- KHM 161
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Schneeweißchen und Rosenrot ist ein Märchen (Typ 426 nach Aarne und Thompson), das in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm die Nummer 161 hat (KHM 161).
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Eine Mutter hat zwei sehr liebe Töchter, Schneeweißchen und Rosenrot. Sie ähneln dem weißen und dem roten Rosenbäumchen in ihrem Garten. Schneeweißchen ist stiller als Rosenrot und öfter zu Hause. Den Mädchen droht im Wald keine Gefahr von den Tieren, und auch als sie direkt neben einem Abgrund schlafen, behütet sie ihr Schutzengel. Eines Winters sucht Abend für Abend ein Bär bei ihnen Obdach, und die Kinder, obwohl sie sich zuerst fürchten, fassen Zutrauen und spielen mit ihm, was dem Bären behagt. Wenn es ihm zu arg wird, brummt er: „Laßt mich am Leben, ihr Kinder. Schneeweißchen, Rosenrot, schlägst dir den Freier tot.“
Im Frühjahr muss der Bär wieder fort, um seine Schätze vor den Zwergen zu schützen. Am Türrahmen reißt er sein Fell, und Schneeweißchen meint, Gold hervorschimmern zu sehen. Später treffen die Mädchen im Wald dreimal einen Zwerg, der mit seinem Bart an einem gefällten Baum, dann an einer Angelschnur festhängt, dann will ihn ein Greifvogel forttragen. Sie helfen ihm, doch er ist undankbar und schimpft, weil sie dabei seinen Bart und seinen Rock beschädigen. Beim vierten Treffen wird der Zwerg zornig, da ihn Schneeweißchen und Rosenrot vor einem ausgebreiteten Haufen Edelsteine überraschen. Der Bär kommt und schlägt den Zwerg nieder. Als sie den Bären erkennen, verwandelt er sich in einen Königssohn, dem, so erfahren sie, der Zwerg seine Schätze gestohlen und ihn verwünscht hatte. Schneeweißchen heiratet den Königssohn. Rosenrot bekommt seinen Bruder, der auch schon vorher als Jäger in die Geschichte eingeführt wurde.
Interpretation
Der Gegensatz zwischen den unschuldigen Kindern und dem gierigen Zwerg ist selbst für ein Märchen besonders ausgeprägt. Auch die Charaktere des starken Bären und der guten Mutter sind besonders klischeehaft.
Die beiden Kinder weisen bei aller Verbundenheit eine gegensätzliche Symbolik auf. Rot sind die Beeren, die sie im Wald pflücken, wo Rosenrot gerne herumtollt. Weiß dagegen ist das Täubchen und das Lämmchen winters in der Stube. Rosenrot ist es, die die Tür öffnet, Schneeweißchen schließt sie.
Der Bart, den die Kinder dem Zwerg stutzen, bedeutet in vielen alten Geschichten die Stärke, wie bei Samson im Alten Testament (vgl. KHM 196). Auch der starke Bär hat hier einen dicken Pelz, der mit dem Tod des Zwerges von ihm abfällt. Der Bart war im Mittelalter auch Zeichen der Königswürde.
Der Zwerg kämpft einmal gegen ein Wesen der Erde (Baum), einmal des Wassers (Fisch) und einmal der Luft (Vogel). Diese Kombinierung des dreigliedrigen Märchenaufbaus mit der Vier-Elemente-Lehre ist in vielen Grimm-Märchen erkennbar, z.B. Die wahre Braut.
Herkunft
Schneeweißchen und Rosenrot ist in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm ab der Drittauflage 1837 und in der Kleinen Ausgabe ab 1850 enthalten. Wilhelm Grimm kombinierte Caroline Stahls Der undankbare Zwerg (Quelle unbekannt, In: Fabeln, Märchen und Erzählungen für Kinder, Nürnberg 1818) mit dem Vers aus Friedrich Kinds Novelle Das Schmetterlings-Cabinet (In: Minerva für das Jahr 1813), den er für ein Volkslied hielt, und schrieb es für Wilhelm Hauffs Märchen-Almanach um, wo es 1826 erschien. Von ihm stammt die Idee, der Zwerg habe den Bären verwandelt, sowie die gesamte erste Texthälfte mit dem Familienidyll. So gewaltige Eingriffe nahmen die Brüder Grimm sonst nie vor. Das Märchen scheint sowohl seinem Bild des Volksglaubens wie auch dem Geschmack des Publikums entsprochen zu haben. Für die Kinder- und Hausmärchen wurde es erneut intensiv umgearbeitet.
Die Auffassung der Tiergestalt als Folge eines Schadenszaubers, der zur Erlösung aufgehoben wird, ist vergleichsweise jung. Bei Naturvölkern erscheint die Hin- und Rückverwandlung zum Tier als selbsverständlicher Zug des Menschen. [1] Schneeweißchen und Rosenrot hat hier ein ähnliches Thema wie Der Froschkönig (KHM 1), Das singende springende Löweneckerchen (KHM 88), Hans mein Igel (KHM 108), Der Bärenhäuter (KHM 111), Die drei Schwestern (KHM 82a), Der Löwe und der Frosch (KHM 129a). Zu dem einmal schlafenden Schutzengel vgl. KHM 201 Der heilige Joseph im Walde.
Literatur
- Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Vollständige Ausgabe. Mit 184 Illustrationen zeitgenössischer Künstler und einem Nachwort von Heinz Rölleke. S. 674-685. Düsseldorf und Zürich, 19. Auflage 1999. (Artemis & Winkler Verlag; Patmos Verlag, ISBN 3-538-06943-3)
- Grimm, Brüder: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand mit den Originalanmerkungen der Brüder Grimm. Mit einem Anhang sämtlicher, nicht in allen Auflagen veröffentlichter Märchen und Herkunftsnachweisen herausgegeben von Heinz Rölleke. Band 3: Originalanmerkungen, Herkunftsnachweise, Nachwort. Durchgesehene und bibliographisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 1994. S. 255, S. 504. (Reclam-Verlag, ISBN 3-15-003193-1)
- Rölleke, Heinz: Mädchen und Bär. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 8. S. 1350–1353. Berlin, New York, 1996.
- Megas, Georgios; Ranke, Kurt: Bart. In: Enzyklopädie des Märchens. Band 1. S. 1280–1284. Berlin, New York, 1977.
Verfilmungen
- Alfred Stöger: Schneeweißchen und Rosenrot, Deutschland 1938
- Erich Kobler: Schneeweißchen und Rosenrot, BRD 1955
- Schneeweisschen und Rosenrot (Fernsehproduktion der Augsburger Puppenkiste, s/w, 1957)
- Siegfried Hartmann: Schneeweißchen und Rosenrot, DDR 1979
- Rita-Maria Nowottnick-Genschow: Schneeweißchen und Rosenrot, BRD 1984
- Gurimu Meisaku Gekijō, japanische Zeichentrickserie 1987, Folge 9: Schneeweißchen und Rosenrot
Weblinks
- Märchenlexikon.de zu Schneeweisschen und Rosenrot AaTh 426
- Schneeweißchen und Rosenrot bei Gutenberg.de
Einzelnachweise
- ↑ Röhrich, Lutz: Märchen und Wirklichkeit. Zweite erweiterte Auflage, Wiesbaden 1964. S. 92-99. (Franz Steiner Verlag)
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