Grenzwinkel

Grenzwinkel
Totalreflexion

Die Totalreflexion ist ein optisches Phänomen, bei dem elektromagnetische Strahlung an der Grenzfläche zweier Medien nicht gebrochen, sondern vollständig reflektiert wird.

Inhaltsverzeichnis

Physikalische Erklärung

Totalreflexion (rot und gelb): Interne Reflexion beim Auftreffen von Licht vom optisch dichteren auf ein optisch dünneres Medium (Goos-Hänchen-Effekt wird vernachlässigt)

Ein Lichtstrahl, der aus einem optisch dichteren Medium (Brechzahl n1) kommt und auf die Grenzfläche zu einem optisch dünneren Medium (Brechzahl n2) fällt, wird gemäß dem snelliusschen Brechungsgesetz vom Einfallslot weg gebrochen – der Brechungswinkel θ2 ist größer als der Einfallswinkel des Lichts θ1. Dieser Fall entspricht dem grünen Strahlenweg in der nebenstehenden Abbildung.

Vergrößert man den Einfallswinkel θ1, so verläuft der gebrochene Strahl bei einem bestimmten Wert parallel zur Grenzfläche (Gelber Strahlenweg). Dieser Winkel wird Grenzwinkel der Totalreflexion oder auch kritischer Winkel θc genannt. Der Winkel der Totalreflexion lässt sich mithilfe des snelliusschen Brechungsgesetzes berechnen:

\theta_{\mathrm c} = \arcsin\!\left(\frac{n_2}{n_1}\right).

Für Einfallswinkel größer θc müsste der Brechungswinkel gemäß dem snelliusschen Brechungsgesetz größer als 90 Grad werden. Dies steht im Widerspruch zur Voraussetzung, dass der gebrochene Strahl in das optisch dünnere Material übertritt. Die elektromagnetische Welle kann nicht mehr in das optisch dünnere Medium eindringen und wird statt des gebrochenen Strahls vollständig an der Grenzfläche reflektiert (gilt nur für vollständig transparente Materialien, d. h. der Extinktionskoeffizient ist gleich 0, im entsprechenden Wellenlängenbereich). Der Reflexionswinkel (Ausfallswinkel) ist wie bei der „normalen“, externen Reflexion gleich dem Einfallswinkel (roter Strahlenweg). Man spricht daher von einer Totalreflexion.

Abklingende Welle

Die Mechanismen der Totalreflexion sind etwas andere als beispielsweise bei der Reflexion an metallischen Oberflächen. Aus den Maxwell-Gleichungen folgt, dass die elektromagnetische Welle an der Grenzfläche nicht schlagartig ihre Ausbreitungsrichtung ändern kann. Es bildet sich eine stehende Welle auf der Oberfläche aus, die ebenfalls in das nachfolgende, optisch dünnere Material eindringt. Die Feldstärke dieser Welle im nachfolgenden Material nimmt dabei exponentiell ab. Die Eindringtiefe dp (siehe auch London-Gleichung) bezeichnet dabei die Tiefe, bei der die Amplitude der abklingenden (evaneszente) Welle nur noch den 1/e-ten Teil (ca. 37 %) der Ausgangsamplitude besitzt.

Beschreibung der abklingenden Welle:

E(z) = E_0 e^{-\frac{z}{d_p}}

Eindringtiefe:

d_p = \frac{\lambda}{2 \pi n_1 \sqrt{\sin^2 \theta_1 - \left(\frac{n_2}{n_1}\right)^2}}

Eine weitere Besonderheit bei der Totalreflexion ist ein bei Experimenten beobachteter Strahlenversatz der sogenannten Goos-Hänchen-Verschiebung, d. h. der Ausgangspunkt der reflektierten Welle entspricht nicht dem Einfallspunkt der Welle.

Abgeschwächte und verhinderte Totalreflexion

Die physikalische Beschreibung der Totalreflexion macht einige vereinfachende Annahmen. So wird die Reflexion auf zwei unendlich ausgedehnten, dielektrischen Halbräumen (transparente Materialien) betrachtet, was natürlich nicht den realen Vorgängen entspricht. Die gemachten Näherungen sind allerdings für die meisten Fälle ausreichend genau.

Einige Effekte sind damit allerdings nicht erklärbar. Wird beispielsweise infrarotes Licht an einem (infrarot transparenten) Prisma reflektiert, enthält das Spektrum der reflektierten Infrarotstrahlung Absorptionslinien von Kohlendioxid und Wasserdampf. Die abklingende Welle wechselwirkt also mit dem optisch dünneren Medium, wobei bestimmte Strahlungsanteile absorbiert werden können. Außerdem ist der reflektierte Strahl im Vergleich zum einfallenden Strahl leicht gedämpft – die Dämpfung beschränkt sich jedoch auf Absorptionszentren des zweiten Materials (und Nachfolgende). Man spricht daher in diesem Fall von der abgeschwächten Totalreflexion (engl. attentuated total reflection, ATR).

Verhinderte Totalreflexion zwischen zwei nah aneinander liegenden Prismen

Ein anderer Effekt tritt ein, wenn hinter dem optisch dünneren Material ein optisch dichteres Material (Brechzahl gleich oder größer dem des 1. Material) platziert wird. In Abhängigkeit vom Abstand zur Grenzfläche an der die Totalreflexion stattfindet, werden Anteile der abklingenden Welle in das 3. Material transmittiert. Dabei kommt es wiederum zu einer Intensitätsabschwächung der eigentlich totalreflektierten Welle, weshalb man von der verhinderten Totalreflexion (engl. frustrated total internal reflection, FTIR; nicht zu verwechseln mit der Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie) oder auch vom optischen Tunneleffekt spricht. Messbar wird der Effekt erst, wenn der Abstand zwischen 1. und 3. Material nur noch wenige Wellenlängen der einfallenden Welle entspricht.

Totalreflexion in der Natur

Suppenschildkröte mit totalreflektierten Spiegelungen an der Wasseroberfläche

Die Totalreflexion ist Ursache für Naturerscheinungen wie die Fata Morgana oder scheinbar nasse Straßen in der Sommerhitze. Hier entstehen Spiegelbilder durch Totalreflexion zwischen kühlen und heißen Luftschichten. Sobald Licht unter einem flachen Winkel von der kühlen auf die warme Luftschicht trifft, erfolgt die Totalreflexion.

Auch das Funkeln von geschliffenen Diamanten ist der Totalreflexion zuzuschreiben. Wegen der hohen Brechzahl von Diamant kommen Lichtstrahlen zwar leicht in den Edelstein hinein, aber erst nach einer mehr oder minder großen Zahl von Totalreflexionen wieder aus dem Stein hinaus.

Anwendungen der Totalreflexion

Optik

Im Bereich des sichtbaren Lichts ist die Brechzahl in den meisten Materialien größer als von Vakuum. Dies wird in massiven Glasfasern und Umlenkprismen ausgenutzt. Hier tritt die Totalreflexion beim Übergang vom optisch dichteren Medium (Faserkern, Prisma) zur optisch dünneren Umgebung (Beschichtung bzw. Luft) auf. Licht kann so nahezu verlustfrei in eine gewünschte Richtung gelenkt werden. Glasfaserkabel können Informationen in Form des Lichts so bis zu 20.000 Meter weit transportieren, ohne dass eine Verstärkung notwendig wird.

Auch die erwähnten Effekte finden vielfältige Anwendung. So wird die abgeschwächte Totalreflexion seit gut 20–30 Jahren in vielen Bereichen der Infrarot-Spektroskopie (ATR-IR-Spektroskopie) eingesetzt. Durch die geringe Eindringtiefe lassen sich so auch dünne und stark absorbierende Materialien, wie wässrige Lösungen, untersuchen. Störende Interferenzen, wie sie bei der Transmissionsmessung von dünnen Schichten zu beobachten sind, treten dabei nicht auf. Ein ähnlicher Vorteil ergibt sich in der Fluoreszenz-Mikroskopie und dabei speziell bei der TIRF-Mikroskopie. Dort bewirkt die geringe Eindringtiefe, dass deutlich weniger Material zum Fluoreszieren angeregt wird, was einen höheren Kontrast zur Folge hat. Weiterhin wird das zumeist empfindliche organische Material weniger schnell zerstört.

Die verhinderte Totalreflexion findet Anwendung in Strahlteilern, beispielsweise in der Holografie oder als optische Weiche bei der Übertragung mittels Lichtwellenleiter.

Röntgenstrahlung

Die meisten Materialien sind für Röntgenstrahlung transparent, das heißt, der Extinktionskoeffizient k besitzt in der Regel einen Wert kleiner 10−6 (Es gibt aber auch hier zwischen den Materialien Unterschiede von mehreren Größenordnungen bis zu 10−14). Ebenfalls liegt der Realteil der Brechzahl n leicht unterhalb von 1 (Vakuum); im optischen Bereich liegt dieser fast immer deutlich über 1. Da sich die Werte meist erst nach der siebenten Nachkommastelle unterscheiden (also 0,999999(x)), wird in diesem Bereich häufig für die Darstellung der der komplexen Brechzahl

N = n + ik

eine andere Darstellung gewählt

n = 1 − δ − ik

auch

n = 1 − δ − iβ

mit

n = 1 − δ
k = − β

Typische Werte für δ liegen im Bereich zwischen 10−6 und 10−5 und sind abhängig von der Quantenenergie der Strahlung, der Ordnungszahl und der Dichte des Mediums.

Damit ist es möglich im streifenden Einfall (θ gegen 90°) eine äußere Totalreflexion beim Übergang vom Vakuum zur Materie (also von „optisch“ dichteren zum „optisch“ dünneren Medium) zu erreichen. Ausgenutzt wird die Totalreflexion von Röntgenstrahlung in der Röntgenoptik, beispielsweise beruhen Kapillaroptiken auf diesem Prinzip.

Funkwellen

Funkwellen lassen sich mit Hilfe von Totalreflexion an der Ionosphäre um die gesamte Erde übertragen. Dies ermöglichte eine weltumspannende Funkkommunikation auch schon zu Zeiten, als es noch keine Kommunikationssatelliten gab.

Weblinks

Siehe auch

Portal
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