Jakob, der Lügner

Jakob, der Lügner
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Der Roman Jakob der Lügner ist das bekannteste Werk des Schriftstellers Jurek Becker. Er wurde 1969 veröffentlicht.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Erzählsituation

Der namenlose Ich-Erzähler des Romans ist einer der wenigen Überlebenden aus dem Ghetto einer nicht näher bezeichneten polnischen Stadt (vielleicht Lodz), der mit dem Vorwurf nicht leben kann, die Ghettobewohner hätten gegen ihre Folterer keinen Widerstand geleistet. Er schildert die Gegebenheiten aus eigener Erinnerung oder Berichten anderer Beteiligter. Der Erzähler war zeitgleich mit der Hauptfigur Jakob Heym im Ghetto. Geboren ist er 1921, die Erzählung der Geschichte fällt ins Jahr 1967.

Personen, manche Situationen oder Orte werden immer wieder aus der Ich-Perspektive dargestellt. So schildert der Erzähler z.B. das, was er selbst gedacht hat, als Herschel Schtamm sein Leben aufs Spiel setzt, indem er den im Zug sitzenden Deportierten die Nachricht vom raschen Vorrücken der Russen überbringt: „... ich weiß nicht warum, aber denke in diesem Augenblick an Chana [seine tote Frau]“ [1] Auch erzählt er von seinen Recherchen, die er zu diesem Roman angestellt hat[2]. Der Ich-Erzähler füllt die Lücken der Geschichte mit seiner objektiven Fantasie auf. Auch stellt er dem Zuhörer/Leser zwei verschiedene Enden zur Verfügung, weil ihm die Wahrheit nicht gefällt.

Oft sind Anspielungen auf Bäume zu finden. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass der Erzähler verheiratet war, seine Frau wurde unter einem Baum erschossen. Auch hat ihn das Baumverbot im Ghetto sehr berührt. So genießt er es, während der Zugfahrt am Fenster zu stehen und in der Dunkelheit die Umrisse der Bäume zu betrachten.

Handlung

In dem Roman „Jakob der Lügner“ schildert Jurek Becker das Leben des Juden Jakob Heym in den letzten Wochen vor der Räumung des Ghettos, in dem er lebt. Durch Zufall erfährt dieser im Polizeirevier der Deutschen durch ein Radio, dass die Rote Armee bereits vor Bezanika und damit unweit des Ghettos ist.

Am nächsten Tag will sein hungriger Arbeitskumpane Mischa bei den Deutschen Kartoffeln klauen. Da die Chancen, dass er dabei nicht erwischt wird, praktisch bei null stehen, und er in diesem Fall erschossen würde, versucht Jakob ihn davon abzuhalten, indem er ihm vom Vorrücken der Russen erzählt. Mischa schenkt Jakob aber keinen Glauben und ist entschlossen, sich die Kartoffeln zu holen. Im letzten Moment raunt Jakob ihm zu, er habe ein Radio (was nicht stimmt). Nun erst glaubt Mischa seinem Leidensgenossen und sieht vom Stehlen der Kartoffeln ab.

Obwohl Jakob mit dieser Notlüge wahrscheinlich das Leben seines Freundes gerettet hat, geht er dadurch auch ein großes Risiko ein. Denn der Besitz eines Radios ist den Juden im Ghetto bei Todesstrafe verboten. Mischa kann die Neuigkeit tatsächlich nicht für sich behalten. Denn er besucht in seiner Euphorie gleich noch seine Freundin Rosa und macht ihr einen Antrag. Um ihre skeptischen Eltern zu überzeugen, die durch die aussichtslose Lage im Ghetto in eine gewisse Lethargie gefallen sind, erzählt er ihnen, Jakob besitze ein Radio und die Russen seien nicht allzu weit entfernt. Die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer und bald sieht Jakob aufgrund der von ihm ausgehenden Hoffnung keine Möglichkeit mehr, seine Lüge zu widerrufen.

Eigentlich hat Jakob vor, seinen Freund Mischa bereits am nächsten Tag über seine Lüge aufzuklären. Er entscheidet sich jedoch dagegen, als er erkennt, dass seine kleine Lüge, die sich schnell weiterverbreitet hat, den Menschen im Ghetto wenigstens einen kleinen Funken Hoffnung bringt, für den es sich zu leben lohnt. Und die Lüge um das Radio bringt ihm nicht nur Nachteile. Plötzlich ist er sehr beliebt im Ghetto und hat so ab jetzt immer einen kräftigen Kumpanen bei der Arbeit zur Seite stehen.

Doch es wird immer schwerer für Jakob, die Lüge am Leben zu erhalten, denn er muss immer neue Informationen über den Vorstoß der Russen erfinden, um den anderen nicht die lebensnotwendige Hoffnung zu nehmen. Denn durch die von Jakob gelieferten Neuigkeiten sind die Ghettobewohner wie ausgewechselt. Außerdem fangen sie an, beflügelt durch die Hoffnung auf eine Veränderung der Verhältnisse, an die Zukunft zu denken; „Alte Schulden beginnen eine Rolle zu spielen“, „Töchter verwandeln sich in Bräute“ und „die Selbstmordziffern sinken auf Null“[3].

Allerdings gibt es längst zwei Parteien im Ghetto. Die einen begeistern sich über jede noch so kleine Meldung, die Jakob weitergibt, die anderen sehen in Jakobs vermeintlichem Radiobesitz nur eine Gefahrenquelle.

Um an weitere, „echte“ Informationen zu gelangen, klaut Jakob eine zu Klopapier zerschnittene Zeitung aus der Toilette, die nur den deutschen Wachsoldaten vorbehalten ist. Erwischt zu werden bedeutete den sicheren Tod, und Jakob entkommt nur durch ein heldenhaftes Ablenkungsmanöver seines Freundes Kowalski. Doch der Informationsgehalt jener Zeitungsschnipsel ist sehr mager, weswegen er beschließt, sein Radio „sterben“ zu lassen; er behauptet sein Radio sei plötzlich kaputt gegangen.

Während der Arbeit am Verladebahnhof am nächsten Tag hört Herschel Schtamm Stimmen aus einem Waggon, in dem offenbar Menschen in ein Vernichtungslager transportiert werden. Der sonst so ängstliche Schtamm geht zum Waggon und spricht den Todeskandidaten Hoffnung auf eine vermeintlich bevorstehende Befreiung zu. Dabei wird er von einem Posten erschossen. „Er wollte Hoffnung weitertragen und ist daran gestorben“[4]. Jakob fühlt sich für Schtamms Tod verantwortlich, da er ihn mit seiner „Radiolüge“ zum Heldentum verleitet hat. Als Jakob nach Hause kommt, erwischt er Lina, seine kleine Pflegetochter, die er verbotenerweise versteckt, weil sie ihre Eltern verloren hat, wie sie sein Zimmer nach dem Radio durchsucht. Jakob wird klar, dass er weitere Lügen erfinden muss, wenn selbst Kinder von der Hoffnung auf seine Nachrichten leben, und verzagte Leute wie Herschel Schtamm ihr Leben riskieren. Außerdem gerät er zusätzlich unter Druck, als Kowalski mit einem Rundfunkmechaniker ankommt, der das Radio reparieren will. In dieser Notlage behauptet Jakob kurzerhand, das Radio sei wieder in Ordnung.

Doch die Lüge um das Radio beginnt immer mehr auf Jakob zu lasten[5]. Als Kowalski sich aufhängt, nachdem Jakob ihm in einer schwachen Minute die Radiolüge gebeichtet hat, erkennt Jakob zum wiederholten Mal, wie viel von seinem Bestehen oder Versagen abhängt. Und der Glaube, Schuld an Kowalskis Tod zu tragen, hält ihn dazu an, weiter Lügen zu erfinden und so Hoffnung zu spenden.

Als die Bewohner einiger Straßen im Ghetto bereits in Vernichtungslager deportiert werden, spitzt sich die Lage zu und das tragische Ende deutet sich an. Doch bei dem hat es der Erzähler nicht belassen und entschied sich für zwei Fassungen des Ausgangs der Geschichte.

Im "realen" Ende erhängt Kowalski sich und später wird Jakob zusammen mit anderen Juden deportiert. Im Zug erzählt er dem Erzähler seine Erlebnisse, welcher nach dem Krieg einige Nachforschungen anstellt und dann die Geschichte erzählt.

Im Gegensatz dazu wird Jakob im "fiktiven" Ende beim Fluchtversuch erschossen. Im selben Moment hört man die Geschütze der Roten Armee aufdonnern. Das Ghetto wurde also befreit.

Personen

Jakob Heym ist der Protagonist. Er ist der äußerst unauffällige, fürsorgliche, anfangs gewissenhafte, hoffnungstragende „Held“. Er wird als Lügner bezeichnet, weil er anfangs seinen Freund Mischa rettet, indem er ihm vorlügt, ein Radio zu besitzen. Schließlich aber steht er zu dieser Lüge und verbreitet erfundene Radionachrichten, womit er dem Ghetto Hoffnung schenkt.

Kowalski ist ein „ehemaliger Freund“ von Jakob. Er erscheint wieder in seinem Leben als er erfährt, dass Jakob ein Radio besitzt. Vor dem Krieg, als die Nationalsozialisten Polen noch nicht besetzt hatten, hatten sie eine Abmachung getroffen: Kowalski durfte gratis in Jakobs Kartoffelpuffer-Bude essen und Jakob kostenlos in Kowalskis Friseurladen kommen. Die "Freundschaft" zwischen den beiden ist eher oberflächlich, da hauptsächlich Interessen im Vordergrund stehen. Er ist geschwätzig und hinterlistig. Jedoch rettet er im Verlauf der Handlung Jakobs Leben.

Lina ist ein Waisenkind, dessen Eltern von der Gestapo abgeholt wurden, während sie nicht da war. Jakob nimmt sich ihrer an, kümmert sich um sie und beschließt, sie nach der Zeit im Ghetto zu adoptieren. Sie ist ein gewieftes, pfiffiges, neugieriges, skeptisches, acht Jahre altes Mädchen.

Kirschbaum ist Professor und Herzspezialist. Als respektierte Person kümmert er sich auch um Lina, indem er z.B. seine Lebensmittelmarken für sie opfert. Er wirft Jakob vor, die falschen Nachrichten im Ghetto zu verbreiten, sieht aber schließlich doch ein, dass diese den Menschen Hoffnung bringen. Eines Tages wird er aufgefordert, den schwer erkrankten deutschen Oberbefehlshaber ärztlich zu behandeln, worauf er mit einer Pille „gegen Sodbrennen“ Selbstmord begeht.

Mischa ist ein junger Mann und ehemaliger Amateurboxer. Er ist Jakobs Arbeitskollege beim Kistenverladen auf dem Bahnhof. Er verrät Jakob, indem er weitersagt, dass dieser ein Radio besäße. Somit ist er der Auslöser der Geschichte, da Jakob sich ohne ihn nie dazu gezwungen sehen würde, das Ghetto mit falschen Nachrichten zu beliefern.

Rosa Frankfurter ist die Freundin von Mischa. Sie ist ein einfühlsames, schlichtes, selbstloses, nettes Mädchen.

Felix Frankfurter ist der Vater von Rosa Frankfurter. Er besaß ein Radio, welches er im Keller aufbewahrte. Als er erfährt, dass Jakob ein Radio „besitzt“, zerstört er sein eigenes aus Angst davor, dass die Gestapo erfährt, dass es im Ghetto ein Radio gibt und sie danach suchen.

Herschel Schtamm ist der Zwillingsbruder von Roman. Er ist ein orthodoxer Jude. Er wird im Verlaufe des Romans erschossen.

Ort des Geschehens

Die Geschichte Jakobs spielt in einem fiktiven Ghetto in Polen, welches den zahlreichen Ghettos des von Hitler besetzten Polens nachempfunden ist. Der Name der polnischen Stadt wird im Buch nicht erwähnt, aber für ein fiktives Ghetto spricht, dass viele andere im Buch erwähnte Ortsnamen wie Bezanika, Mielworno, Pry, oder Kostawaka [6] frei erfunden sind. Trotz allem bezieht sich der Erzähler auch auf historische Fakten, wie zum Beispiel dem Aufstand im Warschauer Ghetto. [7] Da das Ghetto in Lodz eine wichtige Rolle in Jurek Beckers Biographie spielt, liegt die Vermutung zwar nahe, dass ihm das Ghetto des Buches nachempfunden ist, deutliche Hinweise wie Ortsbeschreibungen oder -bezeichnungen stimmen aber nicht mit denen in Lodz überein.[8]

Verfilmungen

  • Eine amerikanische Neuverfilmung erfolgte 1999 mit Robin Williams als Jakob und Armin Mueller-Stahl. Letzterer wirkte bereits bei der ersten Verfilmung als Roman Schtamm mit. In der Hollywood-Verfilmung werden die Nazis als von Natur aus böse dargestellt, wie es im Buch nicht der Fall ist. Ferner wurde das Ende verändert. In der Neuverfilmung stirbt Jakob Heym als Märtyrer, indem er durch die Nazis erschossen wird. Er widerruft seine Nachricht von den Russen nicht.

Einzelnachweise

  1. Becker, Jurek: Jakob der Lügner, Suhrkamp: Frankfurt am Main (2004), S. 139
  2. Jakob der Lügner, S. 163; 207-213
  3. Jakob der Lügner, S. 83
  4. Jakob der Lügner, S. 140
  5. vgl. Jakob der Lügner, S.246
  6. Becker, Jurek , Jakob der Lügner. Roman.Suhrkamp BasisBibliothek 15, Frankfurt a.M. 1999, Erste Auflage 2000: Kommentar, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1999, S. 340.
  7. Becker,Jurek , Jakob der Lügner. Roman.Suhrkamp BasisBibliothek 15, Frankfurt a.M. 1999, Erste Auflage, 2000, S. 102.
  8. Becker, Jurek , Jakob der Lügner. Roman.Suhrkamp BasisBibliothek 15, Frankfurt a.M. 1999, Erste Auflage 2000: Kommentar, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1999, S. 339.

Literatur

  • Frank Beyer: Wenn der Wind sich dreht: meine Filme, mein Leben. Econ, München 2001. ISBN 3-430-11477-2 (enthält auch Hinweise zur Entstehungsgeschichte des Romans.)
  • Sander L. Gilman: Jurek Becker. Die Biographie. Ullstein, München 2002. ISBN 3-550-07559-6
  • Olaf Kutzmutz: Jurek Becker: Jakob der Lügner. Lektüreschlüssel für Schüler. Stuttgart: Reclam 2004. ISBN 978-3-15-015346-8

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