Gräberfeld von Warna

Gräberfeld von Warna
Grab Nr. 43 in Warna mit einigen Stücken des ältesten Goldschmucks der Menschheit

Das Gräberfeld von Warna (bulgarisch Варненски некропол/Warnenski nekropol) ist ein Gräberfeld aus der Kupfersteinzeit im Westen der bulgarischen Stadt Warna, in dem das älteste bisher entdeckte bearbeitete Gold gefunden wurde. Das Gräberfeld von Warna ist eine der wichtigsten archäologischen Fundstätten der Vorgeschichte.

Inhaltsverzeichnis

Lage

Die Fundstätte befindet sich 5 km vom Zentrum der Stadt Warna entfernt auf einer nach Süden leicht abfallenden Terrasse am Nordufer des Warnasees.

Entdeckung und Ausgrabungen

Im Oktober 1972 entdeckte der Baggerfahrer Raitscho Marinow das Gräberfeld bei Ausschachtungsarbeiten für einen Kabelgraben im westlichen Industriegebiet von Warna. Die wissenschaftlichen Ausgrabungen wurden von 1972 bis 1976 unter der Leitung von Michail Lasarow und von 1976 bis 1991 unter der Leitung von Iwan Iwanow vom Archäologischen Museum Warna durchgeführt. Auf einem Gebiet von etwa 7.500 m² wurden die Spuren von 294 Einzelgräbern gefunden. Über 30 % des Bodendenkmals sind noch nicht ergraben worden. Viele Grabgruben enthielten Zeugnisse hochentwickelten metallurgischen Werkens (Gold und Kupfer), Keramik (etwa 600 Stücke, darunter zwei Gefäße mit geometrischen, streng stilisierten und mit Goldfarbe ausgemalten Symbolen aus Grab Nr. 4), sowie hochwertige Feuerstein- und Obsidianklingen, Perlen und Muscheln. Über 3000 Schmuckstücke aus sehr reinem Gold (23–23,5 Karat) mit einem Gesamtgewicht von ca. 6 kg zeugen von großer technischer und handwerklicher Begabung der Künstler. Unter den Grabbefunden sind Arm- und Stirnreifen, Halsketten und massive Zierenden von Zepterstäben sowie zahlreiche Besatzstücke von Gewändern aus Goldblech, die teilweise Tiergestalt haben.

Chronologie

Die Gräber wurden 2004 mittels AMS-Radiokohlenstoffdatierung auf 4600 - 4200 v. Chr. (spätes Äneolithikum) datiert[1] und gehören zur Warna-Kultur,[1] der lokalen Variante der Gumelnitza-Karanowo VI-Kodjadermen-Kultur.

Beschreibung

Es wurden sowohl Skelette in Hockerlage als auch in gestreckter Rückenlage in den Grabgruben gefunden. Bei 57 Gräbern handelte es sich um symbolische Bestattungen (Kenotaph), sie enthielten keine Skelettreste, sondern nur Grabbeigaben. In den symbolischen Gräbern wurden die meisten Artefakte gefunden. Die Fundstücke belegen, dass die Warna-Kultur Handelsbeziehungen mit weit entfernten Gebieten, möglicherweise bis zur unteren Wolga und den Kykladen unterhielt. Als Handelsgut diente Salz aus dem Salzbergwerk Prowadija. Das Kupfererz in den Artefakten stammt aus den Lagerstätten von Ai-Bunar nördlich von Stara Sagora. Schalen von Spondylus-Muscheln, die in den Gräbern gefunden wurden, könnten als einfache Währung gedient haben.

Die Warna-Kultur deutet auf ausgeprägte religiöse Vorstellungen vom Leben nach dem Tod und entwickelte hierarchische Machtstrukturen. Das Ende des 5. Jahrtausends v. Chr. wird von Marija Gimbutas als der Beginn des Übergangs zu patriarchalischen Sozialstrukturen in Europa angesehen. Das Gräberfeld von Warna enthält die ältesten bekannten Hinweise auf eine patriarchisch geprägte Oberschicht.

Das Gold von Warna

Goldobjekte aus dem Gräberfeld von Warna

Grab Nr. 43 enthielt das Skelett eines etwa 1,70 m großen, vierzig- bis fünfzigjährigen Mannes umgeben von 990 Goldobjekten mit einem Gesamtgewicht von 1516 g, sowie Kupferwerkzeug, Knochenschmuck, Spondylus und Tongefäße. Seine Kleidung war mit zahlreichen Applikationen aus Gold versehen. Der als Clanchef oder Priester anzusehende Mann wurde mit einem Goldzepter begraben, das mit den abgestumpften Spitzen und dem vergoldeten Schaft einer Streitaxt ähnelt. Er trug einen goldenen Penisaufsatz. In Grab 43 wurde mehr Gold als im gesamten Rest der Welt aus dieser Epoche gefunden, u. a. ein Unikat; eine Goldkette mit doppelkonischen Perlen.

Im Boden des ovalen Grubengrabes Nr. 1 befand sich eine Vertiefung, die mit einer Ockerschicht bedeckt war. Zu den Beigaben der symbolischen Bestattung gehörten insgesamt 216 Goldobjekte mit einem Gesamtgewicht von 1092 g sowie Armreife und Zierteile aus Goldblech und zahlreiche Goldperlen, verschiedene Kupferwerkzeuge und eine stilisierte menschliche Figur aus Bein.[2][3] Eine in Grab Nr. 3 gefundene Kette aus goldenen, kurzzylinderförmigen Perlen kann als der früheste Goldschmuck angesehen werden. Drei symbolische Gräber (Grab Nr. 2, 3, und 15) enthielten Masken aus nur schwach gebranntem Ton mit goldenen Dekorationen.[4] Sie wurden anhand ihrer Ausstattung als symbolische Frauenbestattungen interpretiert.[3]

Die Anfänge einer neuen europäischen Zivilisation

Marija Gimbutas vertritt die Auffassung, „dass die Diskontinuität der Warna-, Karanowo-, Vinča- und der Lengyel-Kulturen in ihren Hauptsiedlungsgebieten und die großen Bevölkerungsverschiebungen in den Norden und Nordwesten indirekte Beweise für eine Katastrophe eines solch gewaltigen Ausmaßes sind, dass diese nicht durch eventuelle klimatischen Veränderungen, Bodenerschöpfungen oder Epidemien erklärt werden können, für die es für die zweite Hälfte des 5. Jahrtausends v. Chr. keine Beweise gibt. Direkte Beweise wurden jedoch für eine Invasion von Reiterkriegern gefunden, nicht nur durch die Funde von Hügelgräbern, die für einen einzigen Mann angelegt waren, sondern weil zu diesem Zeitpunkt ein „ganzer Komplex“ von kulturellen Merkmalen hervortrat, der für die Entwicklung der Kurgankultur charakteristisch war.“[5]

Laut John Chapman[6] „wurde vor nicht allzu langer Zeit allgemein anerkannt, dass Steppennomaden aus dem nördlichen Pontusgebiet durch eine Invasion auf dem Balkan der hochentwickelten Gesellschaft der Kupferzeit ein Ende setzten, die ihre Siedlungen auf Tells (Siedlungshügeln) erbauten, eine autonome Kupfermetallurgie besaßen und als großartigsten Höhepunkt das Gräberfeld von Warna mit seinen atemberaubenden frühen Kunstzeugnissen aus Gold schufen. Jetzt sind die Auffassungen komplett verändert und es ist der Warnakomplex und die dazugehörigen Gemeinschaften, die für das Aufkommen der von extrem reichen Grabbeigaben gekennzeichneten Bestattungsriten als Folge der Ausbreitung des Ackerbaus verantwortlich gehalten werden.“

Museen, Ausstellungen

Das Gold von Warna

Die Artefakte sind im Archäologischen Museum Warna und im Nationalen Historischen Museum in Sofia ausgestellt. 2006 wurden einige Goldobjekte in einer großen nationalen Ausstellung antiker Goldschätze in Sofia und Warna gezeigt. Die Ausstellungstour „Das Gold von Warna“ begann im Jahr 1973. Sie wurde, integriert in die nationale Ausstellung „Das Gold der thrakischen Reiter“, in den 1970er Jahren in vielen weltweit führenden Museen und Ausstellungen gezeigt. 1982 erzielte sie in Japan 7 Monate lang unter dem Titel „Das älteste Gold der Welt - Die erste europäische Zivilisation“ große Publizität, zwei TV-Dokumentationen entstanden in der Folge. In den 1980er und 1990er Jahren wurden Goldobjekte aus Warna unter anderem auch in Kanada, Deutschland, Frankreich, Italien und Israel ausgestellt. Das National Geographic Magazine brachte im Dezember 2006 eine umstrittene Titelstory über den „Goldrausch in Bulgarien“.[7]

Literatur

  • Alexandar Fol, Jan Lichardus (Hrsg.): Macht, Herrschaft und Gold: Das Gräberfeld von Varna (Bulgarien) und die Anfänge einer neuen europäischen Zivilisation. Stiftung Saarländischer Kulturbesitz 1990, ISBN 3925303391.
  • John Chapman: Social inequality on Bulgarian tells and the Varna problem, In Ross Samson (Hrsg.): The social archaeology of houses, Edinburgh University Press, Edinburgh 1990.
  • John Chapman: The creation of social arenas in Varna. In Paul Garwood (Hrsg.): Sacred and profane. Oxford University Committee for Archaeology, 1991.
  • Brian Hayden: An Archaeological Evaluation of the Gimbutas Paradigm. In: The Virtual Pomegranate, Ausgabe 6, 1998.
  • Tom Higham, B. Gaidarska, Vladimir Slavchev: The first AMS dates for the Varna cemetery. Antiquity 2004.
  • Raiko Krauß: Karanovo und das südosteuropäische Chronologiesystem aus heutiger Sicht. Eurasia Antiqua 14, 2008, 115-147.
  • Iwan Marazow: The Blacksmith as 'King' in the Necropolis of Varna. In: Joan Marler (Hrsg.): From the Realm of the Ancestors. 1997.
  • Joan Marler: A Response to Brian Hayden's article "An Archaeological Evaluation of the Gimbutas Paradigm. In The Virtual Pomegranate, Ausgabe 10, 1999.
  • Iwan Iwanow: Die Schätze der Warnaer chalkolithischen Nekropole / Treasures of the Varna chalcolith necropolis. Dreisprachige Ausgabe: Bulgarisch, Englisch und Deutsch. Warna 1978.
  • Vladimir Slavchev: Fragmentation research and the Varna Eneolithic Cemetery Spondylus rings'. In: Proceedings of the Varna Round Table, 2004.
  • Henrieta Todorova, Ivan Vajsov: Der kupferzeitliche Schmuck Bulgariens. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 978-3-515-07616-6.
  • Babette Wiedmann: Untersuchungen zur Gesellschaftsstruktur im Gräberfeld von Varna (Bulgarien) und in der KGK VI-Kultur. Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg 2002.
  • Jan Lichardus: Das Gräberfeld von Varna im Rahmen des Totenrituals des Kodzadermen-Gumelnita-Karanovo VI-Komplexes. In: Jan Lichardus (Hrsg.): Die Kupferzeit als historische Epoche I-II. Symposium Saarbrücken und Otzenhausen 6.-13. November 1988. Saarbrücken 1991.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Tom Higham et al.:New perspectives on the Varna cemetery (Bulgaria) – AMS dates and social implications. In: Antiquity Journal. Bd. 81, Nr. 313, York 2007, S. 640–654
  2. Sonderausstellung: Die alten Zivilisationen Bulgariens - Das Gold der Thraker, Antikenmuseum Basel und Sammlung Ludwig, 2007.
  3. a b Albert Schmitz: Typologische, chronologische und paläometallurgische Untersuchungen zu den frühkupferzeitlichen Kupferflachbeilen und Kupfermeißeln in Alteuropa Dissertation, Universität des Saarlandes, Saarbrücken 2004 S. 43
  4. Wonderland Bulgaria, Bulgaria's Thracian Heritage Foto einer Maske aus Ton mit goldenen Dekorationen (englisch)
  5. Marija Gimbutas: The Civilization of the Goddess. Harper, San Francisco 1991, ISBN 0-06-250337-5.
  6. John Chapman: Book Rewiew, Blagoje Govedarica: Zepterträger: Herrscher der Steppen. Die frühen Ockergräber des älteren Äneolithikums im karpatenbalkanischen Gebiet und in Steppenraum Südost- und Osteuropas. Balkankommission der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Internationale Interakademische Kommission für die Erforschung des Vorgeschichte des Balkans. Monographien Bd. 6. Philipp von Zabern, Mainz 2004, ISBN 3-8053-3365-X.
  7. A. R. Williams: „Bulgaria’s Gold Rush“ In: National Geographic Deutschland, Dezember 2006 (englisch)
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