- Helena Petrovna Blavatsky
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Helena Petrovna Blavatsky (gebürtig Helena Petrovna von Hahn-Rottenstein; nach erster Verehelichung russisch Елена Петровна Блаватская, Jelena Petrowna Blawatskaja, engl. Transkription Yelena Petrovna Blavatskaya; nach zweiter Verehelichung Helena Betanelly; * 31. Julijul./ 12. August 1831greg. in Jekaterinoslaw, heute Dnipropetrowsk, Ukraine; † 8. Mai 1891 in London), war eine Okkultistin und Schriftstellerin deutsch-russischer Herkunft. Sie gilt als die wichtigste Begründerin der modernen oder anglo-indischen Theosophie und wurde vor allem als Autorin der Bücher Isis Unveiled (1877, deutsch: Isis entschleiert) und The Secret Doctrine (1888, deutsch: Die Geheimlehre) bekannt.
Inhaltsverzeichnis
Leben
Kindheit und Jugend
Helena von Hahns Vater war Peter von Hahn, ein deutscher Offizier in russischen Diensten; ihre Mutter Jelena Hahn, geborene Fadejewa, entstammte altem russischem Adel und war eine bekannte Romanautorin. Als Kind lebte sie mit ihrer Mutter und ihren beiden Geschwistern bei den Großeltern. Der Vater war als Mitglied der Russischen Armee in ständig wechselnden Garnisonen im Kaukasus stationiert.
Als sie elf Jahre alt war, starb ihre Mutter, und Helena verbrachte den Rest ihrer Kindheit bei den Großeltern. Der Großvater war hoher Regierungsbeamter in den neu entstandenen Provinzen des russischen Großreichs und wechselte öfters den Standort. Als Heranwachsende zeichnete sie, spielte Klavier und galt als ausgezeichnete Reiterin, die gerne halbwilde Pferde zuritt. Sie soll aufbrausend und rebellisch gewesen sein und fügte sich nur schwer in die Konventionen ihres gesellschaftlichen Standes. Zeitgenossen beschrieben sie als vom Typ her eher maskulin.
Schon als Kind erregte sie als „Schreibmedium“ einiges Aufsehen.[1] Ihr Interesse für Esoterisches wurde durch die umfangreiche Bibliothek ihres Urgroßvaters, eines Freimaurers mit rosenkreuzerischer Ausrichtung, gefördert, die sie ausgiebig studierte.[2]
Wanderjahre
Mit siebzehn Jahren heiratete sie den gut zwanzig Jahre älteren Nikifor Blavatsky (*1809), den Vizegouverneur der russischen Provinz Jerewan im heutigen Armenien. Schon während der Flitterwochen verließ sie ihn jedoch. Die Ehe bedeutete ihr nach eigenen Angaben nichts und soll nie vollzogen worden sein.
Die folgenden Jahre liegen weitgehend im Dunkeln. Nach ihren eigenen, großenteils unbestätigten und gelegentlich auch widersprüchlichen Angaben[3] verbrachte Blavatsky die nächsten 25 Jahre überwiegend auf Reisen in Europa, Asien und Amerika. Auf diesen Reisen, die von ihrem Vater und Großvater finanziert worden seien, habe sie von Eingeweihten und „Meistern“ die Grundlagen ihrer späteren Lehren vermittelt bekommen.
1850 lernte sie in Kairo den koptischen Magier und Okkultisten Paulos Metamon kennen, der in diesen frühen Jahren einer ihrer Lehrer gewesen sein soll.[4][5] 1851 habe sie, wie sie später angab, in London erstmals den „Meister Morya“ getroffen, der ihr schon in ihrer Kindheit in Visionen erschienen sei. Angeregt durch die Romane von James Fenimore Cooper reiste sie anschließend nach Québec, wo sie den indianischen Schamanismus studieren wollte.[5] Es folgte ein Aufenthalt in New Orleans mit Nachforschungen über den dort gepflegten Voodoo, und das Jahr 1852 verbrachte sie überwiegend in Lateinamerika. Noch im selben Jahr begab sie sich nach Indien und versuchte erstmals, allerdings ohne Erfolg, in das damals sehr abgeschottene Tibet zu gelangen. Auch in den folgenden Jahren hielt sie sich überwiegend im Mittleren und Fernen Osten und in den USA auf, und um 1856 soll sie erstmals für kurze Zeit Tibet betreten haben.[5]
Die Jahre 1858 bis 1863 verbrachte Blavatsky hauptsächlich im Familienkreis in Russland und teilweise auch mit ihrem Ehemann in Tiflis.[6] Wo sie sich in den folgenden Jahren aufhielt, ist unklar. Von etwa 1862 bis 1867 kümmerte sie sich um einen Knaben namens Juri.[6] Es kamen Gerüchte auf, dass er ihr leiblicher Sohn sei, was aber unwahrscheinlich ist, da sie an einer wohl angeborenen Missbildung der Gebärmutter litt.[6] Nachdem Juri 1867 gestorben war, schloss Blavatsky sich dem italienischen Risorgimento an und wurde in der Schlacht von Mentana mehrfach verwundet.[6]
1868 trat nach Blavatskys Angaben der Meister Morya mit ihr in Kontakt, und sie reisten gemeinsam nach Tibet, wo sie sich längere Zeit in Xigazê, dem Sitz des Penchen Lama, aufgehalten habe und in den tibetanischen Buddhismus eingeweiht worden sei.[7] Ob sie tatsächlich jemals in Tibet war, ist umstritten. Das Land war damals für Fremde praktisch unzugänglich. Für Blavatskys Behauptungen sprechen jedoch ihre im Westen bis dahin ungekannten Berichte über die Stadt Xigazê und ihre fortgeschrittenen Kenntnisse des Mahayana-Buddhismus, die ihr von angesehenen buddhistischen Gelehrten bescheinigt wurden.[8]
In den folgenden Jahren hielt Blavatsky sich überwiegend im Nahen Osten auf, wo sie weitere Meister getroffen habe, die mit griechischen, koptischen und Drusen-Mysterien vertraut waren.[8] 1873 habe Morya erneut mit ihr Kontakt aufgenommen und sie angewiesen, sich nach New York zu begeben.[8]
New Yorker Jahre
Da ihr Vater, der bislang ihre Reisen großzügig finanziert hatte, unlängst verstorben war, kam Blavatsky fast mittellos in New York an und lebte anfangs in ärmlichen Verhältnissen.[9] Über das gemeinsame Interesse an spiritistischen Séancen lernte sie 1874 den angesehenen New Yorker Rechtsanwalt Henry Steel Olcott kennen, mit dem sie bald eine lange und innige Freundschaft verband. Blavatskys Begeisterung für den Spiritismus hielt jedoch nicht lange an. Schon bei ihrer ersten Begegnung mit Olcott im Oktober 1874 kritisierte sie (in Olcotts Worten) „die materialistische Tendenz im amerikanischen Spiritismus, der in einer Art Schwelgen in Phänomenen bestehe, begleitet von vergleichsweiser Gleichgültigkeit gegenüber philosophischen Fragen“.[10]
Etwa Anfang 1875 begann Blavatsky, esoterische Lehren zu verkünden, wobei sie zunächst an die westliche esoterische Tradition anknüpfte.[11] Ihre Wohnung am Irving Place in Manhattan entwickelte sich zu einem Treffpunkt für Leute, die sich für ihre Lehren interessierten. Parallel begann sie, ihr erstes Buch zu schreiben, und im Juli 1875 erschien in der Zeitschrift Spiritual Scientist ein Artikel, in dem sie ihre Ansichten erstmals, und recht detailliert, öffentlich darlegte. Mit dieser Publikation führte sie anscheinend auch die bis dahin nur im Französischen gebräuchliche Bezeichnung occultisme ins Englische ein.[12]
In Blavatskys Wohnung wurde im Herbst 1875 auch die Theosophische Gesellschaft (TG) konzipiert und begründet, wobei Olcott, der als erster die Idee zu einer solchen Gesellschaft geäußert hatte, als Präsident gewählt wurde.[13] Als Aufgabe der Gesellschaft wurde im Protokoll der Gründungsversammlung[14] das Studium des Okkultismus, der Kabbala und ähnlicher Lehren der westlichen Esoterik festgehalten. Laut der später ausgearbeiteten Satzung sollte es darum gehen, „Wissen über die Gesetze, welche das Universum beherrschen, zu sammeln und zu verbreiten“.[15]
1877 erschien Isis Unveiled – A Master Key to the Mysteries of Ancient and Modern Science and Theology (deutsch: Isis entschleiert), ihr erstes größeres Werk, in zwei Bänden mit etwa 1300 Seiten.[16] Der erste Band, betitelt The 'Infallibility' of Modern Science (Die 'Unfehlbarkeit' der modernen Wissenschaft), beginnt mit einer Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Naturwissenschaft (Charles Darwin, Thomas Henry Huxley), deren materialistische Ausrichtung Blavatsky kritisiert. Im Anschluss behandelt sie alternative Lehren wie den Spiritismus, den Mesmerismus und die Kabbala sowie die von diesen postulierten verborgenen Kräfte der Natur. Band zwei (Theology) enthält Vergleiche des Christentums mit anderen Religionen, wobei Blavatsky postuliert, dass ihnen allen eine ursprüngliche „Weisheitsreligion“ (wisdom-religion) zugrundeliege. Das Werk war ein großer Erfolg; die erste Auflage war nach zehn Tagen vergriffen.[17]
Auch die TG begann, international Aufmerksamkeit zu erregen.[18] Es wurde eine Tochtergesellschaft in London gegründet, und Kontakte mit Indien und Ceylon, wo Blavatskys Eintreten für die dortigen religiösen und kulturellen Traditionen auf Sympathie stieß, führten zu einer Kooperation mit der hinduistischen Reformbewegung Arya Samaj. Die Ziele der TG wurden 1878 um eine ausdrückliche Anerkennung östlicher Religionen erweitert, und als das bis heute gültige primäre Ziel wurde die Bildung einer universalen Bruderschaft der Menschheit formuliert.
Am 8. Juli 1878 erhielt Blavatsky die amerikanische Staatsbürgerschaft. Gegen Ende des Jahres verließ sie jedoch mit Olcott die USA und kehrte nie zurück.
Aktivitäten in Indien
Im Februar 1879 ließ sich Blavatsky mit Olcott in Bombay nieder, was einiges Aufsehen in der indischen Presse erregte.[19] Bald darauf begann sie mit der Arbeit an ihrem zweiten großen Buchprojekt, und im Oktober erschien erstmals The Theosophist als monatliches Publikationsorgan der TG. Durch ausgedehnte Reisen und durch Korrespondenzen mit führenden Intellektuellen und Politikern Indiens warben Blavatsky und Olcott eifrig für die Theosophie.[20] Ihr Eintreten für die indische Religion und Philosophie traf mit dem wieder erstarkenden Selbstbewusstsein des indischen Bildungsbürgertums gegenüber den Einflüssen der europäischen Kolonialmächte zusammen. Ranbir Singh, der Maharaja von Kaschmir, sponserte ihre Reisen. Ein weiterer wichtiger Verbündeter war Sirdar Thakar Singh Sandhanwalia, der Begründer der Singh-Sabha-Bewegung, einer Reformbewegung der Sikh im Punjab.
Während eines Aufenthalts auf Ceylon, wo sie von großen Menschenmassen empfangen wurden, bekannten sich Blavatsky und Olcott im Mai 1880 zum Buddhismus.[21] (Blavatsky hatte sich allerdings schon während ihrer New Yorker Zeit als Buddhistin bezeichnet.[19])
Im Dezember 1882 wurde der Hauptsitz der TG in die Ortschaft Adyar in der Nähe von Madras verlegt, und nach Jahren intensiver Reisetätigkeit verbrachte Blavatsky das Jahr 1883 überwiegend dort und schrieb zahlreiche Artikel für den Theosophist.[22] Darin behandelte sie vor allem das Konzept der siebenfältigen Konstitution der Menschheit und des Kosmos, das an die Stelle des in alten europäischen Traditionen wurzelnden dreigliedrigen Schemas, welches sie in Isis Unveiled dargestellt hatte, trat[23] und seither in der modernen Theosophie grundlegend ist.
Im Jahr 1884 hielten sich Blavatsky und Olcott längere Zeit in Europa auf, wo die Theosophie ebenfalls zunehmend Anhänger fand.[22] Während ihrer Abwesenheit erschien im September 1884 im Madras Christian College Magazine ein Artikel, in welchem Blavatsky des Betrugs im Zusammenhang mit den sogenannten Meister-Briefen bezichtigt wurde.[19] Diese Briefe, die seit 1880 in großer Zahl bei verschiedenen Theosophen eingingen, wurden den „Meistern“ Koot Hoomi und Morya zugeschrieben, die darin ihre Lehren darlegten.[19][21] Im Madras Christian College Magazine wurde nun unter dem Titel The Collapse of Koot Hoomi behauptet, diese angeblichen Meisterbriefe seien in Wirklichkeit von Blavatsky verfasst worden. Der Artikel stützte sich auf die Aussagen einer ehemaligen Mitarbeiterin der TG in Adyar, Emma Coulomb (daher „Coulomb-Affäre“), und auf angebliche Briefe Blavatskys an Coulomb, die Coulombs Aussagen stützten. Blavatsky widersprach diesen Anschuldigungen entschieden, unterließ jedoch auf Abraten Olcotts und Anderer rechtliche Schritte.[24] Diese Affäre beschädigte das Ansehen Blavatskys und der TG massiv.
Anfang 1885, nicht lange nach ihrer Rückkehr aus Europa, erkrankte Blavatsky schwer, was schließlich dazu führte, dass sie im März 1885 ihre Tätigkeit als Corresponding Secretary der TG niederlegen musste.[25] Kurz darauf verließ sie Indien endgültig, um die letzten Jahre ihres Lebens in Europa zu verbringen.
Letzte Jahre und Tod
Nach einem Aufenthalt in Italien ließ Blavatsky sich im August 1885 in Würzburg nieder und konzentrierte sich auf ihr Buchprojekt. Im Dezember 1885 erschien ein Bericht der in London ansässigen Society for Psychical Research (SPR), der an die Coulomb-Affäre anschloss und die Vorwürfe gegen Blavatsky bekräftigte.[25] Dieser Bericht, der als Hodgson Report bekannt werden sollte, stützte sich auf Untersuchungen und Befragungen, welche Richard Hodgson im Auftrag der SPR in Adyar vorgenommen hatte. Hodgson kam zu dem Ergebnis, dass die Meisterbriefe Fälschungen seien, die teils von Blavatsky selbst und teils von einer anderen Person angefertigt worden waren. Außerdem habe Blavatsky im Zusammenhang mit dem „Erscheinen“ der Briefe paranormale Phänomene vorgespiegelt. Und des Weiteren seien die Ziele der TG in Wirklichkeit politischer Natur, und Blavatsky sei eine russische Spionin. In der Zusammenfassung bezeichnete die SPR Blavatsky als „eine der erfolgreichsten, raffiniertesten und interessantesten Betrügerinnen der Geschichte“.[26] Dieser Bericht der SPR, quasi eine wissenschaftliche Bestätigung der im Rahmen der Coulomb-Affäre erhobenen Vorwürfe, brandmarkte Blavatsky für lange Zeit als Betrügerin. (1986, also gut hundert Jahre später, publizierte die SPR eine neuerliche Untersuchung, in der sowohl die Anschuldigungen Coulombs als auch Hodgsons Schlussfolgerungen verworfen wurden.[27])
Im Juli 1886 zog Blavatsky nach Ostende (Belgien), im Mai 1887 nach London, wo sie wenige Tage nach ihrer Ankunft eine neue Loge der TG (Blavatsky Lodge) und im September des selben Jahres die Zeitschrift Lucifer gründete.[25] Im Oktober 1888 kam es innerhalb einiger Tage zur Gründung der Esoterischen Sektion der Theosophischen Gesellschaft, deren Leitung Blavatsky (formal neben den Meistern) übernahm, und zur Publikation ihres Hauptwerks, The Secret Doctrine – the Synthesis of Science, Religion, and Philosophy (deutsch: Die Geheimlehre).[28] In der Esoterischen Sektion erteilte Blavatsky einer kleinen Gruppe von Schülern esoterische Unterweisungen. The Secret Doctrine besteht aus zwei Bänden mit etwa 1500 Seiten. Das Werk basiert auf den „Stanzen“ des Book of Dzyan (Buch des Dzyan) eines angeblich sehr alten religiösen Textes, der von unbekannten Urhebern in einer der heutigen Wissenschaft unbekannten Sprache abgefasst worden sei[29], und besteht im Wesentlichen aus Kommentaren und Erläuterungen zu diesen Stanzen. Der erste Band mit dem Titel Cosmogenesis behandelt die Entwicklung des Kosmos, und der zweite, Anthropogenesis, befasst sich mit der Evolution der Menschheit als einer Aufeinanderfolge sogenannter Wurzelrassen.
Im Jahre 1889 publizierte Blavatsky zwei weitere Bücher: The Voice of the Silence (deutsch: Die Stimme der Stille) und The Key to Theosophy (deutsch: Der Schlüssel zur Theosophie). The Voice of the Silence ist ähnlich wie The Secret Doctrine als Übersetzung angeblich sehr alter Texte konzipiert und handelt vom Aufstieg zu höheren Ebenen des Bewusstseins, während The Key to Theosophy eine populäre Einführung in Blavatskys Theosophie gibt.[30]
1890 übernahm Blavatsky die Leitung der neu gegründeten Europäischen Sektion der TG.[31] Im Juli des selben Jahres erschien in der Zeitung The New York Sun ein Artikel des einflussreichen amerikanischen Theosophen Samuel Elliott Coues, in welchem dieser Blavatsky als Betrügerin bezeichnete.[31] Dies löste einen Rechtsstreit aus, welcher allerdings nach Blavatskys Tod ohne Ergebnis niedergelegt wurde. (Aufgrund einer weiteren, von William Quan Judge, dem Generalsekretär der Amerikanischen TG, erhobenen Anklage distanzierte sich die New York Sun jedoch 1892 von Coues' Artikel und druckte einen von Judge verfassten Nachruf auf Blavatsky.)
Helena Petrovna Blavatsky starb am 8. Mai 1891 im Alter von 59 Jahren in London. In der britischen Presse erschienen über 100 Todesanzeigen und zahlreiche Leserbriefe von Theosophen.[31]
Lehre
Blavatskys Theosophie war eine Reaktion auf den Siegeszug der Naturwissenschaften und der damit verbundenen Diskreditierung des christlichen Glaubens im 19. Jahrhundert.[32] Sie gab dem Menschen die Würde und Bedeutung, die ihm die jüdisch-christliche Schöpfungslehre zugeschrieben hatte und die im naturwissenschaftlichen Weltbild keine Rolle mehr spielten, zurück, indem sie ihn in eine Kosmologie einbettete, welche traditionelle Vorstellungen der westlichen Esoterik mit Elementen östlicher Religionen verband und auch Konzepte der zeitgenössischen Naturwissenschaften aufnahm.
In Isis Unveiled (1877) postulierte Blavatsky eine Ur-Religion, aus der alle heute bestehenden Religionen hervorgegangen seien. Diese sei in der Lage, die Gegensätze zwischen Spiritualität, vernunftgeleiteter Philosophie und den Naturwissenschaften aufzuheben.
Ihre eigene Lehre stellte Blavatsky hauptsächlich in The Secret Doctrine (1888) dar.[33] Darin postulierte sie die Existenz einer absoluten, unendlichen und ewigen Realität, welche Alles bedingt. Aus diesem Absoluten gehe der Kosmos wie auch die Seele des Menschen hervor (Emanation). Diese der traditionellen westlichen Esoterik (und indirekt dem Neuplatonismus) entnommene Vorstellung verband Blavatsky mit dem modernen naturwissenschaftlichen Konzept der Evolution. Demnach erfolgt die Evolution des Kosmos wie auch die jeder menschlichen Individualität in Zyklen der Emanation aus dem Absoluten und der Rückkehr in das Absolute, jedoch nicht im Sinne einer ewigen Wiederkehr des Gleichen, sondern verbunden mit einem Fortschritt von Zyklus zu Zyklus. Beim Menschen handelt es sich um die Aufeinanderfolge zahlreicher Verkörperungen der unsterblichen Individualität (Reinkarnation), welche durch das Prinzip des Karma verbunden seien.
Ein weiteres grundlegendes Konzept der Lehre Blavatskys ist die siebenfältige Konstitution des Menschen und des Kosmos. Beim Menschen unterschied sie (ähnlich wie zuvor schon der Theosoph Alfred Percy Sinnett in Esoteric Buddhism, 1883) sieben Bestandteile oder Prinzipien, von denen vier sterblich und drei unsterblich seien. Ebenso sei auch die Erde und jeder andere Himmelskörper siebenfältig konstituiert, und die Evolution eines jeden Planeten verlaufe in siebengliedrigen Zyklen. So entwickele sich die Erde zunächst absteigend von einem geistigen über ein mentales und ein astrales Stadium zum gegenwärtigen physischen und dann wieder aufsteigend über ein astrales und ein mentales zu einem geistigen Stadium. Nur das gegenwärtige vierte Stadium sei sichtbar. Innerhalb dieses physischen Stadiums der Evolution der Erde unterschied Blavatsky nun weiter sieben Stadien der Entwicklung der Menschheit, welche sie als „Wurzelrassen“ bezeichnete. Auch bei diesen handele es sich zunächst um ein Herabsteigen in die Materie, gefolgt von einer Vergeistigung. Das gegenwärtige, fünfte Stadium der Menschheit bezeichnete sie als die „arische“ Wurzelrasse. Jede Wurzelrasse bestehe wiederum aus sieben aufeinanderfolgenden „Unterrassen“, und das gegenwärtige Stadium der Menschheits-Evolution sei die fünfte oder angelsächsische Unterrasse der arischen Wurzelrasse.
Diese Darstellungen in The Secret Doctrine bilden aber, wie Nicholas Goodrick-Clarke schreibt[34], nur den Hintergrund für das zentrale Thema des Werks: die Entwicklung der menschlichen Individualität durch Reinkarnation und Karma, wobei das Schicksal in einem gegenwärtigen Leben die Folge der eigenen Taten und Gedanken in früheren Leben sei und das Ziel in einem Aufstieg zu immer höheren spirituellen Ebenen bestehe.
Die Meister
In Blavatskys eigenen Darstellungen zu ihrer Biographie und zum Ursprung ihrer Theosophie kommt den sogenannten Meistern oder Mahatmas eine große Bedeutung zu.[35] Schon in ihrer Kindheit habe sie von einem Meister Morya geträumt, und diesen habe sie 1851 im Londoner Hyde Park erstmals leibhaftig getroffen. Bei diesem Treffen habe er ihr mitgeteilt, dass sie für eine bedeutende Aufgabe ausersehen sei und sich zuvor in Tibet darauf vorbereiten müsse. 1868 habe er erneut Kontakt mit ihr aufgenommen, und sie seien gemeinsam nach Tibet gereist, wo Morya mit einem anderen Meister namens Koot Hoomi in Xigazê, in der Nachbarschaft des Sitzes des Penchen Lama, eine Schule für Adepten des tibetischen Buddhismus betrieben habe. Dort sei sie als Schülerin aufgenommen und etwa zwei Jahre lang unterwiesen worden. Danach habe sie im Nahen Osten weitere Meister dortiger Geheimlehren konsultiert. Ihre Reise nach New York 1873 sei wiederum auf Geheiß von Morya erfolgt, und auch die dortige Gründung der TG sowie die spätere Übersiedelung nach Indien sei von den Meistern veranlasst gewesen. Des Weiteren traten die Meister als angebliche Autoren der umstrittenen Meister- oder Mahatma-Briefe in Erscheinung (siehe oben).
Nach einer Untersuchung von Paul Johnson[36] war namentlich der Meister Morya keine real existierende Person. Blavatskys Lehren seien ein Synkretismus bereits bestehender Lehren, wobei sie anfangs vom russischen, rosenkreuzerisch orientierten Freimaurertum beeinflusst gewesen sei und dann auf ihren Reisen im Nahen und Mittleren Osten weitere Geheimlehren kennengelernt habe. Das Konzept der Meister kann über die Hochgrad-Freimaurerei aus dem Rosenkreuzertum abgeleitet werden.[37]
Wirkung
Helena Blavatsky gilt als die wohl bedeutendste Persönlichkeit bei der Begründung der modernen westlichen Esoterik im späten 19. Jahrhundert.[38][31] In ihren Werken bündelte sie die Traditionslinien der neuzeitlichen Esoterik, verband diese mit östlichen Lehren und machte beides in neuer Form einem breiten Publikum zugänglich. Neben dieser Wirkung in Europa und Amerika war sie auch in Indien unter spirituell Suchenden zeitweilig sehr populär.
Im deutschen Sprachraum wurden Blavatskys Lehren zunächst vor allem durch Rudolf Steiner verbreitet, der von 1902 bis 1913 die Deutsche Sektion der Theosophischen Gesellschaft leitete und dabei anfangs stark auf Blavatskys Lehren Bezug nahm (siehe etwa Aus der Akasha-Chronik). Parallel dazu entwickelte Steiner jedoch eine eigene, überwiegend an abendländischen Quellen orientierte Variante der Theosophie, die er später in Anthroposophie umbenannte.
Im Bereich der Kunst beeinflusste Blavatsky die Werke von Hermann Hesse, William Butler Yeats, James Joyce, George William Russel, Jack London, D.H. Lawrence, T.S. Eliot, Wassily Kandinsky, Piet Mondrian, Paul Klee, Paul Gauguin, Gustav Mahler, Jean Sibelius, Alexander Skrjabin und andere.[39].
In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren wurde die Gedankenwelt Blavatskys von den Anhängern der New-Age-Bewegung wiederentdeckt.
Kritik
Blavatsky wurde schon zu Lebzeiten wiederholt des Betrugs bezichtigt, insbesondere im Zusammenhang mit den Meister-Briefen (siehe oben unter „Leben“ sowie Coulomb-Affäre und Hodgson Report).
Noch schwerwiegender war jedoch die Anschuldigung, die 1895, also wenige Jahre nach ihrem Tod, der Spiritist William Emmette Coleman erhob: Coleman warf Blavatsky vor, dass ihre Hauptwerke Isis Unveiled, The Secret Doctrine und The Voice of the Silence zu großen Teilen aus Plagiaten bestünden.[40] Allein in Isis Unveiled habe er etwa 2000 plagiierte Passagen identifizieren können, und diese seien etwa 100 zeitgenössischen Werken über Okkultismus, Mythologie und exotische Religionen entnommen worden. Hierzu bemerkt Nicholas Goodrick-Clarke in seiner Blavatsky-Anthologie, dass Blavatskys mangelnde Vertrautheit mit den Gepflogenheiten in der Wissenschaft nicht zur Debatte steht.[41] Die eigentliche Bedeutung von Colemans Untersuchung, so Goodrick-Clarke weiter, liege darin, die Quellen in der zeitgenössischen Literatur aufzulisten, deren Blavatsky sich bedient hatte. Bei Isis Unveiled handelte es sich demnach vor allem um Werke von Samuel Fales Dunlap, Joseph Ennemoser, J.S. Forsyth, Eusèbe Baconnière-Salverte und Henri Roger Gougenet de Mousseaux, aber auch zahlreicher anderer Autoren, die im 19. Jahrhundert Einschlägiges publiziert hatten.[42]
Schriften
- Isis Unveiled, 1877 (deutsch: Isis Entschleiert)
- The Secret Doctrine, 1888 (deutsch: Die Geheimlehre)
- The Voice of the Silence, 1889 (deutsch: Die Stimme der Stille)
- The Key to Theosophy, 1889 (deutsch: Der Schlüssel zur Theosophie)
Literatur
- Geoffrey A. Barborka: H. P. Blavatsky, Tibet and Tulku. Theosophical Publishing House, Adyar 1966.
- E. P. Blavatskaja: Erzählungen und Reiseberichte. Ein Lesebuch. Übersetzt und herausgegeben von Björn Seidel-Dreffke. F. K. Göpfert, Fichtenwalde 1999, ISBN 3-932254-10-9 (formal falsche ISBN), (FrauenLiteraturGeschichte 10).
- Daniel Caldwell: The Esoteric World of Madame Blavatsky. Insights into the Life of a modern Sphinx. Quest Books – Theosophical Publishung House, Wheaton IL 2000, ISBN 0-8356-0794-1.
- Sylvia Cranston: HPB. The Extraordinary Life and Influence of Helena Blavatsky, Founder of the Modern Theosophical Movement. Tarcher/Putnam, New York NY 1993, ISBN 0-87477-688-0.
- Jean Overton Fuller: Blavatsky and Her Teachers. An Investigative Biography. East-West Publications, London u. a. London 1988, ISBN 0-85692-171-8.
- Nicholas Goodrick-Clarke (Hrsg.): Helena Blavatsky. North Atlantic Books, Berkeley CA 2004, ISBN 1-55643-457-X (Anthologie mit Einleitungen des Herausgebers).
- K. Paul Johnson: The Masters Revealed. Madame Blavatsky and the Myth of the Great White Lodge. State University of New York Press, Albany NY 1994, ISBN 0-7914-2063-9 (SUNY Series in Western Esoteric Traditions).
- Marion Meade: Madame Blavatsky. The Woman Behind the Myth. Putnam's, New York NY 1980, ISBN 0-399-12376-8.
- Howard Murphet: When Daylight Comes. A Biography of Helena Petrovna Blavatsky. Theosophical Publishing House, Wheaton IL 1975.
- Leslie Price: Madame Blavatsky Unveiled? A New Discussion of the Most Famous Investigation of the Society for Psychical Research. Theosophical History Centre, London 1986, ISBN 0-948753-00-5.
- Gottfried de Purucker: H. P. Blavatsky: The Mystery. Point Loma Publications, San Diego CA 1974.
- Peter Washington: Madame Blavatsky's Baboon. Theosophy and the Emergence of the Western Guru. Seeker & Warburg, London 1993, ISBN 0-436-56418-1.
- Gerhard Wehr: Helena Petrovna Blavatsky. Eine moderne Sphinx - Biographie. Pforte, Dornach 2005, ISBN 3-85636-160-X.
Weblinks
Commons: Елена Петровна Блаватская – Album mit Bildern und/oder Videos und Audiodateien- Deutschsprachige Weblinks
- Literatur von und über Helena Petrovna Blavatsky im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Geheimlehre von Blavatsky online: Band I (PDF, 3,6 Mb) und Band II (PDF, 4,8 Mb)
- H.P. Blavatsky - Eine Lebensskizze
- H.P. Blavatsky - Leben - Werk - Wirkung
- Englischsprachige Weblinks
- Werke von Helena Petrovna Blavatsky als Online-Texte. In: Project Gutenberg.
- Links zum Thema Helena Petrovna Blavatsky im Open Directory Project
- Blavatsky Study Center (Mit Foto-Galerie)
- Blavatsky Net
- Bücher von H.P. Blavatsky bei Theosophical University Press
- Biografische Annäherung
- Sammlung von Artikeln über H.P. Blavatsky
Einzelnachweise
- ↑ Gerhard Wehr: Helena Petrovna Blavatsky, eine moderne Sphinx – Biographie, Pforte, Dornach 2005, S. 19f
- ↑ Nicholas Goodrick-Clarke: Helena Blavatsky, North Atlantic Books, Berkeley 2004, S. 2f
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 3
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 4
- ↑ a b c James A. Santucci: Blavatsky, Helena Petrovna, in: Wouter J. Hanegraaff (Hg.): Dictionary of Gnosis and Western Esotericism, Brill, Leiden 2006, S. 177-185, hier S. 177
- ↑ a b c d Santucci, S. 178
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 4f
- ↑ a b c Goodrick-Clarke, S. 5
- ↑ Wehr, S. 37
- ↑ Olcott, zitiert bei Wehr, S. 42
- ↑ Santucci, S. 179f
- ↑ Wouter J. Hanegraaff: Occult/Occultism, in: Dictionary of Gnosis and Western Esotericism, S. 884-889, hier S. 887
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 7f; Wehr, S. 49-52
- ↑ zitiert bei Wehr, S. 51
- ↑ „to collect and diffuse a knowledge of the laws which govern the universe“, zitiert bei Goodrick-Clarke, S. 8
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 8-10; Santucci, S. 180
- ↑ Kocku von Stuckrad: Was ist Esoterik? Beck, München 2004, S. 204
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 11
- ↑ a b c d Santucci, S. 181
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 11f
- ↑ a b Goodrick-Clarke, S. 12
- ↑ a b Goodrick-Clarke, S. 13
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 10
- ↑ Santucci, S. 181f
- ↑ a b c Santucci, S. 182
- ↑ „[...] she has achieved a title to permanent remembrance as one of the most accomplished, ingenious, and interesting impostors in history“, zitiert nach Santucci, S. 182
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 14; Vernon Harrison: H. P. Blavatsky und die SPR, 1986
- ↑ Santucci, S. 182f
- ↑ Dzyan ist der tibetanische Name des Daoisten Ly-tzyn, der im vierten Jahrhundert lebte und ein Buch der geheimen Korrespondenzen verfasste (Goodrick-Clarke, S. 75)
- ↑ Santucci, S. 183
- ↑ a b c d Santucci, S. 184
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 1f
- ↑ Zusammenfassungen bei Goodrick-Clarke, S. 14-17, und Santucci, S. 183
- ↑ S. 16
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 3-6
- ↑ K. Paul Johnson: The Masters Revealed: Madame Blavatsky and the Myth of the Great White Lodge, State University of New York Press, Albany 1994, referiert bei Goodrick-Clarke, S. 5f
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 6
- ↑ Stuckrad, S. 197
- ↑ Sylvia Cranston, Leben und Werk der Helena Blavatsky, ausführlich belegt auf S. 543 - 582
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 8f; Santucci, S. 183f
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 52: „an argument about Blavatsky's scholarship is beside the point“.
- ↑ Goodrick-Clarke, S. 50-52
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