Inside-Outside-Improvisation

Inside-Outside-Improvisation

Die Inside-Outside-Improvisation ist eine Methode der musikalischen Improvisation insbesondere im Jazz, bei der konventionelle, harmonisch passende Tonfolgen mit harmonisch unpassenden abgewechselt werden.

Inhaltsverzeichnis

Allgemein

Technisch gesehen bezeichnet man im Jazz eine Improvisation als Inside-Outside-Improvisation, wenn der Spieler die vorgegebene Tonart oder Tonalität verlässt, um in einem von ihm frei zu bestimmenden Moment wieder in dieselbe zurückzukehren. Auch im Free Jazz findet die Inside-Outside-Improvisation regelmäßige Anwendung. Hier können musikalische Gedanken mit eindeutigen Stimmungsbildern (moods) entstehen, die man gezielt auflösen und anschließend zu einem sich anbietenden Zeitpunkt wieder aufleben lassen kann. Üblich ist aber im Allgemeinen die Improvisation über sogenannte Changes. Als Changes (chord changes) bezeichnet man für gewöhnlich die Akkordfolgen eines Jazz-Standards oder einer Komposition. Diese Akkordfolgen können durch verschiedene Tonarten gehen, deren Beziehungsgeflecht der Solist zu berücksichtigen hat. Das heißt, es gibt festgelegte Regeln, die dem Improvisator Zwänge in Bezug auf seine Tonauswahl auferlegen. Der Improvisierende verfügt dabei über eine beschränkte Auswahl an Tonmaterial, das er auf bestimmte Akkorde anzuwenden hat.

Harmonisches Gerüst (Beispiel)

Kenny Garrett verwendet bei seinen Soli die Inside-Outside-Improvisation

Gegeben sei die Akkordfolge Amaj 7 - Am7 - G79 - Cm7

Diese Akkorde sind in ihrer Belegung mit Tonleitern (Skalen) mehrdeutig und der Improvisierende kann sich für eine entscheiden, was ihm die Möglichkeit einer gezielten Tonauswahl für sein Vorhaben gibt.

Bei Amaj 7 hat man z. B. die Möglichkeit, die Tonleitern oder Skalen A Ionisch, A Lydisch oder A Lydisch 9 (entspricht harmonisch Moll auf der sechsten Stufe) zu spielen

Bei Am7 hat man z. B. die Möglichkeit Ab Äolisch, Ab Dorisch oder Ab Phrygisch zu spielen

Bei G79 hat man z. B. die Möglichkeit G Mixolydisch (9/13), G Alteriert oder G Halbton/Ganzton zu spielen,

Bei Cm7 bestehen skalentechnisch wieder dieselben Möglichkeiten wie bei Am7 - also C Äolisch, C Dorisch oder C Phrygisch

Erweiterung mittels Inside-Outside-Improvisation

Allerdings gibt es noch die Möglichkeit, mittels Inside-Outside-Improvisation diese Tonrepertoires zu erweitern. Das Besondere der Technik des Inside-Outside-Improvisierens besteht darin, die natürlichen Grenzen der Harmonik zu überschreiten.

Hierfür gibt es verschiedene Auswahlmöglichkeiten.

  1. Man verlässt intuitiv die vorgegebenen Tonarten und verlagert die melodischen Schwerpunkte auf akkordfremde Töne, um zu gegebener Zeit wieder in die Ausgangs-Tonart zurückzukehren.
  2. Man entwickelt sogenannte "Ghost Changes" - als theoretisches Konstrukt - über die man dann improvisiert, obwohl in Wirklichkeit von den jeweiligen Mitspielern andere - nämlich die vorgegebenen - Changes gespielt werden.
  3. Man benutzt symmetrische Tonleitern, wie die Halbton/Ganztonskala oder die Ganztonskala. Sie sind mehrdeutig und haben nicht die konsequenten harmonischen Fortschreitungen diatonischer Tonleitern und sind deshalb im Gebrauch freier.
  4. Man spielt bitonale Klänge zu den gegebenen Akkorden. Dabei gibt es mehr oder weniger passende bitonale Klänge.

Dabei gilt die Regel:

Je mehr man den Schwerpunkt des Spiels von innen (In) nach außen (Out) verlagert, desto abstrakter erscheint die Musik.

Beispiel für Punkt 2

Die vorgegebenen Changes sind:
4 Takte + 4 Takte + 4 Takte + 4 Takte
Am7 Bmaj 7 Hm 75 E79
Imaginäre Ghostchanges dafür könnten sein:
3 Takte + 1 Takt + 3 Takte + 1 Takt + 3 Takte + 1 Takt + 3 Takte + 1 Takt
Am7 F79 Bmaj 7 C maj 711 Hm 75 F911 E79 B 13

Targeting

Das Targeting ist ebenfalls eine musikalische Improvisationsmethode des Jazz. Hierbei werden Zieltöne der zu beschreibenden Tonalität chromatisch angesteuert oder umspielend erreicht. Beispiel: C-Dur wird ‚targetiert‘ durch gis-ges-g-eis-es-e-cis-ces-c Melodieverlauf. Zu hören ist diese Methode z. B. bei Django Reinhardt.

Psychologische Voraussetzung

Unabhängig aller akademischen Betrachtungen ist die Inside-Outside-Improvisation ein Mittel, um Improvisationen interessant und spannungsreich zu gestalten. Das Spannungsfeld zwischen Unschärfe und Genauigkeit eröffnet dem Spieler eine Vielzahl an Möglichkeiten, sich für unterschiedliche Verläufe der Improvisation zu entscheiden. Ein wichtiger Aspekt dieser Improvisationsweise ist dabei das Erlangen einer inneren Sicherheit. Diese Sicherheit ist der Garant dafür, dass die Töne oder Melodien beim Hörer nicht den Eindruck eines "falschen" Klangs erzeugen, sondern Ausgangspunkt für neue spannungsreiche Tonfolgen bilden. Descartes Satz: "Ich denke, also bin ich." wird hier in abgewandelter Form angewandt: "Ich spiele, also bin ich richtig." Seit Anbeginn führt diese Erkenntnis den improvisierten Jazz zu immer neuen Formen. Alle großen Improvisatoren folgen diesem Grundsatz, egal ob sie harmoniegebundenen oder freien Jazz spielen. [1]

Beispielkünstler

Beispiele für Jazzkünstler, die diese Art zu improvisieren kultiviert haben, können sein: John Coltrane, Allan Holdsworth, Woody Shaw, Christof Lauer, Eric Dolphy, Joe Zawinul, Christopher Dell, Kenny Garrett, John Scofield u. a.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Theo Jörgensmann & Rolf-Dieter Weyer: Kleine Ethik der Improvisation: vom Wesen, Zeit und Raum, Material und Spontangestalt ISBN 3-924272-99-9

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