Gelfrede

Gelfrede

Das Streitgedicht ist eine dialogisierende lyrische Form, in der üblicherweise zwei Personen, die jeweils als allegorische Personifikationen ihres Standpunktes erscheinen, einen Streit austragen. Themen des Streitliedes sind z. B. Rang und Wert, Vorzüge und Schwächen oder die Entscheidung über eine Frage.

Die literarische Tradition des Streitgedichts reicht bis in die Antike zurück. Bekannte Formen sind Agon und Synkrisis bei Theokritos (später bei Vergil) in der klassischen griechischen, Altercatio, Conflictus und Disputatio in der lateinischen Literatur. Im weiteren Sinne sind auch die Vorläufer in der germanischen Dichtung wie z. B. Lokasenna und Harbarȝljoð oder die so genannten Gelfreden, spottende Reizreden auf einen Gegner, zu den Streitgedichten zu zählen. Die altnordische und die altenglische Literatur pflegten sie ebenfalls beliebt.

Aus den mittellateinischen Genres erwuchsen im Laufe des Mittelalters in den romanischen Sprachen Formen der Spielmannsdichtung wie Tenzone, Partimen, Jeu parti, Débat und Contrasto. Der deutsche Minnesang brachte im Spätmittelalter das Streitlied zu einer eigenen Blüte. Beliebte Inhalte im 13. Jahrhundert waren Gegensatzpaare wie Leib und Seele bei Walther von Metz, Wein und Wasser, Sommer und Winter, Liebe und Schönheit bei Reinmar von Brennenberg, aber auch Scheltsprüche, die Kritik an Kirche und Adel übten. Besonders das Moment der Personifikation trat hier oft auf, z. B. bei Walther von der Vogelweide und Regenbogen im allegorischen Sinn als Frau Minne und Frau Ehre oder als Frau Welt bei Frauenlob. Dieser verfasste ein Streitgespräch zwischen Minne und Welt.

In der Wende zur Neuzeit geriet das Genre unter den Einfluss des Volksliedes und der didaktischen Dichtung. Johannes von Tepl nutzte in Der Ackermann aus Böhmen (um 1400) die Form erstmals für ein umfangreicheres Werk. Ein bis heute bekanntes Streitgedicht dieser Epoche ist das anonyme frühneuhochdeutsche religiöse Streitlied zwischen Leben und Tod. Nachwirkungen finden sich vor allem in politischen, theologischen oder ideologischen Dialogschriften seit der Reformationszeit wie Flugschriften und Traktaten, in der Narrenliteratur, in Ulrich von Huttens Gesprächbüchlin (1521) und noch im 17. Jahrhundert in Angelus Silesius’ religiösen Streitschriften.

Auch die orientalischen Literaturen, voran die arabische und die persische, bildeten eigene Arten des Streitgedichts aus.

Literatur

  • Hermann Jantzen: Geschichte des deutschen Streitgedichtes im Mittelalter. Mit Berücksichtigung ähnlicher Erscheinungen in anderen Litteraturen. Breslau 1886, Nachdruck Hildesheim 1977
  • Heinrich Knobloch: Die Streitgedichte im Provenzalischen und Altfranzösischen. Dissertation. Breslau 1886
  • Wilhelm Gadow: Das mittelenglische Streitgedicht Eule und Nachtigall. Berlin 1909
  • Hans Walther: Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters. München 1920
  • Eduard Böhs: Das Schönhengster Streitgedicht vom Sommer und Winter. Landskron 1922
  • Ingrid Kasten: Studien zur Thematik und Form des mittelhochdeutschen Streitgedichtes. Dissertation. Hamburg 1973
  • Michel-André Bossy (Hrsg.): Medieval debate poetry. Vernacular works. New York 1987. ISBN 0-8240-8709-7
  • Antje Schäfer: Vergils Eklogen 3 und 7 in der Tradition der lateinischen Streitdichtung. Eine Darstellung anhand ausgewählter Texte der Antike und des Mittelalters. Frankfurt am Main 2001

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