- Lateinisches Kaiserreich
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Das Lateinische Kaiserreich (offiziell: Imperium Romaniae, dt. Kaiserreich Romania) ist das 1204 von „Franken“ (westlichen Kreuzfahrern) und Venezianern in Folge des Vierten Kreuzzugs installierte Reich, das im Wesentlichen das Gebiet um Konstantinopel sowie Teile Thrakiens, Bithyniens und Nordwest-Kleinasiens umfasste. Das als Lehnsverband konstituierte Reich bestand bis 1261.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Im März 1204, einen Monat vor der Einnahme Konstantinopels, schlossen Venezianer und Franken einen formellen Vertrag über die Aufteilung des Byzantinischen Reichs (die sog.: partitio terrarum imperii Romaniae). Man einigte sich u. a. auf die Plünderung der Stadt zur Begleichung der fränkischen Schulden sowie auf die Einrichtung eines „lateinischen“ Reichs (im Gegensatz zum „griechischen“, byzantinischen), an dessen Spitze ein von je sechs fränkischen und venezianischen Wahlmännern ernannter Kaiser stehen sollte. Nach der Eroberung der byzantinischen Hauptstadt am 13. April 1204 trat der Vertrag in Kraft. Die Wahl zum ersten Kaiser fiel unerwartet auf Balduin von Flandern, da Bonifatius von Montferrat als Anführer des Kreuzzugs galt.
Mit Balduin wurde ein erfahrener Militär gewählt, dem aber nicht die Mittel zugestanden wurden, um eine starke Zentralmacht zu errichten – ganz so, wie es im Interesse Venedigs lag. Formal unterstanden dem Kaiser auch die Gebiete des Königreichs Thessalonike, des Herzogtum Archipelagos und der lateinischen Fürstentümer auf der Peloponnes.
Bald schon zeigten sich die Schwächen des neuen Staates, in dem vor allem Franzosen und Venezianer die Macht ausübten: weder gelang es, das gesamte ehemalige byzantinische Gebiet zu sichern (nur auf der Peloponnes und im Umland der Hauptstadt gelang dies effektiv, während Venedig sich ein Kolonialreich in der Ägäis aufbaute), noch konnte verhindert werden, dass sich rasch byzantinische Nachfolgestaaten bildeten (Kaiserreich Nikaia, Despotat Epirus), zumal das Kaiserreich Trapezunt sich schon 1185 unabhängig gemacht hatte, ebenso wie Zypern. Zudem fielen in Thrakien die Bulgaren ein, wobei sie von der byzantinisch-orthodoxen Bevölkerung begrüßt wurden. Im Innern erlangte die am Goldenen Horn gelegene venezianische Kolonie die wirtschaftliche Vorherrschaft und bildete einen vom Kaiser beinahe unabhängigen Staat im Staat.[1]
Die Erstarkung Nikaias in den folgenden Jahrzehnten sorgte schließlich endgültig dafür, dass das Kaiserreich rasch auf die unmittelbare Umgebung der Hauptstadt zusammenschrumpfte. Die lateinischen Kaiser gerieten auch bald in finanzielle Bedrängnis, wobei Venedig, welches die Finanzen des Staates faktisch kontrollierte, keine oder nur geringe Hilfe leistete. Auch Konstantinopel, einst das Juwel des Mittelmeerraumes, verfiel zusehends, während die Spannungen zwischen den katholischen Herrschern und ihren orthodoxen Untertanen mehr und mehr zunahmen. Die lateinischen Fremdherrscher hatten keinerlei Beziehung zu den griechischen Einwohnern, verstanden wohl weder ihre Mentalität noch ihren Glauben. Sie übten lediglich ihre Funktion als Marionettenregierung aus und unternahmen nichts für das Allgemeinwohl (etwa die Erhaltung der bestehenden Bausubstanz oder die Beseitigung der Kriegsschäden von 1204). In diesen Jahrzehnten wurde die Kluft zwischen dem griechisch-orthodoxen und dem römisch-katholischen Kulturkreis so tief, dass die meisten Griechen später eine Eroberung durch die Türken dem Pakt mit den „Lateinern“ vorzogen (lieber den Sultansturban als den Kardinalshut).
Der Siegeszug Nikaias (erst Sicherung Kleinasiens gegen die Seldschuken, dann Eroberung größerer Teile des ehemaligen byzantinischen Festlandbesitzes in Europa) erreichte im August 1261 den Höhepunkt, als ein nikäisches Heer, eher zufällig, das fast unverteidigte Konstantinopel in einem Handstreich nahm – der Rest der Streitkräfte des lateinischen Kaiserreiches befand sich auf einem Beutezug. Das Byzantinische Reich wurde damit restauriert, jedoch konnte es nie wieder an seine alte Größe anknüpfen; die Konzentration auf die Wiedereinnahme der Hauptstadt hatte das Augenmerk von den Türken abgelenkt, die in den folgenden Jahrzehnten den byzantinisch-kleinasiatischen Besitz überrannten.
Die Republik Genua übernahm die Rolle Venedigs (genuesisch-byzantinischer Vertrag von 1261) und unterstützte Byzanz dafür mit seiner Flotte. Die Fragmentierung des byzantinischen Herrschaftsraumes war damit größtenteils negiert (allerdings hielten sich fränkische und venezianische Besitzungen in der Ägäis und in Griechenland noch teilweise bis nach dem Fall Konstantinopels an die Türken 1453), doch blieben die Folgen der Eroberung von 1204 bestehen: Byzanz war zu einer Macht zweiten Ranges geworden.
Fußnoten
- ↑ Dazu: David Jacoby, The venetian government and administration in latin Constantinople, 1204-1261: a state within a state, in: QUARTA CROCIATA. Venezia - Bisanzio - Impero Latino, Hg. Gherardo Ortalli, Giorgio Ravegnani und Peter Schreiner, Venedig 2006
Herrscherliste
Lateinische Kaiser, 1204–1261
Kaiser
(Regierungszeit)Mitkaiser und Regenten Anmerkungen Haus Flandern Balduin I.
(1204–1205/06)Regent: Heinrich von Flandern (1205–1206) Vierter Kreuzzug (1202–1204)
Schlacht von Adrianopel (1205)Heinrich
(1206–1216)Haus Courtenay Peter
(1216–1217)Regent: Conon de Béthune (1216–1217) regierte nie Robert
(1217–1228)Regentin: Jolante von Flandern (1217–1219)
Regent: Conon de Béthune (1219–1220)
Regent: Giovanni Colonna (1220–1221)Balduin II.
(1228–1261)Regent: Narjot de Toucy (1228–1231)
Mitkaiser: Johann von Brienne (1231–1237) Regent: Anseau de Cayeux (1237–1238)
Regent: Narjot de Toucy (1238–1240)
Regent: Philippe de Toucy (1245–1249)Schlacht von Pelagonien (1259) Ende des lateinischen Kaiserreichs nach der Rückeroberung von Konstantinopel 1261 durch Michael VIII. Palaiologos. Lateinische Titularkaiser, 1261–1383
- Balduin II. 1261–1273
- Philipp von Courtenay 1273–1283, sein Sohn
- Catherine de Courtenay 1283–1308
- Karl von Valois (ihr Ehemann) 1302–1308
- Catherine de Valois-Courtenay 1308–1346
- Philipp I. von Tarent (ihr Ehemann) 1313–1332
- Robert von Tarent 1346–1364
- Philipp II. von Tarent 1364–1373
- Jakob von Baux 1373–1383
- (Jakob vermachte seine Ansprüche an den Herzog Ludwig I. von Anjou, der auch Thronprätendent von Neapel war; Ludwig und seine Nachkommen haben den Titel nie benutzt.)
Literatur
- Antonio Carile: Per una storia dell'Impero Latino di Costantinopoli. (1204–1261). 2. editione ampliata. Pàtron, Bologna 1978, (Il mondo medievale - Sezione di storia bizantina e slava 6, ZDB-ID 759762-9).
- Andreas Külzer: Die Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204 in der Erinnerung der Byzantiner. In: Gherardo Ortalli, Giorgio Ravegnani, Peter Schreiner (Hrsg.): Quarta Crociata. Venezia - Bisanzio - Impero Latino. Istituto Veneto di Scienze, Lettere ed Arti, Venedig 2006, ISBN 88-88143-74-2, S. 619–632.
- Kenneth M. Setton (Hrsg.): A History of the Crusades. Volume 2: Robert Lee Wolff, Harry W. Hazard (Hrsg.): The later crusades. 1189 - 1311. 2nd edition. University of Wisconsin Press, Madison WI u. a. 1969, S. 186ff.
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