Existenzvernichtungshaftung

Existenzvernichtungshaftung

Als Existenzvernichtungshaftung (Haftung für einen existenzvernichtenden Eingriff) bezeichnet man eine Rechtsfigur im deutschen Recht, nach welcher die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ausnahmsweise für eine Überschuldung der Gesellschaft haften.

Im Grundsatz ist das Vermögen der Gesellschaft vom Vermögen der Gesellschafter getrennt. Für Schulden der Gesellschaft haftet nur das Vermögen der Gesellschaft, nicht das Vermögen der Gesellschafter. Das Gesellschaftsvermögen dient zwar vorrangig der Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger; wird es allerdings im normalen Geschäftsbetrieb verbraucht, gehen die Gläubiger im Insolvenzfall leer aus, wenn bei der Gesellschaft nichts zu holen ist.

Wenn hingegen den Gesellschaftern „missbräuchliche, zur Insolvenz der GmbH führende oder diese vertiefende kompensationslose Eingriffe in das der Zweckbindung zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger dienende Gesellschaftsvermögen“[1] vorzuwerfen sind, müssen die Gesellschafter der Gesellschaft die Mittel zur Verfügung stellen, die nötig sind, um deren Verbindlichkeiten zu begleichen. Diese Rechtsfolge ist von besonderer praktischer Bedeutung, wenn innerhalb eines Konzerns eine Tochtergesellschaft insolvent wird, aber bei der Muttergesellschaft noch Vermögen vorhanden ist.

Eine eingeschränkte Pflicht der Gesellschafter zur Rückgewähr von Zahlungen einer GmbH ist in den § 30, § 31 GmbHG normiert. Die umfassende Rechtsfigur der Existenzvernichtungshaftung hat der Bundesgerichtshof im Urteil „Bremer Vulkan[2] im Jahr 2001 entwickelt und zunächst auf die Anspruchsgrundlage der § 823 Abs. 2 BGB, § 266 StGB gestützt.

Dabei setzte er voraus, dass den Gesellschafter eine Pflicht zur Wahrung der Vermögensinteressen der Kapitalgesellschaft trifft – auch dann, wenn ihm die ganze Kapitalgesellschaft allein gehört. Mit dem Urteil „Trihotel“[3] hat der Bundesgerichtshof die Existenzvernichtungshaftung weiterentwickelt und klargestellt, dass die richtige Anspruchsgrundlage § 826 BGB ist.

Ferner enthält das Urteil die Aussage, dass die Existenzvernichtungshaftung entgegen dem früheren Postulat im Urteil „KBV“[4] eine reine Innenhaftung und keine Durchgriffshaftung ist und nur der Insolvenzverwalter, nicht der einzelne Gläubiger, den daraus folgenden Anspruch geltend machen kann.

Die neue Linie, welche der BGH im Urteil „Trihotel“ verfolgt hat, wird im rechtswissenschaftlichen Schrifttum überwiegend als „konsequent“ bezeichnet und ist auf Zustimmung gestoßen.

Einzelnachweise

  1. Pressemitteilung des BGH Nr. 99/2007 vom 16. Juli 2007; ähnlich der Leitsatz des Urteils „Trihotel“
  2. BGH, Urteil vom 17. September 2001, „Bremer Vulkan“, BGHZ 149, 10, http://lexetius.com/2001,1224
  3. BGH, Urteil vom 16. Juli 2007, „Trihotel“, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, http://lexetius.com/2007,1959
  4. BGH, Urteil vom 24. Juni 2002, „Kindl Backwaren Vertrieb (KBV)“, BGHZ 151, 181, http://lexetius.com/2002,1279
Rechtshinweis Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем сделать НИР

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Existenzvernichtender Eingriff — Als Existenzvernichtungshaftung (Haftung für einen existenzvernichtenden Eingriff) bezeichnet man eine Rechtsfigur im deutschen Recht, nach welcher die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft ausnahmsweise für eine Überschuldung der Gesellschaft …   Deutsch Wikipedia

  • GmbH (Deutschland) — Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (abgekürzt GmbH) ist nach deutschem Recht eine juristische Person des Privatrechts und gehört zur Gruppe der Kapitalgesellschaften. Seit Modernisierung des GmbH Rechts durch das Gesetzes zur… …   Deutsch Wikipedia

  • Konzernhaftung — Der Begriff Konzernhaftung beschreibt das haftungsrechtliche Innen und Außenverhältnis von rechtlich selbständigen Unternehmen, die in einer wirtschaftlichen Einheit unter einer einheitlichen Leitung zusammengeschlossen sind, gegenüber… …   Deutsch Wikipedia

  • Publikumsgesellschaft — Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar. Hilf mit, die Situation in anderen Ländern zu schildern. Die Kapitalgesellschaft ist eine private, durch Rechtsgeschäft gegründete Körperschaft, deren Mitglieder einen… …   Deutsch Wikipedia

  • Binnenhaftung wegen quotaler Unterkapitalisierung — Tatbestand und Rechtsfolgen der Unterkapitalisierung von Kapitalgesellschaften waren im deutschen Gesellschaftsrecht lange Zeit ungeklärt. Die Theorie der Binnenhaftung nach § 826 BGB wegen quotaler Unterkapitalisierung will diesen Missstand… …   Deutsch Wikipedia

  • Bremer Vulkan — AG Rechtsform Aktiengesellschaft Gründung 23. Okt …   Deutsch Wikipedia

  • Durchgriffshaftung — Bei einer Durchgriffshaftung haften Gesellschafter persönlich, unbeschränkt und gesamtschuldnerisch mit ihrem eigenen Vermögen für Verbindlichkeiten einer Gesellschaft, obwohl es sich um eine Gesellschaftsform mit Haftungsbeschränkung handelt,… …   Deutsch Wikipedia

  • Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Deutschland) — Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (abgekürzt GmbH) ist nach deutschem Recht eine juristische Person des Privatrechts und gehört zu den Kapitalgesellschaften. Die deutsche GmbH war die weltweit erste Form einer haftungsbeschränkten… …   Deutsch Wikipedia

  • Kapitalgesellschaft — Dieser Artikel oder Absatz stellt die Situation in Deutschland dar. Hilf mit, die Situation in anderen Ländern zu schildern. Die Kapitalgesellschaft ist eine auf einem Gesellschaftsvertrag beruhende Körperschaft des privaten Rechts, deren… …   Deutsch Wikipedia

  • Jens-Peter Kurzwelly — (* 11. Juni 1944 in Elmshorn) ist ein deutscher Jurist und ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof. Leben Jens Peter Kurzwelly legte das Große Juristische Staatsexamen 1974 ab und betätigte sich hiernach als wissenschaftlicher Assistent an der… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”