Ilse von Arlt

Ilse von Arlt

Ilse Arlt (* 1. Mai 1876 in Wien; † 25. Jänner 1960) zählt zu den Pionierinnen wissenschaftsgeleiteter Sozialer Arbeit. Ausgehend von ihrer volkswirtschaftlichen Beschäftigung mit Fragen der Armut arbeitete sie daran, die Grundlagen einer eigenständigen Fürsorgewissenschaft zu bestimmen, wodurch sie zentrale Fundamente zur Entwicklung der Sozialen Arbeit als Profession legte. Sie gründete 1912 die erste Fürsorgerinnenschule in der Österreich-Ungarischen Monarchie in Wien, die „Vereinigten Fachkurse für Volkspflege“, und war Autorin der ersten Lehr- und Fachbücher für Soziale Arbeit. 1955 wurde sie mit dem Dr.-Karl-Renner-Publizistikpreis ausgezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Forschungsinteresse

Ilse Arlt beschäftigte sich Zeit ihres Lebens mit dem Leid ihrer Mitmenschen, insbesondere mit der Armut. Das Forschen begann sie selbst, als sie bemerkte, dass es keinen wissenschaftlichen Konsens über diese Problematik gab, geschweige denn gesichertes Wissen. Als sie außerdem bemerkte, dass die Nationalökonomie ihrer Zeit sich nicht tiefgehend genug mit der Armutsthematik beschäftigte, begann sie sich mit den Methoden der deskriptiven Nationalökonomie zu befassen und ließ sie in ihre Forschungsarbeit einfließen. Sie verglich den IST-Zustand mit dem zu definierenden SOLL-Zustand „menschlichen Gedeihens“ und beforschte mithin die Gesetzmäßigkeiten der Entstehungs- und Aufrechterhaltungsprozesse von Armut. Damit bezweckte sie, wissenschaftlich fundierte Möglichkeiten der Lebenshaltung und der -hilfe zu orten. Arlt verlangte der Armutsforschung ab, bei der Ergründung der basalen menschlichen Bedürfnisse oder Gedeihenserfordernisse zu beginnen. Diese seien u. a. aus den beobachtbaren und messbaren Gedeihensmängeln zu erschließen. In diesem Zusammenhang legte sie den Grundstein zur aktuellen biopsychosozialen Theorie menschlicher Bedürfnisse, die folgende Grundbedürfnisse umfasst:

13 Menschliche Grundbedürfnisse

  1. Ernährung
  2. Wohnung
  3. Körperpflege
  4. Bekleidung
  5. Erholung
  6. Luft
  7. Erziehung
  8. Geistespflege
  9. Rechtsschutz
  10. Familienleben
  11. Ärztliche Hilfe und Krankenpflege
  12. Unfallverhütung und Erste Hilfe
  13. Ausbildung zur wirtschaftlichen Tüchtigkeit

Die Liste dieser menschlichen Grundbedürfnisse wurden in neuerer Zeit im sozialarbeitswissenschaftlichen Kontext u. a. von Silvia Staub-Bernasconi und Werner Obrecht weiterentwickelt, sie bilden einen der Grundbausteine des modernen Systemtheoretischen Paradigmas der Sozialen Arbeit.

Gegenstand der Sozialen Arbeit

Als Gegenstand der Sozialen Arbeit definiert Arlt die angewandte Armutsforschung. Ferner das Erkennen und Beschreiben von Schäden; das Verstehen der Ursachen; deren weiteren Auswirkungen (auf die Umwelt, oder das betroffene Individuum); das Tempo (Prognose) der Lageverschlechterung; die Analyse (un-)günstiger Faktoren; Kenntnisnahme der möglichen bzw. vorhandenen Hilfen und ihrer Wege (Methode) und schließlich die Evaluation ihrer Wirksamkeit.

Erklärung sozialer Probleme

Zur Erklärung sozialer Probleme führt Ilse Arlt Lebenshaltungsprobleme an, also Erfordernisse und Gegebenheiten der Umwelt gegenüber den Erfordernissen der Menschen(-gruppen). Armut ist für sie der "Mangel an Mitteln zur richtigen Bedürfnisbefriedigung", worunter sie sowohl die gesellschaftliche Situation als auch die psychischen Probleme (Disposition) des Individuums versteht. Sie postuliert, der Mensch sei "von Geburt an bedürftig" und definiert die sog. Grenznot der einzelnen Grundbedürfnisse, unter dessen Schwelle ein Mensch dauerhaft Schaden nähme.

Metatheoretische Annahmen

Ilse Arlt ging davon aus, dass sich das Gros der menschlichen Bedürfnisse auf einige wenige Grundgrößen reduzieren lasse. Somit würde sich die Armutsforschung operationalisieren lassen und den wissenschaftlichen Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität, Validität) genügen.

Forschungsmethoden

Ilse Arlts Forschungsmethoden umfassten unter anderem die tägliche Anschauung, präzise Datenerhebungen (nicht-)gedeihenden Lebens, Rezeption der Schilderungen von Gedeihen und Elend in der Belletristik, sowie Analysen von Reisebeschreibungen und Reformbewegungen.

Werke

  • Die Grundlagen der Fürsorge. Österreichischer Schulbuchverlag Wien 1921.
  • Wege zu einer Fürsorgewissenschaft, Verlag Notring der wissenschaftlichen Verbände Österreichs Wien 1958.

Literatur

  • Ernst Engelke: Theorien der Sozialen Arbeit, Lambertus Freiburg i Br 2002, Seiten 272-283, ISBN 3-7841-0891-1.
  • Cornelia Frey: Respekt vor der Kreativität der Menschen - Ilse Arlt: Werk und Wirkung, Budrich Leverkusen 2005, ISBN 3-938094-54-0.
  • Silvia Staub-Bernasconi: Ilse Arlt: Lebensfreude dank einer wissenschaftsbasierten Bedürfniskunde: Aktualität und Brisanz einer fast vergessenen Theoretikerin. In: Sabine Hering und Berteke Waaldijk (Hrsg.): Die Geschichte der Sozialen Arbeit in Europa (1900-1960), Opladen: Leske + Budrich Opladen 2002, Seiten 25-33.
  • Silvia Staub-Bernasconi: Soziale Arbeit als Handlungswissenschaft: Systemtheoretische Grundlagen und professionelle Praxis - Ein Lehrbuch. Bern/Stuttgart/Wien 2007, ISBN 3-8252-2786-3.
  • Ursula Ertl: Ilse Arlt – Studien zur Biographie der wenig bekannten Wissenschaftlerin und Begründerin der Fürsorgeausbildung in Österreich. Diplomarbeit. Würzburg-Schweinfurt 1995.
  • Peter Pantucek / Maria Maiss (Hrsg.) (2009): Die Aktualität des Denkens von Ilse Arlt. VS Verlag, Wiesbaden. ISBN 978-3-531-16514-1.

Weblinks

Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung


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