Honorifikum

Honorifikum
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Die Höflichkeitsform, auch Honorificum und Honorativum (von lateinisch honorificus „ehrend, Ehre bringend“) ist eine Form der höflichen Anrede, die eine besondere Ehrerbietung für die angeredete Person darstellt. Sie kann sich je nach Sprache unterschiedlich gestalten, etwa durch eine Variation des Verbs, des Substantivs, der Personalpronomina oder durch besondere Interjektionen. Dabei fügt sie sich in den indoeuropäischen Sprachen vorzugsweise in ein System verschiedener Stufen der Anreden ein. Die Höflichkeitsformen entwickeln sich im Laufe der Zeit und ändern sich (siehe dazu sozialer Wandel).

Inhaltsverzeichnis

Pronomen

In der deutschen Standardsprache wird die Höflichkeitsform heute durch die Anrede mit der Pluralform „Sie“ und mit den davon abgeleiteten Formen gebildet. Auch das entsprechende Verb steht im Plural.

  • Beispiel: „Wohin gehen Sie?“

In der Schriftsprache werden das Pronomen „Sie“ und die davon abgeleiteten Formen großgeschrieben. Bis zur Rechtschreibreform 1996 gab es auch eine Höflichkeitsform für „Du“ in der Schriftsprache, indem dieses Wort großgeschrieben wurde. Von 1996 bis 2006 wurde „du“ in neuer Rechtschreibung ausschließlich kleingeschrieben. Seit der neuesten, inzwischen vierten Revision der Rechtschreibreform kann „Du“ bei persönlicher Anrede wieder großgeschrieben werden.

Die Anrede mit „Sie“ wird auch Siezen genannt, die Anrede mit „Du“ Duzen. Das Siezen (dritte Person Plural statt zweite Person Singular bzw. Plural) ist die einzig verbliebene aus einer Stufenreihe von Höflichkeitsformen:

  • „Haben Euer Gnaden wohl geruht?“ (fortgesetzt in der 3. Person Plural)

In einigen Dialekten (z.B. den oberdeutschen) hat sich die Anrede in der 2. Person Plural erhalten:

  • „Habt Ihr den Wechsel erhalten?“

Als gerade nicht höflich gilt das „Du“ (und früher das „Er“, die 3. Person Singular):

  • „Ist Er von allen guten Geistern verlassen?“ – „Gehe Er mir aus den Augen!“ (3. Person Singular) (Berliner Er)

Namen

Eine weitere Höflichkeitsform in der deutschen Sprache ist die Anrede mit „Herr“ oder „Frau“ plus Familiennamen. Die früher übliche Anrede „Fräulein“ für unverheiratete Frauen wird heute nur noch selten verwendet und wird mittlerweile von jungen Frauen als unangemessene Anrede abgelehnt.

Weitergehende Anredeformen, die eine Hierarchie von Anreden bilden, gelten heute in Deutschland den meisten Fällen als veraltet. Sie werden aber oft in der internationalen Diplomatie weiterhin verwendet. Die Formen entsprechen dabei dem Rang der angeredeten Person. Solche Anreden sind: Magnifizenz, Euer „Eminenz“ (Anrede eines Kardinals), Euer Hochwürden und Ähnliche.

Formen wie: „Gnädiger Herr“ oder „Gnädiges Fräulein“, die noch zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts verwendet wurden, sind heute in Deutschland außer Gebrauch, werden aber in Österreich in bestimmten Situationen verwendet.

Die Anrede „Doktor“ ist keine Höflichkeitsform, sondern zeigt den akademischen Grad an. Und der Titel ist, entgegen einer weitverbreiteten Vorstellung, sowohl in Deutschland als auch in Österreich kein Bestandteil des Namens und muss also nicht bei Namensnennung vorangestellt werden.

Verwendung des Konjunktivs

Bei Aufforderungen, Wünschen, Bitten und Fragen wird als Höflichkeitsform oft der Konjunktiv verwendet.

  • Könnten Sie mir bitte sagen, wie spät es ist? (Höflichkeitsform für: „Sagen Sie mir bitte, wie spät es ist.)
  • Würden Sie bitte das Fenster schließen? (Höflichkeitsform für: „Schließen Sie bitte das Fenster!)

Imperfekt der Höflichkeit

Bei Fragen wird manchmal, besonders in Restaurants oder am Telefon, die Präteritumsform als Höflichkeitsform verwendet.

  • "Wie war gleich Ihr Name?" (Können Sie bitte Ihren Namen nennen?)
  • "Wer bekam den Kaffee?" (Wer hat den Kaffee bestellt? Wem soll ich ihn geben?)

Man darf diese Formen nicht mit der wörtlichen Bedeutung verwechseln.

Schriftverkehr

Besondere Höflichkeitsformen werden im Schriftverkehr verwendet.

Dazu gehört eine besondere Form der Anrede − Beispiele hierfür sind:

  • Sehr geehrte Frau Lehmann (Die ältere Form „Sehr verehrte Frau Lehmann“ gilt als veraltet.)
  • Sehr geehrter Herr Lösche

Anrede bei Reden

Bei Reden ohne konkrete Ansprechpartner, zum Beispiel im Fernsehen, wird die Höflichkeitsfloskel „Sehr geehrte Damen und Herren“ verwendet.

Gegenseitigkeit

Unter Erwachsenen wird die Höflichkeitsform normalerweise gegenseitig verwendet. Die einseitige Verwendung des Duzens gilt oft als unhöflich und als Verweigerung der Ehrerbietung oder sie ist Ausdruck eines Unterschiedes in der sozialen Hierarchie.

Beim Umgang von älteren Menschen mit (wesentlich) jüngeren ist bisweilen eine Einseitigkeit gegeben, so siezen zum Beispiel Schüler ihre Lehrer, werden aber (bis wenigstens zu Beginn der Sekundarstufe II) von diesen für gewöhnlich geduzt.

Generell gilt für Kinder, dass diese dazu angehalten werden, alle Erwachsenen mit Ausnahme der eigenen Familie und Erwachsener aus dem Bekanntenkreis zu siezen, während Kinder normalerweise von niemandem gesiezt werden. Die Anwendung der Höflichkeitsform ist dabei anfangs ein sich entwickelnder Prozess: an Grundschulen ist es in der Regel noch üblich, dass die Kinder, welche erst mal lernen müssen, dass man fremde Erwachsene anders anspricht, ihre Lehrer zwar mit „Herr“ bzw. „Frau“ plus Familienname anreden, aber dennoch das „Du“ verwenden („Frau Müller, kannst du mir mal sagen, wie ich diese Aufgabe lösen kann?“).

Traditionell wird die Höflichkeitsform beim Treffen zwischen einander unbekannten Personen und von nicht miteinander verwandten Personen verwendet.

Etwa von 1800 bis 1900 war es in Mitteleuropa in den gehobenen Gesellschaftsschichten üblich, dass Kinder alle Erwachsenen einschließlich der Eltern mit Sie anredeten.

Vertrauliche Ausdrucksformen

Auf die Höflichkeitsform verzichtet wird im familiären Bereich und oft im Freundeskreis oder zwischen Arbeitskollegen. Ferner ist das Du als gegenseitige Anrede in gewerkschaftlichen Kreisen und auch in sozialistischen Parteien üblich, auch wenn sich die Gesprächspartner nicht kennen. In Internetforen, Wikis sowie im Usenet wird ebenfalls oft das vertraulichere „Du“ gegenüber dem „Sie“ bevorzugt, selbst bei völlig fremden Personen. Auffallend ist hier die teilweise zu beobachtende Vertauschung der Rollen. So wird der Wechsel vom üblichen Duzen hin zum Siezen (etwa in besonders hitzigen Diskussionen) als Mittel zur deutlichen Distanzierung vom Gesprächspartner eingesetzt und von vielen Teilnehmern als Affront empfunden.

Des weiteren gibt es die ironische Verwendung der Höflichkeitsform: in nichtschriftlichen Kommunikationssituationen, in denen normalerweise geduzt wird (z.B. unter Freunden oder Familienmitgliedern), kann ein „Sie“ oder „Euer Hochwohlgeboren“ auch Ironie im Sinne von „hab dich nicht so wichtig“ ausdrücken, ohne dass das feindselig gemeint ist.

Andere Sprachen

In anderen Sprachen sind zum Teil sehr unterschiedliche Höflichkeitsformen üblich.

In der englischen Sprache wurde die frühere Höflichkeitsform „you“ (zweite Person Plural) auch zur zweiten Person Singular und ersetzte die ältere Form „thou“ auch im familiären Bereich.

Dhivehi, die Amtssprache der Malediven, kennt drei Höflichkeitsstufen.

In den indischen Sprachen gibt es eine große Anzahl von Honorifica, vor allem Anredeformen und Pronomina (z.B. Pluralis Majestatis), die der starken Aufgliederung der Gesellschaft durch das Kastensystem entsprechen; z.B. im Sinhala existiert aber auch ein gesonderter Wortschatz bei Verben und Nomina, die u.a. in Bezug auf Mitglieder des buddhistischen Klerus verwandt werden.

Die Höflichkeitsformen der chinesischen Sprache bestehen aus einem differenzierten System von Pronomina und Affixen für die Bezeichnung der sprechenden und der angesprochenen Person. Im modernen Chinesisch sind jedoch nur noch wenige in Gebrauch.

Die Japanische Höflichkeitssprache hat für verschiedene Stufen der Ehrerbietung nicht nur verschiedene formale Redewendungen, Honorativpräfixe, Anredesuffixe und Pronomina, sondern auch verschiedene Verbformen. Das koreanische Honorativsystem ist ähnlich komplex.

In einigen Naturvölkern in Australien und Afrika existieren sogenannte Vermeidungssprachen, die ausschließlich zur Kommunikation mit bestimmten Verwandten dienen, mit denen umzugehen sonst tabu ist.

Gesten

Höflichkeitsformen sind oft mit speziellen Gesten verbunden. Dazu gehören Verbeugung (vgl. Knicks und Diener), spezielle Handbewegungen, Händedruck und Zuwendung der Aufmerksamkeit. In einigen Fällen können solche nonverbalen Höflichkeitsformen auch verbale ersetzen.


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