Johann Rivius

Johann Rivius
Johannes Rivius, aus Heinrich Pantaleons „Lebensbeschreibungen berühmter Männer Deutschlands“, Bd. III., Basel 1571

Johannes Rivius (* 1. August 1500 in Attendorn; † 1. Januar 1553 auf seinem Landgut bei Meißen), in seinen Schriften sich als Johannes Rivius Atthendoriensis bezeichnend, war ein als Pädagoge und Theologe tätiger Humanist. Er verfasste eine Vielzahl von Schriften, darunter einen Kommentar der Werke Sallusts.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugend und Studium

Johannes Rivius wurde am 1. August 1500 im sauerländischen Attendorn geboren. Seine Eltern waren Nichtadelige und wohl auch nicht wohlhabend. Da Rivius ursprünglich das Handwerk des Gold- oder Silberschmieds erlernen sollte, wird vermutet, dass der Vater in diesem Beruf tätig war. In Attendorn wirkte zu dieser Zeit der katholische Pfarrer Tilman Müller, der an der Universität von Deventer bei dem Humanisten Alexander Hegius studiert hatte und dort auch in die Alten Sprachen Griechisch und Latein eingeführt worden war. Müller bemühte sich, in Attendorn humanistische Bildungsgüter zu verbreiten, und gründete eine Lateinschule, die auch der junge Rivius besuchte, der zum besseren Lernen wie einige andere Schüler in Müllers Pfarrhaus einzog. Seine Eltern standen dem wohl eher ablehnend gegenüber, Rivius erster Biograph Fabricius berichtet, Rivius Eltern hätten diesen gelegentlich zu ausgleichender körperlicher Arbeit aus dem Pfarrhaus Müllers nach Hause geholt.

Zum Lehrprogramm Müllers gehörte neben Anfangsunterricht im Griechischen insbesondere das Latein, das die Schüler bald fließend lasen. Behandelt wurden mittelalterliche und antike Autoren, wobei viel auswendig gelernt wurde. Geübt wurde auch der lateinische Kirchengesang, wobei Müller Wert darauf legte, dass die Schüler verstünden, was sie sangen. Der Chor der Schüler sang auch beim Gottesdienst in der Stadtkirche von Attendorn. Zum Erstaunen der Attendorner Bevölkerung gab es sogar Turnübungen im Garten des Pfarrhauses.

1518 verließ Rivius seine Heimatstadt, um seine Studien mit Einverständnis der Eltern in Köln fortzusetzen. Rivius blieb Attendorn jedoch verbunden und drückte dieses später dadurch aus, dass er bei seinen Schriften den Namenszusatz Atthendoriensis (aus Attendorn) beifügte. Allerdings kann er diesen Zusatz auch verwendet haben, um sich von anderen Namensträgern zu unterscheiden: In der Renaissance war es nicht unüblich, seinen Nachnamen zu latinisieren, und Rivius wäre die Übersetzung des nicht seltenen Namens Bachmann.

In Köln schloss sich Rivius humanistisch orientierten Professoren an, die in Auseinandersetzungen mit scholastischen Theologen standen. Nach längerem Schwanken zwischen den Fachrichtungen Theologie, Rechtswissenschaften und Philologie studierte Rivius auf Anraten des Johannes Matthias Ortter (Phrissemius) letztere. Nach etwa drei Jahren Studium des Lateinischen, des Griechischen und der Philosophie schloss Rivius als magister artium seine Studien ab und begann selbst an einer Kölner Lateinschule zu unterrichten. Dort blieb er bis zur Jahresmitte 1523. Im Sommer dieses Jahres unternahm Rivius eine Reise an den Oberrhein, wo er Klosterbibliotheken besuchte und alte Handschriften durcharbeitete. Vermutlich waren dieses bereits Vorbereitungen für seine späteren Werke. Nach dieser Reise beabsichtigte Rivius, in Leipzig seine Studien fortzusetzen, da dort bekannte Humanisten an der Universität lehrten. In Leipzig machte Rivius die Bekanntschaft mit dem Rektor der Thomasschule Caspar Borner sowie Hegendorfs und Tulichius. Da Hegendorf und Tulichius Anhänger Martin Luthers waren, machte Rivius in dieser kurzen Phase erstmals Bekanntschaft mit reformatiorischem Gedankengut.

Lehrtätigkeiten

Rivius blieb nur kurz in Leipzig, da Borner ihm zum Jahresbeginn 1524 eine bezahlte Lehrerstelle am Stadtgymnasium in Zwickau vermittelte. An dieser Schule war Georg Agricola Rektor gewesen. Zwickau stand reformatorischen Gedanken nahe, der Pfarrer dort war ein Freund Luthers und die regierenden Fürsten (bis 1525 Friedrich der Weise, nach dessen Tod Johann der Beständige) gegenüber der Reformation wohlwollend-tolerant. Thomas Müntzer war von 1520 bis 1521 dort Prediger gewesen. Er und die Zwickauer Propheten wie auch die Wiedertäufer hatten in Zwickau noch Anhänger, die in der Stadt für eine unruhige Atmosphäre sorgten. Rivius, der noch 1524 die Tochter eines angesehenen Zwickauer Bürgers geheiratet hatte, versuchte zu unterrichten, so gut es ging. 1527 gab er seine erste Schrift heraus, eine Schulausgabe eines Gedichts von Erasmus von Rotterdam, ergänzt durch drei eigene Strophen. Grund für die Publikation war wahrscheinlich der Mangel an geeigneten lateinischen Schultexten.

Erstausgabe eines Werkes von Rivius von 1549

1531 wechselte Rivius, dem die Zustände in Zwickau nicht entsprachen, in das katholische Annaberg, wo er Rektor des Stadtgymnasiums wurde. Dieses war reformbedürftig, hatte es doch in den weniger als zwanzig Jahren seit der Gründung mehr als ein halbes Dutzend Rektoren gehabt. Die Unterrichtsmethoden und Lehrinhalte waren rückständig und nicht auf der Höhe der Zeit, die Hilfslehrer schlecht qualifiziert. Rivius, dessen Gehalt mit 5 Dukaten eher dürftig war, reformierte die Schule in kurzer Zeit so gründlich, dass sie Schüler auch aus der weiteren Umgebung der Stadt anzog. Sein späterer Biograph Fabricius besuchte in Annaberg die von Rivius geleitete Schule und zählte später in der Biographie etwa ein Dutzend Ärzte, Rechtsgelehrte und Pädagogen auf, die ebenfalls in Annaberg bei Rivius gelernt hatten. Rivius erwarb ein Haus in Annaberg, das er jedoch bereits 1535 wieder verkaufte, um nach Marienberg umzusiedeln. Grund für diesen Umzug war, dass Rivius nach zwei Jahren in Streit mit der katholischen Geistlichkeit Annabergs geraten war. Rivius hatte sich gegen unangemessene Abwandlungen alter lateinischer Kirchengesänge in der Liturgie ausgesprochen, der Stadtpfarrer beschwerte sich daraufhin beim Herzog in Dresden. Rivius trat als Rektor des Stadtgymnasium zurück und unterrichtete fortan Schüler in seinem Privathaus.

In Marienberg übernahm Rivius kein Schulamt, sondern unterrichtete weiter privat. Daneben widmete er sich seinen Studien, die 1541 in Leipzig gedruckte Schrift Descriptio Marienbergi, eine Huldigung an Marienberg in der humanistischen Tradition des Städtelobs, entstand in dieser Zeit. In Marienberg traf Rivius auch erstmals auf Herzog Heinrich, seinen späteren Dienstherrn.

1536 kehrte Rivius zur Lehrtätigkeit im Schuldienst zurück und war zunächst bis 1537 in Schneeberg Rektor des dortigen Gymnasiums. Von dort berief ihn Herzog Heinrich 1537 als Rektor an das Gymnasium seiner Residenzstadt Freiberg, das zu Beginn des Jahrhunderts einen guten Ruf gehabt hatte, aber an Niveau verloren hatte. Rivius stellte den Ruf in den vier Jahren seines Wirkens dort wieder komplett her.

Schulreformator und Fürstenberater

1539 wurde Rivius vom Meißener Bischof Johann VIII. von Maltitz gebeten, eine Schulreform für das Gebiet des Bistums auszuarbeiten. Hintergrund war, dass der protestantische Herzog Heinrich das albertinische Sachsen von seinem katholischen Bruder Georg dem Bärtigen geerbt hatte; der Bischof hoffte, durch die Reform einem Eingreifen der neuen protestantischen Regierung zuvorzukommen. Rivius stellte zwar das von ihm erbetene schulorganisatorische Programm auf, der Katholizismus wurde jedoch trotzdem aus den Schulen verdrängt.

1540 berief Herzog Heinrich Rivius als Prinzenerzieher des Herzogs August von Sachsen. August hatte zuvor Rivius' Freiberger Schule besucht, nun sollte Rivius ihn an die Universität Leipzig begleiten und dort die Ausbildung des Prinzen leiten. Neben der Erziehung des Prinzen fand Rivius auch Zeit zur literarischen Arbeit.

1541 verstarb Herzog Heinrich, und Augusts älterer Bruder Moritz wurde Herzog. August kehrte mit Rivius im Gefolge nach Dresden zurück, wo Rivius zum Berater des Herzogs in kirchlichen Angelegenheiten und im Bildungswesen wurde. 1544 gründete Moritz die staatlichen Gymnasien „Fürstenschulen“ in Pforta, Meißen und Merseburg und bestellte Rivius zum Schulinspekteur für die Fürstenschulen. Rivius verlegte seinen Wohnsitz nach Meißen. Er war maßgeblich bei der Lösung der Probleme, die sich aus der Überführung des Eigentums der aufgelösten Klöster in die Schulstiftungen ergaben, und stellte die Schulordnungen für die Schulen auf. Als Lehrer berief er Männer seines Vertrauens, darunter viele seiner ehemaligen Schüler, wie Fabricius.

Im Sommer 1552 brach in Meißen die Pest aus, Rivius blieb in der Stadt und wurde mit seiner Familie angesteckt. Rivius' Frau und sein jüngster Sohn starben 1552, Rivius selbst erlag am 1. Januar 1553 der Seuche.

Lehrmethoden

Eine wichtige Neuerung, die Rivius erstmals in Annaberg einführte, war der Unterricht der lateinischen Grammatik in deutscher Sprache. Außerdem ersetzte Rivius die mittelalterlichen Schullesetexte durch die Lektüre klassischer Autoren, die er zu diesem Zweck herausgab. Nach Fabricius führte er auch neuartige Übungen in Wortkunde ein.

Schriften

Rivius Schriften können in drei Gruppen eingeteilt werden:

  • grammatisch-philologische Schriften
  • pädagogische Schriften
  • theologisch-philosophische Schriften

Zu den grammatisch-philologischen Schriften zählt die erste deutschsprachige Grammatik des Lateinischen wie auch die erste Sallust-Ausgabe. Besonders die Grammatik wurde in zahlreichen Ausgaben gedruckt, teilweise verballhornt, und blieb lange in Gebrauch. Unter den pädagogischen Schriften ragen die Schulprogramme für die sächsischen Fürstenschulen hervor, die zum Vorbild für die Programme entsprechender Institutionen anderer Fürsten wurden und somit großen Einfluss auf das Bildungsleben der frühen Neuzeit ausübten. In seinen religiösen Schriften schloss sich Rivius der Kirchenkritik Luthers an. Rivius' hohe Bildung und elegante Diktion lassen ihn als Erasmus-Schüler erscheinen. Seine Schriften lassen eine tiefe Durchdringung der aufgeworfenen Probleme erkennen, wobei Rivius sich nicht scheute, aus den Schriften der Gegner der neuen Lehre zu zitieren. Mehrere seiner Schriften, etwa De stultitia moralium in procrastinanda vitae correctione, wurden im 16. Jahrhundert ins Englische übersetzt.

Nachwirken

In seiner Herkunftsstadt Attendorn wurde ihm zu Ehren 1975 das Städtische Gymnasium, das auf eine ca. 1515 gegründete Humanistenschule zurückgeht, in Rivius-Gymnasium umbenannt. Seine Heimatstadt hat außerdem Ausgaben seiner Werke gesammelt.

Rivius' gleichnamiger Sohn war ebenfalls im Schuldienst tätig.

Literatur

  • Werner F. Cordes: Johannes Rivius aus Attendorn (1500-1553). Pädagoge und Schulbuchautor im Zeitalter der Reformation, in: Sauerland 2004 Heft 4, S. 170-171
  • Bruno Hesse: Johannes Rivius Attendoriensis, in: Rivius-Gymnasium der Stadt Attendorn (Hrsg.): Rivius 2000. Gymnasium der Stadt Attendorn, S. 23-27
  • Bruno Hesse und Peter Nake: Johannes Rivius aus Attendorn, in: Rivius-Gymnasium der Stadt Attendorn (Hrsg.): Rivius-Gymnasium der Stadt Attendorn 1875-1975, Festschrift 1975, S.29-42
  • Georg Müller: Rivius, Johann. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 28, Duncker & Humblot, Leipzig 1889, S. 709–713.

Weblinks


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