- Kurgankultur
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Prähistorische Kulturen Russlands[1] Mittelsteinzeit Kunda-Kultur 7400–6000 v. Chr. Jungsteinzeit Bug-Dnister-Kultur 6500–5000 v. Chr. Katakombengrab-Kultur Dnepr-Don-Kultur 5000–4000 v. Chr. Sredny-Stog-Kultur 4500–3500 v. Chr. Jekaterininka-Kultur 4300–3700 v. Chr. Fatjanowokultur um 2500 v. Chr. Kupfersteinzeit Nordkaspische Kultur Kurgankultur 5000–3000 v. Chr. Samara-Kultur um 5000 v. Chr. Chwalynsk-Kultur 5000–4500 v. Chr. Botai-Kultur 3700–3100 v. Chr. Jamnaja-Kultur 3600–2300 v. Chr. Afanassjewo-Kultur 3500–2500 v. Chr. Usatovo-Kultur 3300–3200 v. Chr. Glaskowo-Kultur 3200–2400 v. Chr. Bronzezeit Poltavka-Kultur 2700–2100 v. Chr. Potapovka-Kultur 2500–2000 v. Chr. Sintashta-Kultur 2100–1800 v. Chr. Okunew-Kultur um 2000 v. Chr. Samus-Kultur um 2000 v. Chr. Andronowo-Kultur 2000–1200 v. Chr. Abaschewo-Kultur 1800–1600 v. Chr. Susgun-Kultur um 1700 v. Chr. Srubna-Kultur 1600–1200 v. Chr. Kolchis-Kultur 1700–600 v. Chr. Begasy-Dandybai-Kultur um 1300 v. Chr. Karassuk-Kultur um 1200 v. Chr. Ust-Mil-Kultur um 1200–500 v. Chr. Koban-Kultur 1200–400 v. Chr. Irmen-Kultur 1200–400 v. Chr. Spätirmen-Kultur um 1000 v. Chr. Aldy-Bel-Kultur 900–700 v. Chr. Eisenzeit Baitowo-Kultur Tagar-Kultur 900–300 v. Chr. Nosilowo-Gruppe 900–600 v. Chr. Ananino-Kultur 800–300 v. Chr. Tasmola-Kultur 700–300 v. Chr. Gorochowo-Kultur 600–200 v. Chr. Sagly-Baschi-Kultur 500–300 v. Chr. Jessik-Beschsatyr-Kultur 500–300 v. Chr. Pasyryk-Stufe 500–300 v. Chr. Sargat-Kultur 500 v. Chr.–400 n. Chr. Kulaika-Kultur 400 v. Chr.–400 n. Chr. Tes-Stufe 300 v. Chr.–100 n. Chr. Schurmak-Kultur 200 v. Chr.–200 n. Chr. Taschtyk-Kultur 100–600 n. Chr. Tschernjachow-Kultur 200–500 n. Chr. Als Kurgankultur (nach russisch курга́н Kurgán = Hügel, Grabhügel; auch Maikop-Kultur genannt) werden verschiedene neolithische und kupferzeitliche Kulturen Ost- und Mitteleuropas zusammengefasst, deren Gemeinsamkeit in Bestattungen unter großen, aus Erde oder Steinen aufgeschütteten Grabhügeln besteht. Der in den 1950er Jahren durch die Archäologin Marija Gimbutas geprägte Begriff bezog sich zunächst auf die Diskussion einer indogermanischen Urheimat der europäischen Sprachen. Später verband Gimbutas die Hypothese der ethnischen Einheitlichkeit dieser Kulturen zunehmend mit Vorstellungen zur Einführung patriarchaler Strukturen in Europa.[2]
Der Oberbegriff Kurgankultur wird im archäologischen und sprachwissenschaftlichen Diskurs bis heute verwendet, die Bedeutungsinhalte der Kurgan-Hypothese von M. Gimbutas spielen dabei jedoch keine Rolle mehr (vgl. Abschnitt Kritik an der Kurgantheorie).
Inhaltsverzeichnis
Überblick
Die litauisch-amerikanische Archäologin Marija Gimbutas führte 1956 die Bezeichnung „Kurgantradition“ als Oberbegriff für die halbnomadischen, runde Hügelgräber bauenden Völker ein, nach ihrem auffälligsten Merkmal, den riesigen Kurganen (nach russ.-tatar. kurgán „Grabhügel“), in denen eine ausgewählte Gruppe von Toten mit zahlreichen Grabbeigaben bestattet wurden. Diese Kulturen werden gewöhnlich als „Ockergrabkultur“ und Grubengrabkultur (Jamnaja) bezeichnet, was Gimbutas nicht prägnant genug erschien. Die Ockergrab- bzw. Kurgankultur ist gekennzeichnet durch Einzelbestattung in Grabgruben (später Holzkammern), über die ein Grabhügel (Kurgan) aufgeworfen wurde. Die Gräber enthalten Einstreuungen von Ocker. Da solche Gräber, die für Steppenvölker typisch sind, auch in Mittel- und Südosteuropa auftauchen, werden sie von Gimbutas zum Beweis ihrer Kurgan-Hypothese herangezogen. In einer Reihe von Gräbern, zuerst bei der Maikop- und Novotitarovskaja-Kultur, fanden sich Wagen als Beigaben sowie Äxte aus Stein oder Kupfer. In der Kuban-Kultur am Nordostrand des Schwarzen Meeres wurden Megalithanlagen errichtet. Die Skelette in den späteren Erdgräbern lagen entweder ausgestreckt oder in Hockerhaltung auf dem Rücken.
Von vielen Archäologen werden Begriffe wie „Kurganvolk“ und „Kurgankultur“ jedoch abgelehnt, da sie nach ihrer Meinung den kulturellen Verschiedenheiten und Entwicklungen innerhalb eines weiträumigen Gebietes während einer Dauer von rund 2000 Jahren nicht gerecht werden und einen so nicht bestehenden Kontext suggerieren.
Der Begriff „Kurganhypothese“ bezeichnet die Vorstellung dieser Region als Urheimat der Sprecher der gemein-indogermanischen Grundsprache. Diese Hypothese, umstritten wie alle anderen, wird jedoch von zahlreichen Prähistorikern und Sprachwissenschaftlern positiv beurteilt.
Entstehung nach Gimbutas
Die sogenannte Kurgankultur entstand vom 5. bis 3. vorchristlichen Jahrtausend während der Austrocknung der Steppengebiete in Südrussland, die sich damals zwischen Dnepr, Siwerskyj Donez, Don und Wolga nördlich über das Kaspische Meer hinaus bis zum Ural erstreckten. Durch Trockensteppebildung, östlich des Kaspischen Meeres auch Wüstenbildung und die daraus resultierenden Hungersnöte waren die Kurganleute zu Wanderungen in westlichere, regenreichere Gebiete gezwungen. Von diesem Zeitpunkt an, als die Völker nördlich des Schwarzen Meeres unterworfen bzw. verdrängt waren, also etwa ab 4.500 v. Chr, werden die vermuteten halbnomadischen Eroberer von Gimbutas als „Kurganvölker“ bezeichnet.
Lebensweise
Die Kurgankultur steht nach Gimbutas im Gegensatz zur Gesellschaft des sogenannten Alten Europas, also der neolithischen und äneolithischen Kulturen Europas, die friedfertig, sesshaft und matriarchal waren. Die Kurganvölker dagegen gehörten einer kriegerischen, patriarchalen und hierarchischen Kultur an, die ihre Toten in Erdgruben mit zelt- oder hüttenartigen, von einem Stein- oder Erdhügel bedeckten Kammern bestattete. Diese halbnomadischen Völker lebten jahreszeitlich bedingt vorübergehend in halb unterirdischen Häusern und ernährten sich vorwiegend von der Weidewirtschaft. Ackerbau wurde in geringerem Maße, aber kontinuierlich betrieben.
Unter den Grabfunden Südosteuropas finden sich bis etwa 4.300 v. Chr., abgesehen von Gerätschaften zur Jagd, keine Waffen und keine Hinweise auf Befestigungen. So waren lt. Gimbutas die friedfertigen Ackerbauern eine leichte Beute für die kriegerischen Reitervölker, die sie überrannten. Die Eindringlinge waren mit Stich- und Hiebwaffen ausgerüstet: mit langen Dolchen, Speeren, Lanzen, Pfeilen und den typischen Kurgan-Bögen.
Wanderungen in Wellen
Als Projektleiterin von fünf großen Ausgrabungen in Südosteuropa und nach intensiven Studien eines weiten Spektrums von archäologischen Originalberichten und linguistischen Forschungen glaubt Gimbutas ab 1977, nachweisen zu können, dass die Proto-Indoeuropäer das „Alteuropa“ der Kupferzeit, d.h. das vorindogermanische jungsteinzeitliche Europa, infiltriert hatten.
Die verschiedenen berittenen Kurgan-Kulturen mit einem patriarchalen Sozialsystem, bestehend aus einem König oder Fürsten, einem Adelsrat und freien Männern, wanderten aus der Steppenregion des nördlichen Schwarzmeer-Wolga-Gebietes, wahrscheinlich aus klimatischen Gründen, wegen einer Trockenperiode, aus. Sie zogen gen Westen nach Europa, gen Südwesten nach Anatolien, gen Südosten in den heutigen Iran und das heutige Indien, gen Nordwesten in das Baltikum und gen Osten in das heutige chinesische Turkestan.
Die Ankunft des Kurgan-Volks, das Gimbutas mit dem indoeuropäischen Urvolk identifiziert, brachte eine Überschichtung der alteingesessenen neolithischen Bevölkerung mit sich, die gravierende gesellschaftliche Folgen hatte. So änderten sich die Grabsitten, d.h. im Norden wich die Kollektivbestattung in Megalithgräbern der Einzelbestattung, wobei man in den Gräbern Hocker und Ockereinstreuungen findet, wie sie in Steppengräbern Südrusslands und Zentralasiens gebräuchlich sind. Der gesellschaftliche Umbruch schlägt sich ebenfalls in der Sachkultur nieder, d.h. es finden sich Streit- und Bootsäxte, schnurverzierte Keramik und andere Beigaben, die auf eine Herkunft aus Südosteuropa hindeuten. Dieser Umbruch, der abgesehen von der Iberischen Halbinsel und Westfrankreich ganz Europa erfasst, ist nach Gimbutas gleichzusetzen mit Europas Indoeuropäisierung. Ausgedehnte Brandhorizonte in Griechenland und Troja, die um 2200 v. Chr. fassbar sind, deuten in die gleiche Richtung. Ferner führt Gimbutas auch die Domestizierung des Pferdes ins Feld, das von den Steppenvölkern gezähmt wurde, und erstmals innerhalb der neolithischen europäischen Bauernkulturen auftaucht. In der Hippologie ist allerdings umstritten, ob zu jener Zeit Pferde schon so weit domestiziert waren, dass sie geritten werden konnten.
Als Folge langer Dürreperioden, die moderne Geologen erst jüngst durch das Ende des bis dahin unbekannten ostmediterranen Monsun von 7.000 bis etwa 4.500 v. Chr. erklären konnten, schwappten die Kurganeinflüsse in drei Wellen auf die Gebiete des Alten Europa über:
- Phase I um 4.400-4.300 v. Chr.
- Phase II um 3.500 v. Chr.
- Phase III unmittelbar nach 3000 v. Chr.
- Eine vierte Welle stieß ca. 2500 - 2200 v. Chr. ins Niltal vor.
Diese Gimbutas-Chronologie bezieht sich nicht auf die Entwicklung einer einzigen Kulturgruppe, sondern auf eine Reihe von Steppenvölkern mit einer gemeinsamen Tradition, die sich über sehr weite Zeiträume und Gebiete ausdehnte. (Lit.: Gimbutas, 1996)
Kurgan I
Die Völker der sogenannten Kurgan-I-Gruppe stammten aus der Wolgasteppe und entflohen der Trockenheit nach Westen, in den Westteil der heutigen Ukraine, weiter bis zu den Mündungen der Flüsse Dnister und Donau und am Unterlauf dieser beiden Flüsse aufwärts.
Die russischen Archäologen bezeichnen Kurgan-I als frühes Jamna, wobei das Wort Jamna soviel wie „Grube“ bedeutet und die Erdgrube unter dem Grabhügel bezeichnet.
Kurgan II
Die kulturell höher entwickelten sogenannten Kurgan-II-Völker folgten erst rund 1000 Jahre später. Sie hatten ihren Ursprung nördlich des Schwarzen Meeres (das auf griechisch „Pontos euxeinos“ heißt, daher „nordpontisch“, siehe auch: pontisch) im nordpontischen Gebiet zwischen dem Unterlauf des Dnjestr und dem Kaukasusgebirge, wo sie ihre Herden auf den weiten Steppen weideten. Aber neue Dürre, gekoppelt mit starkem Zuwachs ihrer Herden, trieb die dort lebenden Menschen weiter nach Westen, Nordwesten, Norden und Südosten. Fast die ganze Balkanhalbinsel, Ungarn, Österreich, Ostdeutschland bis zur Elbe, Polen und das mittlere Russland, aber auch das Gebiet nördlich des Kaukasus wurden nun von indoeuropäischen Gruppen besiedelt.
Die russ. Archäologie bezeichnet Kurgan II als „Michajlowka I“ oder „Maikop-Kultur.
Kurgan III
Danach war wieder Ruhe, aber diesmal für kürzere Zeit: Um 3000 v. Chr. begann die sogenannte Kurgan-III-Phase, wiederum von der Wolgasteppe aus. Sie dauerte 200 Jahre. Diese indoeuropäischen Zuzügler verstärkten die schon einige Generationen früher nach Mitteleuropa gezogenen Migranten. Damit wurde das Gebiet von sogenannten Kurgan-Abkömmlingen insbesondere nach Westen erweitert, bis jenseits des Rheins, nach Norden bis Skandinavien und ins nördliche Russland. Auch in die Gebiete um die Ägäis (Griechenland, West-Anatolien) sowie die Länder südlich des Kaukasus (Georgien, Armenien, Aserbaidschan, Ost- und Mittel-Anatolien, und den nördlichen Iran).
Schmoeckel und Wolf versichern, sogenannte Kurgangruppen seien bis nach Syrien, Palästina und bis nach Ägypten vorgedrungen (Lit.: Schmoeckel, 1999). Ausgrabungen und die Mythologie zeigten die Verschiebungen der matriarchalen Lebensweise der Urbevölkerung hin zu den Sitten, die ihnen von den patriarchalen Eroberern aufgezwungen worden seien (Vgl. für Ägypten Doris Wolf: ’’Was war vor den Pharaonen’’, Zürich, 1994).
Kurgan III wird bei der russ. Archäologie als „spätes Jamna“ bezeichnet (s.o.).
Wirtschaftsweise
Die Mobilität der Kurganvölker basierte auf der Domestikation des Pferdes, das den Ackerbauern des Alten Europa zwar nicht unbekannt (Iberische Pferde), das aber nicht domestiziert war. Auch Weidewirtschaft und Viehzucht, die es seit mehr als 13.000 Jahren gibt, die aber nach Auffassung der Kurganvertreter nur mit Hilfe von Reitpferden und körperlicher Kraft zu beherrschen war, führten zu dem Übergang von den matriarchalen Gesellschaften zum waffenbewehrten Patriarchat. Auch wenn der genaue Zeitpunkt dieses Prozesses bisher nur schwer festzulegen ist, vollzog er sich mit Sicherheit vor 4000 v. Chr.
Archäologische Funde, untermauert durch eine vergleichende indoeuropäische Sprach- und Mythologieforschung, sprächen für eine die kulturellen Grundfesten erschütternde Kollision zweier Ideologien, Gesellschaftssysteme und Wirtschaftsformen. Durch diesen Zusammenprall der Kulturen veränderte sich das Alte Europa, und in der späteren europäischen Vorgeschichte und Geschichte gingen vorindoeuropäische und indoeuropäische Elemente ineinander über. Beispielsweise blieb in Sprache und Mythologie ein starkes nichtindoeuropäisches Fundament erhalten.
Bestattungssitten und Weltbild
Rundhügelgräber in Moldawien, Südrumänien und Ostungarn legen ein bereites Zeugnis für die Wanderungen der Kurganvölker ab. Die frühesten Kurgangräber in Moldawien werden auf etwa 4.300 v. Chr. datiert.
Im krassen Gegensatz zum ausgeglichenen Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Bestattungen auf den zeitgleichen Friedhöfen des Alten Europa, waren die Kurgangräber fast ausschließlich für männliche Leichname ausgelegt. Während zu dieser Zeit im Alten Europa einfache Erdgruben üblich waren, bedeckten die Kurganstämme ihre Gräber mit einem Erd- oder Steinhügel und bestatteten darin ausschließlich ihre „Krieger“-fürsten zusammen mit deren bevorzugtem Kriegswerkzeug, dem Speer, Pfeil und Bogen und Feuersteindolch oder Langmesser.
Die Grabfunde enthüllen zwei Charakteristika des indoeuropäischen Weltbildes, wie sie sich in Ostmitteleuropa zum ersten Mal in den beiden Grabstätten Suworowo (Суворово, Suvorovo - Bezirk Warna, Bulgarien) und Casimcea (Donautal) manifestierten. Die Fundorte bezeugen, dass die sogenannten Kurganvölker das Pferd als heiliges Tier verehrten (was sich durchaus mit den vom Permafrost konservierten Hügelgräbern der Skythen am Hindukusch vergleichen lässt) und dass die Frau oder Gefährtin eines Stammeshäuptlings nach dessen Tod geopfert wurde.
Angebliche Bevölkerungsverschiebungen im alten Mitteleuropa nach Norden und Nordwesten weisen indirekt auf eine Katastrophe von so gewaltigem Ausmaß hin, dass sie für Gimbutas nicht mit klimatischen Veränderungen oder Epidemien erklärbar sind (für die ohnehin aus der zweiten Hälfte des 5. Jahrtausends keinerlei Hinweise vorliegen). Dagegen ist angeblich belegt, dass berittene Krieger in diese Landstriche einfielen, nicht nur durch die Funde von Hügelgräbern, die für einen einzigen Mann angelegt waren, sondern weil zu diesem Zeitpunkt ein ganzer Komplex von gesellschaftlichen Zügen hervortrat, der für die Kurgankultur charakteristisch war: Höhensiedlungen, Haltung von Pferden, eine auf Weidewirtschaft ausgerichtete Ökonomie, Hinweise auf Gewaltbereitschaft und Patriarchat sowie religiöse Symbole, die auf einen Sonnenkult hinweisen. Radiokarbondaten siedeln diese Periode zwischen 4.400 und 3.900 an.
In Gegensatz zu den massiven, oberirdisch gebauten Langhäusern der vorhergehenden Zeitspanne, entstehen die kleinen Trichterbecherhäuser. Sie enthalten Keramik, die mit Furchenstichtechnik angebrachten Sonnensymbolen, Fischgräten- und Stichmustern verziert sind. Die eindrucksvollsten Höhensiedlungen stammen aus der Salzmünder Gruppe, einer Untergruppe der Trichterbecherkultur, die in die erste Hälfte des 4. Jahrtausends datiert wird. Eine solche Siedlung liegt auf einer Hochfläche bei Halle an der Saale. Höhensiedlungen sind an der höchsten Stelle der Umgebung erbaut und von zwei oder drei Seiten durch Wasser oder steile Felshänge auf natürliche Weise geschützt. Auf der Dölauer Heide wurden fünf kleine rechteckige Häuser, deren Wände aus je drei Holzpfosten mit Füllungen aus lehmbeworfenem Flechtwerk bestanden, freigelegt. In der gleichen Region wurden etwa zwanzig Erdhügel ausgegraben; jeder von ihnen enthielt ein zentrales Grab in einer Vertiefung unter der Erdoberfläche und einen gewöhnlich aus Steinblöcken erbauten Totenschrein. Aus dieser Phase gibt es Hinweise auf Gewalttätigkeiten – Anzeichen dafür, dass Menschen mit Speeren oder Äxten getötet wurden -, die sich auch in den nächsten Jahrtausenden fortsetzten. Man fand Gräber mit Skelettresten von Frauen, Männern und Kindern in wüstem Durcheinander. Auch in Ostirland und Mittelengland steht das glockenbecherzeitliche Auftauchen von Grabmonumenten für einzelne Personen um die Mitte des 4. Jahrtausends in extremem Gegensatz zur vorhergehenden Tradition der Gruppenbestattungen.
Das Ende des Alten Europa
Die Veränderungen der materiellen Kultur in Teilen Mitteleuropas um 4.000 wird von Gimbutas als 'Kurganisierung' in Folge der ersten Kurganwelle bezeichnet. Während Gimbutas zufolge die ackerbautreibende Zivilisation des alten Europa eine matriarchale Struktur hatte (Lit.: Eisenhauer 2003), vollzog sich um 4000 herum ein Wandel zu einer Mischökonomie aus Ackerbau und Weidewirtschaft, was wiederum zu einer patriarchalen Klassengesellschaft führte, die als ’’erfolgreicher Indoeuropäisierungsprozess’’ (Lit.: Gimbutas, 1996) bezeichnet wurde. Die Viehhaltung (nicht nomadische Viehzucht) spielte eine zunehmend wichtigere Rolle als der Ackerbau. Die Veränderung der Sozialstruktur, Religion und Ökonomie war keine langsame einheimische Entwicklung, sondern das Aufeinanderprallen und die allmähliche Vermischung zweier Gesellschaftssysteme mit vollkommen gegensätzlichen Weltbildern. Nicht das gesamte Mitteleuropa wurde infolge der ersten Welle der Eindringlinge 'kurganisiert', fest steht jedoch, dass in dem größten Teil des Donaubeckens nun befestigte Höhensiedlungen errichtet wurden. Es dauerte viele Generationen, bis die Traditionen des gesamten 'Alten Europa' nach und nach durch die 'Kurgankultur' verdrängt waren.
Pferdedomestikation
Seit wann die Kurganleute Pferde als Reittiere benutzen, bleibt umstritten. Der amerikanische Archäo-Zoologe David Anthony und der ukrainische Forscher Dimitri Telegin fanden Ende der 1980er in einer Siedlung in Dereivka am Dnepr (ca. 250 Kilometer südlich von Kiew) einen Pferdezahn, der Abnutzungsspuren zeigt, die nach Ansicht der Autoren nur durch eine Trense hervorgerufen sein konnte. Sie datierten diesen Zahn auf ca. 4000 v. Chr.[3] Diese Datierung erwies sich jedoch als falsch: Neue konventionelle (Ki-6962) und AMS-Daten (OxA-7185, OxA-6577) zeigen, dass der Zahn aus der Eisenzeit stammt (Anthony/Brown 2000), während die Datierung der Siedlung selbst bestätigt werden konnte.[4] Auch die Britin Marsha Levine findet keine eindeutigen Belege dafür, dass man Pferde vor Ende des 3. Jt. als Reit– oder Zugtiere nutzte.[5] Ihrem Argument, die Pferde seien wegen ihrer geringen Größe (Stockmaß 1,2–1,4 m; heute 1,6–1,75 m) zum Reiten ungeeignet gewesen, kann man aber entgegenhalten, dass rezente Ponyrassen wie Fjordpferde und Islandponies sehr wohl geritten werden, auch von Erwachsenen. Als Zugtiere wurden Rinder eingesetzt.
Pferdeknochen zeigen keine eindeutigen Domestikationsmerkmale, daher ist die Datierung der Nutzung des Pferdes als Reittier schwierig. Pferdeknochen sind in Mitteleuropa jedoch seit der Bandkeramik belegt.
Kritik an der Kurgantheorie
→ Hauptartikel Alteuropa, Kupfersteinzeit
Die Kurganhypothese von M. Gimbutas ist aus verschiedensten Gründen umstritten. Kritiker werfen ihr eine Vermischung von verschiedenen Hypothesen vor, die weder archäologisch noch sprachwissenschaftlich methodisch korrekt entwickelt wurden. Dies zeigt sich im unscharf entwickelten Alteuropa-Konzept, verbunden mit einem Einwanderungsszenario vermeintlich patrilinearer Kulturen, deren Siedlungs- und Bestattungssitten sehr heterogen waren. Da die kupferzeitlichen Kulturen Südosteuropas keine reiternomadischen Kulturen waren, können auch allgemein anerkannte Aspekte (genetische Infiltration Mitteleuropas durch frühe kupferzeitliche Kulturen des Balkans) nicht mit der Kurganhypothese in Einklang gebracht werden.[6]
Sprachwissenschaft
→ Hauptartikel Indogermanische Ursprache, Indogermanische Sprachen
Als die Philologen vor 200 Jahren anfingen, die Sprache der Indoeuropäer zu erforschen, waren archäologische Forschungen noch unbekannt. Man war damals allein auf „sprachliche Indizien“ angewiesen. Das hat sich seit etwa 1950 mit einer intensiven Grabungstätigkeit geändert. Inzwischen liegt eine Fülle interessanter Bodenfunde von Archäologen vor, die von Sprachforschern genutzt werden, um ihre Vermutungen über die materielle Kultur der „frühen Indoeuropäer“ abzugleichen.[7][8] Laut R. Schmoeckel seien zumindest Gimbutas' Vermutungen über die indogermanische Kultur zutreffend. Leider sei den Bodenfunden jedoch nicht zu entnehmen, welche Sprache ihre Benutzer sprachen.
Kathrin Krell weist darauf hin, dass die indogermanischen Sprachwurzeln bereits viele Begriffe aus dem Ackerbau enthalten, während die Kultur der Kurganhorden (engl.: „kurgan tribes“) auf reiner Viehwirtschaft basierte.[9] Außerdem ist eine Gleichsetzung von Ethnien und sprachlicher Konstanz in diversen Fällen der jüngeren Geschichte widerlegt.
Genetische Verortung der Indogermanen
→ Hauptartikel: Anatolien-Hypothese, Archäogenetik, Haplogruppen
Seit Mitte der 1990er Jahre erhielt die Kurgan-Hypothese durch Übereinstimmungen genetischer Merkmale der heutigen Europäer mit der Ausbreitung der indoeuropäischen Sprachen vermeintlich neue Argumente. Die Forschungen wurden vor allem von Luigi Luca Cavalli-Sforza vorgelegt.[10]
Ein alternatives Einwanderungsszenario bildet die Anatolien-Hypothese von Colin Renfrew, über dessen Gleichsetzung mit der Neolithisierung Europas bis heute ebenfalls keine Einigkeit besteht. Die Anatolien-Hypothese geht von einer allmählichen und friedfertigen Ausbreitung einer indoeuropäischen Ackerbauernkultur (im Durchschnitt von 1 km/Jahr) aus, aber auch von dem Irrtum, dass die Indogermanen aufgrund ihres technischen und kulturellen auch einen großen genetischen Einfluss auf das spätere Abendland gehabt hätten, so dass Renfrew auf der Suche nach ihnen zwangsläufig bei der europäischen Vorbevölkerung landet.
Die Sprachwissenschaftler Gamkrelidse und Iwanow sehen Ostanatolien, eigentlich den Raum südlich des Kaukasus (Armenien) als Ausgangspunkt der Sprache und einer von hier aus in mehrere Richtungen erfolgenden indoeuropäischen Wanderung an, die zunächst ostwärts um das Kaspische Meer herum führte (dort ihre tocharische bzw. nordindische Abspaltung erfuhr) und dann westwärts in den Nordpontischen Raum führte.[11]
Der Genetiker L. Cavalli-Sforza unterstützt die Theorie von Gamkrelidze und Ivanov, die er als spätere Auswanderungswelle nach einer frühen Anatolien-Expansion sieht. Szenarien, die im Neolithikum und der Kupferzeit hauptsächlich physische Migrationen („Völkerwanderungen“) als Ursache sehen, sind heute allerdings umstritten. Ein starker genetischer Einfluss der Indogermanen wird unabhängig von archäologischen Forschungen heute von den meisten Genetikern abgelehnt oder relativiert.[12]
Renfrews Kritik an der Kurgan-Hypothese
Colin Renfrew stellte der Kurgan-Hypothese die von ihm Ende der 1980er Jahre erstmals publizierte Anatolien-Hypothese entgegen. Er kritisiert die Kurgan-Hypothese vor allem in drei Punkten:
- archäologisch: die Kurgane seien Monumente einer sesshaften Kultur
- erschlossene Wurzelwörter für Pflanzen und Tiere können ihre Bedeutung geändert haben und taugten nicht für Rückschlüsse auf ein bestimmtes geographisches Gebiet
- das Gesamtbild sei nicht überzeugend; es sei unklar, was riesige Horden berittener Krieger hätte veranlassen sollen, zu Ende des Neolithikums nach Westen zu ziehen und den Vorbewohnern ihre Sprache aufzuzwingen.
Bestattungssitten
Ein Einwand gegen die Hypothese von Marija Gimbutas ist, dass die Bestattungssitten sich in Europa auch vor und nach der sogenannten Kurganexpansion grundlegend verändert haben. Eine Kritik des Kurgan-Konzepts auf der Grundlage verschiedener Bestattungstraditionen findet sich u. a. bei Alexander Häusler.[13][14] Von David W. Anthony wird vor allem auf chronologische Lücken der kupferzeitlichen Besiedlung Südosteuropas eingegangen.[15]
Siehe auch
Literatur
→ Siehe auch Marija Gimbutas: Eigene Schriften
- Ursula Eisenhauer: Jüngerbandkeramische Residenzregeln. Patrilokalität in Talheim. In: Jörg Eckert, Ursula Eisenhauer, Andreas Zimmermann (Hrsg.): Archäologische Perspektiven. Analysen und Interpretationen im Wandel. Festschrift für Jens Lüning zum 65. Geburtstag. Leidorf, Rahden Westf. 2003, S.562–573, ISBN 3896464000.
- Alexander Häusler: Die Gräber der älteren Ockergrabkultur zwischen Dnepr und Karpaten. Beier & Beran, Berlin 1974, ohne ISBN.
Englisch:
- A. R. Dexter, K. Jones-Bley (Hrsg.): The Kurgan Culture and the Indo-Europeanization of Europe. Selected Articles Form 1952 to 1993. Institute for the Study of Man, Washington 1997, ISBN 0-941694-56-9.
- J. P. Mallory: The Oxford introduction to the Proto-Indo-European and the Proto-Indo-European world. Oxford University Press, Oxford 2006, ISBN 0199287910.
- J. P. Mallory: Encyclopedia of Indo-European Culture. Fitzroy Dearborn, London 1997, ISBN 1884964982.
- J. P. Mallory: In Search of the Indo-Europeans. Language, Archaeology and Myth. Thames & Hudson, London 1989, ISBN 0-500-27616-1.
Quellenangaben
- ↑ Die Datierungen in der Tabelle sind den einzelnen Artikeln entnommen und müssen nicht immer zuverlässig sein. Kulturen auf Gebieten ehemaliger Sowjetrepubliken wurden mit einbezogen.
- ↑ Marija Gimbutas: Das Ende Alteuropas. Der Einfall von Steppennomaden aus Südrussland und die Indogermanisierung Mitteleuropas. in: Archeolingua. series minor 6. jointly ed. by the Archaeological Institute of Hungarian Academy of Sciences and the Linguistic Institute of the University of Innsbruck. Archaeolingua Alapítvány, Budapest 1994 (auch als Buch). ISSN 1216-6847 ISBN 3-85124-171-1
- ↑ David W. Anthony, Dimitri Telegin: Die Anfänge des Reitens. in: Spektrum der Wissenschaft. Spektrumverlag, Heidelberg 2.1992, ISSN 0170-2971.
- ↑ D. Ya. Telegin, M. Lillie, I. D. Potekhina, M. M. Kovaliukh: Settlement and economy in Neolithic Ukraine, a new chronology. in: Antiquity. Oxford Univ. Press, Oxford 77.2003, S.456–470, ISSN 0003-598x.
- ↑ Marsha Levine, Colin Renfrew and Katie Boyle: Prehistoric Steppe Adaptation and the Horse. McDonald Institute for Archaeological Research, 2003.
- ↑ Rosser et al. (2000), „Y-Chromosomal Diversity in Europe Is Clinal and Influenced Primarily by Geography, Rather than by Language“, American Journal of Human Genetics 67: 1526–1543.
- ↑ J. P. Mallory: In Search of the Indo-Europeans. Language, Archaeology and Myth. Thames & Hudson, London 1989, ISBN 0-500-27616-1.
- ↑ Reinhard Schmoeckel: Die Indoeuropäer. Aufbruch aus der Vorgeschichte. Bastei Lübbe, Bergisch-Gladbach 1999, ISBN 3404641620.
- ↑ Krell, Kathrin S. 1998. Gimbutas’ Kurgan-PIE Homeland Hypothesis: A Linguistic Critique. In: Roger Blench & Mathew Spriggs (eds.) Archaeology and Language, II, S. 267-289. London: Routledge.
- ↑ Luigi Luca Cavalli-Sforza: Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation. 1999
- ↑ Thomas W. Gamkrelidse und Wjatscheslaw Iwanow: Die Frühgeschichte der indoeuropäischen Sprachen. In: Spektrum der Wissenschaft. Heft 1 (2000), S. 50-57.
- ↑ Semino et al.: Origin, Diffusion, and Differentiation of Y-Chromosome Haplogroups E and J: Inferences on the Neolithization of Europe and Later Migratory Events in the Mediterranean Area. American Journal of Human Genetics 74, 2004: S. 1023–1034
- ↑ Alexander Häusler: Zum Ursprung der Indogermanen. Archäologische, anthropologische und sprachwissenschaftliche Gesichtspunkte. in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift (EAZ). Berlin 39.1998, S. 1–46. ISSN 0012-7477
- ↑ Alexander Häusler: Ursprung und Ausbreitung der Indogermanen. Alternative Erklärungsmodelle. Indogermanische Forschungen. in: Zeitschrift für Indogermanistik und allgemeine Sprachwissenschaft. de Gruyter, Berlin 2002, S. 47–75. ISSN 0019-7262
- ↑ David W. Anthony, Nazi and ecofeminist prehistories: ideology and empiricism in Indo-European archaeology. In: Philip R. Kohl, Clare Fawcett: Nationalism, politics, and the practice of archaeology. Cambridge (University Press) 1995. S. 82-96 (speziell ab S. 90)
Weblinks
- George Hinge: Völkerwanderungen in Herodots Geschichtswerk (2006, Vorabdruck, Skythen- und Hellenenwanderung, indogermanische Urgeschichte)
- Sylvia Volk: Kurgan Culture (2000, engl.)
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