Faßhauer

Faßhauer

Minna Faßhauer, geborene Nikolai, (* 10. Oktober 1875 in Bleckendorf (heute zu Egeln); † 28. Juli 1949 in Braunschweig) war vom 10. November 1918 bis zum 22. Februar 1919 für die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) in der Sozialistischen Republik Braunschweig Volkskommissarin für Volksbildung.
Minna Faßhauer war damit die erste Frau, die in Deutschland ein Ministeramt bekleidete.[1]

Inhaltsverzeichnis

Frühe Jahre und erstes politisches Engagement

Minna Nikolai stammte aus einfachen Verhältnissen. Als sie drei Jahre alt war, starb ihr Vater. Da die Familie keinerlei finanzielle Unterstützung erhielt, mussten die Kinder bereits früh für sich selbst sorgen.

Seit 1893 arbeitete sie als Dienstmädchen in Braunschweig, später war sie Flaschenspülerin, Waschfrau und Arbeiterin in der Konservenindustrie. Lesen und Schreiben hatte sie in ihrer Kindheit und Jugend nicht gelernt, erst als sie erwachsen war, brachte sie sich beides selbst bei.

Hermann Wallbaum, KPD-Mitglied und Zeitzeuge der Novemberrevolution in Braunschweig, beschrieb sie folgendermaßen:

„Die wurde von der bürgerlichen Presse hingestellt als dummes Weib: kann nicht lesen und schreiben, so etwa; beherrscht die deutsche Sprache nicht […] Jedenfalls war die ’ne ehrliche und aktive Frau, die für die Bewegung alles hergab. Sie war eine Waschfrau und ging von Haus zu Haus und wusch den Leuten die Wäsche. Eine richtiggehende Arbeiterin in den untersten Reihen. Merges und Robert Gehrke standen mit ihr in enger Beziehung; ich weiß bloß, daß sie sich aus dem niedrigsten Milieu raufarbeitete durch Lesen und so weiter. Verschiedene Schnitzer, die da beim Schreiben vorkamen, die hat die Bourgeoisie ausgeschlachtet.“ [2]

Ostern 1899 heiratete sie den Schmied Georg Faßhauer, mit dem sie zwei Kinder hatte. Durch ihn bekam sie Zugang zu politischen Schriften und Kontakt zur Arbeiterbewegung in Braunschweig. Sie setzte sich bald besonders für die Rechte junger arbeitender Frauen und die Gleichberechtigung ein. Minna Faßhauer hatte auf regionaler Ebene einen großen Beitrag dazu geleistet, dass 1908 das Verbot der politischen Betätigung von Frauen aufgehoben wurde.

Erster Weltkrieg und Novemberrevolution

Ab 1912 war sie in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) tätig und nahm als Delegierte an den Frauentagen der Partei teil. Da sie in Braunschweig in der Nähe des späteren Präsidenten der Sozialistischen Republik Braunschweig, August Merges, wohnte und eng mit ihm zusammenarbeitete, nahm sie 1915, während des Ersten Weltkrieges, gemeinsam mit Merges Kontakt zur Internationalen auf. Am 1. Januar 1916 trat sie dem Spartakusbund in Braunschweig bei und war ab 1917 Mitglied in der USPD. Ihre politische Arbeit bestand zu jener Zeit unter anderem darin, den Einfluss ihrer Gruppe in den Betrieben zu stärken und die SPD-Anhänger dazu zu bewegen, zur USPD überzutreten. Zum Ende des Krieges beteiligte sie sich aktiv an der Novemberrevolution in Braunschweig und führte die Revolution in Wolfenbüttel an.

Erste Ministerin in Deutschland

Am 10. November 1918 wurde sie im Rat der Volksbeauftragten zur „Volkskommissarin für Volksbildung“ ernannt. Als Ministerin schaffte sie am 22. November 1918 die kirchliche Schulaufsicht ab, setzte die Religionsmündigkeit auf 14 Jahre herab und trat für eine weltliche Einheitsschule ein. Darüber hinaus engagierte sie sich für die Einrichtung von Volkskindergärten und Volksschulen. Ihre Ministerzeit endete jedoch bereits am 22. Februar 1919, als die Räteregierung in Braunschweig durch eine Koalition aus USPD und SPD abgelöst wurde.

Von Dezember 1918 bis Mai 1919 saß sie als USPD-Landtagsabgeordnete im Braunschweigischen Landtag. Im Januar 1919 wurde sie in den Bezirksvorstand der USPD gewählt und kandidierte erfolglos für den Reichstag. Von 1920 bis 1933 war Minna Faßhauer Mitglied der Kommunistischen Arbeiterpartei KAPD und in der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) aktiv. Wegen kommunistischer Terrorakte gegen Kirchen und bürgerliche Institutionen wurde sie zwischen 1920 und 1924 mehrfach verhaftet und vor Gericht gestellt.

Nationalsozialismus und frühe Nachkriegszeit

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten arbeitete sie in einer Widerstandsgruppe, der Kommunistischen Räte-Union, der auch der ehemalige Präsident der Sozialistischen Republik Braunschweig, August Merges, angehörte. Am 5. Oktober 1935 wurde sie zusammen mit 15 anderen (unter ihnen auch August Merges) in einem Hochverratsprozess verurteilt. Merges erhielt drei Jahre Zuchthaus, Faßhauer kam ebenfalls ins Gefängnis und wurde anschließend ein Jahr im KZ Moringen inhaftiert.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs formierte sie trotz ihres hohen Alters die KPD in Braunschweig neu und kandidierte ab 1946 mehrere Jahre auf deren Listen. Im Alter von 73 Jahren starb Minna Faßhauer und wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beigesetzt.

Literatur

  • Gabriele Armenat (Hrsg.): Frauen aus Braunschweig, 3. erheblich erweiterte und verbesserte Auflage, Braunschweig 1991
  • Peter Berger: Brunonia mit rotem Halstuch. Novemberrevolution in Braunschweig 1918/1919, Hannover 1979
  • Hans Wilhelm-Binder, Peter Dürrbeck, Jürgen Klose (Hrsg.): Die rote Fahne über dem Braunschweiger Schloss. Novemberrevolution 1918/19 in Braunschweig. Hermann Wallbaum erzählt. In: Baustein zur Geschichte der Braunschweiger Arbeiterbewegung, Selbstverlag, Braunschweig ca. 1978
  • Camerer, Garzmann, Schuegraf, Pingel: Braunschweiger Stadtlexikon, Braunschweig 1992
  • Robert Gehrke / Robert Seeboth: 50 Jahre Novemberrevolution. Eine Dokumentation über die revolutionären Kämpfe der Braunschweiger Arbeiter am Vorabend der November-Revolution. Selbstverlag, Braunschweig 1968
  • Horst-Rüdiger Jarck, Gerhard Schildt (Hrsg.): Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, Braunschweig 2000, ISBN 3-930292-28-9
  • Horst-Rüdiger Jarck, Günter Scheel (Hrsg.): Braunschweigisches Biographisches Lexikon. 19. und 20. Jahrhundert, Seite 173-74, Hannover, 1996
  • Wilhelm Heinz Schröder: Sozialdemokratische Parlamentarier in den deutschen Reichs- und Landtagen 1867-1933. Biographien - Chronik - Wahldokumentation. Ein Handbuch, Düsseldorf 1995

Einzelnachweise

  1. Horst-Rüdiger Jarck, Gerhard Schildt (Hrsg.): Braunschweigische Landesgeschichte. Jahrtausendrückblick einer Region, Braunschweig 2000, S. 934
  2. Hans Wilhelm-Binder, Peter Dürrbeck, Jürgen Klose (Hrsg.): Die rote Fahne über dem Braunschweiger Schloss. Novemberrevolution 1918/19 in Braunschweig. Hermann Wallbaum erzählt. In: Baustein zur Geschichte der Braunschweiger Arbeiterbewegung, Selbstverlag, Braunschweig ca. 1978, S. 20

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