- Institut für Angewandte Theaterwissenschaft
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Das Institut für Angewandte Theaterwissenschaft ist ein Institut der Gießener Justus-Liebig-Universität, an dem der Studiengang „Angewandte Theaterwissenschaft“ studiert werden kann, der im Gegensatz zu klassischen Studiengängen für Theaterwissenschaft ausschließlich als Hauptstudiengang (Diplom) belegt werden kann und wissenschaftliche Forschung mit künstlerischer Ausbildung kombiniert anbietet.
Bewerber müssen sich wie für eine Kunstakademie mit künstlerischer Mappe, schriftlicher und mündlicher Aufnahmeprüfung für einen der etwa 20 bis 24 Studienplätze pro Jahr qualifizieren. Besonderheiten des Instituts sind die sogenannten Szenischen Projekte, bei denen kleine Studentengruppen mit bedeutenden Künstler-Gastprofessoren Theaterprojekte erarbeiten, die in der hauseigenen Studiobühne präsentiert werden – bislang u. a. von Marina Abramovic, Eugenio Barba, Heiner Müller, René Pollesch, Richard Schechner, George Tabori, Ritsaert ten Cate, Robert Wilson und Gisela von Wysocki. Auch international renommierte Wissenschaftler prägen jeweils für ein Semester das Institutsleben, beispielsweise Herbert Blau, Diedrich Diederichsen, Hans-Thies Lehmann, Patrice Pavis, Samuel Weber.
Zusätzlich zu den künstlerischen und wissenschaftlichen Angeboten gibt es praktische Kurse, in denen Grundlagen der Theater- und Medientechnik erlernt werden, etwa Ton- und Videoschnitt, Beleuchtung, verschiedene Körpertechniken, Fotografie oder Bühnenfechten. Neben dem theaterwissenschaftlichen Programm besuchen die Studierenden verpflichtend Veranstaltungen in den sogenannten Bausteinfächern anderer Universitätsinstitute für Germanistik, Romanistik, Anglistik, Slawistik, Musikwissenschaft, Altphilologie, Philosophie und Kunstwissenschaft. In einer Auswahl dieser Fächer müssen sie zum Abschluss ebenfalls Prüfungen ablegen. Absolventen haben nach der Regelstudienzeit von 10 Semestern die Wahl zwischen einer sogenannten Diplom-Inszenierung und einer theaterwissenschaftlichen Diplomarbeit. Der Abschlusstitel lautet gleichwohl „dipl. theat.“ Im Wintersemester 2007/08 wurde der Studienbetrieb auf Bachelor und Master umgestellt (Abschluss: BA/MA in Angewandter Theaterwissenschaft), die Charakteristika inklusive der Aufnahmeprüfung bleiben erhalten.
Studiobühne (ein umgebauter Hörsaal), Tonstudio und Videostudio (umgebaute Büroräume) bieten die infrastrukturelle Basis für die szenischen Projekte, aber auch die künstlerischen Projekte der Studenten, die zwar weder Gegenstand der bewerteten Leistungen des Studienplans noch Teil des Lehrplans sind, jedoch finanziell unterstützt werden, und das emotionale und identitätsstiftende Zentrum des kleinen Instituts entlang des Wilson-Straße genannten Flurs bilden, das nur eine Etage im Haus A des Campus-Bereichs Philosophikum II belegt und dennoch äußerst einflussreiche Impulse für das deutsche und internationale Theater mit sich in Verbindung bringen darf.
Traditionelle Institutionen, die autonom von den Studenten des Instituts betrieben und geleitet werden sind die Theatermaschine, ein jährliches Festival mit studentischen Produktionen des Jahres in der Studiobühne des Gießener Stadttheaters, und das internationale Theaterfestival Diskurs.
Geschichte
Das Institut wurde 1982 von Andrzej Wirth gegründet (1992 emeritiert), einem Weggefährten und Kenner des Theaters von Bertolt Brecht, Robert Wilson und Gertrude Stein. Sein Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gründungsjahre Hans-Thies Lehmann schrieb später das Standardwerk Postdramatisches Theater und prägte damit einen Begriff, der auf praktisch alle Produktionen der Studierenden und Absolventen des Instituts anwendbar ist. Unter Wirths Leitung tat sich vor allem eine durch Brecht, Müller, Wilson, Stein und Fassbinder geprägte Generation von Autoren-Regisseuren wie Tim Staffel und René Pollesch sowie Regisseure wie Helena Waldmann und Sergio Morabito hervor. 1991 übernahmen die Romanistin Helga Finter die Leitung des Instituts, spezialisiert auf italienischen Futurismus, Antonin Artaud, Guy Debord, Georges Bataille und Jean-Luc Godard. Die Literatur- und Tanzwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter kam 1993 hinzu. Im Ergebnis prägte eine zweite Generation von Künstlergruppen, die auch international Beachtung findet und den Begriff „Gießener Schule“ provozierte, das Institutsleben in den Jahren 1995 bis 2000 – insbesondere Showcase Beat Le Mot, Rimini Protokoll und die deutsch-britische Performance-Gruppe Gob Squad. Letztere wurde anlässlich eines Studienaustauschprogramms zwischen Gießen und Nottingham gegründet, und deren Mitglieder, sofern sie in Gießen studiert haben, sind auch Mitglieder der Gießener Gründung She She Pop.
Absolventen des Instituts arbeiten nicht nur als Theatermacher, sondern als Dramaturgen, Regisseure, Intendanten, bei Radio, Fernsehen oder im Kulturjournalismus. Hinzu kommen Tätigkeiten im Bereich von Kulturmanagement und -politik sowie in der Theaterwissenschaft.
Seit dem Sommersemester 1999 wird das Institut neben Helga Finter als Akademikerin von Heiner Goebbels als Künstler-Professor geleitet.
Das Institut ist in diverse Produktions- und Forschungsverbünde eingegliedert, darunter die Hessische Theaterakademie und den Tanzplan Rhein-Main. Partnerschaften bestehen unter anderem mit den Universitäten von Bergen (Norwegen), Rennes, Dartington und Reykjavík. Im Rahmen künstlerischer Kooperationen bestehen Kontakte unter anderem nach Venedig und Lyon.
Weblinks
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