In-Sprachen-Beten

In-Sprachen-Beten

Zungenrede oder Glossolalie (von altgr. γλῶσσα (glôssa), „Zunge, Sprache“ und λαλέω (laleô), „sprechen, reden“), nach dem Neuen Testament manchmal auch als Sprachengebet oder Beten im/mit dem Geist bezeichnet, sind unverständliche Lautäußerungen, die sich anhören wie eine unbekannte Sprache, im Rahmen religiöser Praktiken zumeist christlicher Erweckungskirchen. In diesen Glaubensrichtungen wird die Zungenrede als eine Sprache des Geistes betrachtet, welche durch Auslegung den Geist Gottes direkt offenbare. Sehr ähnliche Phänomene, die vorwiegend außerhalb des christlichen Rahmens auftreten, werden als Xenoglossie bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Herkunft

An verschiedenen Stellen des Neuen Testaments wird die Zungenrede erwähnt und als ein Zeichen des Glaubens an Jesus Christus genannt und als Verkündigung in fremden, aber real existierenden Sprachen zu den Gaben des Heiligen Geistes gezählt. Dabei ist der Ausdruck "Zungenrede" eine als theologische Wortneuschöpfung im Anschluss an die Lutherübersetzung von 1545 in der Übersetzung von unverständlicher Zunge, unverständlicher Sprache. So etwa im Markusevangelium 16,17: "Die Zeichen aber, die folgen werden denen, die da glauben, sind diese: In meinem Namen werden sie böse Geister austreiben, in neuen Zungen reden [...]." In Apostelgeschichte (Apg 2,1-13) wird berichtet, dass in Jerusalem am Pfingsttag die christliche Botschaft in Sprachen verkündigt wurde, wie sie der heilige Geist auszusprechen gab und Juden aus allen Völkern es in ihrer eigenen Muttersprache verstehen konnten.

Tatsächlich handelte es sich bei den insbesondere von Paulus gegründeten Urgemeinden, etwa in der Hafenstadt Korinth, um Versammlungen von Juden und Griechen, Sklaven und Freien. Vor allem die Sklaven aller Herkunft durften ihre je eigene Sprache mitgebracht haben. Paulus war darum bemüht, dass im Gottesdienst nicht jeder in seiner Sprache und damit alle durcheinander beteten. (1Kor 14,2 ff.) Deshalb plädierte er für Gebete, die allen verständlich sind.

Aufgrund der Übersetzungsoffenheit hat sich eine eigenständige Lehre und Praxis der Zungenrede entwickelt, die sich auf weitere Schriftstellen beruft: bei der Bekehrung des Kornelius (Apg 10,44-48), den Ephesusjüngern (Apg 19,1-6) und der Lehre von Apostel Paulus (1. Korinther 14,1-40) zu finden.

Über die Inspirationsbewegung, einen Zweig des radikalen Pietismus, fand die Zungenrede gegen Ende des 17. Jahrhunderts erneut Eingang in die religiöse Praxis. Im heutigen Christentum wird sie besonders in der Pfingstbewegung und der charismatischen Erneuerung praktiziert.

Auslegung

Wird in einer Gemeinschaft eine Botschaft in Sprachen weitergegeben, so sollte diese anschließend ausgelegt, das heißt in verständliche Sprache „übersetzt“ werden. Dies wird von Paulus in 1. Korinther 14 ausdrücklich gefordert. Paulus bestätigt die Praxis der Zungenrede, warnt aber vor Missbräuchen und nennt sie (ohne Auslegung) weniger bedeutsam als die prophetische Rede und vor allem die Liebe.

Die Auslegung kann durch den Beter selbst geschehen, in der Regel aber durch einen anderen. Dies geschieht dadurch, dass der Auslegende die Zungenrede in seiner Sprache hört (wie es am Tage zu Pfingsten geschildert wurde), oder er empfängt von Gott die Auslegung als eine Offenbarung (d.h. wie in einem inneren Eindruck). Nach Paulus handelt es sich dabei meist um Prophetie.

Die Fähigkeit, eine Zungenrede auszulegen, gehört gemäß dem Neuen Testament zu den Gaben des Heiligen Geistes. Die Auslegung der Zungenrede soll von zwei oder dreien beurteilt werden und ist der biblischen Botschaft untergeordnet. Das wesentlichste Kriterium der Beurteilung ist, ob die Auslegung von Gott ist und dem Worte Gottes (der Bibel) nicht widerspricht.

Bedeutung in der Pfingstbewegung

In der Anfangszeit der Pfingstbewegung sahen es viele als gegeben an, dass Menschen mit der Gabe der Zungenrede nur aufgrund einer Eingebung in Zungen beten können. Bald setzte sich jedoch die Ansicht durch, dass es verschiedene Formen von Zungenreden gibt:

  • Erstens die Zungenrede als persönliche Gebetssprache ohne Auslegung, die nur dem persönlichen Gebet oder als Lobpreis zu Gott dient und den Beter erbaut. Daneben wird sie häufig in der Fürbitte eingesetzt. Sie soll dem Beter ermöglichen, für ihm (weitgehend) unbekannte Anliegen bzw. Personen zu beten und auch verhindern, dass die Subjektivität des Beters das Gebet beeinflusst. Diese persönliche Gebetssprache steht jedem, der bereits in Zungen gebetet hat, jederzeit zur Verfügung. Unter diesen Punkt fällt auch das oft in pfingstlich-charismatischen Gottesdiensten praktizierte Singen im Geist, bei dem alle Teilnehmer gemeinsam in Zungen zu Gottes Lob singen.
  • Daneben gibt es die Geistesgabe der Zungenrede mit Auslegung. Diese dient dazu, eine Botschaft von Gott weiterzugeben und muss dazu ausgelegt werden. Eine solche Botschaft in Zungen mit Auslegung ist der Prophetie gleichgestellt.

Die Zungenrede hat demnach nichts mit Ekstase zu tun. Der Beter ist bei vollem Bewusstsein und kann den Vorgang kontrollieren, beispielsweise das Gebet beginnen oder beenden, laut oder leise beten. Sie wird in der Pfingstbewegung als Zeichen dafür gewertet, dass der Betreffende die Geistestaufe, den Heiligen Geist empfangen hat. In anderen Teilen der charismatischen Erneuerung hat die Zungenrede jedoch keine solche Bedeutung. Sie ist nach ihnen eine von mehreren Geistesgaben, die man haben kann oder auch nicht. Zungenrede während eines Gottesdienstes oder einer Gebetsgemeinschaft wird jedoch auch hier als eine Manifestation der Gegenwart des Heiligen Geistes gewertet.

Jedenfalls schließt diese Art des Gebetes den bewussten Verstand aus, denn der Beter weiß meist nicht, was er betet. Die Zungenrede kann im Rahmen eines Gottesdienstes oder einer Gebetsgemeinschaft praktiziert werden, meist jedoch beim privaten Gebet. Zungenrede sollte im Gottesdienst jedoch in „geordneten“ Verhältnissen und nicht durcheinander ausgeübt werden. Hierauf bezieht sich besonders der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief 14,27 LUT.

Bibelstellen

  • Jesus nannte das Reden in neuen Zungen als eines der Zeichen, die den Gläubigen folgen (Evangelium nach Markus 16,17-18 LUT).
  • Am Tage zu Pfingsten wurden die Jünger Jesu von dem heiligen Geist erfüllt und fingen an, in anderen Sprachen zu predigen, wie es ihnen der heilige Geist auszusprechen gab (Apostelgeschichte des Lukas 2,1-4 LUT).
  • Als Apostel Petrus den Nichtjuden Jesus Christus verkündigte, fiel auf sie ebenfalls der heilige Geist und die Gabe der Zungenrede (Apostelgeschichte 10,44-46 LUT).
  • Als Apostel Paulus den Täuflingen die Hände auflegte, kam der heilige Geist auf sie und sie redeten in Zungen und weissagten (Apostelgeschichte 19,6 LUT).
  • Ohne die Liebe ist das Zungenreden ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle (1. Korinther 13,1 LUT).
  • Im Gegensatz zur Liebe wird das Zungenreden und die Erkenntnis usw. aufhören wenn das Vollkommene kommen wird (1. Korinther 13,8 LUT).
  • Wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott (1. Korinther 14,2-5 LUT).
  • Wer in Zungen redet, der erbaut sich selbst; wer aber prophetisch redet, der erbaut die Gemeinde (1. Korinther 14,4 LUT).
  • Denn wer prophetisch redet, ist größer als der, der in Zungen redet; es sei denn, er legt es auch aus, damit die Gemeinde dadurch erbaut wird (1. Korinther 14,5 LUT).
  • Wenn in Zungen geredet wird und nicht mit deutlichen Worten, wie kann man wissen was gemeint ist (1. Korinther 14,9 LUT).
  • Wer also in Zungen redet soll darum beten es auch auslegen zu können (1. Korinther 14,13 LUT).
  • In der Gemeindeversammlung hält Paulus wenige Worte mit dem Verstand für wesentlicher als viele Worte in Zungen 1. Korinther 14,19 LUT).
  • Am Schluss weist Paulus darauf hin, sich um prophetisches Reden zu bemühen, die Zungenrede jedoch nicht zu verwehren (1. Korinther 14,39 LUT).

kontroverse Bibelverse

  • 1. Mose 11, 1-9 (Die Babylonische Sprachverwirrung als Kontrapunkt zum Sprachengebet)
  • Jesaja 28, 7-13 (Zungenrede wird falschen Priestern und Propheten zum Untergang)
  • 1. Samuel 19, 19-24 (Verzückung wird verwendet um Davids Feinde zu schlagen)

In den Apokryphen: Jesus Sirach 51, 30

Wissenschaftliche Untersuchungen

Der Psychiater Andrew Newberg an der Universität von Pennsylvania führte 2006 eine Untersuchung über die Vorgänge im Gehirn während der Zungenrede durch. Er testete fünf Frauen und maß ihre Hirnaktivität während der Zungenrede und während des Singens von Gospels. Bei allen fünf Frauen hörte die Aktivität im Frontallappen während der Zungenrede praktisch auf, was auf eine Reduktion der Selbstkontrolle hinweist, während die Aktivität im Parietallappen zunahm (umgekehrt wie bei Meditation). Diese Reduktion der Selbstkontrolle entspricht den Aussagen von Leuten, die die Zungenrede praktizieren. [1]

Einige Psychiater in der psychiatrischen Abteilung des Virovitica-Spitals in Kroatien untersuchten das Phänomen und kamen zum Schluss, dass bei Glossolalie vorübergehend ein Regressionszustand eintritt, der eine mögliche Erklärung für die positive, fast psychotherapeutische Wirkung der Glossolalie ist. [2]

Kritische Darlegung

Manche christlichen Richtungen stehen der Zungenrede kritisch gegenüber, sowohl in Großkirchen wie auch in nicht-charismatischen Freikirchen. Die im Neuen Testament geschilderten Vorgänge werden zwar unterschiedlich erklärt, jedoch im Allgemeinen positiv gewertet. Die Bibel wird aber dahin ausgelegt, dass das Zungenreden nur zur frühchristlichen Zeit eine Bedeutung hatte (1.Korinther 13, 1.8-10). Die heutige Praktik des Zungenredens wird abgelehnt und nicht als Gabe des Heiligen Geists gesehen, wobei die Interpretationen von gruppendynamischen oder psychologischen Vorgängen bis zu dämonischen Manifestationen gehen.

Roger Liebi beispielsweise differenziert begrifflich zwischen dem neutestamentlichen Phänomen der Sprachenrede, bei der der Sprecher ohne vorherigen Lernprozess in einer ihm unbekannten Fremdsprache redet und der heute in pfingstlich-charismatischen Kreisen praktizierten Zungenrede. Nur erstere sei bewusste Kommunikation mit dem Zuhörer und als heilsgeschichtliches Zeichen zu verstehen, dass Gott zu allen Menschen in allen Sprachen redet. Dies fehle aber der heutigen Zungenrede als Lautäußerungen, die grundsätzlich sowohl dem Sprecher als auch Zuhörern unverständlich sind.

Literatur

  • Heribert Mühlen: Das Sprachengebet. in: Ders. (Hrsg.) Geistesgaben heute, Mainz 1982, Seite 113-146
  • Dennis Bennet: Der Heilige Geist und Du. Leuchter-Verlag, 1972
  • William und Robert Menzies: "Pfingsten und die Geistesgaben, Leuchter, Erzhausen 2001.
  • David Christie-Murray: Voices from the Gods. Speaking with Tongues. Routledge & Kegan Paul, London 1978
  • Eckhard Etzold: Der heilige Atem - Physiologische und psychologische Begleiterscheinungen der Glossolalie. Materialdienst der EZW 54, 1. Januar 1991, 1-12, ISSN 0721-2402
  • Christopher Forbes: Prophecy and Inspired Speech in Early Christianity and Its Hellenistic Environment. WUNT 2/75. Mohr, Tübingen 1995, ISBN 3-16-146223-8
  • Adolf Hilgenfeld: Die Glossolalie in der alten Kirche, in dem Zusammenhang der Geistesgaben und des Geisteslebens des alten Christenthums. Eine exegetisch-historische Untersuchung. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1850
  • Gerald Hovenden: Speaking in Tongues. The New Testament Evidence in Context. Journal of Pentecostal Theology, Supplement Series 22. Sheffield Academic Press, London 2002, ISBN 1-84127-316-3
  • Roger Liebi: Sprachenreden oder Zungenreden?. Christliche Literatur-Verbreitung, Bielefeld 2006
  • H. Newton Malony, A. Adams Lovekin: Glossolalia: Behavioural Science Perspectives on Speaking in Tongues. New York & Oxford 1985
  • Watson E. Mills (Hrsg.): Speaking in Tongues. A Guide to Research on Glossolalia. Eerdmans, Grand Rapids MI 1986 (537 S.), ISBN 0-8028-0183-8
  • Ralph Shallis: Zungenreden aus biblischer Sicht. Bielefeld 1986
  • Cyril C. Williams: Tongues of the Spirit: A Study of Pentecostal Glossolalia and Related Phenomena. Cardiff 1981

Quellen

  1. Science Magazine: Tongues on the Mind, 2. November 2006.
  2. Koić Elvira. Pavo Filaković. Sanea Nađ. Ivan Čelić: Glossolalia, Collegium Antropologicum. 29 (2005) 1:307-313

Weblinks


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