Anton Unternährer

Anton Unternährer

Anton Unternährer, genannt Mettlentoneli, (* 5. September 1759 in Schüpfheim; † 29. Juni 1823 in Luzern) war ein Schweizer Schreiner, Wunderdoktor und Begründer der antinomistischen Sekte der Antonianer, nicht zu verwechseln mit dem gleichfalls oft so bezeichneten Antoniter-Orden.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach einer nur kurzen Schulzeit erlernte Unternährer den Beruf eines Schreiners und arbeitete als Geselle auch einige Zeit. Ungefähr 1775 kam er auf den Bauernhof seines Paten und war dort dreizehn Jahre unter anderem als Knecht und Senner tätig.

Anfang 1788 ging Unternährer nach Paris um an der École des Beaux-Arts Malerei zu studieren. Da er aber weder über Talent noch über einflussreiche Förderer verfügte, war dieser Plan zum Scheitern verurteilt. Als Tagelöhner arbeitete er kurze Zeit bei einem Barometer- und Thermometermacher und versuchte danach sich in diesem Beruf selbstständig zu machen.

Über Calais kehrte Unternährer wieder an seinen Heimatort Schüpfheim zurück und verdiente seinen Lebensunterhalt mit Schreinerarbeiten und dem Herstellen von Thermometern. Daneben versuchte er auch – allerdings vergeblich – in Schüpfheim eine Privatschule (unter seiner Leitung) zu etablieren. Im Winter 1788/89 heiratete er und begann einen kleinen Handel mit Heilkräutern, Wurzeln, etc. aufzubauen. Dazu versuchte er, sich autodidaktisch mittels Fachliteratur zum Mediziner auszubilden. Soweit er es sich leisten konnte, nahm er dazu auch einige Privatstunden bei einem Arzt in Schwarzenegg.

Im Frühjahr 1799 liess er sich mit seiner Familie als Arzt in Hürselen bei Münsingen BE nieder. Noch im selben Jahr kam Unternährer wegen «Agitation gegen den Militärdienst» vor das Militärgericht in Bern. Als Alkoholiker wurde er zu zehn Wochen Haft verurteilt; wegen der Agitation aber nur ermahnt.

Nachdem Unternährer seine Haft verbüsst hatte, liess er sich in Amsoldingen bei Thun nieder. Dort lud er ab Frühjahr 1800 Interessierte zu religiösen Veranstaltungen in sein Haus ein und verkündete während einer solchen für 1802 den Weltuntergang. Wegen dieser Ankündigung kam es unter seinen Anhängern, inzwischen auch von offizieller Seite Antonianer genannt, zu einer Massenpsychose. Inzwischen hatte Unternährer auch sein Gerichtsbüchlein, eine religiöse Schrift, verfasst. Diese wollte er in der Helvetischen Nationaldruckerei in Bern drucken lassen, doch auf Grund eines Gerichtsbeschlusses wurde sie noch während der Herstellung beschlagnahmt. Seine Anhänger konnten aber einige wenige Exemplare davon in Sicherheit bringen.

In seinem Gerichtsbüchlein erklärte sich Unternährer zum Weltenrichter, da er als Inkarnation von Jesus Christus dazu ausersehen sei. Daneben propagierte er äusserst sozialrevolutionäre Ideen, wie freie Liebe (unter anderem Abschaffung des Inzest-Tabus), umfassende Gütergemeinschaft und Abschaffung von Justiz und Obrigkeit. Ausserdem lehnte Unternährer Schulbildung und Pazifismus grundsätzlich als unnötig ab.

Diese Ideen führten zur alsbaldigen Inhaftierung, bis Unternährer 1805 nach Luzern gebracht wurde. Da er vor Gericht immer noch als Alkoholiker galt, wurde er ohne Verurteilung wieder nach Schüpfheim entlassen. Da er ab diesem Zeitpunkt seine Anhängerschaft immer grösser wurde, sperrte man ihn ohne Gerichtsverhandlung bis 1811 in Luzern wieder ein. Im Sommer 1811 wurde er wieder entlassen und liess sich unter permanenter Aufsicht der Polizei bis 1819 an seinem Heimatort nieder.

Zu diesem Zeitpunkt wurde Unternährer auf Wunsch der Regierung in Bern wegen «Unsittlicher Sektiererei» in Luzern wieder inhaftiert. Das Luzerner Gericht befand Unternährer zwar als «… inzwischen für das Allgemeinwohl ungefährlich», behielt Unternährer aber dennoch bis an dessen Lebensende in Haft. Die Kosten dafür trug das Kriegsgericht in Bern.

Während seine Haftzeit verfasste Unternährer mehrere Schriften, welche aus dem Gefängnis geschmuggelt wurden. 1835 wurden diese von seinen Anhängern gesammelt unter dem Titel Hier ist der Herr gedruckt und an seine Anhänger verschenkt.

Im Alter von 63 Jahren starb Anton Unternährer am 29. Juni 1823 im Gefängnis in Luzern.

Bald nach Unternährers Tod zerstreuten sich die Antonianer und schlossen sich anderen Gruppierungen an. Mit seiner Schwarzenburger Waldbruderschaft gilt Johannes Binggeli als ein Nachfolger Anton Unternährers. Ebenfalls auf dieser Linie befand sich die Christliche Gemeinschaft Friedensburg, welche ab 1929 unter der Leitung von O. Witzig auf dem Stollberg in Littau residierte. Da Witzig versäumt hatte, seine Nachfolge zu regeln, löste sich diese Gemeinschaft wegen des Streits darüber um 1935 selber auf.

Erklärungsversuche

Nach dem Bericht des Juristen und Kriminalpsychologen Georg Sulzer, dem es ein leichtes war, die alten Gerichtsakten einzusehen, saß Unternährer seine Strafe in einem unterirdischen Kerker ab, der so eng war, daß er stets auf dem gleichen Fleck stehen oder sitzen mußte. Dies sei vermutlich eine Übertreibung, aber daß die Gefängnisverhältnisse Luzerns zu jener Zeit der humanen Anschauung in keiner Weise entsprachen, sei aktenkundig. Sulzer schließt seinen Bericht mit: "So behandelten sowohl das katholische Luzern, als auch das protestantische Bern diesen Unglücklichen, der sich für göttlich inspiriert hielt."[1]

Für den Parapsychologen Rudolf Passian handelt es sich bei Anton Unternährer um einen tragischen Fall von Besessenheit. Heute würde so jemand zwar nicht mehr eingekerkert, aber die Einweisung in eine Nervenheilanstalt befriedigt ebenso wenig, da es sich nicht um Geisteskrankheit handelt, was auch Georg Sulzer in seinem Bericht ausdrücklich betont. Der als bischöflicher Kommissarius szt. eingesetzte Priester Thaddäus Müller stellte dem wegen religiöser Irrlehre Angeklagten ein sehr günstiges Zeugnis aus. In seinem Bericht vom 25. Mai 1805 heißt es: "Unternährer zeigt in seinem Betragen Anstand, Bescheidenheit, Unterwerfung und ist fern von rohem, trotzigem Benehmen. Auch jenes finstere Wesen, wodurch sonst Religionsschwärmer sich auszeichnen, hat er nicht an sich, sondern ist heiter, freundlich und beredt. In seinem so deutlich als bestimmten und fertigen Vortrag läßt sich sonst nicht die geringste Spur von einer Verirrung des Verstandes wahrnehmen. Eine harte Bestrafung, wie z.B. eines Übeltäters, verdient er nicht."[2]

Werke

  • Gerichtsbüchlein
  • Hier ist der Herr. Das vollkommene Testament der heiligen Schrift aufgeschlossen und geoffenbart durch den Geist der Wahrheit. Benteli, Bern 1919.

Literatur

  • Hermann Rorschach: Zwei schweizerische Sektenstifter (Binggeli, Unternährer). Nach Vorträgen in der schweizerischen Gesellschaft für Psychoanalyse. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig 1927.
  • Walther Unternährer: Anton Unternährer (1759-1823) und die Antonianer. Selbstverlag, Schüpfheim 2000.
  • Walther Unternährer: Die Unternährer aus Schüpfheim und ihre Geschichte. Selbstverlag, Schüpfheim 1990.
  • Sergius Golowin: "Die phantastische Geschichte der freien Schweiz/Lustige Eid-genossen". (Kapitel: Der Kräuterarzt als Revolutionär) Fischer media Verlag,1998. ISBN 3-85681-402-7

Weblinks

Quellenangaben

  1. "Licht und Schatten der spiritistischen Praxis", Georg Sulzer, Leipzig, 1913
  2. "Abschied ohne Wiederkehr?", Rudolf Passian, 3. Auflage 2005, Reichl Verlag, Seite 288-289

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