Hilary W. Putnam

Hilary W. Putnam
Hilary Putnam

Hilary Whitehall Putnam (* 31. Juli 1926 in Chicago, Illinois) ist ein amerikanischer Philosoph. Er gilt als eine der Schlüsselfiguren der Sprachphilosophie und der Philosophie des Geistes im 20. Jahrhundert.

Inhaltsverzeichnis

Biografie

Putnam ist der Sohn des Übersetzers und Romanisten Samuel Putnam, der als Journalist für den Daily Worker, ein Blatt der American Communist Party schrieb. Die Erziehung von Putnam war säkular, obwohl seine Mutter Riva Jüdin war.[1] Die ersten Lebensjahre wuchs Putnam in Frankreich auf, bis die Familie 1934 in die USA nach Pittsburgh zurückkehrte. Er studierte Philosophie und Mathematik an der University of Pennsylvania. Nach Abschluss des Bachelor of Arts setzte er sein Studium in Harvard und später an der University of California, Los Angeles bei Rudolf Carnap und Hans Reichenbach fort. Dort erwarb er 1951 bei Hans Reichenbach den Ph.D. (Doctor of Philosophy) mit einer Arbeit über „The Meaning of the Concept of Probability in Application to Finite Sequences”.

Danach übernahm er Lehrtätigkeiten an der Northwestern University in Evanston/Illinois, an der Princeton University in New Jersey sowie am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dort lernte er seine Frau, Ruth Anna Jacobs kennen, die ebenfalls am MIT Philosophie unterrichtete. Beide heirateten 1962. Auch Ruth Anna Jacobs, 1927 in Berlin, Deutschland geboren, hatte eine jüdische Mutter Marie Kohn, Tochter des Prof. Dr. med. Hans Nathan Kohn. Sie entkam der Vernichtung durch den Nationalsozialismus versteckt in der Gothaer Villa ihrer nicht-jüdischen Großeltern Jacobs. Sie entstammt einer alten Gothaer Gelehrtenfamilie; der Großvater ihres Urgroßvaters war der bedeutende Altertumsforscher und Schriftsteller Christian Friedrich Wilhelm Jacobs, der Historienmaler Paul Emil Jacobs ist ihr Ururgroßonkel. Das Ehepaar Putnam entschloss sich als Zeichen gegen den Antisemitismus ihre Kinder in einem formalen jüdischen Haushalt zu erziehen.[2]. Sie lernten daher Hebräisch und auch die Anwendung der jüdischen Zeremonien. 1994 feierte Hilary und 1998 Ruth Anna eine verspätete Bar Mitzwah. 1965 wechselten die Putnams nach Harvard, wo Hilary Putnam bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 lehrte. Seitdem ist er dort „John Cogan University Professor emeritus".

In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren setzte er sich sehr gegen die US-amerikanische Intervention in Vietnam und für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung ein.[3] Ab 1968 versuchte er diese Ziele in der Progressive Labor Party (PLP) zu verwirklichen, einer kleinen, nach eigenen Angaben marxistisch-leninistischen Organisation. Die Leitung der Harvard-Universität versuchte einmal, Putnam wegen seiner politischen Tätigkeit zu zensieren, er konnte diesen Versuch jedoch mit Hilfe einer großen Zahl von Freunden und Unterstützern abwehren. Es ist nicht bekannt, wann genau Putnam seine Verbindung zur PLP auflöste; bis 1975 hatte er jedenfalls jeden Kontakt mit der Organisation abgebrochen. 1997 gab er bei einem Treffen von ehemaligen Wehrdienstverweigerungsaktivisten in Boston zu, mit dem Eintritt in die PLP einen Fehler begangen zu haben. Er sagt, er sei zunächst beeindruckt gewesen vom Engagement der PLP in Bündnissen mit anderen Gruppierungen und von ihrer Bereitschaft, die Armee von innen zu unterwandern.[4]

Putnams Veröffentlichungen zu politischen Themen sind jedoch weniger zahlreich als seine philosophischen Beiträge. Zu nennen sind hier die Aufsätze „How Not to Solve Ethical Problems" (1983) and "Education for Democracy" (1993)[5]

Putnam wurde 1976 zum Präsidenten der American Philosophical Association gewählt und ist Mitglied der American Academy of Arts and Sciences sowie korrespondierendes Mitglied der British Academy.

Werk

Putnam hat Ideen in so viele verschiedene Themenbereiche eingebracht, dass sich seine Grundideen nur schwer strukturieren lassen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich seine Position in zentralen Fragen immer wieder geändert hat.

Philosophie des Geistes

Putnam ist einer der zentralen Theoretiker in der Philosophie des Geistes. In den sechziger Jahren entwickelte er eine Position, die unter dem Namen Funktionalismus bekannt geworden ist. Sie basierte ursprünglich auf einer Analogie von menschlichen Bewusstsein zur Funktionsweise von Computern. Die Automatentheorie und das Konzept der Turing-Maschine lieferten die Grundlagen des Modells. Automaten lassen sich funktional beschreiben, das heißt hinsichtlich der Ursachen-Wirkungs-Beziehungen bestimmter Zustände zu anderen Zuständen, Eingaben und Ausgaben. Genau das sollte auch beim Menschen möglich sein. Mentale Zustände sollten individuiert werden durch funktionale Rollen.

Mit dem Aufstieg des Funktionalismus war ein rasanter Popularitätsverlust der Identitätstheorie verbunden. Die Identitätstheorie hatte behauptet, dass mentale Zustände und neuronale Zustände identisch seien. Putnam argumentierte dagegen, dass dies aufgrund der multiplen Realisierbarkeit von mentalen Zuständen nicht möglich sei. Damit ist gemeint, dass Wesen den gleichen mentalen Zustand haben können, obwohl sie ganz verschiedene neuronale Zustände haben. Auch hier war eine Analogie zum Computer möglich: Auf Computern mit verschiedener Hardware kann die gleiche Software laufen. Die Programme sind also multipel realisierbar. Mentale Zustände sollten entsprechend die „Software des Gehirns“ sein.

Putnam hat sich in den achtziger Jahren vom Funktionalismus abgewandt. Er war der Meinung, dass mentale Zustände weder mit neuronalen noch mit funktionalen Zuständen identisch sind. Dennoch ist Putnam kein Dualist geworden. Der Dualist meint, dass es zwei Arten von Objekten gibt: mentale und physische. Putnam dagegen meinte, dass das Leib-Seele-Problem in seiner aktuellen Form auf einer falschen Sicht der Ontologie basiere. Wenn man sich von einem metaphysischen Realismus abwendet, so verschwindet auch die Frage, womit denn nun der Geist identisch sei. Der Geist ist nicht reduzierbar. Diese Auffassung steht in Verbindung mit der von Putnam begründeten antirealistischen Theorie des Internen Realismus.

In seinem Werk "The Threefold Cord" vertritt Putnam eine an John Langshaw Austin angelehnte Version des Naiven Realismus. Dies korrelierte mit einer Wende in der Philosophie des Geistes: So vertritt Putnam nun die Ansicht, dass das Leib-Seele-Problem auf sprachlichen Problemen und Kategorienfehlern beruhe.

Sprachphilosophie

Ein wichtiger Beitrag von Putnam zur Sprachphilosophie ist die These, dass "meaning just ain't in the head" ("Bedeutungen nun mal nicht im Kopf sind"). Die Kenntnis der Bedeutung eines Ausdrucks beruht nicht (nur) auf propositionalen Einstellungen. Putnam verdeutlichte dieses mit dem "Gedankenexperiment einer Zwillingserde". Er geht davon aus, dass ein Erdenbewohner eine Flüssigkeit sieht und diese "Wasser" nennt, und ein Zwilling, der ihm bis ins letzte Detail gleicht, auf einem anderen Planeten ebenfalls eine Flüssigkeit sieht und sie ebenfalls "Wasser" nennt. Wenn nun die Flüssigkeit auf dem anderen Planeten nicht H2O ist, sondern etwa XYZ, dann meinen die beiden mit "Wasser" etwas unterschiedliches, obwohl Wasser für beide dieselbe Funktion hat. Diese Sichtweise beinhaltet die kripkesche These starrer Designatoren, die Putnam auch auf natürliche Begriffe wie Wasser, Tiger oder Gold anwendet. Wenn der Erdling wüsste, dass die Flüssigkeit auf der Zwerde nicht H2O, sondern XYZ ist, würde er sie nicht Wasser nennen. XYZ ist eine zum Wasser der Erde unterschiedliche Extension und hätte damit eine andere Bedeutung. Die Position Putnams bezeichnet man auch als „Semantischer Externalismus“, da die Bedeutung nicht a priori entsteht, sondern von einem externen Einfluss abhängig ist.

Putnam vertritt weiterhin die These der „universellen sprachlichen Arbeitsteilung“. Den Begriff Gold kennen sehr viele Mitglieder einer Sprachgemeinschaft. Nur einige davon sind jedoch in der Lage, Gold von Katzengold aufgrund von chemischen Kenntnissen zu unterscheiden.

„Jede Sprachgemeinschaft weist die eben beschriebene Art von sprachlicher Arbeitsteilung auf, das heißt, sie verwenden wenigstens einige Ausdrücke, für die gilt: Die mit diesen Ausdrücken verknüpften Kriterien kennt jeweils nur eine Teilmenge der Menge aller Sprecher, die diesen Ausdruck beherrschen, und ihre Verwendung durch andere Sprecher beruht auf einer spezifischen Kooperation zwischen diesen und den Sprechern aus den jeweiligen Teilmengen.“[6]

Eine genaue Bestimmung der Extension eines Ausdrucks ist damit oftmals nur einem Kreis darauf spezialisierter Sprecher möglich.

Damit ist die in Anlehnung an Gottlob Frege vom logischen Empirismus (insbesondere Rudolf Carnap) aufgestellte These, dass die Intension eines Ausdrucks dessen Extension bestimmt, nach Putnam nicht zutreffend. Zugleich lehnt Putnam die von ihm selbst früher als Funktionalismus vertretene These ab, dass Bedeutung einem mentalen Zustand entspricht. Bedeutung ist für Putnam (entsprechend seiner neueren These des internen Realismus) externalistisch zu beurteilen, das heißt auch durch materielle und soziale Umwelteinflüsse bestimmt. Die Äußerungen und auch die Gedanken eines Subjekts entstehen nicht nur aufgrund interner Vorgänge, sondern auch in Abhängigkeit von externen Gegenständen, Sachverhalten oder Ereignissen. Die Sprachgemeinschaft bestimmt die Extension, die aber auch von der Umwelt abhängig ist.

Eine weitere Komponente der Putnamschen Sprachphilosophie ist die des Stereotyps. Danach kennt der normale Sprecher die übliche Sprachverwendung eines Ausdrucks nur in einem begrenzten Umfang, der ihm aber für eine gelingende Kommunikation ausreicht. So verbindet man üblicherweise mit dem Begriff des Tigers eine große Katze mit einem gelben Fell und schwarzen Streifen, die im Dschungel lebt. Dass es die größte Katzenart ist und dass es neun Unterarten gibt, ist den meisten Menschen nicht bekannt. Dies gilt für eine Vielzahl von Begriffen, sei es "saurer Regen", "Konjunktur" oder "Himalaja". Die individuelle Sprachkompetenz spielt in einer Sprachgemeinschaft eine untergeordnete Rolle.

Philosophie der Mathematik

Putnam trug zum Beweis der Unentscheidbarkeit von Hilberts 10. mathematischen Problem (Lösung einer diophantischen Gleichung) bei.

Die von ihm 1964 zusammen mit Paul Benacerraf herausgegebene Aufsatzsammlung Philosophy of Mathematics: Selected Readings enthält eine Einführung in die Philosophie der Mathematik.

Putnam vertritt die Meinung, dass in der Mathematik wie in der Physik und anderen empirischen Naturwissenschaften keine streng logischen Beweise, sondern "quasi-empirische" Methoden verwendet werden, wenn sie auch nicht ausdrücklich als solche gekennzeichnet werden. Als Beispiel nennt er einen durch viele einzelne Berechnungen geführten Versuch, den großen Fermatschen Satz zu beweisen. Selbst wenn auf solche Art empirisch gewonnenes Wissen als Vermutung und nicht als strenger Beweis behandelt wird, wird es doch als Grundlage zur Entwicklung mathematischer Ideen benutzt.

Philosophie der Philosophie

Putnams Beiträge zu Fragen der so genannten Metaphilosophie sind zwar weniger bekannt als die Richard Rortys, versuchen jedoch – im Gegensatz zu Rorty und anderen NeopragmatikernRelativismus zu vermeiden.

Quellen

  1. King, P.J. One Hundred Philosophers: The Life and Work of the World's Greatest Thinkers. Barron's 2004, 170
  2. Linda Wertheimer: Finding My Religion
  3. Hickey, L.P., "Hilary Putnam" To appear in the "American Philosophers" edition of Literary Biography, ed. Bruccoli, Layman and Clarke
  4. Foley, M. (1983). Confronting the War Machine. North Carolina: North Carolina Press
  5. To appear in the "American Philosophers" edition of Literary Biography, a.a.O.
  6. Putnam, Die Bedeutung von Bedeutung, 39

Veröffentlichungen

  • Philosophical Papers: Volume 1, Mathematics, Matter and Method., Cambridge, Cambridge University Press 1975, ISBN 0521295505
  • Philosophical Papers: Volume 2, Mind, Language and Reality., Cambridge, Cambridge University Press 1979, ISBN 0521295513
  • Vernunft, Wahrheit und Geschichte (Reason, truth, and history). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982 ISBN 3-518-06034-1
  • Repräsentation und Realität (Representation and reality). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991 ISBN 3-518-58090-6
  • Die Bedeutung von "Bedeutung" (The meaning of "meaning"). 2. Auflage. Klostermann, Frankfurt am Main 1990 ISBN 3-465-02224-6
  • Pragmatismus - eine offene Frage. Campus, Frankfurt am Main u.a. 1995 ISBN 3-593-35260-5
  • Für eine Erneuerung der Philosophie. Reclam, Stuttgart 1997 ISBN 3-15-009660-X
  • The Threefold Cord Mind, Body and World. New York, Columbia University Press 1999 ISBN 0231102879
  • The Collapse of the Fact/Value Dichotomy and Other Essays. Harvard University Press, Harvard 2004 ISBN 0674013808
  • Ethics Without Ontology. Harvard University Press, Harvard 2004 ISBN 0674013107

Literatur

  • Alex Burri : Hilary Putnam. Campus, Frankfurt am Main u.a. 1994 ISBN 3-593-35126-9
  • Marie-Luise Raters und Markus Willaschek (Hrsg.): Hilary Putnam und die Tradition des Pragmatismus. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002 ISBN 3-518-29167-X
  • Paolo Valore: Rappresentazione, riferimento e realtà. Studio su Hilary Putnam. Thélème, Torino 2001.

Weblinks


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