutschen Reiches evakuiert, wobei der Begriff Evakuierung in der nationalsozialistischen Sprachregelung vermieden wurde.

Evakuierung von Gebäuden

Die Evakuierung von Gebäuden ist i.a. ein Teil der Evakuierung von Gebieten und wird daher durch die gleichen Ereignisse ausgelöst. Zunächst werden Gebäude evakuiert, anschließend evtl. ganze Stadtviertel, Städte und Bezirke.

Die individuelle Strategie bei der Evakuierung von Gebäuden wurde von (Abrahams, 1994) untersucht: Die unabhängigen Variablen bilden dabei die Komplexität des Gebäudes und die Mobilität der Personen (körperliches Leistungsvermögen, Gehbehinderung) und die abhängige Variable ist die Strategie. Mit abnehmender Mobilität und zunehmender Komplexität des Gebäudes ändert sich die Strategie von "schnelles Verlassen" über "langsames Verlassen" und "Bewegung an einen sicheren Ort" (z. B. ein Treppenhaus) hin zu "am Ort verweilen und auf Rettung warten". Diese letzte Strategie gilt insbesondere für bettlägerige Personen (z. B. bei der Evakuierung von Krankenhäusern), die von Pflegepersonal oder Rettungskräften gerettet werden müssen.

Zwischen den beiden Anschlägen auf die beiden Türme des World Trade Center (siehe 9/11) und dem Einsturz der Türme konnten 17.410 Personen (etwa 87 Prozent der sich dort aufhaltenden) die beiden Gebäude verlassen.[1] Im Südturm wurden die Menschen durch Lautsprecherdurchsagen zunächst aufgefordert, Ruhe zu bewahren und an ihrem Arbeitsplatz zu bleiben. Vermutlich hätten mehr Menschen überlebt, wenn man sie aufgefordert hätte, das Gebäude sofort zu verlassen. Das zweite Flugzeug schlug 17 Miunuten nach dem ersten ein. Der Südturm stürzte 56 Minuten, der Nordturm 102 Minuten nach dem jeweiligen Einschlag komplett ein. Dadurch wurden 2.123 Menschen, darunter 343 Feuerwehrmänner, getötet.

Geschichte

Bereits die antiken Römer hatten einen praktischen, wirksamen Zugang zur Lösung solcher ihnen bekannten Massenphänomene. Das Kolosseum verwirklicht beispielhaft, wie man eine große Arena von ca. 50.000 Menschen Fassungsvermögen im Notfall in kürzester Zeit leeren kann. Die zahlreichen Ausgänge sind ziemlich gleichmäßig rund um das Bauwerk verteilt. Unter Berücksichtigung der Kenntnis, dass ein Mensch im Fluchtfall dem Ausgang zustreben wird, den er am besten einschätzen kann, da er den Weg vom Hereinkommen her leicht abrufen kann, sind die Evakuierungszeiten eines solchen Stadions nahezu optimal, selbst nach Maßstäben aktueller Forschung.

Evakuierung von Schiffen

Der wesentliche Unterschied zwischen der Evakuierung von Gebäuden und der Evakuierung von Schiffen ist die Möglichkeit, einen sicheren Ort zu erreichen. Vergleichbar ist der Ablauf auf Schiffen mit dem für Gebäude nur während der ersten Phase, dem Sammelprozess. Die eigentliche Evakuierung in die Boote bzw. Rettungsmittel (z. B. aufblasbare Flöße) beginnt erst, nachdem die Sammlungsphase (ggf. für eine Sammelstation) abgeschlossen ist. Diese Entscheidung über die Evakuierung wird vom Kommandanten des Schiffes möglicherweise erst zu diesem Zeitpunkt getroffen. Darüber hinaus spielt die Strategie "Bewegung an einen sicheren Ort" eine sehr viel bedeutendere Rolle als in Gebäuden. Sammelstationen sind solche "sichere Orte".

Evakuierung von Land- und Luftfahrzeugen

Land- und Luftfahrzeuge sind im Hinblick auf die Evakuierung teile mit Gebäuden, teils mit Schiffen vergleichbar. Flugzeuge werden (ggf. nach der Notlandung) üblicherweise über Rettungsrutschen evakuiert. Bei einer Notwasserung dienen diese gleichzeitig als Rettungsflöße.

Die hauptsächlichen Gründe für die Evakuierung von Zügen sind Unfälle und technische Defekte (sowie deren Folgen, z. B. Rauchentwicklung, Überhitzung nach Ausfall der Klimaanlage).

Die Evakuierung von Seilbahnen kann weitere Hilfsmittel (Evakuierungssysteme) erfordern.

Beispiele

Militärisch

  • Abzug des britischen Expeditionskorps aus Dünkirchen 1940 (Operation Dynamo)
  • Evakuierung der deutschen Zivilbevölkerung und verwundeten Soldaten aus Ost- und Westpreußen im Januar-April 1945 (Operation Hannibal (1945))
  • Evakuierung am 30. April 1975 anlässlich des Falls von Saigon
  • am 14. März 1997 führte die Bundeswehr ihre erste bewaffnete Evakuierungsaktion durch - Operation Libelle
  • am 26. Februar 2011 evakuierte die Bundeswehr mit zwei Transall-Maschinen 132 Menschen aus Libyen ("Operation Pegasus")[2]

Zivil

Siehe auch

Referenzen

  • Gershenfeld, Neil: Mathematical Modelling. OUP, Oxford, 1999.
  • Abrahams, John: Fire escape in difficult circumstances, chapter 6, In: Stollard, 1994, Design against fire.
  • Stollard, P. and L. Johnson, Eds.: Design against fire: an introduction to fire safety engineering design, London, New York, 1994.
  • http://www.traffgo-ht.de/de/pedestrians/bibliography/index.html - Eine Literaturübersicht zu Fußgängern und Evakuierung
  • Hubert Klüpfel: A Cellular Automaton Model for Crowd Movement and Egress Simulation. Dissertation, Universität Duisburg-Essen, 2003. [1]
  • Tobias Kretz: Pedestrian Traffic - Simulation and Experiments. Universität Duisburg-Essen, 2007. [2]

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Evakuierung – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Seiten in deutscher Sprache

  • http://www.rimea.de/ - Richtlinie für Mikroskopische Entfluchtungs-Analysen, Offenes Projekt zur Entwicklung einer Richtlinie für die Evakuierung von Gebäuden
  • http://www.vfdb.de/ - Vereinigung zur Förderung des deutschen Brandschutzes
  • http://www.ped-net.org/ Homepage eines Personenstrom- und Evakuierungsdynamik-Forschungsnetzwerkes
  • Karlsruher Institut für Technologie (KIT) - Forschungsstelle für Brandschutztechnik: Das Verhalten von Menschen bei Gebäudebränden, Forschungsberichte Nr. 60, 61, 63, 71 [3], Untersuchungen zu Räumungsabläufen und Personenströmen in Gebäuden, Durchführung von Räumungsübungen [4]

Seiten in englischer Sprache

Einzelnachweise

  1. 8.4.2: Evacuation (englisch) (pdf). Final Report on the Collapse of the World Trade Center Towers S. 188ff. Handelsministerium der Vereinigten Staaten, Technology Administration, National Institute of Standards and Technology (2005). Archiviert vom Original am 24. April 2011. Abgerufen am 24. April 2011.
  2. rp-online.de 16. Juni 2011

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