Amalrich von Bena

Amalrich von Bena
Amalrich von Bena

Amalrich von Bena, lateinisch Amalricus de Bena, vulgärlateinisch Amauricus, französisch Amaury de Bène (* in Bène bei Chartres; † 1206 in Paris) war ein Gelehrter, der an der Pariser Universität als Magister unterrichtete. Er wurde nach seinem Tode als Ketzer verurteilt.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Amalrich war bis zu seinem Tod im Jahr 1206 Magister an der Fakultät der Artes liberales der Pariser Universität. Seine dortige langjährige Lehrtätigkeit begann im späten 12. Jahrhundert. Er war Priester und befasste sich in seinem Unterricht auch mit theologischen Fragen, obwohl er der theologischen Fakultät anscheinend nicht angehörte. Er soll durch seinen Scharfsinn Ansehen erlangt haben und scharte einen Schülerkreis um sich. Sogar der spätere König Ludwig VIII. soll ihm als Kronprinz Vertrauen geschenkt haben.

Guilelmus Brito berichtet in seinen um 1220 verfassten Gesta Philippi Augusti („Die Taten des Philipp Augustus“), Amalrichs Lehre sei schon zu dessen Lebzeiten von der Universität Paris verurteilt worden. Darauf habe Amalrich vergeblich an Papst Innozenz III. appelliert. Nachdem der Papst gegen ihn entschieden hatte, sei er nach Paris zurückgekehrt und habe seine Lehren vor der Universität öffentlich widerrufen müssen.[1] Dieser Bericht, den später der Chronist Alberich von Trois-Fontaines wiederholt, ist jedoch nicht glaubwürdig.[2] Anscheinend blieb Amalrich bis zu seinem Tod unbehelligt.

Lehre

Amalrich hat anscheinend keine Schriften hinterlassen; Angaben des mittelalterlichen Chronisten Martin von Troppau über ein Buch, das er geschrieben haben soll, beruhen auf einem Missverständnis. Auch von seinen Anhängern sind mit Ausnahme eines Gebets keine sicher authentischen Aussagen überliefert. Daher sind seine Lehren nur aus Angaben bekannt, die von seinen kirchlichen Gegnern nach seinem Tod gemacht wurden. Die Hauptquellen sind ein anonym überlieferter Traktat mit dem Titel Contra Amaurianos („Gegen die Amalrikaner“), der wohl um 1210 entstand, und die offizielle Liste der im Pariser Prozess von 1210 verurteilten Lehrmeinungen.

Anscheinend war Amalrichs Theologie von den Lehren des spätantiken griechischen Neuplatonikers Pseudo-Dionysius Areopagita und des frühmittelalterlichen Theologen und Philosophen Johannes Scottus Eriugena beeinflusst. Pseudo-Dionysius war als angeblicher Schüler des Apostels Paulus eine allgemein anerkannte hochrangige Autorität. Eriugenas Theologie hingegen war schon zu seinen Lebzeiten im 9. Jahrhundert kirchlich verurteilt worden. Manche Äußerungen dieser beiden Autoren können im Sinne des Pantheismus oder eher Panentheismus gedeutet werden, oder es können pantheistische Konsequenzen daraus abgeleitet werden. Dieser Weg wurde von den Amalrikanern und möglicherweise schon von Amalrich selbst beschritten. Sie sollen aus dem allgemein anerkannten Grundsatz der Allgegenwart Gottes gefolgert haben, alles sei eines und alles, was ist, sei Gott. Somit sei auch jeder einzelne Mensch Gott. Daher seien Taufe und Buße unnötig; wer die Erkenntnis erlangt habe, dass Gott alles sei, der benötige solche Hilfsmittel zur Erlangung der Gnade nicht mehr, denn es komme nur auf diese Erkenntnis an. Da Gott alles in allem bewirke, verursache er sowohl das Gute als auch das Böse. Ihm sei somit alles, was geschieht, zuzurechnen. Daher gebe es für den, der dies begriffen habe, keine Sünde. Die Erkenntnis dieser Wahrheit sei die wirkliche Auferstehung, eine andere (die künftige Auferstehung der Toten) sei nicht zu erwarten. Wer die Wahrheit erkannt habe, lebe bereits im Paradies, und die Hölle sei nichts anderes als Unwissenheit. Glaube und Hoffnung seien überflüssig, nur das Wissen zähle.

Ausdrücklich Amalrich persönlich wird die Lehre zugeschrieben, zur Erlangung des Heils sei es notwendig, dass der Mensch sich als Glied Christi verstehe.

Rezeption

Wenige Jahre nach Amalrichs Tod wurde in Paris eine Gruppe, die sich auf seine Lehren berief, aufgedeckt und als Sekte von Häretikern denunziert. Diese Gruppe, die man als Amalrikaner (vulgärlateinisch Amauriani) bezeichnete, bestand größtenteils aus Klerikern, doch waren auch einige Laien darunter. Die Amalrikaner wiesen offenbar eine gewisse organisatorische Konsolidierung auf. Ob schon Amalrich selbst seine Anhänger zu einer solchen Gruppe formiert hat und inwieweit die den Amalrikanern zur Last gelegten Auffassungen seiner Meinung entsprechen, ist unklar. Ihre Lehren wurden 1210 auf einer Pariser Synode unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Sens als Ketzerei verdammt. Die Kleriker unter ihnen wurden fast alle hingerichtet oder zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt. Amalrich wurde zum Ketzer erklärt. Seine Gebeine, die sich seit vier Jahren auf dem Friedhof befanden, wurden ausgegraben und in ungeweihter Erde verscharrt. Das Vierte Laterankonzil verurteilte 1215 seine Lehren als „pervers“, und in den 1215 erlassenen Statuten der Pariser Universität wurde die Verdammung ebenfalls festgehalten.

Im 15. Jahrhundert bekannte sich Nikolaus von Kues in seiner Schrift Apologia doctae ignorantiae zur Verurteilung von Amalrichs Lehren und meinte, es handle sich um Irrtümer, die durch ein falsches Verständnis der Theologie Eriugenas entstanden seien, denn die Weisheit Eriugenas sei einfachen Gemütern unzugänglich.

In der Forschung ist umstritten, ob bzw. in welchem Sinne es legitim ist, die Lehren Amalrichs mit dem modernen Begriff „Pantheismus“ zu charakterisieren. In zahlreichen modernen Nachschlagewerken wird Amalrich als konsequenter Pantheist beschrieben.[3] Diese Einschätzung stimmt mit derjenigen der mittelalterlichen Gegner Amalrichs überein. Dagegen argumentiert der Philosoph und Philosophiehistoriker Karl Albert. Er meint, Amalrich habe nicht die Identität des einzelnen Seienden mit Gott behauptet. Vielmehr habe er nur im Sinne der neuplatonischen theologischen Tradition die Einheit des Seienden und die Immanenz Gottes betont. Dies sei nach katholischer Lehre nicht notwendigerweise häretisch, denn solche Vorstellungen seien auch von einer Strömung innerhalb der kirchlich akzeptierten Theologie vertreten worden. Amalrich habe zwischen dem Seienden als solchem (Gott) und dem Seienden, insoweit es Einzelding ist, differenziert.

Literatur

  • Karl Albert: Amalrich von Bena und der mittelalterliche Pantheismus. In: Albert Zimmermann (Hrsg.): Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert. de Gruyter, Berlin 1976, S. 193–212.
  • Germaine Catherine Capelle: Autour du décret de 1210 : III. Amaury de Bène. Étude sur son panthéisme formel. Vrin, Paris 1932 (teilweise überholt; S. 89–111 Zusammenstellung von Quellentexte)
  • Ludwig Hödl: Amalrich von Bena / Amalrikaner. In: Theologische Realenzyklopädie. Band 2. Berlin 1978, Sp. 349–356 (Google books).

Weblinks

Anmerkungen

  1. Jürgen Miethke: Papst, Ortsbischof und Universität in den Pariser Theologenprozessen des 13. Jahrhunderts, in: Albert Zimmermann (Hrsg.): Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert, Berlin 1976, S. 52-94, hier: 53f.
  2. Hödl (1978) S. 350.
  3. Albert (1976) S. 195.

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