Anna Pappritz

Anna Pappritz

Anna Pappritz (* 9. Mai 1861 in Radach bei Drossen in der Provinz Brandenburg; † 8. Juli 1939 in Berlin) war eine deutsche Schriftstellerin, Frauenrechtlerin und Abolitionistin.

Inhaltsverzeichnis

Kindheit und Jugend

Anna Pappritz wurde als einzige Tochter eines Ritterschaftsrates auf dem Rittergut Radach in der Neumark von Brandenburg geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie mit ihren drei Brüdern auf dem Land. Pappritz erhielt, getrennt von Altersgenossinnen, Privatunterricht von Erzieherinnen und dem örtlichen Geistlichen und auch der Vater unterrichtete sie in Geschichte und Landwirtschaft. Im Gegensatz zu ihren Brüdern, die die Klosterschule in Rossleben besuchten und danach universitäre und militärische Ausbildung genossen, war ihr eine weiterführende Ausbildung verwehrt, denn sie wurde traditionell auf ein Leben als Ehefrau und Gattin vorbereitet.[1] Schon zeitig fand Anna Pappritz ein Interesse an der Dichtung, welche ihr die fehlenden Freundinnen ersetzte. Neunzehnjährig erlitt sie bei einem Reitunfall schwere Verletzungen und musste in einer Frauenklinik in Berlin operiert werden. Die Kränklichkeit und ein Hüftleiden, die der Unfall nach sich zog und sie ein Leben lang verfolgte, zwang sie „zu einem stillen, zurückgezogenen Leben“.[2]

Sieben Jahre nach dem Tod des Vaters zog Pappritz mit ihrer Mutter nach Berlin, wo sie in den ersten Jahren privaten Philosophie-, Geschichts- und Literaturunterricht nahm und schriftstellerisch tätig wurde.[3] Ihr Erstlingswerk war der Novellenband „Aus den Bergen Tirols“, der 1893 erschien. Ein Jahr später veröffentlichte sie den Roman „Vorurteile“, in dem sie sich mit den Vorurteilen ihrer gesellschaftlichen Schicht in Weltbild und Lebensanschauungen auseinandersetzte. Dieser Roman trug ihr eine jahrelange Entfremdung von ihrer Familie ein, unter der sie schwer litt.[4]

Ihr Werdegang als Frauenrechtlerin

Ein großer Wendepunkt in ihrem Leben trat 1895 ein, als sie aus gesundheitlichen Gründen nach England reiste. Dort erfuhr sie nicht nur von der Existenz der Prostitution und ihrer staatlichen Reglementierung, sondern auch von der Frauenbewegung.[5] Nach ihrer Rückkehr kam sie durch ihr neu gewecktes Interesse mit der deutschen Frauenbewegung in Kontakt, besuchte Vorträge des Vereins Frauenwohl und abonnierte die von Minna Cauer herausgegebene Zeitschrift Die Frauenbewegung. 1898 erfuhr Pappritz durch einen Artikel von Cauer in der Frauenbewegung über den Kongress der „Internationalen Abolitionistischen Föderation“ (IAF) in London von der Arbeit der Föderation und deren Gründerin Josephine Butler. Sie begann sich sofort mit den Grundsätzen dieser Organisation, die sich für eine Abschaffung der Reglementierung der Prostitution einsetzte, auseinanderzusetzen und lernte ein Jahr später Butler auf dem Internationalen Frauenkongress in London persönlich kennen.[6] Begeistert von der Arbeit der Föderation und bestätigt in ihren eigenen Überzeugungen, gründete Pappritz im April 1899 einen Zweigverein der IAF in Berlin.

Mit der Gründung und Leitung des Vereins wurde die Frauenbewegung immer mehr zu ihrem Lebensinhalt, der „Kampf um eine Höherentwicklung der sexuellen Moral, um die Befreiung [ihres] Geschlechtes aus der schrecklichen, sexuellen Hörigkeit“ zu ihrer Lebensaufgabe.[7] Sie eignete sich zunehmend, besonders in Sittlichkeitsfragen, Wissen an, das sie in Publikationen in fast allen Zeitschriften der bürgerlichen Frauenbewegung, in Fachzeitschriften, die ihren Themen nahe standen und in der freien Presse weiterzuvermitteln suchte. Auch machte sie vor allem im ersten Jahrzehnt der deutschen abolitionistischen Bewegung unzählige Vortragsreisen, die sie durch das ganze Deutsche Reich führten. Nach und nach wurde Pappritz zu einer der bekanntesten Expertinnen in Sittlichkeits- und Jugendschutzfragen und arbeitete in zahlreichen Kommissionen und Vereinen mit. Zum Beispiel war sie neben ihrer Aktivität als Abolitionistin von 1902 bis 1914 Schriftführerin des Bundes Deutscher Frauenvereine und als einzige Frau im Vorstand der 1902 gegründeten Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten (DGBG) vertreten.

Sie leitete gemeinsam mit Katharina Scheven den 1904 gegründeten deutschen Zweig der IAF. Zuerst Scheven, dann Pappritz gaben das Organ des deutschen Zweiges der IAF, den „Abolitionist“ heraus. Ein wichtiges Anliegen war ihr auch die Sexualethik, wo sie als Gegnerin von Helene Stöcker auftrat.

Als 1927 das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten verabschiedet wurde, das die Reglementierung formal-rechtlich abschaffte, schien das Ziel der abolitionistischen Bestrebungen in Deutschland erreicht. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass die Rechtsnorm in der praktischen Durchführung nicht so leicht durchzusetzen war, da weder eine einheitliche Handhabung noch ein wirksames Strafmaß bestand.[8] Außerdem waren die auf jahrhundertealten Vorurteilen und Gewohnheiten beruhenden Anschauungen zur Prostitution nicht einfach durch ein Gesetz zu beseitigen.

Schließlich musste Anna Pappritz miterleben, wie die Nationalsozialisten Stück für Stück ihr Lebenswerk demontierten und die Frauenbewegung zerschlugen. Schon 1933 konstatierte Pappritz, dass es wieder Bestrebungen gab, „Bordelle polizeilich zu genehmigen“.[9] Die Nationalsozialisten führten neue, verschärfte Strafbestimmungen gegen Prostituierte ein, wodurch das Gesetz von 1927 teilweise rückgängig gemacht wurde. Pappritz zog sich aus der öffentlichen Arbeit zurück und legte Anfang 1934 aus nicht näher benannten Gründen den Vorsitz ihres Vereins nieder. Wie zahlreiche Briefwechsel in ihrem Nachlass belegen, blieb sie bis zu ihrem Lebensende immer gut informiert über die Entwicklungen ihrer Arbeitsgebiete. Die endgültige Wiedereinführung des Bordellwesens am 9. September 1939 erlebte Pappritz glücklicherweise nicht mehr. Sie starb im Sommer 1939 nach einer schweren Bronchitis und wurde in Radach beigesetzt.

Forderungen

Anna Pappritz setzte sich für die (sittliche) Autonomie der Frau und ihre staatsbürgerliche Gleichberechtigung ein. Eine Verbesserung der Stellung der Frau in der Gesellschaft sollte vor allem durch eine Hebung der Volkssittlichkeit und die Durchsetzung gleicher moralischer Grundsätze für beide Geschlechter sowie durch soziale und rechtliche Reformen erfolgen. Dies spiegelt sich auch im Wahlspruch der Abolitionisten: „Es gibt nur eine Moral, sie ist die gleiche für beide Geschlechter“.

Werke

  • Aus den Bergen Tirols (1894)
  • Vorurteile (1894)
  • Die Wahrheit (1897)
  • Ein Enterbter (1898)
  • Das Reichsgesetz zur Bekampfung der Geschlechtskrankheiten vom Standpunkt der Frau (1902)
  • Herrenmoral, Leipzig [ca. 1903]
  • Die wirtschaftlichen Ursachen der Prostitution, Berlin 1903
  • Die Welt, von der man nicht spricht. Aus den Papieren einer Polizeibeamtin bearbeitet (1907)
  • Prostitution und Abolitionismus (1917) Digitalisat
  • Der Mädchenhandel und seine Bekämpfung (1924)
  • Handbuch der amtlichen Gefährdetenfürsorge (1924)

Literatur

  • Franz Brümmer: Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Reclam, Leipzig 1913, S. 226.
  • Margit Göttert: „Mir sind die frauenrechtlerischen Ideen direkt eingeboren.“ Anna Pappritz (1861–1939). In: Ariadne. Heft 28, 1995, S. 50–55.
  • Koschwitz, Heidi; Sauer, Birgit: Pappritz, Anna. In: Who is Who der sozialen Arbeit, hg. v. Hugo Maier, Freiburg 1998, S. 458-460.
  • Kerstin Wolff: Herrenmoral: Anna Pappritz and abolitionism in Germany. In: Women's History Review. Vol. 17, 2. April 2008, S. 225-237.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Pappritz, Anna: Wie ich zu meiner Arbeit kam, unveröffentlichtes Manuskript, Berlin 1908, S. 5. Zum bürgerlichen Frauenbild des Kaiserreichs vgl. Peters, Dietlinde: Mütterlichkeit im Kaiserreich. Die bürgerliche Frauenbewegung und der soziale Beruf der Frau (=wissenschaftliche Reihe, Bd. 29), Bielefeld 1984, S. 26-35, S. 40-42.
  2. Pappritz: Wie ich zu meiner Arbeit kam, S. 21.
  3. Vgl. Pataky, Sophie (Hg.): Lexikon deutscher Frauen der Feder. Eine Zusammenstellung der seit dem Jahre 1840 erschienenen Werke weiblicher Autoren, nebst Biographien der lebenden und einem Verzeichnis der Pseudonyme, Bd. II, Berlin S. 1898, S. 115.
  4. Pappritz: Wie ich zu meiner Arbeit kam, S. 23.
  5. Vgl. Pappritz: Wie ich zu meiner Arbeit kam, S. 25-33. Auch u.a. Göttert: Frauenrechtlerische Ideen, S. 51.
  6. Pappritz: Wie ich zu meiner Arbeit kam, S. 58 + 94f.
  7. Pappritz: Wie ich zu meiner Arbeit kam, S. 20.
  8. Vgl. Vgl. Der Große Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben, 4. völlig neubearb. Aufl., Bd. 9, Frei-burg i. Br. 1934, Sp. 1191.
  9. Pappritz, Anna; Mittermaier, Wolfgang: Abschiedsgruß an die Leser des „Abolitionist“, in: Der Abolitionist 32(1933)6, S. 82.

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