Inkorporierende Sprache

Inkorporierende Sprache

Ein polysynthetischer Sprachbau (früher auch inkorporierender oder einverleibender Sprachbau) ist in der morphologischen Sprachtypologie, die auf Wilhelm von Humboldt und August Wilhelm Schlegel zurückgeht, das zentrale Merkmal so genannter polysynthetischer Sprachen. Polysynthese findet sich vor allem in nord- und südamerikanischen Sprachen.

Inhaltsverzeichnis

Definition und häufige grammatische Eigenschaften polysynthetischer Sprachen

In polysynthetischen Sprachen wird ein Satz oder Satzteil gebildet, indem ein zentrales lexikalisches Morphem (meist das Verb) mit einer Vielzahl gebundener Morpheme mit morphosyntaktischer oder semantischer Funktion durch Affigierung kombiniert wird. Typischerweise haben polysynthetische Sprachen deshalb eine große Anzahl an gebundenen Morphemen. Außerdem markieren viele polysynthetische Sprachen obligatorisch die zentralen Aktanten am Verb (Polypersonalität). Viele, aber nicht alle polysynthetische Sprachen erlauben darüber hinaus Inkorporation.

Mehrere lexikalische und grammatische Elemente werden zu einem komplexen Wort kombiniert, das im Extremfall einem ganzen Satz in europäischen Sprachen entsprechen kann. Eine polysynthetische Sprache ist strukturell eine Sprache mit sehr hohem Synthesegrad, d. h. mit einer sehr hohen Anzahl von Morphemen pro Wort.

Ein Beispiel aus der athabaskischen Sprache Koyukon:[1]

 kk'o- aɬts'eeyh- y-          ee-        'oyh
 umher Wind       es (OBJEKT) IMPERFEKTIV einen kompakten Gegenstand bewegen
 „Der Wind weht es herum.“

Schön zu erkennen sind folgende Aspekte polysynthetischer Sprachen: das Präpronominalpräfix kk'o- „umher“, die Markierung des Patiens am Verb durch das Pronominalpräfix y- „es“ (Objekt) und die Inkorporation der Nominalform aɬts'eeyh „Wind“.

Herkunft des Begriffs

Der Begriff 'polysynthetisch' wurde 1819 von Peter S. Duponceau zur Beschreibung amerikanischer Sprachen geprägt, die eine Vielzahl von "Ideen" in wenigen Wörtern vereinigen. In die breitere linguistische Diskussion eingeführt wurde er 1836 in einem posthum veröffentlichten Werk von Wilhelm von Humboldt. Die Ausdrücke synthetisch und polysynthetisch wurden als Gegensatzpaar erstmals 1920 von Edward Sapir verwendet.

Polysynthese und Inkorporation

Die Begriffe Polysynthese und Inkorporation werden heute oft fälschlicherweise synonym gebraucht. Die Verwirrung geht darauf zurück, dass Humboldt für dasjenige Phänomen, das heute Polysynthese genannt wird, den Begriff einverleibend benutzte, der ins Englische oft als incorporating übersetzt wurde. Inkorporation meint aber heute ein anderes sprachliches Phänomen, das zwar oft in polysyntethischen Sprachen zu finden ist, aber auf keinen Fall mit Polysynthese selbst zu identifizieren ist. Es gibt auch polysynthetische Sprachen ohne die Möglichkeit zur Inkorporation.

Welche Sprachen sind polysynthetisch?

Polysynthese findet sich vor allem in Nordamerika. Bis auf die Penuti-Sprachen Kaliforniens sind alle indigenen nordamerikanischen Sprachen polysynthetisch. Polysynthese kommt aber auch in anderen Gebieten vor, z. B. in Sibirien im Fall der tschuktschischen und niwchischen Sprache. Ein weiteres Gebiet mit polysynthetischen Sprachen ist der nordwestliche Kaukasus, repräsentiert z. B. durch die abchasische Sprache.

Polysynthetische Züge in anderen Sprachen

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Französisch

So zeigt das Französische nach der Meinung einiger Sprachforscher mit seiner starken lautlichen Verschmelzung der einzelnen Wörter polysynthetische Tendenzen, vor allem in der gesprochenen Form. Eine Phrase wie „je ne le sais pas“ (dt: „ich weiß es nicht“, wörtlich: „ich nicht es weiß Schritt“ – „pas“ ist ein alter Akkusativ des Ausmaßes zur Betonung, etwa nicht auch nur einen Schritt) wird wie ein einziges Wort gebraucht, auch wenn die einzelnen Komponenten in der geschriebenen Sprache getrennt geschrieben werden. Hier wird angenommen, dass je sais (dt: ich weiß) eine einzige Form, nämlich die des konjugierten Verbs 1. Person Singular darstellt (sozusagen als Personalpräfix), und „je“ kein eigenes Pronomen, also kein freies Morphem ist (das wäre nämlich „moi“; vgl. "Qui est jolie?" - *Je., richtig wäre Moi.). In dieser Sichtweise würde das Verb gespalten (in „je“ und „sais“), die Partikeln „ne“ und „le“ in das Verb inkorporiert und das „pas“ am Schluss angefügt. Ebenso erinnert etwa ein gesprochener 'Ein-Wort-Satz' [salyifraplesir] <- "ça lui fera plaisir" (dies wird ihm Vergnügen machen/bereiten) an manche Indianersprachen Nordamerikas vom polysynthetischen Typus (siehe unten!).

Aufgrund der Liaison ist auch die Verschmelzung von Nominalstämmen möglich. Deswegen ist hier mehr Polysynthese möglich als etwa im Deutschen, weil es hier nur - wenn überhaupt - ansatzweise bei Pronomina funktioniert: (gesprochen) Siehstes, aber *SiehsteGespenster?. (Die Zusammenschreibung soll verdeutlichen, was im Gesprochenen gut als ein Wort aufzufassen ist)

Auf diese Weise würden diese Partikeln zu unselbstständigen Flexionsmorphemen. Demnach könnte man Französisch als die "tendenziell polysynthetischste" aller indoeuropäischen Sprachen bezeichnen.

Ägyptisches Arabisch

Das Ägyptische Arabisch hat (analog zum Französischen) teilweise polysynthetische Tendenzen im Vergleich zum Standardarabischen entwickelt:

matgībulhahumš "Bringt sie ihr nicht!"

  • ma...š "nicht" (zusammen miš als nominale Verneinung) von Hocharabisch "was, nicht, kein" und šayʾ "etwas, eine Sache"
  • t(i)...u Marker für 2.Person Plural Imperfekt (unmarkiert → Jussiv)
  • l(ī)ha "ihr" 3. Person Singular femininum Dat.
  • hum "sie" 3.Person Plural Akk.
  • gīb Imperfektstamm von gāb bringen (Aus einer Verschmelzung von ga - "kommen", "zu jemandem kommen" und bi - "mit" entstanden)

Wörtlich also:

"keine-ihr sollt geben-ihr-sie-sache" (wobei š im Ägyptischen als unabhängiges Wort im Gegensatz zu pas im Französischen nicht mehr existiert: "etwas, eine Sache" = ḥāga)

Quellen

  1. aus Fortescue (1994: 2602), siehe Literatur

Literatur

  • Michael Fortescue: Morphology, Polysynthetic. In: R. E. Asher, J. M. Y. Simpson (Hrsg.): The Encyclopedia of Language and Linguistics. Pergamon, Oxford 1994
  • Mark Baker: The Polysynthesis Parameter. Oxford University Press, Oxford 1996, ISBN 0-19-509308-9 (Polysynthese aus generativer Sicht)
  • Nicholas Evans, Hans-Jürgen Sasse (Hrsg.): Problems of Polysynthesis. Akademieverlag, Berlin 2002, 3-05-003732-6

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