Lévi Strauss

Lévi Strauss

Claude Lévi-Strauss [kloːd leviˈstʀoːs] (* 28. November 1908 in Brüssel) ist ein französischer Ethnologe und Anthropologe. Er gilt als Begründer des ethnologischen Strukturalismus.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Lévi-Strauss studierte an der Sorbonne in Paris Rechtswissenschaften und Philosophie. Nachdem er zwei Jahre lang an einem Gymnasium in Laon unterrichtet hatte, wurde er 1935 als Professor an die Universität von São Paulo berufen. Von 1935 bis 1939 unternahm er mehrere ethnographische Missionen im Amazonasgebiet.

Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg kehrte er nach Frankreich zurück. Von 1939 bis 1940 leistete er freiwilligen Militärdienst und verließ Frankreich anschließend wieder, um an der New School for Social Research in New York zu unterrichten. Dort lernte er Roman Jakobson kennen, durch den sein linguistisches Denken wesentlich geprägt wurde. Gemeinsam mit Henri Focillon, Jacques Maritain und einigen anderen gründete er die École libre des hautes études de New York, eine Art Exiluniversität.

1944 wurde er vom französischen Außenministerium (Ministère des affaires étrangères) nach Frankreich zurückgerufen und 1945 als Kulturberater der französischen Botschaft erneut nach New York geschickt. 1948 kündigte er, um sich erneut seinen Forschungen widmen zu können.

1949 wurde er Direktor des Musée de l'Homme in Paris, anschließend Direktor der École pratique des hautes études, zuständig für den Lehrstuhl und das Studienprogramm in vergleichenden Religionswissenschaften. Von 1959 bis zu seiner Pensionierung 1982 war er Professor für Sozialanthropologie am renommierten Collège de France.

Zentrale Themen

Linguistik

Lévi-Strauss vergleicht die Beziehung zwischen der Linguistik und der Sprache mit dem Verhältnis zwischen Anthropologie und der Kultur und postuliert die Übertragbarkeit von linguistischen Konstrukten auf die Ethnologie. Er argumentiert, dass die Kultur wie die Sprache sei: Nur ein Außenstehender könne die ihr zugrundeliegenden Regeln und Strukturen erkennen und interpretieren.

Universale Denkprinzipien

Das Ziel des Anthropologen sollte es nach Lévi-Strauss sein, zu verstehen, wie der menschliche Geist funktioniert und wie die mentalen und kognitiven Strukturen aussehen. Nur so könne man die universalen Denkprinzipien in den verwendeten Klassifikationen und Bedeutungssystemen herausfinden.

Eines dieser universalen Denksysteme sei die binäre Opposition (komplementäre Dichotomie), das heißt, das Denken in Gegensatzpaaren (heiß-kalt, oben-unten, usw.). Diese Art der mentalen Prozesse ist nach Lévi-Strauss in allen Kulturen gleich, nur die Manifestationen unterschieden sich. Durch die eingehende Untersuchung von kulturellen Phänomenen können die universellen Denkmuster aufgedeckt werden. Der grundlegende Gegensatz ist Lévi-Strauss zufolge die Opposition zwischen „Natur“ und „Kultur“.

Daneben haben alle Menschen kulturübergreifend die Tendenz, ihre Umwelt zu klassifizieren. Die dabei verwendeten Schemata sind laut Lévi-Strauss ebenfalls interkulturell übertragbar und beweisen die Uniformität der Strukturen des menschlichen Denkens. Lévi-Strauss prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des Wilden Denkens. Die wichtigste diesbezügliche Einsicht der strukturalen Anthropologie ist, dass das Denken der Angehörigen der vermeintlich „primitiven“ schriftlosen Kulturen demjenigen der Menschen in modernen Industriegesellschaften in kognitiver Hinsicht keineswegs unterlegen, sondern weitgehend lediglich auf andere Ziele gerichtet ist.

Mythenanalyse

Laut Lévi-Strauss bestehen Mythen aus nach noch unbestimmten Regeln zusammengesetzten Einheiten, welche opponente Beziehungen formen könnten, die ihrerseits die Basis der Denkstrukturen darstellten. Diese kleinsten Einheiten der Mythen nannte er in seinem 1964 erschienenen vierbändigen Werk mythologiques Mytheme.

Nach Lévi-Strauss kann der Forscher durch Analyse der Mythen zu den grundlegenden Strukturen des menschlichen Denkens vorstoßen. Da jedoch die Mythen ihrerseits ein Produkt der entsprechenden Kultur sind, geben sie Informationen über die die Kultur strukturierenden Denkgesetze, welche ihrerseits durch die Struktur und die Wirkungsweise des menschlichen Gehirns bestimmt werden, die die menschlichen Ausdrucksformen strukturieren.

Konkret untersuchte Lévi-Strauss verschiedene Mythen Nord- und Südamerikas, verglich sie miteinander und suchte nach ihrer „inneren Ordnung“. Er fand mehrere grundlegende „Shortscripts“, das heißt, „Typen“ von Geschichten, die immer wieder vorkommen.

Verwandtschaftssysteme

In seiner Analyse der Strukturen von Verwandtschaftssystemen im Buch von 1949 geht Lévi-Strauss von der Heirat als aktivem Teil einer Verwandtschaft aus. Es ist eine bestimmte Heirat, die eines Sohnes mit der matrilateralen Kreuzkusine (der Tochter des Mutterbruders), die nach Lévi-Strauss die stabilsten gesellschaftlichen Verhältnisse erzeugt. D.h. sozialisiert, Gesellschaft schafft und sie stabil hält: Indem man die Töchter in der Form „tauscht“ – hier knüpft L.-S. an Marcel Mauss an –, verpflichtet man sich gegenseitig. Nah genug, damit die Pflicht sozial wirken kann, aber weit genug weg, damit das Inzesttabu gewahrt bleibt. Diese Struktur des Frauentausches ist ausgezeichnet, daher kommt sie nach Lévi-Strauss am häufigsten vor. Damit ist der Avunculus, der Mutterbruder, besonders bedeutsam. Der Punkt wurde u.a. von Pierre Bourdieu kritisiert, der emprisch in Nordafrika diesen Heiratsfall als nur einen unter vielen ausmachte. So kam z. B. die Heirat mit der matrilateralen Parallelkusine (der Tochter der Mutterschwester) in seiner Stichprobe häufiger vor.

Lévi-Strauss unterscheidet zwischen Heiratsgeboten (Gesellschaft empfiehlt, aus welcher Gruppe geheiratet werden soll) und Heiratsverboten (es ist nur vorgeschrieben, aus welcher Gruppe ich nicht heiraten darf). Siehe auch positive und negative, sowie präferenzielle und präskriptive Heiratsregeln.

Siehe auch: Inzest#Levi-Strauss

Ehrungen

Ehrenmitgliedschaften

  • Mitglied der National Academy of Sciences (USA)
  • American Academy and Institute of Arts and Letters (USA)
  • British Academy (Großbritannien)
  • Niederländische königliche Akademie
  • Norwegische Akademie der Wissenschaften

Ehrendoktorate

Preise und Auszeichnungen

Werke

  • 1949 – Structures élémentaires de la parenté. (dt. 1981, Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, Ü. Eva Moldenhauer)
  • 1952 – Race et histoire. (dt. Rasse und Geschichte)
  • 1955 – Tristes Tropiques (dt.1978, Traurige Tropen, Suhrkamp, Ü. Eva Moldenhauer)
  • 1958 – Anthropologie Structurale (dt. 1967, Strukturale Anthropologie, Suhrkamp, Ü. Hans Naumann)
  • 1962 – Le Totémisme aujourd'hui (dt. 1965, Das Ende des Totemismus, Suhrkamp, Ü. Hans Naumann)
  • 1962 – La pensée sauvage (dt. 1968, Das wilde Denken, Suhrkamp, Ü. Hans Naumann)
  • 1964 – Mythologiques I. Le cru et le cuit. (dt. 1971, Mythologica I. Das Rohe und das Gekochte. Suhrkamp, Ü. Eva Moldenhauer)
  • 1966 – Mythologiques III. Du miel au cendres. (dt. 1972, Mythologica II. Vom Honig zur Asche. Suhrkamp, Ü. Eva Moldenhauer)
  • 1968 – Mythologica III. Vom Ursprung der Tischsitten (dt. 1973, Ü. Eva Moldenhauer)
  • 1971 – Mythologiques IV. L'homme nu. (dt. 1975, Mythologica IV. Der nackte Mensch. 2 Bände, Suhrkamp, Ü. Eva Moldenhauer)
  • 1975 – Strukturale Anthropologie II (dt.1975, Ü. Eva Moldenhauer, Hans Henning Ritter und Traugott König)
  • 1977 – Der Weg der Masken (dt. 1977, Ü. Eva Moldenhauer)
  • 1980 – Mythos und Bedeutung. Fünf Radiovorträge. Gespräche mit C. Lévi-Stauss, Hg. v. A. Reif, Suhrkamp.
  • 1983 – Der Blick aus der Ferne (dt. 1985, Ü. Hans-Horst Henschen und Joseph Vogl)
  • 1984 – Eingelöste Versprechen (dt. 1985, Ü. Rainer Rochlitz)
  • 1985 – Die eifersüchtige Töpferin (dt. 1987, Ü. Hans-Horst Henschen)
  • 1991 – Die Luchsgeschichte (dt. 1993, Ü. Hans-Horst Henschen)
  • 1993 – Sehen, Hören, Lesen (dt. 2004, Ü. Hans-Horst Henschen)
  • 1995 – Brasilianisches Album (dt.1995, Ü. Hans-Horst Henschen)

Literatur

  • Gottfried Korff: Lévi-Strauss, Claude. In: Enzyklopädie des Märchens Bd. 8 (1996), S. 1000–1002.
  • Arie de Ruijter: Claude Lévi-Strauss. Frankfurt a. M. 1991.
  • Dan Sperber: Claude Lévi-Strauss heute. In: Dan Sperber.: Das Wissen des Ethnologen. Frankfurt a.M. 1989.
  • Till R. Kuhnle: Der Kulturpessimismus bei Lévi-Strauss. In: Till R. Kuhnle: Das Fortschrittstrauma. Vier Studien zur Pathogenese literarischer Diskurse. Stauffenburg, Tübingen 2005. ISBN 3-86057-162-1. S. 420–444.
  • Edmund Leach: Claude Lévi-Strauss zur Einführung. Junius, Hamburg 2006. 3. Aufl. ISBN 3-88506-627-0
  • Michael Walitschke: Wald der Zeichen Linguistik und Anthropologie – Das Werk von Claude Levi-Strauss. Tübingen 1994.

Weblinks

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