Konsumerismus

Konsumerismus

Konsumismus (engl. consumerism: übersteigertes Konsumverhalten; auch weitere Bedeutung von consumerism als: Verbraucherschutzbewegung; lat.: consumere: verbrauchen) ist ein seit den 1970er Jahren sich einbürgernder Begriff, der u.a. von Pier Paolo Pasolini gebraucht wurde, um den Konsum in den westlichen Gesellschaften als übersteigert zu kritisieren.

Pasolini formulierte die These, der Konsumismus sei eine neue Form des Totalitarismus, weil er mit dem Anspruch einher gehe, die Konsumideologie auf die gesamte Welt auszudehnen. Eine seiner Folgen sei die Zerstörung der Vielfalt sozialer Lebensformen und die Einebnung der Kulturen in einer globalen konsumistischen Massenkultur, welche die Freiheitsvorstellungen mit einer „Pflicht“ zum Konsumieren auflade und die Menschen veranlasse, mit dem „Gefühl von Freiheit“ die Konsumimperative zu erfüllen. Die entsprechenden Dispositionen, die eine innere Leere, Langeweile, Überdruss und chronische Depressivität im Akt des Kaufens oder Konsumierens kompensierbar machen, gehören nach Fromm zum Charakterbild des modernen Menschen. Eine überspitzte Ausprägung finden die konsumorientierten Haltungen, Leidenschaften und Verhaltensweisen des so genannten konsumistischen Sozialcharakters im Krankheitsbild der Kaufsucht.

Als „alltäglicher Konsumismus“ wird die in den deutschen Kaufsuchtstudien empirisch belegte Tendenz vieler Menschen in den Konsumgesellschaften beschrieben, sich mit Produkten oder Dienstleistungen zu identifizieren und ihr Selbstwertgefühl davon abhängig zu machen. Dabei werden Produkte mit kommerziellem Markennamen und statushebenden Versprechungen vorgezogen. Insoweit der Konsumismusbegriff als abwertend wahrgenommen wird, lehnen ihn viele Betroffene ab und ziehen es vor, ihren Konsum mit rationalen Argumenten zu rechtfertigen; sie verwerfen die Idee, sie würden „gezwungen“ zu konsumieren. Dieser Versuch der Rechtfertigung stellt ein Musterbeispiel für den psychoanalytischen Abwehrmechanismus der Rationalisierung dar. Menschen, welche die Ideologie des Konsumismus bejahen, bewerten die gekauften oder konsumierten Produkte nicht als in sich wertvoll, sondern benutzen sie gezielt als gesellschaftliche Statussymbole und Signale, um sich mit gleichgesinnten Menschen zu umgeben.

Sich von der Konsumkritik abwendend, sehen Befürworter wie Norbert Bolz im Konsumismus das weltweite Gegengewicht zum religiösen Fundamentalismus. Dem Konsumismus wird die Rolle zugewiesen, die Welt zu befrieden, indem er seine positiven Wirkungen allen Völkern zuteil werden lasse. Die westliche Konsumkultur werde dabei jedoch ohne Rücksicht auf die negativen ökologischen Folgen weltweit ausgedehnt. Auch wenn er letztlich gegen alle seine Feinde (religiöse Fundamentalisten, Konsumismuskritiker, Wachstums- und Globalisierungskritiker) siegreich bleiben sollte, könne der Konsumismus als „Immunsystem der Weltgesellschaft“ (Bolz) nur an sich selbst zugrunde gehen. Einer optimistischen Sicht, wie Bolz sie vertritt, widerspricht Kondylis, der mit der Etablierung hedonistischer Lebensweisen zwar das „Ende der Ideologien“ verbindet, nicht aber das Ende der Konflikte in der Welt.

Eine populäre Kritik des Konsumismus haben John de Graaf, David Wann und Thomas Naylor vorgelegt. Sie sprechen von "Affluenza", der Überflusskrankheit oder der „Zeitkrankheit Konsum“; dieses Kunstwort verbindet „Influenza“ und „Affluence“ (Wohlstand, Reichtum, Überfluss). Als Symptome dieser Krankheit nennen die Autoren Schulden, eine Überproduktion von Waren, Unmengen an Müll sowie Angstzustände, Gefühle der Entfremdung und Verzweiflung. Hervorgerufen sei die Krankheit durch die Gier nach immer mehr materiellen Gütern. Als Weg der Gesundung biete sich der konsequente Abschied vom konsumistischen Lebensstil - im Sinne „freiwilliger Einfachheit“ an.

Teils durch unterschiedliche Übersetzungen von consumerism gibt es begriffliche Unklarheiten, da neben Konsumismus auch der Begriff „Konsumerismus“ üblich ist. Konsumerismus (aus dem englischen consumerism: Konsumdenken) ist ein ideologiekritischer Ausdruck aus den Sozialwissenschaften, wonach persönliches Glück mit dem Verbrauch von Wirtschaftsgütern erzielt wird. Konsumerismus beschreibt ein konsequentes Konsumdenken, wobei der Konsum zu einer Ersatzreligion wird. In diesem Sinne ist Konsumerismus gleichbedeutend mit Konsumismus.

Eine weitere affirmative Bedeutung hat Konsumerismus in der Ökonomie. Hier wird dieser Ausdruck im wesentlichen als Äquivalent zum deutschen Konsumentenschutz verwendet, besonders im Sinne der Verbraucherbewegung. Es geht also um die systemimmanente Verbraucherkritik an Missständen in der Güter- und Dienstleistungsversorgung sowie um die rechtliche Absicherung von Konsumenten in Fällen von zweifelhaften Verkaufs- und Marketingpraktiken, Markenfälschung, fehlerhafter Produktqualität, Fehlinformationen etc.

Siehe auch

Literatur

  • Pier Paolo Pasolini (1975), Freibeuterschriften. Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft, Berlin 1975.
  • Erich Fromm (1976), Haben oder Sein, 1976. ISBN 3-423-36103-4
  • Sigurd H. Brandt (1977), "Offene Fallstudie: Consumerismus - ein Unterrichtsmodell zur Verbrauchererziehung", in: ders.: Die Arbeitslehre, Heft 3/77, S.
  • Sigurd H. Brandt (1978), "Konsumerismus und Verbraucherbildung", in: Allgemeiner Schulanzeiger, Heft 4/78, S.
  • Sigurd H. Brandt (1982), "Consumerism", in: ders.: Verbrauchererziehung: Vorschläge für einen Unterricht über selbstbestimmtes Konsumverhalten. Berlin : Colloquium-Verlag, 1982, S.
  • Burkhard Bierhoff (2002), "Das Unbehagen im Konsumismus", in: Erich Fromm als Vordenker, hrsg. von Marko Ferst, Berlin 2002, S. 57 - 74.
  • Norbert Bolz (2002), Das konsumistische Manifest, 2002
  • John de Graaf, David Wann, Thomas Naylor, Affluenza. Zeitkrankheit Konsum, 2002
  • Gerhard Scherhorn (2003), Nachhaltiger Konsum. Auf dem Weg zur gesellschaftlichen Verankerung, München 2003. ISBN 3-928244-85-X
  • Alexander von Schönburg (2005), Die Kunst des stilvollen Verarmens, wie man ohne Geld reich wird, Berlin, 2005. ISBN 3-499616-68-8
  • Branislav Dimitrijević (2006), Sozialistischer Konsumismus, Verwestlichung und kulturelle Reproduktion. Der "postkommunistische" Übergang im Jugoslawien Titos, in: Zurück aus der Zukunft. Osteuropäische Kulturen im Zeitalter des Postkommunismus. Hg. von Boris Groys et al. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2006, S. 195 - 277. ISBN 3-518-12452-8 (Siehe zu Konsumismus insbesondere den Abschnitt "Der Konsum der Arbeiterklasse: Parad und Die fröhliche Klasse" (S. 217 - 251), sowie Abschnitt "Exkurs: Arvatovs Theorie des sozialistischen Konsums?" (S. 251 - 256))
  • Benjamin Barber (2007), Consumed! Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Demokratie untergräbt, München 2007. ISBN 978-3-406-57159-6
  • Heike Rumbach-Thome, Kirchliche Konsumkritik und Grundzüge einer Christlichen Ethik des Konsums http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=973135050

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