Histrionie

Histrionie
Vergleichende Klassifikation nach
ICD-10   DSM-IV
F60.4 Histrionische Persönlichkeitsstörung 301.50 Histrionische Persönlichkeitsstörung
ICD-10 online DSM IV online

Die histrionische Persönlichkeitsstörung (HPS) (von englisch histrionic „schauspielerisch; theatralisch, affektiert“ zu lateinisch histrio „Schauspieler“) ist gekennzeichnet durch egozentrisches und theatralisches Verhalten. Als Bezeichnung für eine Persönlichkeitsstörung hat HPS den veralteten Begriff Hysterie abgelöst.

Inhaltsverzeichnis

Beschreibung

Charakteristisch für Histrioniker ist der Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen. Betroffene sind meistens extravertiert, sozial ungezwungen und kontaktfreudig, haben aber nicht selten auch einen Hang zur Aggressivität. In Stresssituationen reagieren sie oft mit Schuldabwehr und Selbstbemitleidung, aber auch mit aggressivem Verhalten. Nicht selten suchen sie in derartigen Situationen zudem nach Selbstbestätigung und zeigen deutlich ein Bedürfnis nach sozialer Unterstützung.

Das Selbstwertgefühl ist eher schwach ausgeprägt. Sie können die eigene Bedeutung nur schlecht einschätzen, haben dafür aber ein sehr ausgeprägtes Gespür, wie andere auf ihr Auftreten reagieren. Entsprechend wichtig ist für Histrioniker die Bestätigung durch das Umfeld. Um diese Bestätigung zu erreichen, neigen sie zur exzessiven, oft theatralischen Selbstdarstellung.

Histrioniker sind extrem suggestibel. Leicht werden sie durch andere beeinflusst, wobei sie meist nach Übereinstimmung streben und Positionen des Gegenüber übernehmen. Gleichermaßen findet eine Anpassung an das jeweilige Umfeld statt, wobei sich die Persönlichkeit deutlich ändern kann. Die Betroffenen sind angeblich sehr leicht zu hypnotisieren und fallen gelegentlich auch allein in Trance.

Sie suchen ständig nach Neuem und nach Stimulation. Dadurch können sie sich leicht in gefährliche Situationen begeben. Sie können schnell enthusiastisch Interesse an etwas gewinnen und es ebenso schnell wieder verlieren. Auch sprachlich wechseln sie das Thema. Ihr Sprachstil ist dabei oberflächlich, detailarm und zuweilen impressionistisch.

Sie sind offen für oft wechselnde sexuelle Beziehungen. Das fällt ihnen leicht, da sie sich in Szene zu setzen wissen und viel Zeit und Geld in körperliche Attraktivität investieren. Typischerweise besteht ein ausgeprägter innerer Drang, zu flirten und sich (sexuell) verführerisch zu verhalten. Dabei ist die umfassende Liebe der Zielperson das Motiv, weniger die sexuelle Befriedigung. Innerhalb einer heterosexuellen Beziehung weicht anfängliche, überschwängliche Begeisterung oft gar nicht viel später der Enttäuschung, wobei die jeweiligen Partner nicht viel mehr als Objekte der emotionalen Manipulation sind und keinen Einfluss auf den Gefühlsumschwung haben. Es sollte aber beachtet werden, dass viele Histrioniker in monogamen Beziehungen oder ganz ohne Partner leben; Promiskuität ist kein sicheres Symptom. Innerhalb der Partnerbeziehungen werden immer wieder Liebesbeweise gefordert, was in extremen Fällen zu Spannungen führt.

Recht bedrohlich für die Betroffenen sind Selbstmordversuche, deren Motiv ebenfalls die Beachtung und Liebe durch das soziale Umfeld ist. Gelegentlich sind erpresserische Drohungen damit verbunden, die ernst genommen werden sollten. Da es sich um Impulshandlungen im Rahmen der gestörten Persönlichkeit handelt, ist die Vermeidung weiterer Versuche schwierig. Nach vielen Versuchen kommt es dann zum erfolgreichen Suizid. Die statistische Lebenserwartung bei der HPS ist dadurch verkürzt.

Die Diagnose dieser Störung hängt im Gegensatz zu anderen weniger von der Dispositionierung als von der Kultur ab. So fallen Histrioniker seltener auf, wenn ihr Gemütsbereich und sexuelle Freiheit als normal angesehen wird, wie heutzutage im Westen. Das theatralische Auftreten wird in verschiedenen Kulturen unterschiedlich akzeptiert. Es wird von zwei bis drei Prozent Betroffenen ausgegangen. Die Störung tritt bei Frauen sehr viel häufiger als bei Männern auf.

Da antisoziale und histrionische Persönlichkeiten gehäuft innerhalb ein und derselben Familie vorkommen, kann man davon ausgehen, dass eine gemeinsame genetische Disposition für diese beiden Persönlichkeitsstörungen vorliegt. Der Erbgang wird als autosomal-dominant angenommen. Bei Zwillingsstudien liegt die Konkordanz bei ca. 65 Prozent.
Häufig wird bei den Betroffenen über frühkindliche Erfahrungen familiärer Gewalt und des Missbrauchs berichtet, die von einem psychopathischen Mitglied der Familie ausgehen, typischerweise vom Vater. Anhaltender, lauter elterlicher Streit während der frühkindlichen Entwicklungsphase kann möglicherweise ebenfalls auslösend wirken.

Klassifizierung nach ICD und DSM

ICD-10

Nach ICD-10 müssen mindestens vier der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen:

  1. dramatische Selbstdarstellung, theatralisches Auftreten oder übertriebener Ausdruck von Gefühlen;
  2. Suggestibilität, leichte Beeinflussbarkeit durch andere oder durch Ereignisse (Umstände);
  3. oberflächliche, labile Affekte;
  4. ständige Suche nach aufregenden Erlebnissen und Aktivitäten, in denen die Betreffenden im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen;
  5. unangemessen verführerisches Erscheinen oder Verhalten;
  6. übermäßige Beschäftigung damit, äußerlich attraktiv zu erscheinen.

Egozentrik, Selbstbezogenheit, dauerndes Verlangen nach Anerkennung, fehlende Bezugnahme auf andere, leichte Verletzbarkeit der Gefühle und andauerndes manipulatives Verhalten vervollständigen das klinische Bild, sind aber für die Diagnose nicht erforderlich.

DSM-IV

Nach DSM-IV ist die HPS charakterisiert durch ein tiefgreifendes Muster übermäßiger Emotionalität oder Strebens nach Aufmerksamkeit. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter und die Störung zeigt sich in verschiedensten Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

  1. fühlt sich unwohl in Situationen, in denen er/sie nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht,
  2. die Interaktion mit anderen ist oft durch ein unangemessen sexuell-verführerisches oder provokantes Verhalten charakterisiert,
  3. zeigt rasch wechselnden und oberflächlichen Gefühlsausdruck,
  4. setzt regelmäßig seine körperliche Erscheinung ein, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken,
  5. hat einen übertrieben impressionistischen, wenig detaillierten Sprachstil,
  6. zeigt Selbstdramatisierung, Theatralik und übertriebenen Gefühlsausdruck,
  7. ist suggestibel, d.h. leicht beeinflussbar durch andere Personen oder Umstände,
  8. fasst Beziehungen enger auf, als sie tatsächlich sind.

Behandlung

Hilfe wird im Allgemeinen nicht wegen HPS, sondern wegen Depressionen oder psychosomatischer Organbeschwerden, die bis zu Blindheit oder Lähmungen reichen können, aufgesucht (in diesem Zusammenhang auch als Konversionsstörung bezeichnet). Da die Beschwerden subjektiv sind, sollte man sich vor Fehldiagnosen hüten. Histrioniker sind schwer zu behandeln, da sie ihr Verhalten nur langsam und schwer ändern können und ihnen oftmals die nötige Einsicht fehlt. Sie können manipulierend auf ihren Therapeuten sein und somit die Behandlung in eine falsche Richtung lenken. Er sollte dem Patienten die psychische Ursache seiner Beschwerden verdeutlichen und dynamisch und unterstützend auf ihn einwirken.

Literatur

  • Rainer Sachse: Histrionische und Narzisstische Persönlichkeitsstörungen. Hogrefe-Verlag, April 2002, ISBN 3801714462
  • Peter Fiedler: Persönlichkeitsstörungen. BeltzPVU, 19. September 2001, ISBN 3621274936
  • Stavros Mentzos: Hysterie. Vandenhoeck & Ruprecht, März 2004, ISBN 3525461992
  • Otto F. Kernberg, Peter Buchheim, Birger Dulz: Persönlichkeitsstörungen, Theorie und Therapie (PTT), H.3, Die hysterische, histrionische Persönlichkeitsstörung. F.K. Verlag, November 2000, ISBN 3794519078
  • Aaron T. Beck, Arthur Freeman, Denise D. Davis and Associates: Cognitive Therapy of Personality Disorders, 2nd edition. The Guilford Press, 2007, ISBN 1593854765

Siehe auch

Weblinks

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