- Lerngeschichte
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Die Lerngeschichte ist eine aus der Vorschulpädagogik hervorgegangene Methode zum Erfassen und Bewerten von Bildungsprozessen (Margaret Carr). Das Konzept wurde in der neuseeländischen Forschungsarbeit mit Kindern entwickelt.
Bei der Lerngeschichte geht es darum, Details des Lernprozesses eines Kindes (in der Kindertagesstätte) als Geschichte festzuhalten, um zu dokumentieren, wie gelernt wird, damit die Bedingungen für z. B. gut verlaufende Lernprozesse sowohl dem Kind als auch der Erzieherin und den Eltern deutlich zu machen.
Die Bewusstwerdung des Lernprozesses wird dabei helfen, Lernen effektiver zu machen. "Lerngeschichten sind Geschichten über das Lernen (...). Sie halten Episoden des Schlüssellernens fest, in denen Kinder neue Arbeitstheorien und Lerndispositionen entwickeln." (Carr, S, 45).
Die bislang in der deutschen Vorschulpädagogik kaum verwendete Methode findet in der letzten Zeit immer mehr Interessenten. Das lässt sich an den häufiger werdenden Publikationen zu dem Thema ablesen.
"Lerngeschichten bieten eine Form der Darstellung, die Familien interessant finden und mit der sie sich immer wieder beschäftigen können." (Carr, S. 51/52)
Inhaltsverzeichnis
Arbeit mit der Lerngeschichte
Lerngeschichten werden in den Einrichtungen mit Hilfe von Sammelmappen (Portfolios genannt) aufbewahrt und gehören den Kindern.
- Sie ermutigen die Kinder, „über das Lernen nachzudenken“ (M. Carr, 2007, S. 47). Die Kinder nehmen ihre Sammelmappen auch mit nach Hause und setzen sich auch im Kreise ihrer Familie damit auseinander.
- So entwickeln Sie ihre eigene Lerntradition. Lerngeschichten schlagen Brücken zu Menschen, Dingen und Orten, indem sie diese benennen und ihre Beziehung zum Kind beschreiben. Den Erziehenden wird klar, worüber Kinder nachdenken und wofür sie sich interessieren – so entwickeln sie Vorstellungen darüber, welche Vorschläge man dem Kind im Rahmen seiner Interessen machen kann.
- Wenn Kinder in pädagogische Überlegungen einbezogen werden, entwickeln Sie „Lernmuster und Erwartungen darüber, wann und wie sie teilhaben, ausharren, kommunizieren und Verantwortung übernehmen“ (M. Carr, 2007, S. 48). Z. B. entwickelte „Ezra“ Wissen und Theorien darüber, was mit LKW-Fahren und Straßenarbeiten verbunden ist – er erarbeitet „eine Arbeitstheorie darüber, was ein kompetenter Lerner macht“ (M. Carr, 2007, S. 49): Das ist nach M. Carr jemand, der ein Projekt anregen und eine Vielzahl von Strategien nutzen kann, der sich mit Experten berät und mir anderen aushandelt sowie zusammen arbeitet. So wird Ezras Sammelmappe die Entwicklung zur diesen seinen Erkenntnissen enthalten.
- Lerngeschichten enthalten auch Ereignisse und Erlebnisse, die mit der Familie und der Gemeinschaft zusammenhängen, mit der das Kind zu tun hat. Zahra z. B. entdeckte bei dem ersten Besuch in der Tagesstätte das Schaukelpferd und war fasziniert davon. Immer wieder war sie damit beschäftigt zu überlegen, was ihr „Esel“ wohl mache. Ihre Mutter las ihr eine Geschichte dazu vor, was das Interesse Zahras bestärkte. Ihr Bruder erklärte den Lehrern die Hintergründe des „Esels“ in einem Flüchtlingslager. Und die Großmutter schaltete sich mit in die Diskussion ein.
Der Umgang mit Lerngeschichten (nach Leu, Hans Rudolf; Flämig, Katja, 2007; S. 63 ff)
- Zu Beginn wird möglichst detailgetreu aufgeschrieben, womit sich das Kind beschäftigt. Die Beobachtungen können jederzeit im Laufe eines Kita-Tages aufgeschrieben werden. Ein entworfenes Formular dafür ist sinnvoll. Die verschiedenen Beobachtungen werden von einer Erzieherin auf einem anderen Formblatt dargestellt, die Lerndispositionen werden herausgearbeitet: die Fähigkeiten, das Wissen des Kindes, das sich in verschiedenen Stationen gezeigt hat, u. U. auch die Entwicklung der Disposition.
- Danach findet die Diskussion der beteiligten Erzieherinnen statt – in die Diskussion können im Laufe der Zeit auch die Kinder selbst und die Eltern einbezogen werden. Die Diskussion stellt den Zusammenhang zur bisherigen Entwicklung des Kindes her und eröffnet Perspektiven für die mögliche weitere Entwicklung des Kindes (siehe Entwicklungspsychologie). Die Ergebnisse werden von den Erzieherinnen in einer neuen Lerngeschichte festgehalten, die nicht die momentanen Interessen, Anliegen, Fähigkeiten des Kindes deutlich machen. Das Kind erhält dann eine neue Lerngeschichte, in der z. B. eine Erzieherin einem Kind berichtet: „Liebe Lina, in der letzten Zeit habe ich mehrfach beobachtet und aufgeschrieben, was Du gemacht hast. Ich glaube, es interessiert Dich sehr zu beobachten, wie die anderen Kinder im Sand spielen (...)“ (Leu, Hans Rudolf; Flämig, Katja; 2007, S. 66). Mit dieser Form der Unterstützung kann das Kind gut seinen Stand erfassen und mit der Erzieherin darüber sprechen, denn in der Erzählung sind seine Stärken und Schwächen geschildert.
- Aufgrund der Diskussion und den Gesprächen mit dem Kind (und den Eltern) kann entschieden werden, wie man z. B. die Interessen weiter entwickeln kann. Im Falle Lina könnte man überlegen, wie sie sich besser an den beobachteten Spielen beteiligen kann. Das Kind soll ja seine Fähigkeiten und sein Wissen erweitern. Die Fortschritte zeigen, dass die Lerngeschichten immer komplexer werden. Das Kind erweitert sein Repertoire an Möglichkeiten des Handelns. Die Fortschritte sind in der Regel daran erkenntlich, dass Häufigkeit und Intensität von Tätigkeiten gesteigert werden.
- In der Dokumentation all dieser Ereignisse wird dem Kind, den Erziehenden und den Eltern deutlich, welchen Verlauf die Entwicklung des Kindes nimmt. Die „Bildungsprozesse“ (Leu, Hans Rudolf; Flämig, Katja, 2007, S. 67) des Kindes werden damit strukturiert und veranschaulicht. „Die Dokumentation wirkt auf das Lernen des Kindes zurück. Bei ihnen entwickelt sich eine Vorstellung davon, jemand zu sein, der gut lernen kann und Stärken hat. Die dargestellten Lerngeschichten helfen den Kindern, sich zu erinnern und ihre Aktivität zu reflektieren (...)“ (Leu, Hans Rudolf; Flämig, Katja, 2007, S. 69f). Die Erzieherinnen erhalten auch einen Überblick über das Lerngeschehen bei den verschiedenen Kindern der Einrichtung. Die gewonnenen Einsichten intensivieren die Motivation der Erzieherinnen, über die Entwicklung der verschiedenen Kinder zu kommunizieren.
Eine Umstellung der Kita auf die Lerngeschichten hat viele Konsequenzen, die bedacht werden müssen. Erfahrene Teams halten folgende technischen Geräte für erforderlich: Digitalkamera, Videokamera, Kopierer, PC, Drucker und Laminiergerät (Leu, Hans Rudolf; Flämig, Katja, 2007, S. 71).
Die Lerngeschichte ist eine ausgezeichnete Möglichkeit der Zusammenarbeit von Kindern und Erzieherinnen. Beide lernen sich sehr schnell kennen – die Erzieherin die Stärken und Schwerpunkte des Kindes, das Kind die Vorgehensweise der Erzieherin, und bald sind auch die Eltern in diese Arbeit an den Geschichten mit einbezogen, denn sie liefern gelegentlich wichtige Hintergrundinformationen. Das Interesse der Eltern an der Einrichtung und an ihren Kindern wächst – ihre Mitarbeit wird sich vermutlich intensivieren. Eltern werden dadurch offener.
Aspekte der Lerngeschichte
Die Lerngeschichte enthält Details, die es für den Erziehenden zu entdecken gilt, um die Lernstrategie des Kindes zu verstehen und fördern zu können. Die Details können sich sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Zukunft beziehen. Sie laden Familien zur Mitarbeit an der Lerngeschichte ein, schreibt Margret Carr. Streng genommen könnte die Lerngeschichte bei jedem Lernenden - gleich welchen Alters - verwendet werden. Fakt ist aber, dass sie zurzeit bei Kindern in der Vorschulerziehung und in der Grundschule Anwendung findet.
Im Bereich Kommunikation z. B. (s. o.) werden die Kinder im Rahmen des Konzepts Lerngeschichte lernen,
- dafür Verständnis zu entwickeln, dass Symbole von Anderen gelesen werden können
- mit dem Nutzen der Druckschrift vertraut zu werden
- mit Geschichten aus anderen Kulturen vertraut zu werden
- mit Worten und Büchern Freude zu verbinden
- Erfahrungen mit Geschichten und dem Entwerfen von Geschichten zu machen.
Eng verbunden mit der Methodik der Lerngeschichte ist das Assessment. Das sind all die Aktivitäten, die von Lehrern und Schülern zur Selbsteinschätzung im Hinblick auf den Lernprozess unternommen werden. Die Pflege des Assessment bedeutet eine Intensivierung von Lernprozessen (Lerngewinn). Die Studie der neuseeländischen Forschungsgruppe kommt zu der Auffassung, "dass folgende Praktiken Lernprozesse unterstützen:
- sinnvolle Aufgabenstellungen
- aktive Einbindung der Lernenden
- eine Erfolgskultur
- die Möglichkeit für die Lernenden, ihre Ideen auszudrücken, dass die Entwicklung und der Ausbau der bisherigen Fähigkeiten gewürdigt wird und im Zentrum steht
- Nicht vergleichen mit anderen" (Carr, S. 43).
Die vier Prinzipien
Lerngeschichten bieten, laut Carr, die passende Form für die Realisierung folgender Prinzipien:
- Beziehungen: Kinder lernen durch responsive und gegenseitige Beziehungen mit Menschen, Orten und Dingen.
- Befähigung: Der frühpädagogische Bildungsplan hilft den Kindern zu lernen und sich zu entwickeln.
- Ganzheitliche Entwicklung: Der frühpädagogische Bildungsplan hilft bei einer ganzheitlichen Sicht des Lernens und der Entwicklung.
- Familie und Gemeinde: Beide sind wesentliche Bestandteile frühkindlichen Lernens.
Siehe auch
Literatur
- Margret Carr: Lerning Stories - ein Bildungs- und Lernkonzept aus Neuseeland, in: Norbert Neuß (Hg.): Bildung und Lerngeschichten im Kindergarten, Konzepte-Methoden-Beispiele; Berlin 2007; ISBN 978-3-589-24519-2
- Norbert Kühne: Über das Lernen nachdenken . . . Die Lerngeschichte als Methodik in der Kita, in: klein&groß Nr. 11/2007, Oldenburg Schulbuchverlag, München, S. 40-41; ISSN 0863-4386
- Hans Rudolf Leu; Katja Flämig: Bildungs- und Lerngeschichten - ein Projekt des Deutschen Jugendinstituts, in: Norbert Neuß (Hg.): Bildung und Lerngeschichten im Kindergarten, Konzepte-Methoden-Beispiele; Berlin 2007; ISBN 978-3-589-24519-2
- Christine Lipp-Peetz (Hg.): Praxis Beobachtung - Auf dem Weg zu individuellen Bildungs- und Erziehungsplänen, Berlin 2007; ISBN 978-3-589-24523-9
- Norbert Neuß (Hg.): Bildung und Lerngeschichten im Kindergarten. Konzepte-Methoden-Beispiele; Berlin 2007.
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