Gruppenfreistellungsverordnung

Gruppenfreistellungsverordnung

Eine Gruppenfreistellungsverordnung ist eine Verordnung im Sinne von Art. 288 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag) und ist als solche Bestandteil des – sekundären – europäischen Gemeinschaftsrechts.

Durch eine Gruppenfreistellungsverordnung werden bestimmte Gruppen von wettbewerbsbeschränkenden

  • Vereinbarungen zwischen Unternehmen,
  • Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen oder
  • abgestimmten Verhaltensweisen von Unternehmen und/oder Unternehmensvereinigungen

unter bestimmten, in der Verordnung weiter bestimmten Voraussetzungen vom grundsätzlichen Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen (Kartellverbot) aus Artikel 101 AEU-Vertrag (ehemals Art. 81 EG-Vertrag) ausgenommen. Die Gruppenfreistellungsverordnung konkretisiert dabei für die betroffene Gruppe verbindlich die in Art. 101 Absatz 3 AEU-Vertrag enthaltenen, sehr allgemeinen gehaltenen Voraussetzungen, unter denen eine wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung oder Verhaltensweise vom Kartellverbot ausgenommen ist. Gruppenfreistellungsverordnungen sind insofern Bestandteil des europäischen Wettbewerbsrechts.

Inhaltsverzeichnis

Anwendungsbereich

Gruppenfreistellungsverordnungen sind grundsätzlich nur für wettbewerbsbeschränkende Praktiken von Bedeutung, die unter das europäische Kartellverbot aus Artikel 101 AEUV (ehemaliger Artikel 81 EG-Vertrag) fallen. Gruppenfreistellungsverordnungen gelten daher grundsätzlich nur für

Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken.

Darüber hinaus enthalten die einzelnen Gruppenfreistellungsverordnungen weitere Beschränkungen ihres individuellen Anwendungsbereichs. So gilt beispielsweise die Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Vereinbarungen nur für

Vereinbarungen oder Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung dieser Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig ist, und die die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können.

Das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nimmt in § 2 Abs. 2 GWB direkt auf die Gruppenfreistellungsverordnungen Bezug, so dass die Freistellungsverordnungen auch für rein deutsche Sachverhalte entsprechende Anwendung finden.

In Österreich ermöglicht § 3 Kartellgesetz die Erlassung von Gruppenfreistellungsverordnungen, um Gruppen von Kartellen vom Kartellverbot auszunehmen; dabei kann auf die jeweils geltende Fassung einer Verordnung des Gemeinschaftsrechts verwiesen werden. In Österreich wurde eine solche Verordnung aber noch nicht erlassen.[1]

Aufbauprinzipien

Moderne Gruppenfreistellungsverordnungen bestehen üblicherweise aus

  • einer genauen Beschreibung derjenigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen, die unter die Verordnung fallen,
  • den Voraussetzungen, unter denen derartige Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen vom Kartellverbot ausgenommen sein sollen. Dazu gehört grundsätzlich eine Marktanteilsschwelle. Überschreiten die beteiligten Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen diese Marktanteilsschwelle, so ist die Gruppenfreistellungsverordnung in diesem Fall nicht mehr anwendbar.
  • einer Liste von Hardcore-Wettbewerbsbeschränkungen, die in keinem Fall in den Genuss der Freistellung vom Kartellverbot nach der Gruppenfreistellungsverordnung kommen (sog. "Black List"),
  • der Befugnis der Europäischen Kommission, den beteiligten Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen die Freistellung im Einzelfall zu entziehen.

Wirkungen

Wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen, die in den Anwendungsbereich der Gruppenfreistellungsverordnung fallen und alle Freistellungsvoraussetzungen erfüllen, sind vom Kartellverbot aus Artikel 101 AEU-Vertrag ausgenommen. Sie sind insbesondere nicht nach Artikel 101 Absatz 2 AEU-Vertrag unwirksam und können auch nicht mit Bußgeld geahndet werden.

Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen, die nicht unter eine Gruppenfreistellungsverordnung fallen, weil sie etwa schon nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, oder zwar in ihren Anwendungsbereich fallen, aber die Freistellungsvoraussetzungen nicht erfüllen, sind deshalb aber nicht automatisch nach Artikel 101 AEU-Vertrag verboten. In solchen Fällen muss vielmehr im Einzelfall geprüft werden, ob die Verbotsvoraussetzungen aus Artikel 101 Abs. 1 AEU-Vertrag erfüllt sind und ob die allgemeinen Voraussetzungen aus Art. 101 Abs. 3 AEU-Vertrag, unter denen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen vom Kartellverbot ausgenommen sind, gegeben sind.

Es ist grundsätzlich Aufgabe der Unternehmen zu überprüfen, ob eine Verhaltensweise durch Art. 101 Abs. 3 AEU oder eine Gruppenfreistellung gerechtfertigt ist. Nach Art. 10 VO 1/2003 kann die Kommission von Amts wegen jedoch die Nichtanwendbarkeit des Art. 101 AEU (ehemals Art. 81 EG-Vertrag) aus Gründen des öffentlichen Interesses feststellen. Diese Feststellung hat jedoch nur deklaratorischen Charakter und entfaltet weder bezüglich der Kommission noch nationaler Wettbewerbsbehörden Bindungswirkung.

Eventuell kann ein Unternehmen jedoch von der Möglichkeit eines Beratungsschreibens Gebrauch machen. Die Voraussetzungen eines solchen Schreibens, die die Kommission im Amtsblatt unter C 101/78 veröffentlicht hat, sind jedoch sehr eng gefasst. Ferner entfaltet auch dieses Schreiben keine Bindungswirkung.

In Einzelfällen kann die Kommission nach Art. 29 der VO 1/2003 die Vorteile einer Gruppenfreistellung entziehen, sofern die Vereinbarung Wirkung entfaltet, die mit Art. 81 III EG unvereinbar ist.

Vorhandene Verordnungen (unvollständig)

In einigen Fällen hat die Europäische Kommission zu den Gruppenfreistellungsverordnungen Bekanntmachungen veröffentlicht, die Leitlinien und Interpretationshilfen für die Anwendung der zugehörigen Gruppenfreistellungsverordnungen enthalten.

Einzelnachweise

  1. Walter Brugger: Braucht Österreich eine Verordnung nach § 3 KartG? in OZK 2009, 3

Literatur

Weblinks

Siehe auch

Kartellverbot, Kartellrecht, Europäische Kommission, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Bundeskartellamt

Rechtshinweis Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Ausschließlichkeitsbindung — Die Ausschließlichkeitsbindung (AB) ist die Verpflichtung eines Vertragsbeteiligten keine anderen Waren von Dritten zu beziehen (Alleinbezugsbindung des Händlers) oder an Dritte abzugeben (Alleinabsatzbindung des Lieferanten). Die AB war bis zum… …   Deutsch Wikipedia

  • Gvo — kann folgendes bezeichnen Gentechnisch veränderter Organismus Geschäftsvorfall (im Bankwesen) Gruppenfreistellungsverordnung (im europäischen Wettbewerbsrecht) Grundstücksverkehrsordnung Gerichtsvollzieherordnung GVO Oldenburg Sportverein GVO… …   Deutsch Wikipedia

  • Abkürzungen/Gesetze und Recht — Eine Liste von Abkürzungen aus der Rechtssprache. Inhaltsverzeichnis A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z A …   Deutsch Wikipedia

  • Antitrust — Kartellrecht ist ein Teil des Wirtschaftsrechts. Im engeren Sinne besteht Kartellrecht aus den Regelungen bezüglich wirtschaftlicher Kartelle, die zwischen Unternehmen und sonstigen Marktakteuren getroffen werden. Im weiteren Sinne umfasst… …   Deutsch Wikipedia

  • Antitrustgesetzgebung — Kartellrecht ist ein Teil des Wirtschaftsrechts. Im engeren Sinne besteht Kartellrecht aus den Regelungen bezüglich wirtschaftlicher Kartelle, die zwischen Unternehmen und sonstigen Marktakteuren getroffen werden. Im weiteren Sinne umfasst… …   Deutsch Wikipedia

  • Cee'd — Kia Kia cee d als Fünftürer cee d Hersteller: Kia Motors Produktionszeitraum: seit 12/2006 …   Deutsch Wikipedia

  • Fahrzeugdiagnose — beschreibt in Anlehnung an den medizinischen Begriff Diagnose die genaue Zuordnung von Befunden zu Fehlern an elektrischen und elektronischen Komponenten an Automobilen. Unter dem Begriff Fahrzeugdiagnose sind eine Reihe von technischen Verfahren …   Deutsch Wikipedia

  • Fahrzeugdiagnosesystem — Fahrzeugdiagnosesysteme sind Anwendungen, die während der kompletten Lebensdauer von Steuergeräten in Fahrzeugen verwendet werden, um diese zu diagnostizieren. Die Lebensdauer umfasst die Entwicklung, die Produktion sowie später den Service der… …   Deutsch Wikipedia

  • GVO — kann folgendes bezeichnen: Gentechnisch veränderter Organismus Geschäftsvorfall (im Bankwesen) Gruppenfreistellungsverordnung (im europäischen Wettbewerbsrecht) Grundstücksverkehrsordnung Gerichtsvollzieherordnung GVO Oldenburg Sportverein GVO… …   Deutsch Wikipedia

  • Kia Cee'd — Kia Kia cee d als Fünftürer cee d Hersteller: Kia Motors Produktionszeitraum: seit 12/2006 …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”