Gesellschaft (Staatsrecht)

Gesellschaft (Staatsrecht)

Das Staatsrecht bezeichnet in der Tradition des Liberalismus als Gesellschaft diejenigen Akteure (Bürger, früher auch Untertanen genannt), die nicht dem Staat (Obrigkeit) zuzurechnen sind. Gesellschaft sind demnach alle Menschen und die von ihnen – nicht vom Staat – errichteten juristischen Personen.

Inhaltsverzeichnis

Theoretische Herleitung

Der vor allem in Deutschland gebräuchlichen Unterscheidung liegt die Vorstellung zugrunde, dass der freiheitliche Staat anders als im Totalitarismus nur bestimmte Bereiche abdecken darf. Dadurch soll die Freiheit des Individuums vor dem Staat geschützt werden: Während die Gesellschaft freiheitsberechtigt ist, ist der Staat freiheitsverpflichtet; ihm steht keine Freiheit zu, die zu Lasten der Bürger ginge, sondern nur gesetzlich begründete Kompetenz, allenfalls pflichtgemäßes Ermessen. Während den Akteuren der Gesellschaft Grundrechtsfähigkeit zukommt, wird der Staat durch Grundrechte verpflichtet und kann sich auf sie nicht selbst berufen. Die Gesellschaft kann ihre Angelegenheiten selbstbestimmt regeln (Privatautonomie), der Staat ist vielfältigen Pflichten unterworfen (beispielsweise Rechtsstaatsprinzip, Demokratieprinzip, Sozialstaatsprinzip).

Verwirklichung in Deutschland

Überblick

Auch das deutsche Grundgesetz kennt eine vom Staat zu unterscheidende Gesellschaft, wobei die Einzelheiten umstritten sind (vgl. Staat und Gesellschaft). Umstritten ist auch, ob das Grundgesetz zwischen der Privatsphäre der einzelnen Bürger und der staatlichen Öffentlichkeit („normativer Öffentlichkeitsbegriff“) noch eine weitere, zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit („sozialer Öffentlichkeitsbegriff“) begründen will oder anerkennt und welche Verbände darunter fallen würden.

Die staatliche Regelung der Gesellschaft erfolgt hauptsächlich im einfachen Gesetzesrecht, vor allem dem Zivilrecht (z. B. Arbeitsrecht, Familienrecht, Erbrecht usw.). In der Verfassung finden sich ausführliche Vorschriften zu gesellschaftlichen Bereichen hingegen nur für das Staatskirchenrecht; als Mittler zwischen Gesellschaft und Staat werden punktuell die politischen Parteien geregelt („wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit“, Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG). Daneben aber gewährleisten die Grundrechte den einzelnen Bürgern Freiheitsrechte, die auch für das Verhältnis der Gesellschaft zum Staat insgesamt prägend sind.

Die Vorstellung, dass der Bürger durch Eintritt in besondere Gewaltverhältnisse die Gesellschaft verlassen und auf die Seite des Staates wechseln könne, ist in Folge der „Strafgefangenenentscheidung“ (BVerfGE 33, 1 ff.) inzwischen aufgegeben worden.

Zuordnung durch Verfassung und Gesetzgeber

Welche Aufgaben als Staatsaufgaben verstanden werden und welche der Gesellschaft überlassen sind, ist dem Wandel der rechtspolitischen Anschauungen unterworfen. In den Grenzen der Grundrechte ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei, ob er eine Aufgabe der gesellschaftlichen Selbstbestimmung überlässt oder in staatlicher Verwaltung, ggf. staatlicher Selbstverwaltung, erledigt. Umgekehrt kann er auch ehemals als staatlich verstandene Aufgaben wieder der Gesellschaft überlassen (materielle Privatisierung).

Ausdrückliche Grenzen der Verstaatlichung finden sich im Grundgesetz nur vereinzelt (etwa das Verbot der Staatskirche).

Zuordnung im Einzelfall

Auch natürliche Personen können durch Beleihung zu staatlichen Verwaltungsträgern werden und so staatliche Funktion ausüben, ohne allerdings dadurch ihre Grundrechtsträgerschaft aufzugeben. Im Einzelfall kann durchaus umstritten sein, ob noch gesellschaftliche Freiheitsverwirklichung (etwa private Rechtsetzung, z. B. Tarifvertrag) oder schon die Ausübung staatlicher Funktionen vorliegt.

Noch komplizierter ist die Zuordnung bei juristischen Personen. Weil auch der Staat juristische Personen des Privatrechts gründen kann und mitunter auch Bürger solche des öffentlichen Rechts (z. B. Religionsgemeinschaften), kann ihre Rechtsform allenfalls ein Indiz sein. Problematisch sind auch Mischformen, die entstehen können, wenn staatliche und gesellschaftliche Akteure gemeinsam die juristische Person tragen, etwa eine Aktiengesellschaft mit Gemeinden und Privatleuten als Aktionären.

Rechtshinweis Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Gesellschaft — bezeichnet: Gesellschaft (Soziologie), in der Soziologie eine größere Gruppe zusammenlebender Menschen Gesellschaft (Staatsrecht), die dem liberalen Staat gegenüberstehenden Bürger in Wirtschaft und Rechtswesen einen Zusammenschluss von… …   Deutsch Wikipedia

  • Staatsrecht — (.ins publicum), im weitern Sinne soviel wie öffentliches Recht; im engern und eigentlichen Sinne wird damit unter Ausscheidung des Straf und Prozeßrechts, des Kirchen und Völkerrechts das Recht bezeichnet, das sich auf den Staat und die… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Staatsrecht — Staats|recht 〈n. 11; unz.〉 1. 〈i. w. S.〉 das von einem Staat geschaffene, die Ausübung der Staatsgewalt betreffende Recht 2. 〈i. e. S.〉 Verfassungsrecht * * * Staats|recht, das: 1. <Pl. selten> Gesamtheit derjenigen Rechtsnormen, die den… …   Universal-Lexikon

  • Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft — wurde in der deutschen Staatsrechtslehre zeitweise sehr kontrovers diskutiert. Sie geht auf Lorenz von Stein zurück und prägte zunächst die Periode der deutschen konstitutionellen Monarchie. Unter dem Grundgesetz konnte diese Ordnungsidee nicht… …   Deutsch Wikipedia

  • Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft — Logo der Deutschen Reichsbahn Die Deutsche Reichsbahn war die staatliche Eisenbahn in der Weimarer Republik und während der Zeit des Nationalsozialismus, die bis zur Ablösung durch die Staatsbahnen der Bundesrepublik Deutschland (Deutsche… …   Deutsch Wikipedia

  • Staat und Gesellschaft — Die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft wurde in der deutschen Staatsrechtslehre zeitweise sehr kontrovers diskutiert. Sie geht auf Lorenz von Stein zurück und prägte zunächst die Periode der deutschen konstitutionellen Monarchie. Unter dem …   Deutsch Wikipedia

  • Eugen Rosenstock-Huessy Gesellschaft — Eugen Moritz Friedrich Rosenstock Huessy (* 6. Juli 1888 als E. M. F. Rosenstock in Berlin Steglitz; † 24. Februar 1973 in Norwich, Vermont, USA) war ein deutscher und amerikanischer Rechtshistoriker und Soziologe, dessen lebenslanges Forschen… …   Deutsch Wikipedia

  • Communismus — Hammer und Sichel, meistverwendete Symbolik für Kommunismus Kommunismus (vom lateinischen communis = „gemeinsam“) bezeichnet das politische Ziel einer klassenlosen Gesellschaft, in der das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben ist und… …   Deutsch Wikipedia

  • Kommunist — Hammer und Sichel, meistverwendete Symbolik für Kommunismus Kommunismus (vom lateinischen communis = „gemeinsam“) bezeichnet das politische Ziel einer klassenlosen Gesellschaft, in der das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben ist und… …   Deutsch Wikipedia

  • Kommunisten — Hammer und Sichel, meistverwendete Symbolik für Kommunismus Kommunismus (vom lateinischen communis = „gemeinsam“) bezeichnet das politische Ziel einer klassenlosen Gesellschaft, in der das Privateigentum an Produktionsmitteln aufgehoben ist und… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”