Fräulein

Fräulein

Fräulein (Abk.: Frl.) war bis in die 1970er Jahre hinein die förmliche Anrede für unverheiratete Frauen gleich welchen Alters. Heute ist es üblich, erwachsene weibliche Personen mit „Frau“ anzusprechen. Vergleichbare Bezeichnungen finden sich auch in anderen Sprachen (z. B. Miss (engl.), Juffrouw (nied.), Mademoiselle (franz.), Señorita (span.), Signorina (ital.), Fröken (schwed.), δεσποινίς (despoinis) (griech.).

Inhaltsverzeichnis

Wortgeschichte

Ära „Mann/Weib - Herr/Frau (Herrin)“

Im Neuhochdeutsch der Zeit vor dem 19. Jahrhundert war die Anrede „Fräulein“ auf Standespersonen beschränkt. „Frau“ bzw. Mittelhochdeutsch (mhd.) „frouwe“ war keine Geschlechtsbezeichnung (dafür hatte man „Weib“ bzw. mhd. „wip“), sondern die Bezeichnung einer Adeligen; so wie auch „Herr“ keine Anrede für jedermann, sondern für den Lehnsherren war. Entsprechend bezeichneten das „Fräulein“ die Fürstentochter und der „Junker“ – der 'junge Herr' – den Fürstensohn, während die „Jungfer“ bzw. der „Jungmann“ junge Frauen und Männer unabhängig von ihrem sozialen Stand bezeichneten. Diese ursprüngliche Bedeutung von „Fräulein“ taucht noch z. B. in Goethes Faust auf, wenn Faust Gretchen mit den Worten anspricht:

Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?

Da Gretchen eine Person niederen Stands ist, ist das als eine bewusst galante Anrede zu verstehen, mit der Faust Gretchen nach allen Regeln der (höfischen) Kunst 'bezirzen' will. Sie entgegnet so sachlich korrekt wie ungalant:

Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann ungeleitet nach Hause gehn. (vv.2605ff.)

Ära „Mann/Frau“

Anrede „Herr“ vs. „Frau oder Fräulein“

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert etablierte sich die Anrede „Fräulein“ vor allem für berufstätige Frauen (z.B. Angestellte in Warenhäusern, Kellnerinnen und Lehrerinnen), da weibliche Berufstätigkeit damals noch strikt auf die Zeit vor der Ehe beschränkt war. Im Deutschen Reich gab es von 1880 bis 1919 sogar eine rechtliche Vorschrift (einen Ministererlass), wonach weibliche Lehrkräfte unverheiratet sein mussten, das „Lehrerinnenzölibat“. Das „Fräulein Rottenmeier“ aus Johanna Spyris Heidi ist eine bekannte Vertreterin des Typus „Fräulein Lehrerin“. Die eigentlich für eine Dame fortgeschrittenen Alters unpassende Bezeichnung „Fräulein“, die jugendliche Ungebundenheit signalisiert, wurden solche Frauen nicht los, es sei denn, sie hätten doch noch geheiratet und damit ihren Beruf „geopfert“. Das Nicht-Verheiratet-Sein wurde so quasi zum jedermann und bereits Kindern signalisierten Namensbestandteil. Aus der Zeit des „Fräulein Rottenmeier“ ist die gelegentlich noch regional anzutreffende Sitte zu erklären, Lehrerinnen (auch verheiratete) als „Fräulein“ zu bezeichnen und sie so anzureden. Das Recht, ihren Frauen eine Erwerbstätigkeit zu untersagen, gab § 1354 des BGB in Deutschland Ehemännern bis 1957. Durch solche Regelungen ist die hartnäckige Korrelation von „erwerbstätig“ und „unverheiratet“ im Denken zu erklären, die es im Hinblick auf Frauen im deutschsprachigen Raum lange gab und die in der Bezeichnung „Fräulein“ für berufstätige Frauen ihren Ausdruck findet.

Zeit der Ausnahmeregelungen

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Praxis gelockert, alle weiblichen Personen unabhängig von ihrem Alter als „Fräulein“ zu bezeichnen, wenn sie nie verheiratet waren: 1937 „erlaubte“ der Reichsinnenminister, Mütter nichtehelicher Kinder mit „Frau“ anzureden oder anzuschreiben, wenn diese vor der für sie zuständigen Polizeistation ihren entsprechenden Wunsch zu Protokoll gegeben hatten. Für den Dienstverkehr des öffentlichen Dienstes galt ab Mai 1937 die einheitliche Anrede „Frau“. (Verordnung des Reichsjustizministeriums Nr. 2697 in Reichshaushalts- und Besoldungsblatt v. 21. Juni 1937).

Im Zweiten Weltkrieg wurde dieses Privileg auch unverheirateten Müttern von Adoptivkindern und Verlobten von Kriegsgefallenen zugestanden.[1]

Nach 1945 wurde das „doitsche Froilain“ von den in Deutschland stationierten amerikanischen GIs entdeckt und das „Fräulein“ ging als Fremdwort ins Englische ein. Seitdem existiert auch die sprichwörtliche Redensart vom „Deutschen Fräuleinwunder“. Diesem Typus hat Wolfgang Koeppen 1951 in seinem Roman Tauben im Gras ein literarisches Denkmal gesetzt („das Fräulein“ ist in diesem Roman eine von mehr als dreißig Figuren).

Abdrängung des Begriffs „Fräulein“ in „Sprachreservate“

1955 hob das Bundesinnenministerium den nationalsozialistischen Bezugserlass auf und verfügte, dass in amtlichen Schreiben jede weibliche Person, die das wünsche, mit „Frau“ bezeichnet werden müsse:

„Die Bezeichnung ‚Frau‘ ist weder eine Personenstandsbezeichnung noch ein Teil des Namens noch ein Titel, der verliehen werden müßte oder könnte. Sie ist auch nicht gleichbedeutend mit ‚Ehefrau‘. Vielmehr steht es jeder unverheirateten weiblichen Person frei, sich ‚Frau‘ zu nennen. Von dieser Möglichkeit wird zunehmend Gebrauch gemacht. Es ist daher gerechtfertigt und geboten, unverheiratete weibliche Personen auch im amtlichen Verkehr mit ‚Frau‘ anzureden, wenn sie dies wünschen.“[2]

1972 schließlich verfügte das deutsche Bundesinnenministerium, dass der Gebrauch des Wortes „Fräulein“ in Bundesbehörden zu unterlassen sei:

„Es ist an der Zeit, im behördlichen Sprachgebrauch der Gleichstellung von Mann und Frau und dem zeitgemäßen Selbstverständnis der Frau von ihrer Stellung in der Gesellschaft Rechnung zu tragen. Somit ist es nicht länger angebracht, bei der Anrede weiblicher Erwachsener im behördlichen Sprachgebrauch anders zu verfahren, als es bei männlichen Erwachsenen seit jeher üblich ist. […] Im behördlichen Sprachgebrauch ist daher für jede weibliche Erwachsene die Anrede ‚Frau‘ zu verwenden.“[3]

Die Frauenbewegung seit den 1970er-Jahren kritisiert das Diminutiv „Fräulein“ wegen der gesellschaftlichen Werte und Vorstellungen, die darin zum Tragen kämen: Einerseits löse das genus neutrum (ähnlich wie bei dem Wort „das Weib“) unerwünschte Assoziationen aus (als ob weibliche Menschen „Sachen“ wären), andererseits werde durch den Gebrauch der Unterscheidung zwischen „Fräulein“ und „Frau“ die Ansicht gefördert, wonach eine weibliche Person erst dann als erwachsene Frau gelten könne, wenn sie heirate, während einem jungen unverheirateten Mann dadurch, dass man ihn „Herr“ nenne, signalisiert werde, dass man ihn für einen vollwertigen Mann halte. Denn der „Junker“ hatte keine vergleichbare Wortgeschichte bis ins bürgerliche Zeitalter hinein und der „Jungmann“ hat sich nur als Schimpfwort für den Hagestolz erhalten, nicht als formelle Kategorie.

Systematisiert wurde die Kritik am traditionellen Sprachgebrauch in den „Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs“, die vier Linguistinnen 1981 veröffentlichten. Sie empfehlen den vollständigen Verzicht auf den Gebrauch des Wortes „Fräulein“; wer dieser Empfehlung nicht folge, müsse als „Sexist“ gelten. Die „Deutsche UNESCO-Kommission“ schloss sich 1993 dieser Sichtweise an: „Das Prinzip der sprachlichen Symmetrie besagt, dass dort, wo von Frauen und Männern die Rede ist, beide gleich zu behandeln sind.“[4] Immer dann, wenn bei einer männlichen Person der Begriff „Herr“ als Anrede oder Bezeichnung angemessen sei, gebe es keinen Grund, einer gleichaltrigen weiblichen Person in derselben Situation die Anrede oder Bezeichnung „Frau“ zu verwehren.

In der DDR war der Gebrauch von „Fräulein“ für unverheiratete Frauen bis zur Wende üblich.

Aktueller Sprachgebrauch

Heutzutage sind die Anrede und die Bezeichnung „Fräulein“ für junge Frauen im deutschen Sprachraum im Schriftverkehr und im formellen Umgang kaum mehr im Gebrauch, wohl aber in den deutschsprachigen Teilen Belgiens. Überlebt hat das Wort „Fräulein“ als Anrede für eine weibliche Bedienung in einem Café oder Restaurant, aber auch diese Verwendung wird – wie das männliche Pendant „Herr Ober!“ – in Deutschland seltener. An der Stelle dieser Bezeichnungen bürgert sich mehr und mehr ein informelles „Hallo!“, „Entschuldigung!“, „Bestellung, bitte!“ bzw. „Zahlen, bitte!“ oder, soweit bekannt, die Anrede mit dem Namen ein.

Der japanische Germanist[5] Saburo Okamura konnte nachweisen, dass heute das Wort „Fräulein“ zwar relativ selten benutzt werde, ein Rückgang des Wortgebrauchs seit den 1990er Jahren aber nicht festzustellen sei. Das habe er bei einer empirischen Untersuchung herausgefunden, bei der er in mehreren Jahrgängen der Süddeutschen Zeitung alle Ausgaben sprachstatistisch ausgewertet habe. Für seinen Befund nennt Okamura mehrere Begründungen:

  • Das Wort „Fräulein“ wird zitiert (bei der Nennung von Buch- oder Filmtiteln bzw. bei der Bezugnahme auf historische Äußerungen)
  • Es handelt sich um eine Rückbesinnung auf traditionelle höfliche Formen im Umgang ohne jede diskriminierende Absicht
  • Der Begriff bezeichnet oft Minderjährige mit ausgeprägter weiblicher Physiognomie
  • Das Wort wird kreativ eingesetzt, um anders nur schwer ausdrückbare Sachverhalte zu vermitteln (Beispiel: „Uns fehlt ein Fräulein Nikola Kiefer“); der Begriff enthält dabei zumeist Konnotationen wie „(sehr) jung“, „attraktiv“, „energiegeladen“ und „einsatzfreudig“
  • Gelegentlich aber wird das Wort „Fräulein“ auch benutzt, um damit die so Bezeichneten abzuwerten (Nicht-Verheiratet-Sein als angebliches Symptom von Unreife oder mangelnder Seriosität)

Der Duden weist in einem Newsletter vom 3. Juni 2002 darauf hin, dass man Personen, die Wert darauf legen, mit Fräulein angeredet zu werden, diesen Wunsch erfüllen sollte. In aller Regel werden in solchen Fällen beim Sprechen und Schreiben in der 3. Person Singular nicht die grammatikalisch eigentlich „richtigen“ Pronomina „es“ und „sein“ verwendet (wie z.B. noch bei den Brüdern Grimm), sondern die Wörter „sie“ und „ihr“ (Beispiel: „Das Fräulein Meyer hat ihre Handtasche liegen lassen; sie hatte es wohl eilig“).

2008 befragte das Institut für Demoskopie Allensbach Deutsche zu ihrer Akzeptanz von so genannten Tabu-Wörtern, darunter auch Fräulein. 47 Prozent der Befragten gaben an, Fräulein selbst zu verwenden. 44 Prozent sagten aus, es nicht zu verwenden, jedoch sich auch nicht daran zu stören. Lediglich 7 Prozent empfanden die Benutzung ärgerlich oder abstoßend.[6]

Siehe auch

Personen

Ortsnamen

Literatur

Film

Musik

Weiteres

Literatur

  • Theodor Matthias: Wielands Aufsatz: Demoiselle oder Fräulein. In: Zeitschrift für Deutsche Wortforschung, Band 5 (1903/1904), S. 23–58
  • Anne Quinn Cramer: „Frau“ or „Fräulein“. How to adress a woman in German. In: Die Unterrichtspraxis/For the teaching of German, Jahrgang 9, Heft 1 (1976), S. 28f
  • Senta Trömel-Plötz, Ingrid Guentherodt, Marlis Hellinger, Luise F. Pusch: Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprachgebrauchs. In: Linguistische Berichte 71. Vieweg, Wiesbaden 1981
  • Annette Brauerhoch: Fräuleins und GIs. Geschichte und Filmgeschichte. Stroemfeld, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-86109-170-4
  • James C. Dye, John A. Niles, Jr.: Mox Nix, Cartoons About Your Tour in Europe., The Transmitter, Kassel 1952

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Fräulein – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. nach Angelika Gardiner-Sirtl: Gleichberechtigt? Was die Frauen erreicht haben - und was zu tun bleibt; München. Mosaik-Verlag. 1982. S. 84f.
  2. zitiert nach Okamura Saburo [1]
  3. zitiert nach Okamura Saburo
  4. Marlis Helminger, Christine Bierbach: Eine Sprache für beide Geschlechter. Richtlinien für einen nicht-sexistischen Sprachgebrauch. Mit einem Vorwort von Irmela Neu-Altenheimer. Herausgegeben von der Deutschen UNESCO-Kommission, Bonn 1993[2]
  5. http://read.jst.go.jp/public/cs_ksh_008EventAction.do?action4=event&lang_act4=E&judge_act4=2&knkysh_name_code=1000010322
  6. IfD-Umfrage 10019

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