Liberaldemokratische Partei Japan

Liberaldemokratische Partei Japan
Parteizentrale in Nagatachō, Chiyoda, Präfektur Tokio.

Die japanische Liberaldemokratische Partei (LDP; 自由民主党, Jiyūminshutō, kurz: 自民党, Jimintō) ist eine politische Partei und hat von 1955 bis heute, mit Ausnahme der Jahre 1993-94, die Regierung Japans gestellt. Die Mitgliederzahl schwankt stark zwischen 1 und 5 Millionen und lag 2006 bei 1,21 Millionen zahlenden Mitgliedern.

Die Politik der Partei ist gemäßigt konservativ, wirtschaftsnah sowie außenpolitisch pro-amerikanisch, was sich in letzter Zeit vor allem durch die Unterstützung der Sicherheits- und Antiterrorpolitik der ehemaligen Regierung Bush und, damit einhergehend, einem stärkeren militärischen Engagement bemerkbar machte. So schickte sie japanische Soldaten in den Irak und Schiffe zur Unterstützung der Afghanistan-Mission. Durch die fast ununterbrochene Herrschaft der Partei seit 1955 gibt es sehr enge Verbindungen zu Wirtschaft und Bürokratie, was sich regelmäßig in Korruptionsskandalen äußert, aber vor allem bis Ende der achtziger Jahre auch zu großem Wirtschaftswachstum führte. Diese Beziehungen zwischen Partei, Wirtschaft und Bürokratie werden auch als sogenanntes „Eisernes Dreieck“ bezeichnet.

Die wichtigsten Führungspositionen der LDP füllen der Parteivorsitzende und Premierminister Tarō Asō, Generalsekretär Hiroyuki Hosoda, der Vorsitzende des Exekutivrats Takashi Sasagawa und der Vorsitzende des politischen Forschungsausschusses Kōsuke Hori. Die innerparteilichen Entscheidungsprozesse werden maßgeblich von den Faktionen und ihren Vorsitzenden bestimmt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Gründungsparteitag 1955

Nach einigen Zusammenschlüssen und Auflösungen verschiedener konservativer Parteien in den Jahren 1945 bis 1955 bildete sich am 15. November 1955 die LDP in der „Konservativen Fusion“ aus der Liberalen Partei und der Demokratischen Partei Japans in Reaktion auf den Zusammenschluss des rechten und des linken Flügels der Sozialistischen Partei Japans.

1976 verließen sechs Abgeordnete unter Führung von Yōhei Kōno die Partei und gründeten den Neuen Liberalen Klub, der bis 1986 bestand. Ab 1983 war er an der Regierung der LDP beteiligt.

In einem „vierzigtägigen Kampf“ (四十日抗争) rangen nach der Unterhauswahl 1979 die Fukuda-Faktion und die Ōhira-Faktion um die Parteiführung. Der Parteivorsitzende und Premierminister Masayoshi Ōhira musste nach der Enthaltung Takeo Fukudas und seiner Anhänger bei einem Misstrauensvotum 1980 Neuwahlen durchführen lassen, erlitt im Wahlkampf allerdings einem Erschöpfungstod. Die LDP gewann die Unterhauswahl mit einem Erdrutschsieg und Ōhiras Nachfolger als Faktionsvorsitzender, Zenkō Suzuki, war bei den Wahlen zum Parteivorsitz ohne Gegenkandidat.

Nach mehreren Skandalen Anfang der 1990er Jahre, insbesondere dem Recruit-Skandal und dem Sagawa-Express-Skandal verlor die LDP 1993 durch Parteiaustritte die Parlamentsmehrheit und musste nach der Unterhauswahl 1993 erstmals in ihrer Geschichte in die Opposition. Unter dem Parteivorsitzenden Yōhei Kōno konnte sie durch eine Koalitionsvereinbarung mit der Sozialistischen Partei Japans 1994 in die Regierung zurückkehren. Ab 1996 stellte sie wieder den Premierminister. Seit 1999 regierte die LDP in Koalition mit kleineren Partnern.

2005 vertrieb der Parteivorsitzende Jun’ichirō Koizumi die sogenannten „Rebellen“, Gegner seiner Pläne zur Postprivatisieung, aus der LDP und veranlasste vorgezogene Neuwahlen, bei denen er eine klare Mehrheit für die LDP erringen konnte. Einige der „Rebellen“ gründeten die Neue Partei Japan und die Neue Volkspartei.

Faktionalismus

Die Partei ist in mehrere innerparteiliche Faktionen (派閥, habatsu) gespalten, zwischen denen nicht selten starke Konflikte bestehen. Dabei hat jedoch die Abgrenzung der Faktionen meist weniger mit programmatischen Inhalten zu tun als mit innerparteilicher Machtpolitik. Die politische Linie der Partei wird unter den Anführern der Faktionen ausgehandelt. Auch wichtige Partei- und Regierungsämter (einschließlich das des Ministerpräsidenten) werden meist so vergeben, oft nach einem Rotationsprinzip unter den Faktionen, um den Zusammenhalt der Partei zu garantieren. Als das Unterhaus noch mit dem Verfahren der einfachen nicht-übertragbaren Stimme in Mehrpersonenwahlkreisen gewählt wurde, traten häufig LDP-Kandidaten verschiedener Faktionen gegeneinander an.[1] Nach der Wahlrechtsreform von 1994 werden nur noch die Direktmandate des Oberhauses in solchen Mehrpersonenwahlkreisen vergeben.

Die Faktionen (Stand: Februar 2009) sind absteigend nach Anzahl der im Parlament vertretenen Mitgliedern:

Offizieller Name Vorsitz Unterhaus-
abgeordnete
Oberhaus-
abgeordnete
Minister wichtige Parteiämter
Seiwa Seisaku Kenkyūkai 清和政策研究会 Nobutaka Machimura 62 27 1 Generalsekretär
Heisei Kenkyūkai 平成研究会 Yūji Tsushima 45 23 3 Vorsitz des Exekutivrats
Kōchikai 宏池会 Makoto Koga 51 11 2 Vorsitz der Wahlstrategiekommission
Kinmirai Seiji Kenkyūkai 近未来政治研究会 Taku Yamasaki 38 3 1
Shisuikai 志帥会 Bunmei Ibuki 22 6 2
Ikōkai 為公会 Tarō Asō 16 4 1 Parteivorsitzender (=Premierminister)
Atarashii Nami 新しい波 Toshihiro Nikai 14 2 1
Banchō Seisaku Kenkyūjo 番町政策研究所 Masahiko Kōmura 14 1 0 Vorsitz des Komitees für Parlamentsangelegenheiten

Die offiziellen Namen der Faktionen setzen sich oft aus Regierungsdevisen (Heisei) oder anderen interpretierbaren Bezeichnungen (Kinmirai Seiji, dt. „Politik der nahen Zukunft“) und Forschungsrat (研究会, kenkyūkai) zusammen. Diese Bedeutungsarmut reflektiert die Tatsache, dass die Faktionen abgesehen von Verbindungen zu bestimmten Interessengruppen kaum programmatisch fassbare politische Ziele verfolgen. Deshalb werden sie in der medialen Berichterstattung auch meist mit ihrem gegenwärtigen, manchmal auch nach ehemaligen Vorsitzenden bezeichnet. So wurde beispielsweise die Faktion von Shizuka Kamei, das Shisuikai, bis zu dessen Parteiaustritt als Kamei-Faktion (亀井派, Kamei-ha) bezeichnet. Danach hieß sie „ehemalige Kamei-Faktion“ (旧亀井派, Kyū-Kamei-ha), bis sich ein neuer Faktionsführer durchgesetzt hatte. Nach Spaltungen oder Neugründungen werden Faktionen manchmal zunächst als Gruppe bezeichnet (z.B. Nikai-Gruppe für Atarashii Nami; jap. 二階グループ, Nikai-Gurūpu), ehe erkennbar wird, dass sich die Neubildung im Faktionssystem der LDP etabliert.

Seit dem Amtsantritt von Parteipräsident Ikeda Hayato versprach jeder Parteivorsitzende, die Macht der Faktionen zu brechen; tatsächlich wurden die Geschäfte jedoch immer wie gehabt weitergeführt. Auch Premierminister Junichirō Koizumi hatte vielfach angekündigt, das Habatsu-System zurückzudrängen. Einige Maßnahmen zeigten Erfolg: In der vorgezogenen Wahl 2005 stellte Koizumi teilweise faktionsunabhängige Kandidaten gegen die Postprivatisierungsgegner auf, die die Partei verlassen hatten. Allerdings blieb auch dadurch die Macht der bestehenden Faktionen im Wesentlichen unbeeinträchtigt. 2007, ein Jahr nach dem Ende der Ära Koizumi sind nur 57 der 305 LDP-Unterhausabgeordneten und 19 der 83 Oberhausabgeordneten ohne Zugehörigkeit zu einer Faktion.

Ursachen für die Wahlerfolge

Trotz der Tatsache, dass diese Hinterzimmerpolitik weithin bekannt ist und oft als undemokratisch verurteilt wird, erhält die LDP regelmäßig große Mehrheiten bei den Wahlen, zuletzt bei den vorgezogenen Unterhauswahlen 2005 eine absolute Mehrheit mit 296 von 480 Sitzen. Vor allem vor der Wahlrechtsreform 1994 lag dies an einer unverhohlenen Klientelpolitik, da die Wahlkreise trotz Landflucht nur unzureichend an die Bevölkerungsverteilung angepasst worden waren und so die Stimme eines Landbewohners weit mehr Gewicht hatte als die eines Stadtbewohners. Außerdem profitiert die LDP von der Tendenz der Japaner, personen- und nicht programmorientiert zu wählen, da es ihren Kandidaten besonders gut gelingt, sich als erfahren und vertrauenswürdig darzustellen, was durch das überwiegende Mehrheitswahlrecht begünstigt wird.

Gremien

Da der Parteivorsitzende der LDP in der Regel als Premierminister mit den Regierungsgeschäften befasst ist, spielt der Generalsekretär eine wichtige Rolle in der Parteiführung. Er wird vom Vorsitzenden mit Zustimmung des Exekutivrats ernannt. Offiziell höchstes Entscheidungsgremium ist der Parteitag, der regulär einmal im Jahr zusammenkommt. Der letzte (75.) Parteitag fand am 17. Januar 2008 statt. Wichtige tagespolitische Entscheidungen werden von einer Versammlung der Abgeordneten beider Kammern gefällt. Neben dem Parteivorsitzenden, dem Generalsekretär und ihren Stellvertretern, denen die Parteizentrale mit ihren Abteilungen untersteht, gibt es eine Reihe weiterer einflussreicher Parteiposten. Die wichtigsten innerparteilichen Gremien sind:

  • der Exekutivrat (総務会, Sōmukai, wörtl. Rat für allgemeine Angelegenheiten), der aus 31 Mitgliedern besteht und die wichtigsten parteipolitischen Entscheidungen bestätigt,
  • der Politikforschungsrat (政務調査会, Seimu Chōsakai, engl. Policy Affairs Research Council, kurz: PARC), der sich entsprechend der Ressortaufteilung im Kabinett in zwölf Abteilungen gliedert und in Zusammenarbeit mit Parlamentsausschüssen und Ministerien an Gesetzentwürfen arbeitet,
  • das Komitee für Parlamentsangelegenheiten (国会対策委員会, Kokkai Taisaku Iinkai), das Termine und Entscheidungen mit den Fraktionen anderer Parteien im Parlament koordiniert, und
  • die Wahlstrategiekommission (選挙対策委員会, Senkyo Taisaku Iinkai).

Parteivorsitzender

Der erste Parteivorsitzende Ichirō Hatoyama und die Führungspolitiker der LDP 1955.

Der Parteivorsitzende der LDP wird als sōsai (総裁) bezeichnet, während die Vorsitzenden der meisten anderen Parteien daihyō (代表) genannt werden. Diese Namensgebung knüpft an die Tradition der Liberalen Partei und der Vorkriegspartei Rikken Seiyūkai an. Wegen der dominanten Position der LDP ist der Parteivorsitzende in der Regel auch Premierminister (sōri-daijin), weshalb seine Doppelfunktion auch als sōri-sōsai (総理総裁) bezeichnet wird.

Wahl des Vorsitzenden

→ Hauptartikel: Wahl des Vorsitzenden der japanischen Liberaldemokratischen Partei

Der Parteivorsitzende wurde in Lauf der Zeit auf verschiedene Arten bestimmt. Oft wurde er nach Verhandlungen zwischen den Faktionsführern bestimmt und durch eine Versammlung von Parteiführern und Abgeordneten bestätigt. Zeitweise wurde er durch parteiinterne Vorwahlen bestimmt.[2] Zuletzt (2007) wurde er durch die Versammlung der Abgeordneten beider Kammern und jeweils drei Delegierte jedes LDP-Präfekturverbandes gewählt, wobei Kandidaturen und offizielle Unterstützung ebenfalls vorher unter den Faktionen ausgehandelt werden.

Während seiner Amtszeit gibt der Parteivorsitzende normalerweise seine offizielle Faktionszugehörigkeit auf.

Liste der Parteivorsitzenden

Mit Ausnahme von Eiichi Nishimura und Yōhei Kōno waren alle Parteivorsitzenden auch Premierminister. Umgekehrt waren alle Premierminister seit 1955 mit Ausnahme von Morihiro Hosokawa, Tsutomu Hata und Tomiichi Murayama zugleich LDP-Vorsitzende. (siehe auch Liste der Premierminister Japans)

Zwischen 1955 und 1998 hatte Japan 19 Regierungschefs (zum Vergleich: Italien hatte im selben Zeitraum 22 Ministerpräsidenten). Die häufigen Wechsel des Parteivorsitzenden/Regierungschefs und die noch zahlreicheren Kabinettsumbildungen dienten, wenn sie nicht durch Skandale verursacht wurden, in der Vergangenheit häufig dazu, die verschiedenen Faktionen gleichmäßig mit Regierungsposten zu versorgen und eine dauerhafte Vormachtstellung einer Faktion zu verhindern.[3]

Weblinks

Literatur

  • Masaru Kohno: Japan’s Postwar Party Politics. Princeton 1997. ISBN 978-0-691-01596-5
  • Manfred Pohl: Die politischen Parteien. in: Mayer/Pohl (Hrsg.): Länderbericht Japan. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998, ISBN 3-89331-337-0

Quellen

  1. LDP Policy Groups (Factions) auf der offiziellen Website der Partei (Englisch)
  2. Geschichte der Wahlen zum Parteivorsitz auf der offiziellen Website (Japanisch)
  3. siehe dazu z.B. Pohl, Manfred: Die politischen Parteien. in: Mayer/Pohl(Hrsg.), Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 1998: Länderbericht Japan

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