Hermann Gräbe

Hermann Gräbe

Hermann Friedrich Gräbe (* 19. Juni 1900 in Gräfrath (heute Solingen); † 17. April 1986 in San Francisco[1]) war ein deutscher Widerstandskämpfer.

Ab 1941 arbeitete der gelernte Ingenieur als regionaler Manager einer Solinger Baufirma in der deutsch besetzten Ukraine. Er führte in Wolhynien „kriegswichtige Aufgaben“ durch und leitete für die deutsche Reichsbahn Wartungs- und Neubauarbeiten an den Gleisanlagen. Dabei wurde er in Rowno und Dubno Zeuge des Massakers an der jüdischen Bevölkerung.

Dem überzeugten Nazi-Kritiker gelang es, Tausende von Juden mit gefälschten Papieren zu versorgen und offiziell als Arbeitskräfte auf seinen Baustellen zu beschäftigen. „Man kann nicht so viel Blutvergießen erleben und davon unberührt bleiben“, sagte er später. „Ich musste etwas unternehmen. Ich musste so viele Menschen beschützen, wie ich konnte.“

In den Wirren der letzten Kriegsmonate schaffte es Gräbe, seine Aufzeichnungen über die Mordtaten in den Westen zu retten. Sie ermöglichten es den Amerikanern, Massengräber in der Ukraine aufzuspüren und die Verantwortlichen auszumachen. Gräbe war Zeuge während der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse im Jahr 1946. Seine detaillierten Aussagen trugen entscheidend zur Verurteilung zahlreicher Täter bei. Für ihn und seine Familie hatte das bittere Folgen. Sie erhielten Morddrohungen. Außerdem konnte der erfahrene Ingenieur und Unternehmer im Nachkriegsdeutschland keine Arbeit mehr finden. Niemand wollte mit dem „Vaterlandsverräter“ und „Nestbeschmutzer“ Geschäfte machen. 1948 wanderte Gräbe mit Frau und Sohn nach Kalifornien aus. 1953 nahm er die amerikanische Staatsbürgerschaft an[1].

Während Gräbe 1965 in Israel als einer der „Gerechten unter den Völkern“ in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem geehrt wurde, sah er sich in Deutschland erneut mit massiven Verleumdungen konfrontiert. Georg Marschall, einer der aufgrund von Gräbes Aussagen in Nürnberg verurteilten Nazitäter, ging 1966 in Revision. Sein Anwalt zog Gräbes Glaubwürdigkeit als Zeuge in Zweifel und erwirkte eine Anklage wegen Meineids gegen ihn. Auch wenn das Gericht ihm dabei lediglich teilweise folgte, ging die Taktik auf. Marschall wurde nur noch wegen Beihilfe an der Erhängung eines Juden zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Gräbe dagegen, der auch im Auschwitz-Prozess ausgesagt hatte, durfte deutschen Boden nicht mehr betreten, da ihm die Verhaftung drohte. Der „Spiegel“ übernahm 1966 die falschen Beschuldigungen und prägte damit das Bild, das man sich in Deutschland vom „Lügner“ Gräbe machte.

Seine Rehabilitierung setzte erst in den 1990er Jahren ein. Gräbe sollte sie nicht mehr erleben. Er starb am 17. April 1986 in den USA. Wolfgang Thierse schreibt: „Einmal mehr offenbarte sich am Schicksal Gräbes, wie lange sich die deutsche Nachkriegsgesellschaft weigerte, sich ihrer Verantwortung zu stellen.“ Inzwischen trägt ein Solinger Jugendzentrum aufgrund eines Beschlusses sämtlicher Solinger Stadtratsfraktionen anlässlich Gräbes 100. Geburtstag seinen Namen[1], und auch an seinem Geburtshaus findet sich eine Gedenktafel.

Einzelnachweise

  1. a b c Wolfram Wette: Verleugnete Helden, Die Zeit Nr. 46, 2007, S. 96 (online)

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Hermann Friedrich Graebe — Hermann Friedrich Gräbe, né à Gräfrath (aujourd hui incorporé à Solingen) le 19 juin 1900 et mort à San Francisco le 17 avril 1986, était un résistant allemand. Sommaire 1 Biographie 2 Source 3 Voir aussi …   Wikipédia en Français

  • Hermann Friedrich Gräbe — (* 19. Juni 1900 in Gräfrath (heute Solingen); † 17. April 1986 in San Francisco[1]) war ein deutscher Widerstandskämpfer. Ab 1941 arbeitete der gelernte Ingenieur als regionaler Manager einer Solinger Baufirma in der deutsch besetzten Ukraine.… …   Deutsch Wikipedia

  • Gräbe — ist der Name von Carl Gräbe (1841–1927), deutscher Chemiker Hermann Friedrich Gräbe (1900–1986), deutscher Widerstandskämpfer Diese Seite ist eine Begriffsklärung zur Unterscheidung mehrerer mit demselben Wort bezeichneter Beg …   Deutsch Wikipedia

  • Hermann Ludwig Nadermann — (* 30. Dezember 1778 in Münster (Westfalen); † 31. Oktober 1860 ebenda) war ein deutscher römisch katholischer Priester, Pädagoge und Kirchenlieddichter. Nadermann studierte an der Universität Münster Philologie und Katholische Theologie. 1804… …   Deutsch Wikipedia

  • Hermann Hülser — (* 8. Juli 1888 in Viersen; † 19. Dezember 1973 ebenda) war ein deutscher Politiker und Oberbürgermeister von Viersen. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Tätigkeiten und Verdienste 3 Auszeichnungen …   Deutsch Wikipedia

  • Hermann Gottfried Pauli — (* 25. September 1720 in Braunschweig; † 20. oder 27. Februar 1786) war ein deutscher evangelischer Theologe. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Familie 3 Werke …   Deutsch Wikipedia

  • Hermann Friedrich Graebe — Herman Friedrich Graebe or Gräbe, (June 19, 1900 ndash; April 17, 1986) was a German manager and engineer in charge of a German building firm in Ukraine, who witnessed mass executions of the Jews of Dubno on October 5 1942 by Nazis. Following the …   Wikipedia

  • Orden vom heiligen Grabe — Jerusalemkreuz des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem Der Orden der Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem (lat.: Ordo Equestris Sancti Sepulcri Hierosolymitani, kurz: OESSH) ist aufgrund seiner besonderen Geschichte zugleich eine… …   Deutsch Wikipedia

  • Ich steh mit einem Fuß im Grabe — Cantate BWV 156 Ich steh mit einem Fuß im Grabe Titre français J’ai déjà un pied dans la tombe Liturgie Épiphanie Création 1729 Auteur(s) du texte 2 : Johann Hermann Schein; 3, 5 : Christian Friedrich H …   Wikipédia en Français

  • Eugen Hermann — von Dedenroth (auch E. H. von Dedenroth, * 5. März 1829 in Saarlouis; † 16. Oktober 1887 in Kötzschenbroda, heute Radebeul) war ein deutscher Schriftsteller. Er schrieb unter den Pseudonymen Eugen Hermann, Ernst Pitawall, Julius Roge und R.… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”