Herzynischer Urwald

Herzynischer Urwald

Herkynischer Wald (lat.: Hercynia silva, griech.: ορη Αρκύνια oder Ορκύνια) ist die antike Sammelbezeichnung für die nördlich der Donau gelegenen Mittelgebirge östlich des Rheins.

Inhaltsverzeichnis

Etymologie

Die Etymologie des Namens ist umstritten. So glauben einige, er leite sich ab vom keltischen gabros (= Steinbock, vgl. lat. caper = Ziegenbock), andere erkennen eher den ebenfalls keltischen Wortstamm erchynn (= hoch, erhaben).

Lage

Auch die genaue Ausdehnung des Herkynischen Waldes ist unklar. Er wird zwar bereits in den Meteorologica des Aristoteles erwähnt, eine genauere Beschreibung ist uns aber erst in Gaius Julius Caesars Kommentar zum Gallischen Krieg (Commentarii de Bello Gallico) (Buch 6, Kapitel 24-28) überliefert, wo im Rahmen eines Exkurses über die Lebensweise der Germanen auf ihn eingangen wird. In der Forschung ist unbestritten, dass weder Caesar selbst noch eine andere, von ihm autorisierte Person den Passus abgefasst haben. Es handelt sich um einen Zusatz eines späteren Bearbeiters.[1] In der Darstellung bei Caesar wird gesagt, der Wald sei in Nord-Süd-Richtung etwa neun Tagesmärsche breit und erstrecke sich über sechzig Tagesmärsche nach Osten, vom Gebiet der Helvetier bis zu den im heutigen Rumänien siedelnden Dakern, den Anarten, die die Ufer der Theiß im heutigen Ungarn besiedelten, und noch weit darüber hinaus. Wenn man einen Tagesmarsch mit 25 Kilometern ansetzt, ergibt das eine Gesamtfläche für den Herkynischen Wald von mehr als 337.500 Quadratkilometern.

Geschichte

Mit der zunehmenden Akkulturation dieses riesigen Gebietes fanden die Römer in den Jahrhunderten nach Christus zu einer weniger pauschalen geographischen Begrifflichkeit und unterschieden künftig z.B. mons Taunus, saltus Teutoburgiensis, Silva Gabreta und Carpates montes. Die Besiedlung und Rodung erfolgte durch die fränkische Landnahme und die merowingischen und karolingischen Rodungswellen im 7. bis 10. Jahrhundert. In einer zweiten Rodungswelle im 11. Jahrhundert sollten die Slawen durch fränkische Siedler unterworfen werden.

Flora und Fauna

Der Wald bestand bis in die hohen Mittellagen größtenteils aus Fichten, Rotbuchen und Weißtannen.

Der unbekannte Verfasser des Exkurses (Pseudo-Caesar) geht auch auf drei Tierarten ein, die angeblich nirgendwo anders vorkommen würden:

  1. eine bis heute unidentifizierte Hirschart, die durch ein einziges sehr langes und auffallend gerades Horn zwischen den Ohren gekennzeichnet sei, das sich an der Spitze astähnlich verzweigen würde.
  2. Elche, die als ziegenartig beschrieben werden, aber keine Kniegelenke hätten; deswegen würden sie sich zum Schlafen an Büsche oder Bäume lehnen, die von den Germanen anhand der Fußspuren ermittelt und angesägt bzw. unterwühlt würden - komme dann der müde Elch zu seiner gewohnten Schlafstelle, falle er um und könne mangels Kniegelenk nicht mehr aufstehen.
  3. Auerochsen, die etwas kleiner als Elefanten und so wild seien, dass sie nicht gezähmt werden könnten; die Germanen würden sie mittels Fallgruben jagen und ihre Hörner als Trinkgefäße verwenden.

Zur Erklärung dieser zoologisch einigermaßen abstrusen Angaben hat die Forschung lange angenommen, der Verfasser der Passage (Pseudo-Caesar) gäbe hier Jägerlatein wieder, das ihm germanische Kundschafter bei seinen beiden Exkursionen über den Rhein aufgeschwatzt haben könnten. Der Altphilologe Otto Seel konnte aber 1967 nachweisen, dass die Geschichte der gelenklosen Tiere in einer byzantinischen Ergänzung zum Physiologus, einem Handbuch der Tiersymbolik, fast genauso berichtet wird, aber nicht von Elchen, sondern von Elefanten. Hier erscheint der Bericht auch etwas weniger unsinnig, denn deren Kniegelenke sind tatsächlich nicht gut zu erkennen. Da sich die griechischen Wörter ελεφας - der Elefant und ελαφος - der Hirsch nur durch zwei Vokale unterscheiden, liegt die Vermutung nahe, dass die absurde Geschichte von Elchen ohne Kniegelenke hier ihren Ursprung hat, denn Pseudo-Caesar gibt selbst an, dass er sein Wissen über den herkynischen Wald nicht aus eigener Anschauung, sondern aus (heute verlorenen) Schriften des Eratosthenes und anderer griechischer Ethnographen bezog. Es handelt sich also nicht um Jägerlatein, sondern um die Ausschmückung eines griechischen ethnographischen Textes, der nach einem Abschreibfehler unverständlich geworden war.

Literatur

  • C. Iulii Caesaris Commentarii De Bello Gallico. Zum Schulgebrauch mit Anmerkungen herausgegeben von Hermann Rheinhard, Verlag von Paul Neef, Stuttgart 1886
  • C. Iulii Caesaris commentarii rerum gestarum, Bd. 1: Bellum Gallicum. Ed. Wolfgang Hering, 3. Auflage Stuttgart-Leipzig 1997 (ND stereotyp. Ausgabe 1987) (Bibliotheca Teubneriana)
  • Otto Seel: Zum Germanenexkurs. Die Elche, in: ders., Caesar-Studien, Stuttgart 1967, S. 37 - 43
  • Rainer Henke: Jägerlatein in Caesars Bellum Gallicum (6,25-28) Original oder Fälschung? In: Gymnasium 105 (1998), S. 117-142

Fußnoten

  1. Rainer Henke: Jägerlatein in Caesars Bellum Gallicum (6,25-28) Original oder Fälschung? In: Gymnasium 105 (1998), S. 142

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