Kontrollratsgesetz Nr. 4

Kontrollratsgesetz Nr. 4

Mit dem vom Alliierten Kontrollrat erlassenen Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 20. Oktober 1945 über die „Umgestaltung des Deutschen Gerichtswesens“ wurden die Gerichte wieder nach dem Muster des Gerichtsverfassungsgesetzes von 1877 in Amtsgerichte, Landgerichte und Oberlandesgerichte gegliedert. Ihrer Zuständigkeit, die im Wesentlichen an die Verhältnisse vor 1933 anknüpft, wurden jedoch bestimmte Strafsachen entzogen, insbesondere für solche Fälle, in denen Alliierte betroffen sind. Mitglieder der NSDAP wurden vom Amt des Richters oder Staatsanwalts ausgeschlossen.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

In der Präambel bezieht sich das Kontrollratsgesetz Nr. 4 auf die „Proklamation Nr. 3 an das Deutsche Volk“ vom 20. Oktober 1945, die anordnet, dass das deutsche Gerichtswesen auf der Grundlage des demokratischen Prinzips, der Gesetzmäßigkeit und der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz ohne Unterschied von Rasse, Staatsangehörigkeit oder Religion umgestaltet werden muss.

Die beiden ersten Artikel knüpfen bei Gliederung der Gerichte und Zuständigkeit an die Gegebenheiten vor der Zeit des Nationalsozialismus an. Sondergerichte und Volksgerichtshöfe sind damit beseitigt. Dies wird zum gleichen Zeitpunkt, ebenfalls am 20. Oktober 1945, in der „Proklamation Nr. 3 - Grundsätze für die Umgestaltung der Rechtspflege“ im Artikel III ausdrücklich formuliert. [1]

Das Kontrollratsgesetz Nr. 4 schränkt für einige Fälle die Zuständigkeit deutscher Gerichte ein. Dazu gehören strafbare Handlungen gegen die Alliierten Besatzungsstreitkräfte oder Staatsangehörige der Verbündeten sowie Versuche zur „Wiederaufnahme der Tätigkeit der Naziorganisationen“.
Nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterliegen strafbare Handlungen, in die Militärpersonen der Alliierten Streitkräfte oder Alliierte Staatsangehörige verwickelt sind.
Der Alliierte Militärbefehlshaber ist bevollmächtigt, auch andere Zivil- oder Strafsachen der deutschen Gerichtsbarkeit zu entziehen.

Alle früheren Mitglieder der NSDAP, „die sich aktiv für deren Tätigkeit eingesetzt haben“, sollen ihres Amtes als Richter und Staatsanwälte enthoben werden und dürfen künftig nicht zu solchen Ämtern zugelassen werden.

Geltung

Das Kontrollratsgesetz Nr. 4 vom 20. Oktober 1945 wurde am 30. Oktober in Berlin ausgefertigt und trat am 2. November 1945 in Kraft.

Es wurde für die Bundesrepublik Deutschland außer Wirkung gesetzt durch das Gesetz Nr. 13 (Gerichtsbarkeit auf den vorbehaltenen Gebieten) der Alliierten Hohen Kommission vom 25. November 1949 (ABl. AHK S. 54)

Für die DDR blieb es darüber hinaus in Kraft und wurde erst 1955 außer Wirkung gesetzt durch den Beschluss des Ministerrats der UdSSR über die Auflösung der Hohen Kommission der Sowjetunion in Deutschland vom 20. September 1955.

Umsetzung

Nach Schätzungen waren mehr als 80 % der Staatsanwälte und Richter Mitglied der NSDAP.[2] Entgegen den Bestimmungen im Kontrollratsgesetz Nr. 4 wurden in den drei westlichen Zonen schon sehr bald wieder Richter eingesetzt, die bereits in der Zeit des Nationalsozialismus dieses Amt innegehabt hatten. Im sogenannten „Huckepack-Verfahren“ wurde zusammen mit einem unbelasteten Volljuristen ein weiterer Richter mit früherer NSDAP-Zugehörigkeit berufen, der beim Entnazifizierungsverfahren in der Regel als „entlastet“ eingestuft worden war. In der Britischen Besatzungszone wurde bereits im Frühjahr 1946 diese Fünfzig-Prozent-Quote überschritten.[3] Im Zuge der „zunehmend liberaleren Entnazifizierungspraxis 1947/48“ wurde nahezu allen Entlassenen des Jahres 1945 der Weg zurück in die Justiz der Westzonen ermöglicht; lediglich die Führungs- und Repräsentationsebene der Justiz wurde ausgewechselt.[4]

Im Gegensatz dazu wurden in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR im Schnellverfahren sogenannte Volksrichter ausgebildet und damit politisch unbelastete Personen eingesetzt, um den Stillstand der Rechtspflege zu beenden.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Im Namen des Deutschen Volkes. Justiz und Nationalsozialismus. Katalog zur Ausstellung. Köln 1989, ISBN 3-8046-8731-8, S. 354.
  2. Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Im Namen des Deutschen Volkes... Köln 1989, ISBN 3-8046-8731-8, S. 359.
  3. Jörg Friedrich: Freispruch für die Nazi-Justiz. Berlin 1998, ISBN 3-548-26532-4, S. 142/143.
  4. Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Im Namen des Deutschen Volkes... ISBN 3-8046-8731-8, S. 358.

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kontrollratsgesetz Nr. 10 — Das von den Alliierten erlassene Kontrollratsgesetz Nr. 10 (englisch Control Council Law No. 10, abgekürzt CCL10) vom 20. Dezember 1945 bildete in den ersten Nachkriegsjahren die Rechtsgrundlage für Prozesse gegen Personen, die wegen… …   Deutsch Wikipedia

  • Kontrollratsgesetz Nr. 1 — Durch das vom Alliierten Kontrollrat erlassene Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS Recht vom 20. September 1945 (kurz: Kontrollratsgesetz Nr. 1) wurden zahlreiche namentlich aufgeführte Ausnahmegesetze des… …   Deutsch Wikipedia

  • Kontrollratsgesetz Nr. 46 — Das Kontrollratsgesetz Nr. 46 ist ein vom Alliierten Kontrollrat am 25. Februar 1947 erlassenes Gesetz zur Auflösung des Staates Preußen (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 262). Es steht in einer Reihe von Kontrollratsgesetzen, die auf …   Deutsch Wikipedia

  • Kontrollratsgesetz Nr. 2 — Mit dem vom Alliierten Kontrollrat am 10. Oktober 1945 erlassenen Kontrollratsgesetz Nr. 2 wurde die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei einschließlich ihrer angeschlossenen Organisationen verboten und deren Neubildung für ungesetzlich …   Deutsch Wikipedia

  • Kontrollratsgesetz Nr. 25 — Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 25 vom 29. April 1946 verfolgte der Alliierte Kontrollrat das Ziel, naturwissenschaftliche Forschung für militärische Zwecke und ihre praktische Anwendung für solche Zwecke zu verhindern, und um sie auf anderen… …   Deutsch Wikipedia

  • Kontrollratsgesetz — Kontrollratsgesetze sind in den Jahren 1945 bis 1948 in Ausübung der Besatzungsrechte der vier Siegermächte vom Alliierten Kontrollrat in Deutschland erlassene Gesetze. Die Bestimmungen wurden durch eine Reihe von Direktiven und Befehlen… …   Deutsch Wikipedia

  • Kontrollratsgesetz Nr. 45 — Das ursprünglich zersplitterte Höferecht wurde 1933 durch das Reichserbhofgesetz vereinheitlicht. Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 45 aus dem Jahr 1947 wurden das Reichserbhofgesetz aufgehoben und die ursprüngliche Rechtslage wiederhergestellt. Für …   Deutsch Wikipedia

  • Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS-Recht — Durch das vom Alliierten Kontrollrat erlassene Kontrollratsgesetz Nr. 1 betreffend die Aufhebung von NS Recht vom 20. September 1945 (kurz: Kontrollratsgesetz Nr. 1) wurden zahlreiche namentlich aufgeführte Ausnahmegesetze des… …   Deutsch Wikipedia

  • KRG — Kontrollratsgesetz EN Control Council Law …   Abkürzungen und Akronyme in der deutschsprachigen Presse Gebrauchtwagen

  • Bestrafung nationalsozialistischer Verbrechen — Als NS Prozesse bezeichnet man in einer verbreiteten Kurzform die Strafprozesse zu Verbrechen des Nationalsozialismus. Einen Teil davon bezeichnet man oft auch als Kriegsverbrecherprozesse. Inhaltsverzeichnis 1 Überblick 2 Beschlüsse zur… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”