Fremde

Fremde

Das Fremde bezeichnet etwas, das als abweichend von Vertrauten wahrgenommen wird, das heißt aus Sicht dessen, der diesen Begriff verwendet, als etwas (angeblich) Andersartiges oder weit Entferntes. Fremdheit kann positive Assoziationen im Sinne von Exotik oder negative Assoziationen (siehe Fremdenfeindlichkeit) hervorrufen.

Ein Mensch, der als in diesem Sinne fremd wahrgenommen wird, wird als der Fremde bezeichnet (Gegensatz: der Bekannte, Vertraute). Eine Region oder ein Fachbereich, der / die als fremd wahrgenommen werden, werden als die Fremde bezeichnet (Gegensatz: die Heimat).

Inhaltsverzeichnis

Gruppendynamik

Der Begriff der Fremde spielt unter anderem eine Rolle in der Gruppendynamik. Prinzipiell gibt es zunächst zwei Möglichkeiten, mit Fremdem umzugehen, wenn es neu auf einen zukommt.

  • Positiv: Die Integration wird als Erweiterung der eigenen Fähigkeiten empfunden und eröffnet neue Möglichkeiten. Dieses Verhalten wird oft einfach als Lernen bezeichnet. Die Integration benötigt Eigenarbeit. Ist das Fremde grundlegend und mit Veränderungen des eigenen Verhaltens verbunden, kann damit eine vorübergehende Instabilität (Krise) während der Neuorientierung verbunden sein.
  • Negativ: Das Fremde wird abgelehnt und ausgegrenzt. Eine solche Ausgrenzung verhindert die Auseinandersetzung mit Neuem. Eventuell stärkt es dabei das Bestehende, solange sich die Begegnung mit dem Fremden vermeiden lässt.

Die Definition dessen, was in diesem Sinne "fremd" ist oder was vertraut ist, wird durch gesellschaftliche Meinungen bestimmt.

Beide Möglichkeiten gehören zum normalen Repertoire des menschlichen Verhaltens. Eine Abwehr gegen grundlegend Fremdes (Neues) wird verstärkt, wenn das Fremde nicht nur auf einen selbst, sondern vor allem von der umgebenden Gruppe (z. B. der eigenen Kultur) Auswirkungen erfordert oder durch Andersartigkeit besonders exponiert ist. Dies kann zu einer Art von Gruppendruck führen.

In der Rechtswissenschaft ist eine Sache „fremd“, wenn sie zumindest auch im Eigentum eines anderen steht, also weder der handelnden Person alleine gehört noch herrenlos ist. Als Tatbestandsmerkmal spielt die Fremdheit einer Sache insbesondere im Strafrecht eine große Rolle (vgl. Diebstahl, Sachbeschädigung).

Im Nationalsozialismus wurden Juden als sog. "Fremdvölkische" oder "Artfremde" verunglimpft und ausgegrenzt; später wurden sie zu Opfern eines Massenmordes, wie auch Sinti und Roma.

Ethnologie

Die Ethnologie bzw. Völkerkunde beschäftigt sich klassischer Weise mit dem Fremden und den Fremden - Fremdheit ist sozusagen der archimedische Anker dieser Disziplin. Dabei wird heute nicht mehr davon ausgegangen, dass das Fremde wie selbstverständlich vorliegt und als solches beschrieben und analysiert werden muss, sondern erst in Abgrenzungsprozessen vom Eigenen bestimmt wird.

Die Ethnologie unterscheidet zwischen Alterität (übersetzbare Andersheit) und Alienität (radikale Andersheit). In erster Linie versucht die Ethnologie, das Fremde in Begriffe des Eigenen zu übersetzen, d. h. zu nostrifizieren. Damit riskiert man aber, sowohl das Rätsel des Fremden als auch die Möglichkeit, dass aus der Warte einer fremden Lebensform etwas zu sehen ist, das aus der eigenen Warte eventuell gar nicht zugänglich ist, auszuschließen.

Der Fremde

Soziologie

Der Fremde bezeichnet neben einem Zugewanderten oder Migranten auch eine Kategorie der Soziologie, seit Georg SimmelDer Fremde ist ein Mensch, der heute kommt und morgen bleibt – mehrfach, in Deutschland zuletzt monographisch von Elke M. Geenen bearbeitet.

Simmel fasst die Kategorie des Fremden mit der Gleichzeitigkeit von Nähe und Ferne. Aufgrund dieser Gleichzeitigkeit und als Produkt davon werden dem Fremden Eigenschaften wie Beweglichkeit, Objektivität und ein abstraktes Wesen zugeschrieben, da nur Allgemeines mit dem Fremden verbindet. Im zwischenmenschlichen Verhältnis wird das Nicht-Gemeinsame betont und als etwas Typisiertes empfunden. Als klassisches Beispiel für den Fremden bezeichnet Simmel die Geschichte der europäischen Juden.

„Fremde bedeuten das Fehlen von Klarheit,“ erklärt der Soziologe Zygmunt Bauman, „man kann nicht sicher sein, was sie tun werden, wie sie auf die eigenen Handlungen reagieren würden; man kann nicht sagen, ob sie Freunde oder Feinde sind -- und daher kann man nicht umhin, sie mit Argwohn zu betrachten.“ (Bauman 2000: 39)

Recht

Im deutschsprachigen Recht werden Nichtzugehörige zu einer bestimmten sozialen Gruppe als „Fremde“ bezeichnet.

Beispiele:

  • Wer nicht in einem bestimmten Betrieb beschäftigt ist, gilt als „Betriebsfremder“, z.B. in Kommentaren und Urteilen zu Fragen der Betriebsverfassung.
  • Wer in einer Konfessionsschule nicht dem Bekenntnis angehört, dem die betreffende Schule verpflichtet ist, gilt als „Bekenntnisfremder“, z.B. nach der „Verordnung über die Aufnahme bekenntnisfremder Schülerinnen und Schüler in Grundschulen für Schülerinnen und Schüler des gleichen Bekenntnisses vom 11. August 2011 (Bekenntnisschulen-Aufnahmeverordnung)“.[1]

Einzelnachweise

  1. Online

Siehe auch

Literatur

  • Zygmunt Bauman, Vereint in Verschiedenheit. In: J. Berghold, E. Menasse, K. Ottomeyer (Herausg.): Trennlinien. Drava, Klagenfurt 2000, S. 35-46
  • H. Behr, Theorie des Fremden als Kultur-und Zivilisationskritik. Ein kritischer Forschungsbericht". In: Philosophisches Jahrbuch 102. Jahrgang 1995
  • Christian Bremshey, Hilde Hoffmann, Yomb May, Marco Ortu (Hrsg.):Den Fremden gibt es nicht. Xenologie und Erkenntnis. LIT, Berlin London 2004. ISBN 3-8258-7458-3
  • Duala-M'bedy, Munasu: Xenologie – Die Wissenschaft vom Fremden und die Verdrängung der Humanität in der Anthropologie. Karl Alber, Freiburg München 1977. ISBN 3-495-47350-5
  • Elke M. Geenen, Soziologie des Fremden. Ein gesellschaftstheoretischer Entwurf. VS-Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2002, ISBN 978-3810035998
  • Christian Hoffstadt, Franz Peschke, Andreas Schulz-Buchtam Michael Nagenborg (Herausgeber): Der Fremdkörper. Aspekte der Medizinphilosophie Band 6, Projekt Verlag, Bochum Freiburg 2008, S. 571-586, ISBN 978-3-89733-189-1
  • Peter-Ulrich Merz-Benz/Gerhard Wagner (Herausgeber): Der Fremde als sozialer Typus. UVK, Konstanz 2002. ISBN 3-8252-2358-2
  • Julia Reuter: Der Fremde, in: Stephan Moebius und Markus Schroer: Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart, Berlin: Suhrkamp, 2010, S. 161-173.
  • Richard Rottenburg: Von der Bewahrung des Rätsels im Fremden. In: Dirk Tänzler, Hubert Knoblauch, Hans-Georg Soeffner (Herausgeber): Neue Perspektiven der Wissenssoziologie. Universitätsverlag, Konstanz 2006, S. 119-136.

Weblinks

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