Karl Dedecius

Karl Dedecius
Karl Dedecius in Frankfurt am Main 2006

Karl Dedecius (* 20. Mai 1921 in Łódź) ist ein deutscher Übersetzer polnischer und russischer Literatur.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Dedecius wurde als Sohn deutscher Eltern in der damaligen Vielvölkerstadt Łódź geboren, die zu diesem Zeitpunkt erst seit kurzem wieder Teil eines polnischen Staates war, besuchte das polnische Stefan-Żeromski-Gymnasium und machte dort das Abitur. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen im Zweiten Weltkrieg wurde er zunächst in den Reichsarbeitsdienst und dann in die Deutsche Wehrmacht eingezogen. In Stalingrad wurde er schwer verwundet und geriet in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Während seiner Gefangenschaft brachte er sich selbst Russisch bei. Zitat: „Ich lag im Krankenzimmer, und die Schwestern brachten mir Bücher, von Lermontow zum Beispiel. Ein Jahr lang lernte ich an Lermontow und Puschkin die kyrillische Schrift und die russische Sprache. Die Wachmänner baten mich anschließend, für sie Liebesbriefe zu verfassen, weil ich wie Puschkin schrieb“.[1]

Richard von Weizsäcker gratuliert Karl Dedecius zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 1990

1950 wurde Dedecius entlassen und ging zunächst zu seiner Verlobten nach Weimar in die DDR. 1952 siedelte er in die Bundesrepublik über und wurde Angestellter bei der Versicherung Allianz AG. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit polnischer Kultur und Literaturübersetzungen, pflegte auch private Kontakte zu polnischen Schriftstellern. Dedecius hierzu: Erst als ich mich so eingerichtet hatte, und eine gewisse Stabilität im Leben erreichte, konnte ich anfangen, mich endlich auch mit Literatur zu beschäftigen, ausdauernd und systematisch, obwohl mein Beruf nebenbei gesagt gar nichts mit Schriftstellerei zu tun hatte. In der Einleitung zur polnischen Ausgabe von Vom Übersetzen schrieb Jerzy Kwiatkowski: „Formal betrachtet könnte man sagen, dass dieses große Übersetzerwerk nach Feierabend entstanden ist, als Folge eines Hobbys.[1]

1959 erscheint die erste von ihm herausgegebene Anthologie Lektion der Stille. In den folgenden Jahren übersetzt er „nach Feierabend“ so bekannte polnische Schriftsteller wie Zbigniew Herbert, Stanisław Jerzy Lec, Czesław Miłosz, Tadeusz Różewicz und Wisława Szymborska. Außerdem veröffentlicht er eigene Essays zu Literatur und Übersetzungstechnik.

1979/1980 initiierte er das Deutsche Polen-Institut in Darmstadt, dessen Direktor er bis 1999 blieb, wobei er seine literarische Tätigkeit jedoch fortsetzte. Als Dedecius’ Hauptwerk gilt neben der 50-bändigen Polnischen Bibliothek, einem Kanon, der 1982 bis 2000 im Suhrkamp Verlag erschien, das siebenbändige Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts (1996–2000), dessen abschließender Band zugleich eine Art Autobiographie darstellt.

Sein persönliches Archiv, darunter Korrespondenzen mit berühmten polnischen Schriftstellern wie Zbigniew Herbert, Czesław Miłosz, Wisława Szymborska oder Tadeusz Różewicz, übergab er bereits im Jahre 2001 dem Karl Dedecius Archiv der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder).

Ehrungen

Dedecius ist Inhaber mehrerer Ehrendoktorwürden sowie Träger zahlreicher Preise und Auszeichnungen. 1986 erhielt er den Hessischen Kulturpreis, 1990 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 1997 den Samuel-Bogumil-Linde-Preis. Seit 2003 verleiht die Robert Bosch Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Polen-Institut den mit jeweils zwei mal 10.000 Euro dotierten Karl-Dedecius-Preis für polnische Übersetzer deutscher Literatur und deutsche Übersetzer polnischer Literatur. Seit 19. November 2002 ist ein Gymnasium in Łódź mit bilingualem Zweig nach Dedecius benannt[2]. Mit der Begründung, Dedecius habe sich „durch sein gesamtes Lebenswerk als Brückenbauer zwischen Polen und Deutschland verdient gemacht, indem er den Deutschen den Zugang zu polnischer Kultur ermöglicht“ habe,[3] wurde ihm gemeinsam mit Alfons Nossol, 1977 bis 2009 Bischof von Oppeln, der Deutsche Nationalpreis des Jahres 2010 zuerkannt.

Werke

  • 1971: Deutsche und Polen. Botschaft der Bücher. Hanser, München, ISBN 3-446-11481-5.
  • 1974: Überall ist Polen. Suhrkamp, Frankfurt a.M., ISBN 3-518-36695-5.
  • 1975: Polnische Profile. Suhrkamp, Frankfurt a.M., ISBN 3-518-02570-8.
  • 1981: Zur Literatur und Kultur Polens. Suhrkamp, Frankfurt a.M., ISBN 3-518-02571-6
  • 1981: Polnische Pointen Satiren und kleine Prosa des 20. Jahrhunderts Karl Dedecius Ullstein Buch
  • 1986: Vom Übersetzen. Theorie und Praxis. Suhrkamp, Frankfurt a.M., ISBN 3-518-37758-2.
  • 1988: Von Polens Poeten. Suhrkamp, Frankfurt a.M., ISBN 3-518-37979-8.
  • 1990: Lebenslauf aus Büchern und Blättern Suhrkamp, Frankfurt a.M., ISBN 3-518-40309-5.
  • 1996: Ost West Basar. Ansprachen Essays Würdigungen. Mit einem Geleitwort von Marion Gräfin Dönhoff. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Andreas Lawaty. Ammann, Zürich, ISBN 3-250-10283-0
  • 2000: Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Abt.V. Panorama. Ein Rundblick. Ammann, Zürich, ISBN 3-250-50005-4.
  • 2002: Die Kunst der Übersetzung. Logos, Berlin, ISBN 3-8325-0000-6.
  • 2006: Ein Europäer aus Lodz: Erinnerungen. Suhrkamp, Frankfurt am Main, ISBN 3-518-41756-8

Literatur

  • Elvira Grözinger, Andreas Lawaty (Hrsg.): Suche die Meinung: Karl Dedecius, dem Übersetzer und Mittler zum 65. Geburtstag. Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1986, ISBN 3-447-02630-8.
  • Manfred Mack (Hrsg.): Karl Dedecius und das Deutsche Polen-Institut. Laudationes, Berichte, Interviews, Gedichte. Justus von Liebig Verlag, Darmstadt 1991, ISBN 3-87390-098-X.
  • Hubert Orłowski: Karl Dedecius. In: Marek Zybura (Hrsg.): …nie będzie nigdy Niemiec Polakowi bratem…? Wrocław: Okis. S. 268–279. ISBN 83-904842-0-X.
(Deutsch in: Krzysztof Ruchniewicz, Marek Zybura (Hrsg.): „Mein Polen…“. Deutsche Polenfreunde in Porträts. Dresden 2005, ISBN 3-937672-36-2, S. 291–312).

Weblinks

 Commons: Karl Dedecius – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b web.archive.org von edu.apple
  2. gim43.scholaris.pl
  3. Geehrt werden deutsch-polnische „Brückenbauer“. (PDF, 85 kB) Pressemitteilung der Deutschen Nationalstiftung, 24. März 2010

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