Heinze-Frauen

Heinze-Frauen

Die Heinze-Frauen waren 29 Beschäftigte des Gelsenkirchener Foto-Unternehmens Heinze, die 1981 vor dem Bundesarbeitsgericht in Kassel in dritter Instanz die gleiche Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen erstritten. Der Fall erregte bundesweites Aufsehen, löste eine Flut von Folgeprozessen aus und gilt damit als wegweisend für die Gleichberechtigung von Frau und Mann im Berufsleben.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Arbeiterinnen erhielten 1979 in der Bundesrepublik Deutschland einen Lohn, der durchschnittlich 27,4 % niedriger war als der ihrer männlichen Kollegen.[1] In der Abteilung Filmentwicklung des Gelsenkirchener Unternehmens Heinze waren 1979 16 Männer und 53 Frauen beschäftigt. Die Männer waren 1978 eingestellt worden, als das Unternehmen Nachtarbeit einführte.

Alle waren in der Lohngruppe I eingestuft. Die Frauen leisteten die gleiche Arbeit wie ihre männlichen Kollegen. Sie erhielten jedoch geringere Zuschläge zu ihrem Stundenlohn. Ihr Zuschlag lag zwischen zwölf Pfennig und 1,40 DM; viele der Frauen erhielten gar keine Zulage. Durchschnittlich erhielten die Frauen eine Zulage in Höhe von 19 Pfennig. Die in der Abteilung beschäftigten Männer erhielten Zulagen in Höhe von mindestens 1,50 DM. Zudem bekamen sie Zulagen für Nachtarbeit, die Frauen in dieser Zeit grundsätzlich untersagt war. Der Arbeitgeber begründete die Zulagen für die Männer damit, dass für einen tariflichen Stundenlohn von sechs Mark (heutige Kaufkraft: 6 €) keine Männer auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen seien.

29 Frauen, die in der IG Druck und Papier organisiert waren, wurden vom Betriebsratsvorsitzenden Bodo Murach unterstützt und erhielten von ihrer Gewerkschaft Rechtsschutz. Sie klagten vor dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen und forderten rückwirkend die gleichen Zuschläge wie ihre männlichen Kollegen. Dabei führten sie Art. 3 des Grundgesetzes an. Der Arbeitgeber berief sich auf die grundgesetzlich garantierte Vertragsfreiheit; die Zulagen seien bereits bei der Einstellung vereinbart worden. Am 10. Mai 1979 obsiegten die Klägerinnen in erster Instanz beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen.[2] Das Unternehmen organisierte die Arbeit um. Männer bedienten nun die Maschinen, während die Frauen nur noch sortierten und aufsteckten.

Gegen das erstinstanzliche Urteil legte die Arbeitgeberseite Berufung ein. In zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Hamm unterlagen die Frauen am 19. September 1979.[3]

Die Heinze-Frauen gingen vor das Bundesarbeitsgericht. Es entschied am 9. September 1981[4] in der Sache „Beate Berger u. a. gegen Heinze-Fotolabor Betriebe“, dass der arbeitsrechtliche Grundsatz der Gleichbehandlung, der inhaltlich vom Gleichberechtigungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 GG und vom Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG geprägt sei, auch bei übertariflichen Zulagen jede Differenzierung nach Geschlecht verbiete.

Solidaritätsaktionen

Die Klage der Heinze-Frauen wurde in der Öffentlichkeit stark diskutiert.[5] Der Kampf der Frauen um Gleichstellung wurde von Solidaritätsaktionen begleitet, die von der hauptamtlichen Gewerkschafterin Gisela Kessler organisiert wurden. 45.000 Unterstützer unterzeichneten eine Unterschriftenliste. Politiker wie Willy Brandt, Herbert Wehner, Erhard Eppler und Annemarie Renger bekundeten ihre Solidarität. In der Volkshochschule Gelsenkirchen fanden Seminare zum Kampf der Frauen statt.[6]

Aus Anlass der Verhandlung vor dem Bundesarbeitsgericht fand am 6. September 1981 eine gewerkschaftlich organisierte Solidaritätsveranstaltung vor der Kasseler Eissporthalle mit 6000 Teilnehmern statt.[7]

Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts sagte Gisela Kessler: "Jetzt sind die Kolleginnen in den Betrieben gefordert. Die Betriebsräte müssen die Übertarife prüfen unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung. Wenn Diskriminierung auftaucht, muß erstmal im Betrieb gekämpft werden, notfalls aber auch mit weiteren Prozessen."[8]

Heinze-Frauen in der Kunst

Bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen wurde das Lustspiel in sechs Szenen Frauen sind keine Heinzelmänner des Mobilen Rhein-Main-Theaters aufgeführt, das den Kampf der Heinze-Frauen thematisierte.[9][10] Der Kunstverein Gelsenkirchen zeigte 2005 eine Video/Audio-Installation von Dani Gal, Städelschule in Frankfurt am Main, unter dem Titel Keiner schiebt uns weg, die aus zwei Teilen bestand. In einem Videofilm wurden Interviews mit den Heinze-Frauen gezeigt. Der zweite Teil bestand aus einem Stummfilm, der die Demonstrationen 1981 in Kassel zeigte.[11][12][13]

Literatur

  • Ilse Lenz: Die neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 3-531-14729-3, S. 175–177.
  • Marianne Kaiser (Hrsg.): Wir wollen gleiche Löhne! Dokumentation zum Kampf der 29 „Heinze“-Frauen. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek 1980, ISBN 3-499-14623-1 (Rororo. rororo aktuell. Frauen aktuell 4623).
  • Reiner Zufall. In: Der Spiegel. Nr. 38, 1981, S. 46 (online).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ursula Schumm-Garling: Frauen und prekäre Beschäftigung In: DGB-Frauen 2008 (PDF-Datei)
  2. ArbG Gelsenkirchen, Urteil vom 10. Mai 1979, Az. 3 Ca 58/79.
  3. LAG Hamm, Urteil vom 19. September 1979, Az. 12 Sa 767/79.
  4. BAG, Urteil vom 9. September 1981, Az. 5 AZR 1182/79.
  5. Antje Dertinger: Als Europa den Stier bei den Hörnern packte – Die Anfänge der Gleichbehandlung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz In: Welt der Arbeit (PDF-Datei)
  6. Aus der Geschichte der VHS Gelsenkirchen (PDF-Datei)
  7. Frauenarchiv des Instituts für politische Wissenschaft der Universität Hannover (PDF-Datei)
  8. Christine Becker: Allein hätte keine durchgehalten S. 11. (PDF-Datei)
  9. Gisela Kessler: Keiner schiebt uns weg In: Welt der Arbeit (PDF-Datei)
  10. Frauen sind keine Heinzelmänner In: Dagmar Papula, Norbert Kentrup (Hrsg): Frauen-Theater Politisches Theater Band 9. Offenbach 1982.
  11. Installation Keiner schiebt uns weg, 2005 (mit Fotos)
  12. Keiner schiebt uns weg/ No one shifts us away
  13. No Big Deal, Städelschule Frankfurt
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