Geheimwissenschaften

Geheimwissenschaften

Okkultismus (v. lat.: occultus = verborgen, verdeckt, geheim) ist im engeren Sinn ein im 19. Jahrhundert von Eliphas Lévi begründeter Bereich der Esoterik. Die Bezeichnung wird jedoch häufig auch in einem weiteren Sinn für ähnliche Formen der Esoterik oder für die Esoterik insgesamt gebraucht.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Das Adjektiv „okkult“ wurde schon im Mittelalter gebraucht. Im Rahmen der aristotelistischen Naturphilosophie unterschied man damals wahrnehmbare Qualitäten der Dinge wie Farbe oder Geschmack von nicht wahrnehmbaren okkulten Qualitäten wie dem Magnetismus, den Einflüssen der Sterne (im Sinne der Astrologie) und den Heilkräften verschiedener Substanzen, die nur indirekt über ihre Effekte erfahrbar sind. Die mittelalterliche Scholastik war der Meinung, dass die okkulten Qualitäten im Unterschied zu den direkt wahrnehmbaren nicht Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen sein könnten. Als die Naturwissenschaft im 17. Jahrhundert begann, auch Erscheinungen wie den Magnetismus zu untersuchen, erhielt die Rede von okkulten Qualitäten eine abwertende Bedeutung, da sie im Zusammenhang mit der scholastischen Ansicht der Unerforschbarkeit gesehen wurde.[1]

Den Begriff Okkulte Philosophie prägte Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim mit seiner 1531 erschienenen Schrift De Occulta Philosophia, in der er alte Weisheitslehren wiederbeleben wollte und deren Inhalt ihm gleichbedeutend war mit Magie. Ebenfalls im 16. Jahrhundert kam die Bezeichnung Okkulte Wissenschaften auf, womit vor allem die Astrologie, die Alchemie und die Magie gemeint waren.[2]

Im Rahmen einer Gegenbewegung zur Aufklärung und der mit ihr verbundenen mechanistischen und materialistischen Naturwissenschaft wurden ab dem 18. Jahrhundert okkulte Kräfte postuliert, die der „normalen“ Wissenschaft unzugänglich sein sollten. Hinzu kamen Spekulationen, wonach letztlich alles auf nur eine okkulte Kraft zurückgeführt werden könnte. Beliebte Kandidaten waren der Magnetismus und die Elektrizität. Ihren Höhepunkt erreichten diese Spekulationen in Helena Petrovna Blavatskys synkretistischem Werk Die Geheimlehre (The Secret Doctrine, 1888).[3]

Das Substantiv Okkultismus kam erst im 19. Jahrhundert auf und ist erstmals nachgewiesen in einem französischen Wörterbuch von 1842. Populär wurde es durch Eliphas Lévi, der es zuerst 1856 in Dogme et rituel de la haute magie gebrauchte, wobei er an Agrippa von Nettesheim und an den Begriff der Okkulten Wissenschaften anknüpfte. Heute wird in der wissenschaftlichen Literatur unter Okkultismus vor allem die im 19. Jahrhundert in Frankreich durch Lévi und Papus begründete Richtung der Esoterik verstanden; es gibt jedoch auch Ansätze, den Begriff weiter zu fassen (siehe unten). Im allgemeinen Sprachgebrauch wird die Bezeichnung vielfach als Synonym für Okkulte Wissenschaften oder auch gleichbedeutend mit dem allgemeinen Begriff Esoterik verwendet.[4]

Ein weiteres, etymologisch verwandtes Substantiv neueren Ursprungs ist Das Okkulte, das u.a. durch Colin Wilson geprägt wurde und vor allem in der Soziologie und im Journalismus als vage Sammelbezeichnung für „das Unerklärte“ verwendet wird.[5]

Geschichte des klassischen Okkultismus

Die Ursprünge des Okkultismus lassen sich bis in die Antike zurück verfolgen (Gnosis, Hermetik, Neuplatonismus, Kabbala).[6] Als Begründer des Okkultismus im eigentlichen Sinn gilt jedoch der Franzose Eliphas Lévi (1810-1875), der in den Jahren 1854 bis 1861 einige Kompilationen über diverse Themen der Esoterik herausbrachte und zeitweilig als der bedeutendste Esoteriker in Europa und den USA gelten konnte. Großen Einfluss hatte auch Lévis Landsmann Papus (1865-1915), der ein sehr umfangreiches okkultes Werk hinterließ. Bedeutende deutsche Okkultisten waren Franz Hartmann (1838-1912) und Carl du Prel (1839-1899). Ihren Höhepunkt erreichte die okkultistische Strömung um die Wende zum 20. Jahrhundert.[7]

Einordnung

Antoine Faivre bezeichnet den Okkultismus als eine Gegenströmung zu der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts triumphierenden Wissenschaftsgläubigkeit, die sich jedoch selbst als zur Moderne gehörig betrachtete und insofern auch als eine neue Antwort der mit sich selbst konfrontierten Moderne anzusehen sei.[8] Die Okkultisten erkannten im allgemeinen den wissenschaftlichen Fortschritt an, versuchten jedoch dem daraus resultierenden Materialismus eine Alternative entgegenzustellen. Die Unterschiede zur zeitgenössischen Naturphilosophie liegen laut Faivre in einem Hang zum Phantastischen und Pittoresken sowie in einem ausgeprägten Interesse für „okkulte Phänomene“ und experimentelle Beweisführungen. Wie Faivre an anderer Stelle[9] konstatiert, trat der moderne Okkultismus im 19. Jahrhundert zeitgleich mit der fantastischen Literatur und dem Spiritismus auf.

Im Anschluss an Faivre schlägt Wouter J. Hanegraaff vor, Okkultismus religionswissenschaftlich zu definieren als die Gesamtheit aller zur Esoterik gehörenden Reaktionen auf eine „entzauberte“, säkulare Welt.[10] Nach dieser Definition unterscheidet sich der Okkultismus von älteren esoterischen Traditionen und von der zeitgleichen romantischen Religiosität dadurch, dass er die entzauberte Welt akzeptiert und auf romantische Versuche ihrer Wieder-Verzauberung verzichtet. Eine andere, auf Edward A. Tiryakian zurückgehende Definition unterscheidet einen praktisch ausgerichteten Okkultismus von einer theoretischen Esoterik.[11] Tiryakians Definition fand weite Verbreitung, wurde jedoch auch grundsätzlich als künstliche Unterscheidung zurückgewiesen.[12]

Manche Autoren rechnen auch die von Helena Petrovna Blavatsky begründete moderne Theosophie zum Okkultismus, so etwa Nicholas Goodrick-Clarke, der wegen des Einflusses der Theosophie auf die rassistische Ariosophie von „okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus“ spricht.[13] Dagegen beschreibt z.B. Faivre den Okkultismus und die Theosophie als verschiedene Strömungen innerhalb der Esoterik, deren Grenze „bisweilen fließend“ sei.[14]

Nach Helmut Zander hat der Begriff im modernen Gebrauch eine pejorative Konnotation.[15]

Siehe auch

„Okkulte Wissenschaften“:

Literatur

  • René Freund: Braune Magie? Okkultismus, New Age und Nationalsozialismus. Picus, Wien 1995, ISBN 3-8542-271-1
  • Wolfgang Hund: Falsche Geister – echte Schwindler? Esoterik und Okkultismus kritisch hinterfragt. Echter, Würzburg 2000, ISBN 3-4290-2259-2
  • Carl Kiesewetter: Geschichte des neueren Okkultismus: Geheimwissenschaftliche Systeme von Agrippa von Nettesheim bis Carl du Prel, 1891; Neuauflage Marix 2007
  • Gareth Knight: Das Okkulte. Eine Einführung. Aurinia, Hamburg 2004, ISBN 3-937392-08-4
  • Johannes Mischo: Okkultismus bei Jugendlichen. Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1991, ISBN 3-7867-1525-4
  • Ralph Tegtmaier: Magie und Sternenzauber. Okkultismus im Abendland. DuMont, Köln 1995, ISBN 3-7701-2666-1
  • Corinna Treitel: A Science for the Soul. Occultism and the Genesis of the German Modern. Johns Hopkins University Press, Baltimore 2004, ISBN 0-8018-7812-8.
  • James Webb: The Occult Underground. Open Court Pub. 1974
  • James Webb: The Occult Establishment, 1976; deutsch: Das Zeitalter des Irrationalen - Politik, Kultur & Okkultismus im 20. Jahrhundert, Marix, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-86539-152-0

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Wouter J. Hanegraaff: Occult/Occultism, in Dictionary of Gnosis and Western Esotericism, Leiden 2005, S. 884f
  2. Hanegraaff, S. 886f
  3. Hanegraaff, S. 885f
  4. Hanegraaff, S. 887f; Antoine Faivre, Access to Western Esotericism, 1994, S. 34f
  5. Hanegraaff, S. 888
  6. Nicholas Goodrick-Clarke, Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, Graz 1997, S. 23
  7. Faivre 1994, S. 35 und 88f; ders., Esoterik im Überblick, 2001, S. 111-113
  8. Faivre 2001, S. 112
  9. Faivre, What is occultism?, in Lawrence E. Sullivan, Hidden Truths – Magic, Alchemy and the Occult, 1987, S. 3-9
  10. Wouter J. Hanegraaff, New Age Religion and Western Culture – Esotericism in the Mirror of Secular Thought, 1995, S. 422f
  11. Edward A. Tiryakian, Toward the sociology of esoteric culture, in On the Margin of the Visible – Sociology, the Esoteric, and the Occult, 1974, S. 257-280
  12. Robert Galbreath, Explaining modern occultism, in: Howard Kerr, Charles L. Crow (Hrsg.), The Occult in America – New Historical Perspectives, 1983, S. 11-37
  13. Goodrick-Clarke, S. 23-34
  14. Faivre 2001, S. 65-69, 81-87, 107-115, 118-121 und 127-131
  15. Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1884-1945. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-36753-7, S. 936

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