Animus und Anima

Animus und Anima

Animus und Anima sind Begriffe aus der Analytischen Psychologie von Carl Gustav Jung. Es handelt sich um Fachbegriffe, die aus dem Lateinischen abgeleitet sind: lat. Animus = „Seele“, Geist (im Gegensatz zum Körper), Gedächtnis, Mut, Übermut, Selbstvertrauen, Trotz, Unmut Zorn, Gesinnung, Stimmung, Leidenschaft, begehrende Seele, Verlangen, Wunsch, Entschluss, Lust Neigung) und lat. Anima = Lufthauch, Wind, Luft (als Element), Atem, „Seele“, Leben, abgeschiedene Seele. Beide Begriffe fasste Jung unter dem Oberbegriff „Seele“ zusammen, die er als die archetypische innere, unbewusste Persönlichkeit verstand, bzw. als innere Einstellung, die dem Unbewussten zugekehrt wird. „Seele“ im Sinne von Jung bezeichnet damit einen „abgegrenzten Funktionskomplex“ im Gegensatz zum Begriff der Psyche als „Gesamtheit“ aller bewussten Erlebnisqualitäten sowie aller unbewussten Phänomene.[1] [2]

Inhaltsverzeichnis

Anima

Anima, die innere Persönlichkeit, ist für Jung eine innere Einstellung im Unbewussten des Mannes, eine „weibliche Seite“ in seinem psychischen Apparat. Anima ist nach Jung synonym mit Seele und von Persona (äußere Persönlichkeit) abzugrenzen.[1] „Jeder Mann trägt das Bild der Frau von jeher in sich, nicht das Bild dieser bestimmten Frau, sondern einer bestimmten Frau. Dieses Bild ist im Grunde genommen eine unbewusste, von Urzeiten herkommende und dem lebenden System eingegrabene Erbmasse“ (Jung). Die Projektion der Anima nach außen ist oft ein störender Faktor in Beziehungen, weil der Mann dann von einer Frau erwartet, die Verkörperung einer inneren Idee des Weiblichen zu sein. Die Anima kann in verschiedenen Entwicklungsstufen beim Mann auftreten, entsprechend dem Grad der Entwicklung seiner Gefühlsfunktion. In der Literatur tritt die Anima zum Beispiel als Gretchen und Helena in Goethes Faust. Eine Tragödie. auf, oder als Beatrix in der Göttlichen Komödie von Dante.

Soweit Ausprägungen der Anima in Träumen auftreten, tun sie dies oft als Vermittler zwischen dem Unbewussten und dem Ich. Die Anima kann sowohl als Jungfrau Maria als auch als weltzugewandte Hure auftreten und füllt verschiedene mögliche Facetten des Weiblichen in der Vorstellung des Mannes aus.

Bei Jungen wird die Anima regelmäßig vom Mutterarchetyp überlagert. Die Herauslösung der Anima aus diesem stellt einen zentralen Entwicklungsschritt dar. Anima wird von der Kirche aus einer älteren Tradition heraus mit Seele und mit Leben übersetzt. Jung meint in seinem Grundwerk aber, dass er dies etwas anders meint. Vorsilbe Ani = vor, ma = Mutter, also Jungfrau. Animus = vor Geist, also der noch nicht entwickelte Geist. Die Anima ist im mystischen Erleben die Jungfrau, die um den Geist freit, im Märchen die Prinzessin oder das Aschenputtel, das dem König oder Prinzen angetraut wird (Vereinigung der Gegensätze – Chymische Hochzeit).

Animus

Das Gegenstück zur Anima ist der Animus (von lat. animus = Geist), eine Sammlung von unbewussten maskulinen Attributen und Potenzialen im Unbewussten der Frau. Der Animus tritt als männliche Figur in den Träumen von Frauen auf, zum Beispiel als mysteriöser und faszinierender Liebhaber, als Vaterfigur, Pastor, Professor, als Prinz, Zauberer usw. Wie jeder Archetyp kann er sowohl positiv als auch negativ wirken. Im Negativen besitzt er einen Todeszug, der die Frau von der Welt wegzieht. Im Positiven kann er ein vermittelnder und motivierender Faktor für intellektuelle Tätigkeit sein. Während die Anima den Mann durch Stimmungen („Anima moods“) beeinflussen kann, äußert sich der Animus im Negativen durch Animus-Meinungen („Animus opinions“). In so einem Fall wiederholt die Frau gedankenlos Gemeinplätze, die sie von Vaterfiguren übernommen hat (z.B. „Da kann man nichts machen.“) und die auf die Abwesenheit von individuellem Denken hinweisen. Im Märchen manifestiert sich der Animus zum Beispiel als Prinz, als König Drosselbart oder Blaubart.[3]

Begriffliche Abgrenzungen

Persona

Mit der „Seele“ als gemeinsamen Oberbegriff für Animus und Anima stellen beide zusammen eine Einstellung dar, die dem Unbewussten zugewandt ist und als solche den Gegensatz zur Persona bildet als eine der bewussten Seite des Ichs zugewandte Haltung. Insofern übernehmen Animus und Anima die Rolle des Schattens, man erlebt mit ihm „seinen andersgeschlechtlichen Urgrund“.[3] Der Charakter der Seele (Animus / Anima) lässt sich aus dem Charakter der Persona deduzieren, indem alles, was dem ersten fehlt, dem letzteren zukommt. „Ist die Persona intellektuell, so ist die Seele ganz sicher sentimental.“ Daneben sind Animus und Anima in sich ebenfalls als Gegensätze zu betrachten. Die oben unter Kap. Anima enthaltene Definition bezieht sich auf die „innere weibliche Einstellung beim Mann“, die unter Kap. Animus enthaltene Definition bezieht sich auf die „innere männliche Einstellung bei der Frau“.[1]

Individualität

Habituelle Einstellungen werden zu Charaktereigenschaften. Jung unterscheidet zwischen:

Die Individualität eines Menschen lässt sich nicht aus dem Charakter der Persona erschließen. Individuelle Eigenschaften sind im Unbewussten im Keim („a priori“) verankert. Zur Entfaltung der Individualität bedarf es eines bewussten Differenzierungsprozesses. Im Falle der Identität bzw. der vollständigen Identifikation mit der Persona sind die unbewussten individuellen Eigenschaften mit der „Seele“ assoziiert. Sie erhält dadurch eine stärkere Abhängigkeit vom Unbewussten. Eine Behauptung der individuellen Linie der charakterlichen Entwicklung ist dadurch ausgeschlossen. Das Leben verläuft in unausweichlichen Gegensätzen. Die Seele ist dann meist in ein reales Objekt projiziert, um innere Gegensätze abzuwehren. Hierdurch wird die Kommunikation zwischen den Partnern erschwert, wegen des unbewussten Mechanismus des Vorgangs. Es entsteht eine Abhängigkeit vom Objekt und damit eine meist zunehmende Unfreiheit der zwischenmenschlichen Beziehung, wenn nicht ein instinktgeleiteter Umgang mit dem Partner erfolgt. Erfolgt keine Projektion, so werden die Gegensätzlichkeiten des Unbewussten auf die eigene Person bezogen oder allenfalls auf eine gleichgeschlechtliche Person. Dies kann Homosexualität begünstigen.[1]

Seelenbild

„Seele“ und Seelenbild sind ebenfalls voneinander zu unterscheiden. Während Animus und Anima die Rolle eines Vermittlers zwischen Ich und Innenwelt einnehmen – und damit dem Unbewusstem als seinem tiefstem Kern, ist die Herkunft des Seelenbilds eindeutig das Unbewusste selbst. Seelenbilder haben vermittelnde Funktion zwischen Unbewusstem und Seele und stellen sozusagen die übermittelte Nachricht dar. Seelenbilder können sich in Animus oder Anima darstellen. Archaische bzw. archetypische Inhalte oder die von Jung noch 1912 so genannten Urbilder[3] haben ebenfalls im Unbewussten ihren Ursprung. Werden im Seelenbild archetypische Bilder dargestellt, so sind dies z.T. im kollektiven Unbewussten angelegte, von individueller Erfahrung unabhängige Urbilder, die sich unter anderem in religiösen Überlieferungen, Mythen oder Träumen niederschlagen. Der Persona kommt in entsprechender Weise die Rolle der Vermittlung zwischen Ich und Außenwelt zu.[4]

Kritik

Von Kritikern der analytischen Psychologie und auch innerhalb dieser Schule wurde darauf hingewiesen, dass Jung mit seinen Äußerungen über Anima und Animus die zu seiner Zeit üblichen Rollenzuschreibungen transportierte, indem zum Beispiel die Anima als unbewusste Gefühlsseite des Mannes und der Animus als unbewusste Geistigkeit der Frau bezeichnet wurde. Heutzutage wird häufig angenommen, hierbei handele es sich um Biologismen.

Dabei sind auch „männlicher Charakter“ und „weiblicher Charakter“ nur als Idealisierung zu verstehen, ebenso wie das Geschlecht der Tierkreiszeichen in der Astrologie. Im realen Leben kann speziell dem Mann durchaus eine weibliche äußere Einstellung eigen sein bzw. kann ihm ein weiblicher äußerer Charakter zukommen und umgekehrt der Frau ein männlicher. Insofern ist natürlich auch die nachfolgende Kritik zu relativieren. Mit dieser Idealisierung ist nicht unbedingt eine reale Rollenzuschreibung verbunden. Andererseits kann eine psychologische Differenz der Geschlechter auch nicht „aus soziologischer Rücksichtnahme“ negiert werden.

Einzelnachweise

  1. a b c d Jung, Carl Gustav: Definitionen. In: Gesammelte Werke. Walter-Verlag, Düsseldorf 1995, Paperback, Sonderausgabe, Band 6, Psychologische Typen, ISBN 3-530-40081-5; (a) zu Stw. „Übersicht“ Seite 496 ff., § 799-813; (b) zu Stw. „Definition“ Seite 500, § 805; (c) zu Stw. „Gegensatzstruktur und Komplementarität“ Seite 500 f. §§ 806-807; (d) zu Stw. „Charakterentwicklung“ Seite 501 ff. §§ 807-813.
  2. Peters, Uwe Henrik: Lexikon Psychiatrie, Psychotherapie, Medizinische Psychologie. Urban & Fischer, München 62007; ISBN 978-3-437-15061-6, S. 37 (online)
  3. a b c Jacobi, Jolande: Die Psychologie von C.G. Jung. Eine Einführung in das Gesamtwerk. Mit einem Geleitwort von C.G. Jung. Fischer Taschenbuch, Frankfurt März 1987, ISBN 3-596-26365-4; (a) zu Stw. „Animus“ Seite 117; (b) zu Stw. „Schatten“: Seite 116; (c) zu Stw. „Archetypus und Urbild“: Seite 48.
  4. Jung, Emma: Ein Beitrag zum Problem des Animus. Seite 332

Literatur

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Anima – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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