Fingolimod

Fingolimod
Strukturformel
Struktur von Fingolimod
Allgemeines
Freiname Fingolimod
Andere Namen

FTY-720
2-Amino-2-(2-(4-octylphenyl) ethyl)propan-1,3-diol

Summenformel C19H33NO2
CAS-Nummer
  • 162359-55-9 (freie Base)
  • 162359-56-0 (Hydrochlorid)
PubChem 107970
ATC-Code

L04AA27

Arzneistoffangaben
Wirkstoffklasse

Immunsuppressivum

Wirkmechanismus

Sphingosin-1-phosphat-Analogon

Verschreibungspflichtig: ja
Eigenschaften
Molare Masse 307,47 g·mol−1
Aggregatzustand

fest

Schmelzpunkt

121–124 °C[1]

pKs-Wert

12,205

Sicherheitshinweise
Bitte beachten Sie die eingeschränkte Gültigkeit der Gefahrstoffkennzeichnung bei Arzneimitteln
EU-Gefahrstoffkennzeichnung [2]
Keine Einstufung verfügbar
R- und S-Sätze R: siehe oben
S: siehe oben
Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet. Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen.

Vorlage:Infobox Chemikalie/Summenformelsuche vorhanden

Fingolimod ist ein Arzneistoff, der zur Behandlung von Multipler Sklerose (MS) eingesetzt wird. Der Arzneistoff gehört zur Gruppe der Immunsuppressiva und ist eine synthetische Nachbildung des natürlichen Wirkstoffs Myriocin. Myriocin stammt aus dem Pilz Isaria sinclairii.

Fingolimod wirkt als Sphingosin-1-phosphat-Analogon. Es hält eine wichtige Untergruppe der weißen Blutkörperchen, die Lymphozyten, in den Lymphknoten zurück und senkt so die Zahl von Lymphocyten, die in das Zentralnervensystem einwandern und dort Nervenbahnen von Patienten mit MS schädigen könnten.

Inhaltsverzeichnis

Anwendungsgebiete (Indikationen)

Multiple Sklerose (MS)

Fingolimod ist in der Europäischen Union (EU) zur Behandlung von Patienten mit hochaktiver, schubförmig-remittierender MS als Alternativtherapie nach einer Behandlung mit Interferon-Beta oder bei Patienten mit einer rasch fortschreitenden, schweren MS zugelassen. In der Schweiz ist der Arzneistoff zur Behandlung von Patienten mit schubförmig remittierender MS zur Senkung der Schubhäufigkeit und zur Verzögerung des Fortschreitens der Behinderung zugelassen.

In der abgeschlossenen Phase-II-Studie wurden 281 MS-Patienten behandelt. Nach sechs Monaten konnte eine Verringerung der aktiven Herde in der Kernspintomografie von bis zu 80 % (Median; im Mittel bis zu 60 %) sowie eine Reduktion der Schubrate von ca. 50 % im Vergleich zu Placebo festgestellt werden.[3] In einer 18-monatigen offenen Anschlussstudie konnte gezeigt werden, dass die festgestellten positiven Effekte über diesen Zeitraum anhielten.[4]

In Entwicklungsphase III wurde seit 2006 bei Patienten mit einer schubförmig remittierender Verlaufsform untersucht, ob die in der Phase II beobachteten Wirkungen über längere Zeit stabil bleiben und ob eine Behandlung mit Fingolimod die Entwicklung der mit der MS verbundenen Behinderung verlangsamen kann. Diese Studien wiesen eine Wirksamkeit hinsichtlich Schubrate und Fortschreiten der Behinderung nach.[5][6]

Gegenwärtig wird Fingolimod auch als Behandlungsoption für Patienten mit primär-progredienter Multipler Sklerose untersucht.

Nierentransplantation

Novartis testete Fingolimod auch in Kombination mit Cyclosporin zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantation. In der klinischen Prüfung der Phase-III zeigten sich jedoch Nebenwirkungen (Makula-Ödeme) besonders bei Diabetikern mit Prädisposition zu diabetischer Retinopathie. Zusätzlich trat eine leichte Funktionseinschränkung der frisch transplantierten Nieren auf. Da die Unterdrückung der Abstoßungsreaktion mit Fingolimod nicht besser war als die in der Kontrollgruppe mit Mycophenolatmofetil, wurde die Entwicklung von Fingolimod für die Transplantationsmedizin eingestellt.

Unerwünschte Wirkungen (Nebenwirkungen)

Fingolimod senkt die Anzahl der weißen Blutkörperchen. Diese Wirkung ist für die Behandlung der MS erwünscht. Weiße Blutkörperchen sind jedoch auch zur Abwehr von Infektionen erforderlich. Eine Behandlung mit Fingolimod könnte zu einer höheren Anfälligkeit für Infektionen führen. Bereits bestehende Infektionen könnten sich verschlechtern. 2008 wurden zwei Fälle von schwerwiegenden Infektionen unter Fingolimod bekannt. Ein MS-Patient verstarb an Windpocken während ein zweiter Patient eine lebensbedrohliche Herpes-Enzephalitis entwickelte.[7] In beiden Fällen gab es allerdings Begleitumstände, die den Verlauf der Infektionen möglicherweise ungünstig beeinflusst haben: Der erste Patient wurde zeitgleich mit hohen Glucocorticoid-Dosen behandelt, während die antivirale Behandlung des zweiten Patienten nur mit Verzug begonnen wurde.

Nach der ersten Einnahme von Fingolimod kann eine deutliche bradykardisierende Wirkung (Abfall der Herzfrequenz) beobachtet werden. Diese Wirkung bildet sich nach einigen Stunden zurück und tritt bei kontinuierlicher Einnahme des Arzneistoffs nicht erneut auf. Bei dauerhafter Behandlung kann es zu einem moderaten Anstieg des Blutdrucks kommen.

Bei einigen Patienten wurden Schwellungen im zentralen Sehbereich des Augenhintergrunds beobachtet (Makulaödem). Ein Makulaödem kann Sehstörungen auslösen.

Pharmakologische Eigenschaften

Wirkungsmechanismus (Pharmakodynamik)

Im Gegensatz zu vielen bisher verfügbaren immunsuppressiven Medikamenten werden durch Fingolimod die Immunzellen nicht abgetötet oder an der Vermehrung gehindert. Stattdessen hemmt Fingolimod die Wanderung von Lymphozyten aus den lymphoiden Organen ins Blut und senkt so die Zahl entzündungsfördernder Lymphozyten, die im Zentralnervensystem schädigend wirken könnten.

Fingolimod wird nach Einnahme durch das Enzym Sphingosin-Kinase-2 zu FTY720-Phosphat (FTY720-P) umgebaut, das dann an die auf Zelloberflächen vorhandenen Sphingosin-1-phosphat-(S1P)-Rezeptoren S1P1, S1P3, S1P4, und S1P5 binden kann.[8] Wesentlich für den Wirkmechanismus von FTY720-P ist vor allem der S1P1-Rezeptor auf T- und B-Lymphozyten. S1P1 wird von FTY720-P 'internalisiert', das heißt, aus der Zellmembran ins Innere der Zelle verlagert und abgebaut.[9][10] Dieser Abbau ist für die Hemmung der S1P1-abhängigen Auswanderung der Lymphozyten aus den Lymphknoten ins Blut[9] und die infolgedessen verminderte Einwanderung entzündungsfördernder Zellen in periphere Organe und ins Zentralnervensystem verantwortlich.[9][10][11]

Geschichtliches

Anfang der 1990er Jahre entdeckte ein japanisches Forscherteam der Universität Kyoto die immunsupressive Wirkung von Myriocin. Myriocin wurde chemisch zu FTY720 (Fingolimod) verändert und so eine bessere Verträglichkeit erzielt. 1997 lizenzierte die japanische Firma Yoshitomi Fingolimod an Novartis aus.[7] Der Arzneistoff wurde zunächst in Kombination mit Cyclosporin zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantation klinisch getestet; später wurde die Entwicklung von Fingolimod für die Transplantationsmedizin jedoch eingestellt.

Die Erstzulassungen des Wirkstoffs für MS erfolgten 2010 in Russland[12] und den USA.[13] 2011 wurde Fingolimod auch in der Schweiz und in der EU zugelassen.

Handelsnamen

Der Handelsname von Fingolimod ist Gilenya. Novartis hatte zuvor den Namen Gilenia bekanntgegeben, änderte ihn aber später auf die heutige Form ab.

Einzelnachweise

  1. Cornelia Imming, in: Römpp Online - Version 3.5, 2009, Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
  2. In Bezug auf ihre Gefährlichkeit wurde die Substanz von der EU noch nicht eingestuft, eine verlässliche und zitierfähige Quelle hierzu wurde noch nicht gefunden.
  3. Kappos L, Antel J, Comi G et al. Oral fingolimod (FTY720) for relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med. 2006; 355:1124-1140; doi:10.1056/NEJMoa052643; PMID 16971719.
  4. O'Connor P, Comi G, Montalban X et al. Oral fingolimod (FTY720) in multiple sclerosis: two-year results of a phase II extension study. Neurology. 2009; 72:73–79; doi:10.1212/01.wnl.0000338569.32367.3d; PMID 19122034.
  5. Cohen JA, Barkhof F, Comi G et al. Oral fingolimod or intramuscular interferon for relapsing multiple sclerosis. New Engl J Med. 2010; 362:402–415; doi:10.1056/NEJMoa0907839; PMID 20089954.
  6. Kappos L, Radue EW, O'Connor P et al. A placebo-controlled trial of oral fingolimod in relapsing multiple sclerosis. N Engl J Med. 2010; 362:387–340; doi:10.1056/NEJMoa0909494; PMID 20089952.
  7. a b Garber K. Infections cast cloud over Novartis’ MS therapy. Nature Biotechnol. 2008;26:844-5, PMID 18688218.
  8. Brinkmann V, Davies MD, Heise CE et al. The immune modulator FTY720 targets sphingosine 1-phosphate receptors. J Biol Chem. 2002;277:21453-7, PMID 11967257.
  9. a b c Matloubian M, Lo C, Cinnamon G et al. Lymphocyte egress from thymus and peripheral lymphoid organs is sphingosine 1-phosphate receptor-1 dependent. Nature. 2004;427:355-60, PMID 14737169.
  10. a b Brinkmann V, Cyster JG, Hla T. FTY720: Sphingosine 1-phosphate receptor-1 in the control of lymphocyte egress and endothelial barrier function. Am J Transplant. 2004;4:1019-25, PMID 15196057.
  11. Brinkmann V. Sphingosine 1-phosphate receptors in health and disease: Mechanistic insights from gene deletion studies and reverse pharmacology. Pharm Ther. 2007;115:84-105, PMID 17561264.
  12. Novartis AG. Novartis announces Russian regulatory approval for Gilenya. Pressemitteilung vom 10. September 2010. Zugegriffen am 29. September 2010.
  13. Novartis AG. Novartis erhält die Zulassung der FDA für Gilenya. Pressemitteilung vom 22. September 2010. Zugegriffen am 29. September 2010.

Weblinks


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