Sieben Freie Künste

Sieben Freie Künste
Septem artes liberales aus „Hortus Deliciarum“ der Herrad von Landsberg (um 1180)

Die Sieben Freien Künste (lateinisch septem artes liberales, seltener auch studia liberalia) sind ein in der Antike entstandener Kanon von sieben Studienfächern. Aus den Freien Künsten bestand traditionell die einem freien Mann ziemende Bildung, ihre Siebenzahl ist aber erst in der Spätantike bezeugt. Im mittelalterlichen Lehrwesen galten sie als Vorbereitung auf die Studienfächer Theologie, Jurisprudenz und Medizin.

Inhaltsverzeichnis

Umfang und Gliederung

Die Freien Künste waren so bezeichnet, um sie gegenüber den praktischen Künsten (Artes mechanicae) als höherrangig zu bewerten. Seneca schreibt in seinem 88. Brief: Quare liberalia studia dicta sunt vides: quia homine libero digna sunt („Du siehst, warum die freien Künste so genannt werden: weil sie eines freien Mannes würdig sind“). Als freier Mann galt, wer nicht zum Broterwerb arbeiten musste. Somit konnten nur solche Beschäftigungen würdig sein, die keine Verbindung mit Erwerbstätigkeit hatten.[1] Man unterschied bei den Freien Künsten das Trivium (Dreiweg) der sprachlich und logisch-argumentativ ausgerichteten Fächer, die die Voraussetzung für jede Beschäftigung mit der (lateinischen) Wissenschaft bilden, und das weiterführende Quadrivium (Vierweg) der mathematischen Fächer.

Zum Trivium gehörten:

  1. Grammatik: Lateinische Sprachlehre und ihre Anwendung auf die Werke der klassischen Schulautoren
  2. Rhetorik: Redeteile und Stillehre, ebenfalls mit Beispielen aus den Schulautoren
  3. Dialektik bzw. Logik: Schlüsse und Beweise auf der Grundlage des Organons

Zum Quadrivium gehörten:

  1. Arithmetik: Zahlentheorie (Zahlbegriff, Zahlenarten, Zahlenverhältnisse) und z. T. auch praktisches Rechnen
  2. Geometrie: euklidische Geometrie, Geographie, Agrimensur
  3. Musik: Musiktheorie und Tonarten u. a. als Grundlage der Kirchenmusik
  4. Astronomie: Lehre von den Sphären, den Himmelskörpern und ihren Bewegungen, unter Einschluss der Astrologie (Auswirkungen auf die sublunare Sphäre und den Menschen)
Die Sieben freien Künste mit ihren Attributen

Sie wurden in der Tradition von Martianus Capella personifiziert in Form von weiblichen Allegorien und häufig mit folgenden Attributen dargestellt:

Geschichte

Antike

Die griechische Tradition bildete noch keinen Kanon der Freien Künste heraus. Die vier mathematischen Fächer wurden jedoch bereits von Platon in der Politeia im Zusammenhang mit der Ausbildung des idealen Staatsmannes nächst der Philosophie als diejenigen Lehrgegenstände angeführt, die zur Vernunfterkenntnis führen, wobei sich Platon seinerseits bereits auf die Pythagoreer bezieht.

Die Freien Künste erfuhren eine enzyklopädische Behandlung erstmals in den Disciplinae des römischen Gelehrten Varro im 1. Jahrhundert v. Chr. Bei Varro kommt aber ebenso wie bei Cicero und Vitruv die Siebenzahl noch nicht vor, vielmehr behandelt er im 8. und 9. Buch auch Medizin und Architektur.

In den hellenistischen Gymnasien wurden die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer nicht unterrichtet, und auch im städtischen Unterrichtswesen der römischen Kaiserzeit gehörten sie nicht zum Lehrstoff. Außerberuflicher Unterricht in diesen Fächern wurde nur in Philosophenschulen angeboten und war daher nur einem kleinen Prozentsatz der Bevölkerung zugänglich. Als fester Kanon von sieben Fächern sind die Freien Künste erst in der Spätantike (bei Augustinus und Martianus Capella) bezeugt. Für diese Autoren bestand der Zweck des Wissenserwerbs in den sieben Fächern nicht in schulischer Allgemeinbildung; vielmehr war die Zielrichtung eine philosophische bzw. religiöse (Vorbereitung der Seele auf den Aufstieg in die intelligible Welt nach der Lehre des Neuplatonismus bzw. in den Bereich der göttlichen Dinge im christlichen Sinne).[2] Martianus Capella hebt ausdrücklich hervor, dass Medizin und Architektur nicht zum Kanon gehören.

Mittelalter

Dem Mittelalter wurden die Sieben Freien Künste in enzyklopädischer Form vor allem durch Martianus Capella vermittelt, in dessen Lehrgedicht Von der Hochzeit Merkurs und der Philologie diese Künste als Brautjungfern auftreten und ihr Lehrwissen als Hochzeitsgaben ausbreiten, sowie durch Cassiodor und durch Isidors Einarbeitung des Lehrstoffs in seine Etymologiae. Hinzu kamen in einzelnen Fächern als grundlegende Lehrwerke der Antike etwa für die Grammatik die Ars minor und Ars maior von Donatus, für die Rhetorik die (fälschlicherweise) Cicero zugeschriebene Rhetorica ad Herrenium, für die Arithmetik und Musik die beiden Institutiones von Boëthius und für die Dialektik dessen Übersetzungen und Kommentare zu Schriften aus dem aristotelischen Organon.

Der Unterricht in den Artes liberales stand als ein Propädeutikum zwischen dem Elementarunterricht (Lesen und Schreiben mit elementaren Lateinkenntnissen, Rechnen, Singen) und den eigentlichen wissenschaftlichen Studien, bei denen im Frühmittelalter die Theologie im Vordergrund stand. Den Stoff der Artes oder Teile davon vermittelten zunächst die Kloster-, Dom- und Kathedralschulen sowie städtische Bildungseinrichtungen und freie Magister. Mit der Entstehung der Universitäten wurde die Artistenfakultät (Facultas Artium) als eine der vier Fakultäten (zusammen mit Theologie, Recht, Medizin) in das Studium Generale integriert und wurde damit zur Vorläuferin der Philosophischen Fakultät, unter deren Namen sie zum Teil schon seit dem 15. Jahrhundert weitergeführt wurde.

Bereits im Lehrbetrieb der scholastischen Artistenfakultäten veränderte sich der Lehrstoff der Artes liberales erheblich und nahm vor dem Hintergrund neuer Übersetzungen der Schriften von Aristoteles und seiner arabischen Kommentatoren vor allem philosophische Inhalte auf. Rhetorik und Musik traten in den Hintergrund, desgleichen Grammatik, sofern sie nicht im Rahmen der Beschäftigung mit den modi significandi als eine Art Sprachlogik weitergeführt wurde, während die Dialektik an Bedeutung gewann und die im weitesten Sinn naturwissenschaftlichen Artes zu einem Studium in theoretischer (Physik, Metaphysik) und praktischer (Ethik, Ökonomie, Politik) Philosophie ausgebaut wurden.

Das Studium an der Artistenfakultät blieb Vorbedingung für das Studium an den anderen drei Fakultäten. Als akademische Grade vergab die Artistenfakultät nach einem Zwischenexamen den Titel des Baccalaureus Artium und – sofern der Baccalaureus nicht an einer der anderen Fakultäten sein eigentliches Studium aufnahm – nach erneutem Examen den Abschluss des Magister Artium. Die Lehrerlaubnis (licentia docendi) in den Artes liberales war mit Einschränkung zum Teil schon im Rahmen des Bakkalaureats zu erwerben, die volle Lehrbefähigung aber erst mit dem Magister Artium, an dessen Stelle dann seit dem 15. Jahrhundert, im Zuge der allgemeinen Ablösung des Magisters durch den Doktor, der Titel des Doctor philosophiae trat.

Renaissance

Unter dem Leitbegriff der Studia humanitatis, der nicht an einen bestimmten antiken Fächerkanon, sondern an die Formulierung allgemeiner klassischer Bildungsziele bei Cicero anknüpfte, erfuhren die Artes im Humanismus des 15. und 16. Jahrhunderts nochmals eine Neubewertung, die nicht nur das Artes-Studium an der Universität, sondern auch die vor- und außeruniversitären Bildungsbestrebungen in Schule und Privatunterricht betraf. Hierbei wurden einerseits die Fächer des Triviums durch das Studium eines teilweise neuen Kanons klassischer, nun nach Möglichkeit auch griechischer Musterautoren mit Schwerpunkt auf dem Bereich der Dichtung, andererseits in der Philosophie die praktische gegenüber der theoretischen Philosophie, und außerdem das Studium der Geschichte in den Vordergrund gestellt.

Liberal Arts in den USA

Als liberal arts bezeichnet man im amerikanischen Hochschulwesen Studiengänge, die der Allgemeinbildung und der Ausbildung grundlegender intellektueller Fähigkeiten und der Ausdrucksfähigkeit dienen sollen. Sie grenzen sich damit gegen die berufsvorbereitende oder wissenschaftlich spezialisierte Ausbildung programmatisch ab bzw. sind sie ihr vorgelagert. Die liberal arts studies gehören zu den undergraduate studies und werden an eigenen, meist privaten liberal arts colleges studiert. Colleges dieses Typs legen oft besonderen Wert auf individuelle Betreuung der Studierenden, kleine Klassengrößen und teamorientiertes Lernen. Die Lehrpläne variieren, umfassen aber typischerweise ein breites Spektrum von Themen aus den Gebieten der Mathematik und Naturwissenschaften, Gesellschaftswissenschaften, Literatur und Sprache sowie Kreatives Schreiben, Kunst und Musik. Das Studium dauert in der Regel vier Jahre und kann mit dem Bachelor abgeschlossen werden, um anschließend gegebenenfalls an einer professional school oder graduate school durch ein Zweitstudium in einem spezialisierteren Fach wie Jura, Medizin, oder Betriebswirtschaft fortgesetzt zu werden. Einige wenige liberal arts colleges bieten auch eigene graduate studies an.

Die spezifisch auf Allgemeinbildung ausgerichtete Mission der liberal arts colleges war seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges - bedingt durch den Ausbildungsbedarf heimkehrender Kriegsteilnehmer und die zunehmende technische und informationstechnologische Spezialisierung der Arbeitswelt - immer wieder dem Anpassungsdruck besonderer Nachfrage nach einer mehr berufspraktisch und an den Bedürfnissen des je aktuellen Arbeitsmarktes ausgerichteten Ausbildung ausgesetzt. Nach einer Studie von 1998 hatten nur 3 % aller College-Absolventen in den USA einen Abschluss an einem liberal arts college erworben, im weiteren Ausbildungs- und Berufsleben dann jedoch einen überproportionalen Anteil an den wirtschaftlichen und politischen Führungskräften (8 % der Forbes-Liste, 19 % der US-Präsidenten), Pulitzer-Preisträgern (zwischen 6 % und 23 %), Fulbright-Stipendiaten (9 %) und den Promovierten wissenschaftlicher Studiengänge erreicht.

Das liberal arts college ist eine spezifisch US-amerikanische Institution, die im britischen Bildungswesen und anderen Ländern nicht oder nur als Nachahmung oder Ableger des US-amerikanischen Modells vorkommt. In Deutschland orientiert sich an diesem Programm das private European College of Liberal Arts in Berlin. Am Leibniz Kolleg gibt es ein einjähriges Studium generale. In den Niederlanden finden sich z.B. das University College Maastricht, das Amsterdam University College (AUC) und das University College Utrecht.

Anmerkungen

  1. Paul Michel: Ignorantia exilium hominis. In: Martin H. Graf und Christian Moser (Hrsg.): Strenarum lanx. Beiträge zur Philologie und Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Festgabe für Peter Stotz zum 40-jährigen Jubiläum des Mittellateinischen Seminars der Universität Zürich, Zug 2003.
  2. Ilsetraut Hadot: Arts libéraux et philosophie dans la pensée antique, 2. Auflage, Paris 2005; Ilsetraut Hadot: Martianus Capella, Mittler zwischen griechisch-römischer Antike und lateinischem Mittelalter. In: Arbogast Schmitt/Gyburg Radke-Uhlmann (Hrsg.): Philosophie im Umbruch, Stuttgart 2009, S. 15–33; Konrad Vössing: Schule und Bildung im Nordafrika der römischen Kaiserzeit, Bruxelles 1997, S. 575 ff.

Literatur

  • Bauer, A.: Die parallele Konstruktion der Sieben Freien Künste zu den Sieben Todsünden, insbesondere in Relation zur acedia, in: Schaefer, U. (Hg.): Artes im Mittelalter. Tagungsbeiträge der Sektionen A, C, D, E des 7. Symposiums des Mediävistenverbandes, das vom 24. bis 27. Februar 1997 an der Humboldt-Universität Berlin stattfand. Berlin, Akadamie-Verlag, 1999, S. 309 ff.
  • Brigitte Englisch: Die Artes liberales im frühen Mittelalter (5.–9. Jh.). Das Quadrivium und der Komputus als Indikatoren für Kontinuität und Erneuerung der exakten Wissenschaften zwischen Antike und Mittelalter, Stuttgart 1994 (= Sudhoffs Archiv, Beiheft 33)
  • Reinhold F. Glei (Hrsg.): Die Sieben Freien Künste in Antike und Gegenwart. Trier 2006 (Bochumer Alterumswissenschaftliches Colloquium; 72).
  • Josef Jjsewijn u.a. (Hrsg.): The Universities in the Late Middle Ages. Louvain: Leuven Univ. Press, 1978 (Mediaevalia Lovaniensia, Series I, Studia, VI. Publications de l’Institut d’Études Médiévales de l’Université Catholiquede Louvain, 2e série, 2)
  • Uta Lindgren: Die sieben freien Künste in den frühmittelalterlichen Abteien Sankt Gallen und Reichenau. Konstanz 1976 (Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte; 207). – Neuausg. Augsburg: Rauner, 2004
  • Meinolf Schumacher: Über die Notwendigkeit der ‚kunst‘ für das Menschsein bei Thomasin von Zerklaere und Heinrich dem Teichner. In: Ursula Schaefer (Hrsg.): ‚Artes‘ im Mittelalter, Berlin: Akademie 1999, p. 376–390
  • Stephanie Schüssler: Das Grabmal Sixtus IV. in Rom: zur Ikonographie der artes liberales. Mainz u. a.: Chorus, 1998
  • Rainer Christoph Schwinges (Hrsg.): Artisten und Philosophen: Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert. Basel: Schwabe, 1999 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; 1)
  • Christoph Scriba. Die mathematischen Wissenschaften im mittelalterlichen Bildungskanon der Sieben Freien Künste. Acta historica Leopoldina Nr.16 (1985), S. 25–53.
  • Tetsuro Shimizu, Alcuin’s Theory of Signification and System of Philosophy, DIDASCALIA, 1 (1995), p. 15–56
  • Steffen Siegel: "Architektur des Wissens. Die figurative Ordnung der artes in Gregor Reischs Margarita Philosophica". In: Frank Büttner, Gabriele Wimböck (Hg.): Das Bild als Autorität. Die normierende Kraft des Bildes, Münster (LIT Verlag) 2004, S. 343–362. 978-3825884253
  • Michael Stolz: Artes-liberales-Zyklen: Formationen des Wissens im Mittelalter. Tübingen: Francke, 2004 (Bibliotheca Germanica; 47)
  • James A. Weisheipl: The Curriculum of the Faculty of Arts at Oxford in the Early Fourteenth Century. In: Medieval Studies 26 (1964), p. 143–85

Weblinks


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