Ganerbschaft

Ganerbschaft

Eine Ganerbschaft war nach altdeutschem Erbrecht das gemeinsame Familienvermögen, vorwiegend Grundbesitz, über das die Ganerben nur gemeinsam verfügen konnten. Nach heutigen Rechtsbegriffen entspricht dies einer Gesamthandsgemeinschaft (beziehungsweise Gemeinschaft zur gesamten Hand).

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Ganerbschaften entstanden durch die gleichzeitige Berufung mehrerer Miterben zu ein und demselben Nachlassgegenstand, wie sie vor allem im Mittelalter vorwiegend aus familienpolitischen Gründen vorkamen.

Gegenstand solcher Rechtsverhältnisse war meist ein gemeinschaftlich erbautes oder erobertes Schloss oder eine Burg. Letztere wurde dann als Ganerbenburg bezeichnet. Die friedliche Koexistenz der Erben, die Regeln des täglichen Nebeneinanderlebens sowie die Nutzungs- und Benutzungsrechte gemeinschaftlicher Bauteile wurden meist durch sogenannte Burgfriedensverträge (kurz: Burgfrieden) umfassend geregelt.

Ganerbschaften wurden geschlossen, um ein wichtiges Familiengut wie eine Burg ungeteilt zu erhalten. Obwohl sich die anfänglich sehr enge Lebensgemeinschaft der Ganerben im Laufe der Jahrzehnte allmählich lockerte, blieb die Einheit nach außen gewahrt, was sich häufig im Führen eines gemeinsamen Namens und Wappens ausdrückte.

Eine andere Erbform, die Ähnliches ermöglichte, war der Fideikommiss.

Beispiele für Ganerbschaften

Künzelsau im Hohenlohekreis

Ganerbenwappen am Alten Rathaus in Künzelsau

Ende des 11. Jahrhunderts deutete sich ein Aussterben der Familie von Stein, der Eigentümer von Künzelsau (heute im Hohenlohekreis), an. Eine der letzten Familienangehörigen, Mechthild von Stein, schenkte einen Großteil ihrer Besitzungen dem Kloster Comburg. Der übrige Besitz ging nach ihrem Tod an nahe Verwandte: die Herren von Künzelsau und die Herren von Bartenau. Im Laufe der Jahrhunderte wurden die Anteile vererbt, teilweise oder gänzlich verkauft oder gingen durch Heirat in andere Hände über.

Um 1500 besaßen die Herren von Stetten 25% von Künzelsau, 20% gehörten dem Haus Hohenlohe und 15% der Reichsstadt Schwäbisch Hall. Weitere 10% waren im Besitz des Erzbistums Mainz, dem Bistum Würzburg gehörten 10%, und 20% waren auf sonstige Besitzer verteilt (Sulmeister von Hall, Ritter von Bachenstein, Berlichingen, Crailsheim, Neuenstein u. a.).

Die Anteile wechselten in der Folgezeit mehrfach die Besitzer. In der Folge der Tierberger Fehde von 1488 wurde 1493 ein Burgfriedensvertrag geschlossen, der die gemeinsame Verwaltung des Ortes unter einem „Gemeinschaftlichen Ganerben-Amts-Schultheißen“ regelte. Die Ganerben verpflichteten sich, künftig ihre Anteile nur noch untereinander, nicht mehr an Fremde zu veräußern. Lediglich Kloster Comburg durfte 1717 aufgrund seiner früheren Zugehörigkeit zu der Ganerbschaft die Anteile der Herren von Stetten kaufen.

Im Jahre 1802 verlor der Ort seinen Status der Ganerbschaft, da im Zuge der Säkularisation Burg und Flecken alleinig an die Reichsfürsten von Hohenlohe fiel. Allerdings wurde bereits 1806 das gesamte Gebiet durch den Herzog von Württemberg beschlagnahmt; es war fortan Teil des Königreichs Württemberg.

Burg Eltz

1286 kam es unter den Brüdern Elias, Wilhelm und Theoderich von Eltz zu einer Aufspaltung des Geschlechts. Dabei wurde auch der Besitz an der Burg Eltz unter den dreien aufgeteilt. Fortan hatten die drei Linien Eltz-Kempenich, Eltz-Rübenach und Eltz-Rodendorf (ursprünglich Eltz vom Goldenen Löwen, Eltz vom Silbernen Löwen und Eltz von den Büffelhörnern) gemeinsame Rechte an der Burganlage. Darauf weisen heute noch die nach den drei Linien benannten Wohnhäuser hin: das Rübenacher Haus, die Rodendorfer Häuser und die Kempenicher Häuser. Mit dem Aussterben der Linie Eltz-Rodendorf im Jahr 1786 kam deren Anteil an die Eltz-Kempenicher, die 1815 auch den Rübenacher Anteil erwarben und damit Alleinbesitzer wurden. Die Familie von Eltz-Kempenich ist auch heute noch Eigentümerin der Burg.

Alten Limpurg

Die seit dem 14. Jahrhundert in Frankfurt am Main bestehende adlige Ganerbschaft des Hauses Alten Limpurg ist eine Familienvereinigung mit Rechtspersönlichkeit. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Grundlage der Ganerbschaft sind die verwandtschaftlichen Beziehungen der in der Vereinigung vertretenen Familien.

Die Ostgrenze des Hochstifts Würzburg

Eine würzburgische Statistik von etwa 1700 weist viele ganerbisch regierte Ortschaften auf. Es sind vor allem das Stiftsamt Haßfurt mit insgesamt elf Ortschaften (vertraglich 1696 geregelt) und das Amt Iphofen mit Hüttenheim und Obernbreit, die an der mittleren Ostgrenze des Hochstiftsgebietes für eine erhebliche rechtliche Zerfaserung sorgten. Dementsprechend hoch war das Konfliktpotenzial und der rechtliche Klärungsbedarf zum Beispiel mit Brandenburg-Ansbach, dem direkten Konkurrenten Würzburgs im Fränkischen Kreis.

Literatur

  • Friedrich Karl Alsdorf: Untersuchungen zur Rechtsgestalt und Teilung deutscher Ganerbenburgen. Lang, Frankfurt am Main 1980, ISBN 3820464085 (Rechtshistorische Reihe. Band 9).
  • Horst Wolfgang Böhme: Burgen in Mitteleuropa. Ein Handbuch. Band 1. Theiss, Stuttgert 1999, ISBN 3-8062-1355-0, S. 39–41.
  • Johannes Hoops: Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Band 11, 2. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 1998, ISBN 3-11-015832-9, S. 85 (online)
  • Helmut Naumann: Das Rechtswort Ganerbe. In: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz. Nr. 71, 1974, ISSN 0073-2680, S. 59–153.
  • Werner Ogris: Ganerben. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG). Band 1, Lfg. 8, 2. Auflage. Schmidt, Berlin 2008, ISBN 978-3-503-07912-4, Sp. 1928–1930.
  • Francis Rapp. Zur Geschichte der Burgen im Elsaß mit besonderer Berücksichtigung der Ganerbschaften und der Burgfrieden. In: Hans Patzke (Hrsg.): Die Burgen im deutschen Sprachraum. Ihre rechts- und verfassungsgeschichtliche Bedeutung. Band 2. Thorbecke, Sigmaringen 1974, S. 229–248.
  • Robert Schneider (Hrsg.): Neue kritische Jahrbücher für deutsche Rechtswissenschaft. Jg. 5, Nr. 9, Tauchnitz, Leipzig 1846, S. 326–327 (online)
  • Karl-Friedrich Krieger: Ganerben, Ganerbschaft: In: Lexikon des Mittelalters. Band 4, 2. Auflage. dtv, München 2003, ISBN 978-3-423-59057-0, Sp. 1105.

Weblinks


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