Gouvernante

Gouvernante
The Governess, dt. Die Gouvernante (Gemälde von Rebecca Solomon, 1851): Die Gouvernante sitzt rechts mit ihrem anvertrauten Kind im England des Viktorianischen Zeitalters.
Ausgestellt in der Royal Academy of Arts, London.

Gouvernante (von lat. gubernare = lenken/leiten) ist eine veraltete Bezeichnung für Hauslehrerin oder Erzieherin. Als Etagen-Gouvernante wird in der Schweiz auch eine Angestellte eines Hotels bezeichnet, welche die Zimmermädchen in ihrer Arbeit anleitet.

Der Beruf der Gouvernante stellte vor allem im 19. Jahrhundert für Frauen aus der gebildeten Mittelschicht eine der wenigen Möglichkeiten dar, einen standesgemäßen Beruf auszuüben. Der Beruf war vor allem in Großbritannien weit verbreitet, wo Gouvernanten auch von Familien der Mittelschicht angestellt wurden. In Deutschland und Frankreich waren es auch im 19. Jahrhundert überwiegend Familien des Großbürgertums und des Adels, die Frauen eine solche Beschäftigung boten. Der Beruf wurde fast ausschließlich von Frauen ergriffen, die nicht verheiratet waren und denen es an finanziellen Mitteln mangelte, anderweitig für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Ihm ging in der Regel keine pädogogische Ausbildung voran. Die Schriftstellerin Anne Brontë, die Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft sowie die spätere Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner übten beispielsweise zeitweilig den Beruf der Gouvernante aus. Zu den aus der Literatur bekannten Gouvernanten zählt Jane Eyre. Nahezu jede Person, die im 19. Jahrhundert über den Beruf der Gouvernante schrieb, hat diesen Beruf als quälend bezeichnet. In Emma lässt Jane Austen eine ihrer Protagonistinnen die Tätigkeit einer Gouvernante mit Sklaverei vergleichen.

Der Begriff wird heutzutage nur noch selten benutzt und hat einen negativen Beiklang bekommen. „Gouvernantenhaft“ wird beispielsweise ein strenger, nicht unbedingt vorteilhaft wirkender Kleidungsstil genannt.

Inhaltsverzeichnis

Quellenlage

Nicht viele Frauen, die als Gouvernanten ihren Lebensunterhalt verdienen mussten, haben eigene Zeugnisse und Quellen zu ihrem Leben hinterlassen. Bei den wenigen, bei denen ihre direkten Lebenszeugnisse der Nachwelt erhalten blieben, handelt es sich überwiegend entweder um Personen, die zu Ruhm gelangten oder mit Personen verwandt waren, die berühmt wurden. So weiß man, dass die Brontë-Schwestern ihre Arbeit als Gouvernanten hassten, ähnlich negativ waren die Erfahrungen von Eliza Bishop und Everina Wollstonecraft, den Schwester von Mary Wollstonecraft. Claire Clairmonts Erfahrungen als Gouvernante in einer russischen Familie kannte auch glückliche Momente. Insgesamt hasste sie es jedoch, ihr Leben mit einer Familie teilen zu müssen, mit der sie nichts gemeinsam hatte.[1] Für Paula Modersohn-Becker war die Ehe mit Otto Modersohn der Ausweg, der verhinderte, dass sie auf einen Beruf zurückgreifen musste, der ihr nicht mehr gestattet hätte, künstlerisch tätig zu sein. Eine Ausnahme stellen Agnes Porter und Nelly Wheeton dar. Agnes Porter arbeitete ausschließlich für die Familie des Earl of Ilchester, deren Wohnsitz im Besitz der Familie blieb. Ihre Tagebücher wurden fast anderthalb Jahrhunderte nach ihrem Tod in einer Schublade entdeckt. Nelly Wheetons Aufzeichnungen wurden auf einem Trödelmarkt entdeckt.[2]

Einblicke in das Leben einer Gouvernante geben häufig Briefe und Tagebücher von Personen, die von ihnen erzogen wurden. Die Lebenssituation von Gouvernanten wurde außerdem häufig in der Presse ihrer Zeit aufgegriffen. Insbesondere in Großbritannien wiesen Zeitungen häufig Kolumnen auf, in denen sie ihren Lesern Rat zu Fragen rund um die Beschäftigung einer Gouvernante boten. Nicht zuletzt gibt auch die Literatur dieser Zeit Einblicke, wie die Rolle einer Gouvernante oder Hauslehrerin wahrgenommen wurde.[3]

Die soziale Situation der Gouvernante

Ludwig XIV. mit seinem Bruder Philippe und der Erzieherin Madame Lansac

Traditionell wurde die Gouvernante in adeligen Haushalten beschäftigt, um die Kleinkinder der Familie zu betreuen oder die Töchter des Hauses zu unterrichten. Typisch für eine Hauslehrerin dieser Familien war ein großer sozialer Abstand zwischen ihr und ihrem Arbeitgeber. Insbesondere die Gouvernanten in hochadeligen Familien entstammten häufig selbst dem Adel. Die Gouvernante der später britischen Königin Victoria war beispielsweise die Baronin Louise Lehzen. Solche Gouvernanten hatten in der Regel zuvor keinen sozialen Umgang mit den Familien gepflegt, die sie beschäftigten, auch wenn sie selbst aus „besseren“ Familien stammte. Ihr sozialer Status in einem solchen Haushalt war klarer, ihnen stand in der Regel auch ausreichend Raum zur Verfügung, um sich wenigstens zeitweilig zurückziehen zu können. Solche Stellen waren häufig außerdem mit Prestige verbunden.

Mit dem Aufstieg der bürgerlichen Klasse ab Ende des 18. Jahrhunderts wurde es zunehmend auch in Familien der britischen Mittelschicht üblich, die Erziehung von Töchtern einer Gouvernante anzuvertrauen. In Jane Austens 1813 veröffentlichten Roman Pride and Prejudice (Stolz und Vorurteil) reagiert Lady Catherine de Bourgh schockiert als Elizabeth Bennet ihr eingesteht, dass in ihrer Familie, zu der fünf Töchter gehören, niemals eine Gouvernante beschäftigt war.[4]

Die Gouvernante lebte in der Regel mit der Familie und die räumliche Enge zwang zu regelmäßiger Begegnung. Die Frauen, die diese Familien in ihrem Haushalt beschäftigten, unterschieden sich häufig nicht mehr in ihrem sozialen Status sondern allein in der Verfügbarkeit finanzieller Mittel. Bei einer britischen Volkszählung im Jahre 1851 bezeichneten sich 25.000 Frauen als Gouvernante. Das entsprach zwei Prozent aller unverheirateten Frauen in einem Alter zwischen 20 und 40 Jahren.[5] Da unverheiratete Frauen der Arbeiterschicht entweder Beschäftigung in Fabriken fanden oder als Hausangestellte arbeiteten, ist die Zahl von zwei Prozent hoch und lässt darauf schließen, dass nahezu jede Frau der Mittelschicht, die ohne anderes Einkommen war, diesen Beruf ergreifen musste.[6] Sir George Stephen schreibt 1844 in einem Handbuch für Gouvernanten:[7]

Emily Shanks: Beim Einstellen einer Gouvernante
Wir müssen zugeben, dass beim [...] Beschreiben des Amtes der Gouvernante sich unser Herz ein wenig zusammenkrampft, wie wir es bei der keiner anderen Aufgabe aktiver Lebensführung erlebt haben. In jeder anderen Beschäftigung findet man die Ermutigung der Hoffnung [...] Der Dienstbote kann Dienstherr werden, der Arbeiter kann zum Arbeitgeber aufsteigen [...] Die Gouvernante und die Gouvernante allein, obwohl doch ein Mitglied der freien Berufen, ist ohne Hoffnung und Erwartungen.

Wesentliches Merkmal einer Dame war, dass sie nicht arbeitete und wesentliche Anforderung an eine Gouvernante war, dass sie aus einer „guten“ Familie stammte, so dass sie ursprünglich den Status einer Dame beansprucht hatte. Ihren Status verlor sie jedoch mit dem Antreten ihrer ersten Stelle. Da sie nun arbeitete, galt sie nicht länger als Dame, sie gehörte aber auch nicht zu den Dienstboten.[8]

In den Zeugnissen, die Gouvernanten hinterlassen haben, beklagen diese häufig den Verlust ihres sozialen Status. Gleichzeitig bot ihnen die Beschäftigung aber auch ein Heim und ein Einkommen, auch wenn letzteres häufig mager war. Mary Wollstonecrafts Schwestern Eliza und Everina verloren mehrfach ihre Stellen als Gouvernanten, nicht zuletzt wegen der notorischen Berühmtheit ihrer Schwestern. Ihr Leben ist häufig von der verzweifelten Suche nach Familien gekennzeichnet, die sie als Gouvernante beschäftigen würden.[9]

Aus Sicht ihrer Arbeitgeber war die Beschäftigung einer Gouvernante Zeichen von Respektabilität, gleichzeitig aber auch in mehrfacher Hinsicht Bedrohung. Ehemänner konnten dem Charme der im Haus lebenden jungen Frauen verfallen, Söhne sich unpassend in sie verlieben. Solche emotionalen Verwicklungen passierten häufiger, sie endeten in der Regel nicht in einer Ehe.[10] Die vielen Stunden, die eine Gouvernante gewöhnlich mit ihren ein oder zwei Zöglingen verbrachte, führte häufig zu einer emotionalen Bindung zwischen Gouvernante und Kindern, die zu Spannungen mit der Mutter führen konnte.[11] Häufig führte dies dazu, dass disziplinarische Maßnahmen der Gouvernante von der Mutter unterminiert wurden.[12] Anna Jameson schrieb zwar in ihren Ratschlägen für Mütter, dass diese sich nicht in die Erziehungsarbeit der Gouvernante einmischen sollte, sondern nur „ermutigen und beobachten“ sollten.[13] Die wenigsten Mütter hielten sich jedoch an solche Empfehlungen und untergruben damit die Autorität der Gouvernante.[14]

Wassilij Grigorjewitsch Perow: Ankunft der Gouvernante in einer Kaufmannsfamilie

Die Gouvernante im Haus stellte jedoch auch eine Bedrohung in weiterer Hinsicht dar. In Großbritannien kamen viele der Gouvernanten aus Pfarrersfamilien, bei denen Ansehen mit begrenzten finanziellen Mitteln einhergingen. Die Brontë-Schwestern sind ein Beispiel für eine solche Familie. Häufig entstammten sie jedoch auch Familien, die auf Grund von Schicksalsschlägen wie Bankzusammenbrüchen oder Firmeninsolvenzen ihr Vermögen verloren hatten. In Großbritannien spielte das Erbrecht ebenfalls eine Rolle. Die Handlung von Janes Austens Roman Pride and Prejudice wird wesentlich davon vorangetrieben, dass das Familiengut ein Fideikommiss ist. Stirbt das männliche Familienoberhaupt, wird das Familiengut an den nächsten männlichen Verwandten fallen, wie entfernt auch immer die Verwandtschaft sein mag. Sicherheit vor dieser drohenden Verarmung bietet nur die Verheiratung der Töchter mit möglichst wohlhabenden Männern. Lady Elizabeth Eastlake kommentierte diese und ähnliche Situationen in einem Artikel in der Quarterly Review mit dem Hinweis, dass es keine andere Gruppe von Angestellten gäbe, die so systematisch durch das Unglück von Familien aufgefüllt würde.[15] In diesem Sinne war die im Haus lebende Gouvernante eine stete Mahnung, was den eigenen Töchtern widerfahren würde, sollte sich die Vermögenslage der Familie drastisch ändern.

Die Gouvernante stellte jedoch noch in einer zweiten Hinsicht eine Anomalie da. Im Viktorianischem Zeitalter war Heirat und Mutterschaft der einzige für Frauen respektierte Lebensweg. Der Sozialphilosoph William Rathbone Greg bezeichnete 1862 unverheiratet gebliebene Frauen als „unvollständige Existenzen“.[16] Insbesondere in der Literatur aus dieser Zeit gibt es zahlreiche Beispiele für die spöttische Verachtung, die diesen Frauen entgegengebracht wurde. Frauen galten gleichzeitig als nicht in der Lage, sich ihr eigenes Einkommen zu verdienen. Gouvernanten waren dafür der sichtbare Gegenbeweis, wie dürftig auch immer ihr Einkommen war.[17]

Ausbildung der Gouvernante

Marian Hubbard Daisy Bell und Elsie May Bell mit ihrer Gouvernante, ca. 1885

Ich weise regelmäßig darauf hin, dass eine Erziehung ohne regelmäßige und stetige Anleitung wirkungslos bleibt und niemand anderes als eine Gouvernante kann diese sicherstellen“ kommentiert Lady Catherine De Bourgh in Jane Austens Roman Pride and Prejudice die Rolle und Aufgabe einer Gouvernante.[18] Frauen wurden jedoch frühestens ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf eine solche Aufgabe vorbereitet. Der Beruf der Gouvernante ging zu diesem Zeitpunkt allmählich in die einer ausgebildeten Erzieherin und Lehrerin über. Paula Becker-Modersohn besuchte beispielsweise auf Druck ihres Vaters ab 1893 ein Lehrerinnenseminar, ihre ältere Schwester hatte denselben Ausbildungsweg gewählt.

In den Jahrzehnten zuvor leitete sich das Recht einer Gouvernante auf Anleitung ihrer vor allem weiblichen Zöglinge allein daraus ab, dass sie selbst einer gutbürgerlichen Familie entstammte und dort eine standesgemäße Erziehung genossen hatte. Diese bestand in der Regel aus Kenntnis einer oder gar mehrerer modernen Fremdsprachen, der Fähigkeit, ein Musikinstrument zu spielen, etwas zeichnen und einem oberflächlichen Unterricht in einer Reihe von Fächern. William Edward Nightingale und seine Frau Fanny beauftragten ab 1827 Sara Christie mit der Erziehung ihrer beiden Töchter Parthenope und Florence. Fanny Nightingale übernahm den religiösen Part ihrer Erziehung und las mit ihren Töchtern täglich vor dem Frühstück die Bibel. Die Zofe der beiden Mädchen war Französin, so dass beide Mädchen gut Französisch sprachen. Sara Christie sollte täglich nicht mehr als zwei oder drei Stunden Unterricht pro Tag geben, den Rest des Tages sollte sie durch „sachkundige Konversation“ die Mädchen beeinflussen.[19] Die Eltern wünschten außerdem, dass sie die Mädchen im Zeichnen und Musizieren anleitete. Dass insbesondere Florence Nightingale zu einer für ihre Zeit ungewöhnlich gebildeten Frau heranwuchs, ist wesentlich darauf zurückzuführen, dass Sara Christie im Frühjahr 1831 die Familie Nightingale verließ. William Nightingale übernahm darauf hin die Erziehung seiner Töchter selbst und unterwies seine Töchter in einer ungewöhnlichen Bandbreite von Fächern. Es seien jedoch nur gute Manieren, Verstand und gute Konversation gewesen, auf die die Erziehung ihres Vaters abgezielt habe, kommentierte Florence Nightingale Jahre später.[20] Dank eines Cousins, der in Cambridge Mathematik studierte und für einige Wochen bei der Familie zu Gast war, begann die mathematisch hochbegabte Florence sich ab Juni 1839 zunehmend mit Mathematik auseinanderzusetzen.[21] Ihre Eltern standen ihrem neuen Interessengebiet skeptisch bis ablehnend gegenüber. Insbesondere ihre Mutter hätte es lieber gesehen, wenn sich ihre Tochter auf in den Augen der Zeitgenossen angemessenere Beschäftigungen für eine Frau konzentriert hätte. Erst nach monatelangem Kampf gaben die Eltern jedoch schließlich nach und stellten einen Tutor für ihre Studien ein.[22]

Junge Frauen, die gezwungen waren, sich eine Beschäftigung als Gouvernante zu suchen, besaßen in der Regel keine solche breite Allgemeinbildung wie Florence Nightingale. Im Buch der Snobs belustigt sich William Thackeray über die mangelhafte Ausbildung von Gouvernanten, die gleichzeitig ihren zukünftigen Arbeitgebern breites Wissen vorspiegeln mussten. Gouvernanten waren einem gesellschaftlichen System unterworfen, dass ihnen nur Halbbildung zubilligte und Halbbildung war in der Regel nicht mehr, als sie weitergeben konnten.[23]

Arbeitsbedingungen

Nelly Weeton und Agnes Porter haben Arbeitsstunden beschrieben, die an sieben Tagen in der Woche morgens um 7 Uhr begannen und abends zwischen 20 und 21 Uhr endeten. Den Tag verbrachten sie fast ausschließlich in der Gesellschaft von Kindern. In den weniger wohlhabenden Familien wurden von Gouvernanten auch erwartet, dass sie abends beim Nähen halfen, wie es beispielsweise Charlotte Brontë widerfuhr.[24] Mary Wollstonecraft und Agnes Porter, die beide für ausgesprochen wohlhabende Familie mit großen Anwesen arbeiteten, konnten sich nach ihrer Arbeit in eigene Räume zurückziehen. Viele Gouvernanten teilten sich jedoch ihr Schlafzimmer mit dem ihrer Zöglinge. Verfügten sie über einen Raum, war dieser in bürgerlichen Haushalten in der Regel sehr klein.[25]

Das Leben einer Gouvernante war in der Regel einsam. Weder mit der Familie noch mit den Hausangestellten auf einer sozialen Ebene, verbrachte sie ihre Abende in der Regel allein. Nelly Weeton berichtet, dass sie abends in dem Raum saß, in dem sie während des Tages ihre Zöglinge unterrichtete.[26] Möglichkeiten zu einem eigenen sozialen Leben waren wegen Zeitmangels auch dann nicht gegeben, wenn Freunde oder die eigene Familie in der Nähe lebten. Eine der wenigen Gelegenheit, anderen Personen zu begegnen, war der wöchentliche Kirchgang.[27]

Arbeitsmarkt

In Großbritannien übertraf zeitweise die Zahl der Frauen, die als Gouvernante arbeiteten wollten bei weitem die verfügbaren Stellen. Dieses Überangebot war zum einen das Resultat einer Reihe von Bankinsolvenzen, in der das Vermögen vieler Familien verschwand. Es lag aber auch an einem Ungleichgewicht zwischen heiratsfähigen und -willigen Männern und Frauen.

Nach der Volkszählung im Jahr 1851 waren von 100 britischen Frauen, die älter als 20 Jahre waren, 57 verheiratet, 13 waren verwitwet und 30 unverheiratet.[28] Die Ursache dafür war vielfältig: Eine große Zahl alleinstehender junger Männer wanderte nach Australien, Nordamerika oder in eine der britischen Kolonien aus, weil sie nicht in der Lage waren, in Großbritannien ein befriedigendes Auskommen zu finden. Wenige alleinstehende Frauen wagten einen ähnlichen Weg, der von der Gesellschaft auch nicht ermutigt wurde. Parallel dazu stieg das Heiratsalter von Männern der Mittelklasse deutlich an. Zwischen 1840 und 1870 lag das Heiratsalter von Geistlichen, Ärzten, Anwälten, Kaufmännern, Bankangestellten und Industriellen bei 30 Jahren.[29] Wie der Zensus von 1851 zeigte, zogen es viele Männer vor, unverheiratet zu bleiben. Von 100 englischen und walisischen Männern im Alter von 35 Jahren waren 18 noch unverheiratet, für 12 galt dies auch im Alter von 50 Jahren.[30] Wesentlicher Grund für diese mangelnde Heiratsbereitschaft waren die hohen Unterhaltskosten für eine Familie. Für 300 Pfund im Jahr konnte ein Mann ein angenehmes Leben führen, dass sich zwischen seiner gemieteten Wohnung und seinem Club abspielte. Ein Ehepaar mit mehreren Kindern, das auf ein geräumiges Haus angewiesen war, konnte sich einen vergleichbaren Lebensstandard noch nicht einmal für das Dreifache dieses Einkommens erlauben.[31]

Das Überangebot an Gouvernanten wirkte sich deutlich auf die Gehälter aus, für die sie gezwungen waren, Stellen anzunehmen. In einer Untersuchung, die George Stephen 1844 durchführte, fand er eine Gouvernante, die ein Jahresgehalt von 300 Pfund erhielt. Mehrere verdienten 200 Pfund im Jahr und eine Reihe bekamen jährlich 80 Pfund gezahlt. Die meisten erhielten jedoch deutlich weniger. Charlotte Brontë arbeitete 1841 für ein Jahresgehalt von 20 Pfund, davon wurden vier Pfund für das Wäschen ihrer Wäsche abgezogen.[32] Harriet Martineau berichtete 1860 von mehreren, ihr bekannten Familien die ihrer Gouvernante zwischen 8 und 12 Pfund jährlich bezahlten.[33]

Das geringe Einkommen bedeutete auch, dass Gouvernanten nur begrenzt in der Lage waren, für ihr Alter oder einen Fall von Erkrankung vorzusorgen. Gouvernanten mussten davon ausgehen, nur bis zu einem Alter von vierzig oder fünfzig Jahren eine Beschäftigung zu finden. Nahezu alle Ratgeber für Gouvernanten legten ihr nahe, rechtzeitig Geld für ihr Alter beiseite zu legen. Wurde sie angemessen bezahlt, war ihr das in der Regel auch möglich. Wie aber eine Untersuchung im Jahre 1841 zeigte, unterstützten zahlreiche Gouvernanten mit ihrem Gehalt bedürftige Elternteile, zahlten die Ausbildung von Geschwistern oder sprangen ihnen in finanziellen Notlagen zur Seite. Viele von ihnen konnten sich vermutlich im Alter oder im Krankheitsfalle auf die Solidarität ihrer Familie verlassen, die Zahl der tragischen Fälle, die im Alter in verzweifelter Armut zurückblieben, ist trotzdem hoch.[34] .

Die Gouvernante in der Literatur

Richard Redgrave, 1844:Die Gouvernante

Die Historikerin Ruth Brandon vertritt die Ansicht, dass die Gouvernante in der Literatur des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts einen so breiten Raum einnimmt, dass sie zum Teil unseres gemeinsamen kulturellen Erbes geworden ist. Die typische Laufbahn einer Gouvernante nahezu vorbestimmt für eine literarische Verarbeitung. Ihr Sturz aus bürgerlichen Lebensumständen und ihre schmale Chance, sich aus diesen Lebensumständen wieder zu befreien und ihr Leben im Haus von Arbeitgebern, mit denen sie einst den sozialen Status geteilt hatte, bot hinreichend Stoff für dramatische Verwicklungen.

Die Gouvernante als Protagonistin einer Handlung spielt eine tragende Rolle unter anderem in Charlotte Brontë Jane Eyre, in Henry James' The Turn of the Screw, William Makepeace Thackerays Jahrmarkt der Eitelkeiten, Anthony Trollopes The Eustace Diamonds, Wilkie Collins' Ohne Namen und Anne Brontës Agnes Grey. In Louisa May Alcotts über viele Jahrzehnte populärem Jugendroman Little Women greift Meg March auf diese Arbeit zurück, als der abwesende Vater, der all sein Geld verloren hat, die Familie in Existenznöte bringt. In Alcotts Roman, der in den Vereinigten Staaten spielt, war die soziale Ausgrenzung einer jungen Frau, die ihr eigenes Auskommen verdienen musste, allerdings nicht so ausgeprägt wie im klassenbewussten Großbritannien des 19. Jahrhunderts. Erst die Bemerkungen einer zu Besuch weilenden englischen Freundin macht die Erfahrung für Meg March zu einer Demütigung.[35]

Literatur

Weblinks

 Commons: Gouvernanten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Brandon, S. 6
  2. Brandon, S. 2
  3. Brandon, S. 1-2
  4. Janes Austen: Pride and Prejudice, Band II, Kapitel 6.
  5. Brandon, S. 1
  6. Brandon, S. 1
  7. Zitiert nach Brandon, S. 5. Im Original lautet das Zitat We must acknowledge that in ... describing the office of governess we have had a sickening feeling at heart, such as we have not experienced in tracing any other department of active life. In every other human pursuit there may be found the encouragement of expectation... The servant may become master, the labourer may rise into an employer... but the governess, and the governess alone, though strictly a member of a liberal profession, has neither hope nor prospect open in this world.
  8. Brandon, S. 6
  9. Brandon, S. 10
  10. Brandon, S. 10
  11. Brandon, S. 10-11
  12. Brandon, S. 11-12
  13. Anna Jameson: Memoirs and Essays, 1846
  14. Brandon, S. 12 und S. 13
  15. Brandon, S. 13
  16. „incomplete existence of [their] own“, zitiert nach Brandon, S. 13
  17. Brandon, S. 14
  18. I always say that nothing is to be done in education without steady and regular instruction, and nobody but a governess can give it. Janes Austen: Pride and Prejudice, Band II, Kapitel 6.
  19. Mark Bostridge: Florence Nightingale. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-140-26392-3, S. 35
  20. Mark Bostridge: Florence Nightingale. Penguin Books, London 2009, ISBN 978-0-140-26392-3, S. 38
  21. Dossey, S. 43–45.
  22. Hugh Small: Florence Nightingale: Avenging Angel. Palgrave Macmillan, 1999, ISBN 0-312-22699-3, S. 7–8
  23. Brandon, S. 14-15
  24. Brandon, S. 15
  25. Brandon, S. 16
  26. Brandon, S. 16
  27. Brandon, S. 17
  28. Brandon, S. 17
  29. Brandon, S. 18
  30. Brandon, S. 18
  31. Brandon, S. 18
  32. Brandon, S. 19
  33. Brandon, S. 19
  34. Brandon, S. 22-23
  35. Brandon, S. 9

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