Gesetz der großen Zahlen

Gesetz der großen Zahlen
Visualisierung des Gesetzes der großen Zahlen: Auf der y-Achse ist die relative Häufigkeit, eine Sechs zu würfeln, aufgetragen, während auf der x-Achse die Anzahl der Durchgänge angegeben ist. Die graue Linie zeigt die theoretische Wahrscheinlichkeit von \textstyle\frac{1}{6}, die schwarze Linie die jeweilige empirische Wahrscheinlichkeit.

Als Gesetze der großen Zahlen werden bestimmte mathematische Sätze aus der Stochastik bezeichnet.

In ihrer einfachsten Form besagen diese Sätze, dass sich die relative Häufigkeit eines Zufallsergebnisses in der Regel der Wahrscheinlichkeit dieses Zufallsergebnisses annähert, wenn das zu Grunde liegende Zufallsexperiment immer wieder durchgeführt wird. Formal handelt es sich also um Konvergenzsätze für Zufallsvariable, zumeist unterteilt in „starke“ (fast sichere Konvergenz) und „schwache“ (Konvergenz in Wahrscheinlichkeit) Gesetze der großen Zahlen.

Inhaltsverzeichnis

Beispiel: Wurf einer Münze

Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Münze beim Werfen Kopf zeigt, betrage ½. Je häufiger die Münze geworfen wird, desto unwahrscheinlicher wird es, dass der Anteil der Würfe, bei denen Kopf erscheint (also die relative Häufigkeit des Ereignisses „Kopf“), um mehr als einen beliebigen vorgegebenen Wert von der theoretischen Wahrscheinlichkeit ½ abweicht. Dagegen ist es durchaus wahrscheinlich, dass die absolute Differenz zwischen der Anzahl der Kopf-Würfe und der halben Gesamtzahl der Würfe anwächst.

Insbesondere besagen diese Gesetze der großen Zahlen nicht, dass ein Ereignis, welches bislang nicht so häufig eintrat wie erwartet, seinen „Rückstand“ irgendwann ausgleichen und folglich in Zukunft häufiger eintreten muss. Dies ist ein bei Roulette- und Lottospielern häufig verbreiteter Irrtum, die „säumige“ Zahlenart müsse nun aber aufholen, um wieder der statistischen Gleichverteilung zu entsprechen.

Angenommen, eine Serie von Münzwürfen beginne mit „Kopf“, „Zahl“, „Kopf“, „Kopf“. „Kopf“ wurde drei Mal geworfen, „Zahl“ ein Mal. „Kopf“ hat gewissermaßen einen Vorsprung von zwei Würfen. Nach diesen vier Würfen ist die relative Häufigkeit von „Kopf“ ¾, die von „Zahl“ ¼. Nach 96 weiteren Würfen stelle sich ein Verhältnis von 49 Mal „Zahl“ zu 51 Mal „Kopf“ ein. Der Vorsprung von „Kopf“ ist also nach 100 Würfen genauso groß wie nach vier Würfen, jedoch hat sich der relative Abstand von „Kopf“ und „Zahl“ stark verringert, beziehungsweise – und das ist die Aussage des Gesetzes der großen Zahlen – der Unterschied der relativen Häufigkeit von „Kopf“ zum Erwartungswert von „Kopf“. Der Wert \textstyle\frac{51}{100} = 0{,}51 liegt sehr viel näher beim Erwartungswert 0,5 als ¾ = 0,75.

Praktische Bedeutung

Versicherungswesen
Das Gesetz der großen Zahlen hat bei Versicherungen eine große praktische Bedeutung. Es erlaubt eine ungefähre Vorhersage über den künftigen Schadensverlauf. Je größer die Zahl der versicherten Personen, Güter und Sachwerte, die von der gleichen Gefahr bedroht sind, desto geringer ist der Einfluss des Zufalls. Das Gesetz der großen Zahlen kann aber nichts darüber aussagen, wer im einzelnen von einem Schaden getroffen wird. Unvorhersehbare Großereignisse und Trends wie der Klimawandel, die die Berechnungsbasis von Durchschnittswerten verändern, können das Gesetz zumindest teilweise unbrauchbar machen.
Medizin
Beim Wirksamkeitsnachweis von medizinischen Verfahren kann man es nutzen, um Zufallseinflüsse auszuschalten.
Naturwissenschaften
Der Einfluss von (nicht systematischen) Messfehlern kann durch häufige Versuchwiederholungen reduziert werden.

Schwaches Gesetz der großen Zahlen

Man sagt, eine Folge von Zufallsvariablen X_1, X_2, X_3, \dots in \mathcal{L}^1 genüge dem schwachen Gesetz der großen Zahlen, wenn für \overline{X}_n=\tfrac1n \textstyle\sum\limits_{i=1}^{n}(X_i-E ({X}_i)) für alle positiven Zahlen ε gilt:

\lim_{n\rightarrow\infty}\operatorname{P}\left(\left|\overline{X}_n\right|>\varepsilon\right)=0.

Es gibt verschiedene Voraussetzungen, unter denen das schwache Gesetz der großen Zahlen gilt. Es gilt beispielsweise, wenn die Zufallsvariablen X_1, X_2, X_3, \dots endliche Varianzen \sigma_1^2, \sigma_2^2, \sigma_3^2\dots besitzen, die zudem durch eine gemeinsame obere Grenze beschränkt sind, und jeweils paarweise unkorreliert sind, also \operatorname{Cov}(X_i, X_j) = 0 für i\neq j erfüllen.[1]

Das schwache Gesetz der großen Zahlen von Chintschin nennt als Bedingung für die stochastische Konvergenz, dass die Zufallsvariablen einer Folge X_1, X_2, X_3, \dots unabhängig und identisch verteilt sind und einen endlichen Erwartungswert besitzen.[2][3]

Der Beweis der genannten Sätze lässt sich jeweils über die Tschebyschow-Ungleichung führen.

Starkes Gesetz der großen Zahlen

Man sagt, eine Folge von Zufallsvariablen X_1, X_2, X_3, \dots in \mathcal{L}^1 genüge dem starken Gesetz der großen Zahlen, wenn für \overline{X}_n=\tfrac1n \textstyle\sum\limits_{i=1}^{n}(X_i-E ({X}_i)) gilt:

\operatorname{P}\left(\limsup_{n\rightarrow\infty}|\overline{X}_n|=0\right)=1.

Das starke Gesetz der großen Zahlen impliziert das schwache Gesetz der großen Zahlen. Ein starkes Gesetz der großen Zahlen gilt beispielsweise, wenn die Folge unabhängig ist und die Zufallsvariablen identisch verteilt sind. Eine Form des starken Gesetzes der großen Zahlen für abhängige Zufallsvariablen ist der Ergodensatz.

Die Geschichte des starken Gesetzes der großen Zahlen ist lang. Sie hat mit dem Satz von N. Etemadi 1981 bislang einen gewissen Abschluss gefunden.[4] Der Satz von Etemadi zeigt die Gültigkeit des starken Gesetzes der großen Zahlen unter der Annahme, dass die Zufallsvariablen integrierbar sind (also einen endlichen Erwartungswert besitzen), jeweils dieselbe Verteilung haben und je zwei Zufallsvariablen unabhängig sind. Die Existenz einer Varianz wird nicht vorausgesetzt.

Literatur

  • H.-O. Georgii: Stochastik, 2. Auflage, de Gruyter, 2004.
  • R. Durrett: Probability: Theory and Examples, 3rd ed., Duxbury, 2004.
  • K. Mosler, F. Schmid: Wahrscheinlichkeitsrechnung und schließende Statistik, 3. Auflage, Springer, 2008.

Einzelnachweise

  1. H.-O. Georgii: Stochastik, 2. Auflage, de Gruyter, 2004, S. 120 Satz (5.6) Schwaches Gesetz der großen Zahlen, \mathcal L^2-Version.
  2. Marek Fisz: Wahrscheinlichkeitsrechnung und mathematische Statistik. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1989, S 260 Satz 6.11.4 (Chintschin)
  3. H.-O. Georgii: Stochastik, 2. Auflage, de Gruyter, 2004, S. 121 Satz (5.7) Schwaches Gesetz der großen Zahlen, \mathcal L^1-Version.
  4. Zeitschrift für Wahrscheinlichkeitstheorie und Verwandte Gebiete (jetzt: Probability Theory and Related Fields), Band 55(1), S. 119-122, (1981)

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