Grenzkino

Grenzkino
Friedrichstraße Ecke Kochstraße. Mauerbau August 1961. Amerikanische Panzer vor dem Grenzkino "City", in dem der Spielfilm "Im Westen nichts Neues" gezeigt werden sollte
Friedrichstraße Ecke Kochstraße. In diesem Gebäude befand sich früher das Grenzkino "City"

Als Grenzkino bezeichnet man die Kinos im geteilten Berlin, die sich auf West-Berliner Seite der Viersektorenstadt unmittelbar an der Sektorengrenze zu Ost-Berlin befanden. Von Norden nach Süden gesehen, waren das im Französischen Sektor die Bezirke Reinickendorf und Wedding, im Britischen Sektor der Bezirk Tiergarten und im Amerikanischen Sektor die Bezirke Kreuzberg und Neukölln.

Inhaltsverzeichnis

Liste von Grenzkinos

Die meisten Grenzkinos lagen an den wichtigsten Sektorenübergängen von Ost- nach West-Berlin, häufig in unmittelbarer Nähe von S-Bahnhöfen und U-Bahn-Stationen. Hier eine kleine Auswahl:

Französischer Sektor, Bezirk Reinickendorf

  • „Bali“ (1953-1969) mit 264 Sitzplätzen, Provinzstr. 81, direkt am S-Bahn Grenzbahnhof Schönholz

Französischer Sektor, Bezirk Wedding

  • „Polo-Lichtspiele“ (1912-1961) mit 281 Sitzplätzen, Chausseestr. 79, in der Nähe der U-Bahn Grenzstation Reinickendorferstr.
  • Das größte: „Corso“ (1929-1962) mit 1933 Sitzplätzen, besser bekannt unter dem Namen „Lichtburg, Atlantic“, Behmstr. 7-9, direkt am Grenzbahnhof Gesundbrunnen
  • "Vineta Lichtspiele" (1910-1961) mit 200 Sitzplätzen, Vineta-Platz 6, in der Nähe der U-Bahn Grenzstation Voltastr.

Britischer Sektor, Bezirk Tiergarten

  • "Welt-Kino" (1919-1966) mit 1024 Sitzplätzen, Alt-Moabit 99-103, in unmittelbarer Nähe des Lehrter Grenzbahnhofs
  • „Aladin & Camera“ (1948-1961) mit 348 Sitzplätzen, Potsdamerstr. 12, in unmittelbarer Nähe des S-Bahn Grenzbahnhofs Potsdamer Platz

Amerikanischer Sektor, Bezirk Kreuzberg

  • „City“ (1951-1967) mit 281 Sitzplätzen, Friedrichstr. 209. Eine besondere Bedeutung kommt diesem Grenzkino zu, denn es lag ca. 150 m vom Checkpoint Charlie entfernt.

„Selbst an der verödeten Friedrichstraße, dort, wo früher einmal Berlins Vergnügungsmeile gewesen und nun der Checkpoint Charlie war, eröffnete wieder ein Kino: das Tageskino City. Damit auch die Bewohner aus dem angrenzenden Ostsektor zu ihrem Vergnügen kamen, sollten hier die Filme zwischen 10 und 22 Uhr gezeigt werden. Zudem erhielten die Bewohner der Ostzone Tickets zu einem ermäßigten Preis von 25 Pfennigen, was auch in anderen Kreuzberger Kinos üblich wurde. »Wir haben hier über Nacht gebaut«, erzählte der Besitzer, und während am Tag der Eröffnung der »Stern vom Broadway« aufgeführt wurde, waren die Handwerker noch damit beschäftigt, ihr Werkzeug zusammenzuräumen. »Dieses Kino ist ein kleiner, aber erfreulicher Schritt auf dem Wege, der Friedrichstraße etwas von ihrer alten Anziehungskraft zurückzugeben«, schrieb Der Kreuzberg am 5. Januar 1951 noch voller Optimismus. Doch der Stern vom Broadway erlosch schon bald wieder, und bis die geteilte Friedrichstraße ihre alte Anziehungskraft zurückerhielt, mußten noch einmal beinahe 50 Jahre vergehen.“

Werner von Westhafen[1]

  • „Lido“ (1951-1966) mit 521 Sitzplätzen, Schlesische Str. 15, in unmittelbarer Nähe der U-Bahn Grenzstation Schlesisches Tor
  • „Casino“ (1952-1961) mit 391 Sitzplätzen, Schlesische Str. 26, in unmittelbarer Nähe der U-Bahn Grenzstation Schlesisches Tor
  • „WBT-Lichtspiele“ (1942-1961) mit 245 Sitzplätzen, Schlesische Str. 29, in unmittelbarer Nähe der U-Bahn Grenzstation Schlesisches Tor

„Die Schlesische Straße war damals eine Kino-Meile mit regem Grenz-Verkehr von Ost-Berliner Cineasten, die sich westdeutsche Filme anschauen wollten.[2]

Amerikanischer Sektor, Bezirk Neukölln

  • „Filmeck Britz“ (1932-1961) mit 706 Sitzplätzen, Britzer Damm 115, in der Nähe der U-Bahn Grenzstation Blaschkoallee
  • „Orion“ (1953-1961) mit 375 Sitzplätzen, Neuköllnische Allee 52, in der Nähe des S-Bahn Grenzbahnhofs Köllnische Heide

Geschichte

Entstehung

Nach Quellen ehemaliger DDR-Journalisten sollen „Grenzkinos“ seit Juli 1950 „auf Veranlassung der Filmsektion der US-Militärregierung (HiCOG)“ speziell für Ost-Berliner Grenzgänger ausgewählt und mit einem Sonderstatus versehen worden sein. Oscar Martay (1920-1995), der Initiator der Internationalen Filmfestspiele Berlin, war ab 1948 als Film Officer der US-Militärregierung in West-Berlin tätig und hatte maßgeblichen Einfluss auf den Spielbetrieb der West-Berliner Kinos. Ein besonderes Anliegen war ihm neben der Gründung eines internationalen Filmfestivals die Gründung von „Grenzkinos“ an der Ost-Berliner Sektorengrenze. Dort sollten Filme verbilligt besonders für die Ost-Berliner gezeigt werden.[3]

Sonderstatus

Jeder Ost-Berliner durfte bei Vorlage seines Personalausweises zum Eintrittspreis 1:1 (das bedeutet: 1 DM West = 1 DM Ost) ins Kino gehen. Nach der Währungsreform von 1948 lag der Unterschied in der Währung der Deutschen Mark bei 4:1. Eine Ost-Mark hatte demnach nur den Wert von 25 West-Pfennigen. Die Ost-Berliner Grenzgänger tauschten ihr Ostgeld in West-Berliner Wechselstuben und bezahlten ihren Eintritt mit Westgeld. Die Mindereinnahmen wurden durch den Fortfall der Vergnügungssteuer ausgeglichen. Ab 1953 soll es diesen Steuererlass nur für gezeigte Filme gegeben haben, die auf einer von HICOG angelegten Liste standen.

Um den Ost-Berliner Grenzgängern entgegenzukommen, durften die Grenzkinos bereits in den Morgenstunden öffnen und ihr Programm während des gesamten Tages zeigen. (Regelzeiten zum Beispiel ab 9.30, 11.30, 13.30, 15.30, 18.00, 20.15 Uhr) Das Kinoprogramm begann in der Regel mit einer wöchentlichen Zusammenfassung der Weltereignisse aus Politik, Kultur und Sport. Bekannte Beispiele hierfür: Die Neue Deutsche Wochenschau, Blick in die Welt, Fox Tönende Wochenschau, Welt im Bild (ab August 1956: Ufa-Wochenschau). Im Anschluss daran folgte der Spielfilm. Im amerikanischen Sektor wurden vorrangig amerikanische Spielfilme, im britischen Sektor britische und im französischen Sektor französische Spielfilme in deutsch-synchronisierter Fassung angeboten, von denen man wusste, dass sie in den Kinos Ost-Berlins nie bzw. sehr viel später gezeigt werden würden.

Das Aus

Mit dem Bau der Berliner Mauer endete die politische Bedeutung der Grenzkinos. Die „ideologische Beeinflussung“ durch die Kinos soll sogar einer der Gründe für den Mauer gewesen sein.[4] Die Berliner Zeitung schrieb damals:[5]

„Nun ist es aus mit der Menschenfängerei, mit dem Kinderraub, mit der Vergiftung unserer Jugend in den Grenzkinos, mit der 1:4-Korruption und was noch alles zum Frontstadt-Lebenszweck gehörte. Die DDR hat auf Empfehlung ihrer Partner des Warschauer Vertrages das Störzentrum dicht gemacht. Klappe zu – Affe tot, so sagt der Berliner.“

Das führte zu Protesten von Jugendlichen, die nun die Grenzkinos nicht mehr besuchen konnten.[6]

Literatur

  • Peter Dörp: Berliner Mauerbau stoppt Filmvorführung von "Im Westen nichts Neues" im Grenzkino "City" am Checkpoint Charlie, In: 110 Jahre Remarque. 80 Jahre "Im Westen nichts Neues", hg. v. Thomas F. Schneider, Osnabrück 2008. S.33-50. ISBN 978-3-89971-508-8
  • Erika M. Hoerning: Zwischen den Fronten. Berliner Grenzgänger und Grenzhändler 1948 - 1961, Köln, Weimar, Wien 1992. ISBN 978-3412080914

Weblinks

Quellen

  1. Werner von Westhafen: Vom Kintopp zum Pantoffelkino. In: Kreuzberger Chronik. Februar 2002. Ausgabe 34. http://www.kreuzberger-chronik.de/chroniken/2002/februar/geschichte.html
  2. http://www.karreraklub.de/lido/
  3. http://www.berlinale.de/de/archiv/archiv_biografien/Biografie_Martay.html
  4. 13. August. Illustrierte historische Hefte, Nr. 17, deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1979
  5. Berliner Zeitung vom 16. August 1961
  6. Peter Möbius und Helmut Trotnow: Das Mauer-Komplott. In: DIE ZEIT, 9. August 1991, Nr. 33.

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